MASTER NEGA TIVE

NO. 92-80714

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AU THOR:

WETZEL, PAUL FRIEDRICH

TITLE:

ZWECKBEGRIFF BEI SPINOZA

PLACE:

LEIPZIG

DA TE :

1873

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COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES PRESERVATION DEPARTMENT

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- 193Sp4 S683

Wetzel, Paul Friedrich, b. 1842.

Der Zveckbegriff bei Spinoza; eine philoso- püische Abhandlung, verfasst von Paul Wetzel Leipzig, A. Lorentz, 18 73»

90 p. 21cni.

Issued also as thesis, Leipzig.

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Der Zweckbegriff

bei

Spinoza.

Eine philosophische Abhandlung

verfasst

von

I>r. Paul i;V^etzel,

trstem ordinirten Katecheten zu St. Petri in Leipzig.

_>EIPZIG.

Alfred I. o r e n t z.

1873.

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Es bedarf wohl keiner Entschuldigung, dass in der vor- liegenden Abhandlung ein einzelner Begriff im System des Spinoza zum Gegenstand einer näheren Erklärung gemacht svird. Denn bei der Menge von Gosammtdarstellungen des spinozischen Systems wird Jeder, der sich mit dem Studium desselben beschäftigt, darauf hingewiesen, auf Specielleres seine Aufmerksamkeit zu wenden. Es ist diess vielleicht der einzige Weg, das Verständniss dieses Philosophen, dessen Denken von so weittragendem Einfluss bis auf unsre Zeit gewesen ist, zu fördern. Wenigstens bot sich dem Verfasser der gegenwärtigen Abhandlung, dessen Beruf nicht erlaubt, den philosophischen Wissenschaften seine ganze Kraft zu widmen, keine andre Möglichkeit dar, auch aui diesem Ge- biete, in welches er als ein ihm fremdes hinübergreift, et- was nicht ganz Unnützes zu leisten, als sich auf ein mög- lichst kleines Feld der Untersuchung zu beschränken, um wenigstens da durch eine eingehendere und genaue Forschung zu einem in gewissem Grade selbständigen und neuen Re- sultate zu kommen.

Wohl aber ist hier eine Erklärung darüber vorauszu- schicken, warum in der vorliegenden Abhandlung ein Gegen- stand zur Behandlung herausgegriffen wird, der vielleicht Manchem ziemlich fem zu liegen scheint. Denn der Zweck- j begriff' gehört weder zu denen , die von Spinoza als Grund- '

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begriffe seines Systems aiit«5'estellt werden, noch beschäftigt sich Spinoza eingehender mit demselben. An einer einzigen Stelle seiner Ethik, noch dazu in einem Anhange, kommt er ausdrücklich auf den Begriff des Zweckes zu sprechen und auch da nur, um ihn zu bestreiten. Wenn dennoch in die- ser Abhandlung der /weckbegriff bei Spinoza zum Gegen- stande einer Untersuchung gemacht wird, so rechtfertigt sich diess nui' dadurch, dass dieser Begriff, der im Zu- sammenhang der Etliik des Spinoza eine so untergeordnete Stellung einnimmt , von der durchgreifendsten Bedeutung für das in derselhen entwickelte System ist. Den Nach- weis davon zu führen, will ich im Folgenden versuchen, und es muss diess eine Hauptaufgabe der gegenwärtigen Abhandlung sein.

Der Plan zu derselhen entstand mir bei der erstmaligen Lecttire der Ethik des Spinoza. Ich versuchte schon damals in einer kleinereu Arbeit nachzuweisen, von welcher weittragen- den Bedeutung für das ganze System des Spinoza die Leug- uung des Zweckbegriffs sei. Nachdem ich dafür durch eignes Studium und durch Berücksichtigung der Urtheile Andrer*) mehrfach Bestätigung gefunden, entschloss ich mich, diesen Gedanken, der bis dahin nur auf eiuer mehr suhjectiven Beobachtung mir zu ruhen schien , weiter aus- zuführen, und so entstand die vorliegende Arbeit.

Dass, während ich schon an die Ausarbeitung derselben

•) Besonders denke ich hierbei an die Bemerkung Trendelenburg's in den .»Logischen Untersuchungen'', 2. Band S. 43: Die Vernichtung des Zweckes, die Alleinherrchaft der wirksamen Ursache ist hiemach das bedeutsamste Kennzeichen des spinozischen Systems und könnte vielmehr der Atheismus desselben heissen, als der gefürchtete Satz, dass Gott die immanente Ursache der Dinge sei.

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herangetreten war, ein Schriftchen über denselben Gegen- stand erschien (Spinoza's Ansicht über den Zweckbegriff, dargestellt und beurtheilt von Heinrich Kratz, Neuwied und Leipzig, 1871), konnte mich an der Ausführung meines "Vor- habens nicht hindern. Denn, wie sehr ich auch in vielen Punkten mich mit demselben in Uebereinstimmung fand, so geht doch der Verfasser desselben auf die mir am wich- tigsten scheinenden Punkte zu wenig ein, als dass eine er- neute und weitergehende Untersuchung desselben Gegen- standes dadurch überflüssig gemacht würde. Ich konnte in der erwähnten Schrift aber wohl ein Zeugniss dafür erkennen, dass ihr Gegenstand nicht ohne Interesse ist. Gehörigen Ortes wird auf dieselbe Rücksicht genommen werden.

Auf eine Besprechung der in neuester Zeit über die Lehre des Spinoza geführten Verhandlungen einzugehen, bot sich mir bei der Begränzung meiner Aufgabe keinerlei Veranlassung. Vielleicht wird überhaupt eine eingehende Berücksichtigung der bisherigen Resultate der über Spino- za's Lehre angestellten Ihitersuchungen vermisst werden. Ich habe mich im Wesentlichen auf die Ethik des Spinoza beschränken zu müssen geglaubt und möchte lieber eine mangelhafte Kenntniss dessen, was Andre über sie geurtheilt haben, verrathen, als ein gründliches und selbstständiges Eingehen auf die Gedanken des Spinoza selbst vermissen lassen.

Wenn durch die vorliegende Abhandlung an einigen Punkten -das Verständniss des grossen Denkers gefördert werden sollte, würde die Aufgabe derselben erreicht sein.

An vielen Punkten habe ich wohl gegen die Lehren des Spinoza mich erklären zu müssen geglaubt. Meine eigne

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üebeizeugung, nach welcliei «Uc Welt und ihre Entwickelung eine Verwirklichung göttlicher Zwecke und Ziele ist, und Gott selbst Zweck und Ziel des Menschen, konnte nicht ohne Einftuss bleiben auch auf die Beurtheilung der Zweck- lehre des Spinoza und seiner den Zweck ausschliessenden Weltanschauung. Nur hoffe ich , darum nicht eines vor- schnellen Absi)rechens über Spinoza mich schuldig gemacht zu haben, sondern auch in der Polemik gegon ihn die Pietät, welche die Wissenschaft überhaupt und nicht am wenigsten auch die theologische Wissenschaft ihm, als För- derer und Bahnbrecher schuldet, bezeugt zu haben.

Die Werke des Spinoza habe ich nach der lateinischen Stereotypausgabe von C. H. Bruder, Leipzig, bei Tauchnitz, 1743—46 citirt; die Abhandlung von Gott, dem Menschen nnd dessen Glück nach der deutschen U^'bersetzung von C. Schaarschmidt, Berlin, 1869 bei Hermann.

Einleitung^,

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Die Bedeutung des Spinoza ist eine weit über die Grenzen seines Zeitalters liinausreiehende. Wolil wird im Zusammen- hange einer Darstellung der Geschichte der Philosophie immer zunächst Rücksicht genommen werden auf seine Stellung inner- halb der Entwickelung des philosophischen Denkens seiner Zeit. Welchen Fortschritt sein Denken bezeichne im Vergleich zu dem des Cartesius, welches Verdienst er sich erworben habe durch die Durchbrechung der Schranken, von denen die philosophische Forschung bis zu seiner Zeit eingeengt ward, und in wie weit er Einflnss gewonnen hat auf die philosoplüschen Systeme, die dem seinigen zunächst folgen, wird da vor Allem gezeigt wer- den müssen.

Indess wird damit die Bedeutung Spinoza s nicht erschöpft. Sein Einflnss lässt sich verfolgen in der Entwickelung des ge- sammten geistigen Lebens der späteren Jahrhunderte und reicht bis zu unsrer Zeit herab , ja ist gerade in der neuesten Zeit deutlicher als sonst erkennbar.

Seitdem Schleiermacher in seinen Reden über die Religion ,,den Manen des heiligen, verstossenen Spinoza ehrerbietig eine Locke geopfert", ist von den verschiedensten Seiten her die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt worden , den in seiner Zeit so einsam dastehenden Denker; ist zuletzt in unsren Tagen auch das grosse Publicum durch freiere Darstellungen seines Lebens und seiner Lehre für ihn interessirt worden.

Wie ist dieser Einflnss des Spinoza zu erklären?

Sehen wir recht, so übt seine Lehre und Weltanschauung nach zwei Seiten hin Reiz nnd Anziehungskraft aus und seine Verehrer theilen sich gleichsam in zwei Classen.

Die Einen werden vornehmlich durch die ideale Seite seines Wesens angezogen. Die kühne Wahrheitsliebe, die fleckenlose Sittenreinheit, die seinen persönlichen Character auszeichnen, nöthigt ihnen Verehnmg für ihn ab. Der religiöse und poetische Zug, der sein doch in so herber Strenge durchgeführtes System durchweht, ist ihnen sympathisch. In ihrer aller Namen redet

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gleichsam Schleiermaeher , wenn er von Spinoza sagt: ,,Ihn durchdrang der hohe Weltgeist, das Unendliche war sein An- fang und Ende, das Universum seine einzige und ewige Liebe. In heiliger Unschuld und tiefer D<'muth siiiegelte er sich in der ewigen Welt und sah zu, wie mich er ihr liebenswürdigster Spiegel war; voller Religion war er und voll heiligen Geistes."

Auf der andern Seite berührt sich aber Spinoza in auf- fallender Weise mit den materialistischen und atheistischen be- lehrten unserer Zeit. Soweit der modernen Naturforschung, die, meist in Anschluss an die Darwinsche Theorie, den Begriff der Schöpfung und die zweckmässige Einrichtung der Naturorganis- men leugnet , eine philosophische Anschauung zu Gmnde liegt, ist der Einfluss des Spinoza auf dieselbe nicht zu verkennen. Für die Leugnung eines besondren Princips des Sittlichen neben dem des Nutzens und der Selbsterhaltung, welche in unserer Zeit mit materialistischen Theorien vielfach verbunden erscheint, kann man sich ebenfalls schon auf Spinoza als Vorgänger berufen.

Es fragt sich, ob jene Idealisten oder diese Realisten die Lehre des Spinoza am richtigsten aufgefasst haben. Ist das System des Spinoza ein naturalistisches oder ein religiös-panthe- istisches? Welcher von jenen beiden geistigen Richtungen hat der grosse Denker angehr>rt oder am nächsten gestanden?

Zunächst ist zuzugeben : Die bemerkenswerthe Erscheinung, dass die Vertreter so entgegengesetzter geistiger Richtungen durch denselben Mann beeinflusst erscheinen und auf ihn sich berufen, liegt in der Eigenthümlichkeit seines Systems begründet (cf. Ti-endelenburg, Hist. Beiträge zur Ph. 2. Band S. 108).

Auf der einen Seite ist seine ganze Lehre von einem sitt- lich-religiösen Zuge getragen. ,,Quicquid est in_ Deo est et nihil sine Deo esse neque concipi postest (Eth. I. L'>)". Dieser Grundgedanke durchzieht sein ganzes System. Auch wo er durch die Negation jeglicher Bestimmtheit des göttlichen Wesens Gott der menschlichen Auffassung in die weiteste Feme rückt, ist es das religiöse Interesse, die göttliche Vollkommenheit vor jeder Ver- menschlichung zu bewahren , das ihn dazu treibt. Alle wahre Erkenntniss ist ihm Gotteserkenntniss, alle wahre Tugend Gottes- liebe, und die Seele des Menschen nach ihrem gi'össeren und besseren Theile ist unsterblich (cf. Eth. II, pr. 40, schol. II; V pr. 25 ; IV pr. 2S ; V pr. 32 coroU und Eth. V pr. 23 pr. 40 coroll. pr. 38 schol. auch : Kurzgefasste Abhandlung von Gott, dem Menschen und dessen Gltlck, übersetzt von C. Schaar- schmidt, Kap. XXIII.)

Auf der andern Seite finden sich bei ihm solche Sätze, die

alle Religion und Sittlichkeit aufzuheben scheinen. So spricht er bekanntlich Gott den Verstand und Willen ab (Eth. I pr. 17 schol) , und erkennt *«ur ein Handeln Gottes aus der Notli- wendigkeit seiner Natur an, was folgerichtig zu dem Satze führt; Wer Gott liebt, kann nicht wollen, dass Gott ihn wieder iiebe'' (pr. V ID) ; ja an einigen Stellen hebt er jeden Unter- schied zwischen Gott und Natur auf, so dass sein Pantheismus zum Atheismus herabzusinken scheint. Ferner behauptet er, es sei das oberste Princip aller Tugend das Streben nach dem eigenen Nutzen oder das der Selbsterhaltung (IV pr. 24), erklärt die Begriffe des Guten und Schlechten als nur relative und fordert, dass alle Leidenschaften und Begierden als etwas aus der natürlichen Ordnung folgendes, nicht als etwas Fehlerhaftes oder zu Beklagendes angesehen werden sollen.

Das Verständniss des Spinoza wird durch diese, sein ganzes System durchziehenden Widersprüche nicht wenig erschwert. Um in der Auffassung seiner einzelnen Sätze nicht irre zu gehen, ist es vor Allem nöthig, die Grundtendenz seines Philosophirens recht zu erkennen. Diese wird den Massstab geben sowohl für die richtige Auffassung seiner einzelnen Sätze, als auch für jede gerechte , nicht von subjectiven Anschauungen ausgehende Kritik derselben.

Zwei Annahmen sind dabei möglich.

Nach der ersten hat Spinoza die Tendenz, alle bisherige Wahrheitserkenntniss zu critisiren. Er wendet sich gegen die bisher allein geltende theologische Anschauung, durch welche die Erkenntniss der Natur vernachlässigt worden sei. Er sucht das Wesen der Natur aus ihr selbst zu begreifen und sieht m der Natur selbst das Absolute. Sein System ist also wesent- lich Naturalismus. Dass er dennoch das Absolute als Gott be- zeichnet, ist ein unüberwundener Rest der bisherigen Welt- anschauung. Seine eigentliche Tendenz ist die , din Welt un- abhäi,^ - von Gott zu verstehen , die Wahrheit zu erkennen, ohn^ ^.iicksicht darauf, welchen Einfluss sie auf das Leben der

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Wäre diese Annahme richtig , so lösten sich die oben er-

•) So z. B. V. Kirchmann, Erläuterungen zu B. v. Smnozas Ethik Berlin, 1869. S. 24: „Im Allgemeinen ist festzuhalten, dass der Oott Spinoza's sich gänzlich von dem Gott der jüdischen und christlichen Religion unterscheidet. Die Beibehaltung des blosen Wortes kann des- halb hier gar nichts entscheiden.

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wähnten Widersprüche. Ein religiös - sittliches Interesse läge dann dem Spinoza fern. Denn was er Liebe zu Gott nennt, wäre nur die Lust an der Erkenntrifcs der Natur , was er Tugend nennt , nur die Bethäti^ung der natürlichen Kräfte. Darin läge dann der Schlüssel zum Verständniss des Spinoza. Je völliger von Allem, was seiner Lehn« noch aus der theolo- gischen Ausdrucksweise anhafte , abstrahiit werde , desto deut- licher trete seine eigentliche Meinung zu Tage.

Aber diese Annahme ist unvereinbar mit den eigenen Aus- sagen des Spinoza und mit seinem persönlichen Character.

Was ihn zum Philosophiren getrieben habe , sagt er selbst in den ersten Worten seines tractatus de intellcctus emendatione. Da heisst es : Constitui tandem inquirere , num aliquid daretur, quod verum, bonum et sui communicabilc esset .... quo in- vento et acquisito continua ac summa in aeternum fruerer lae- titia. In der Ethik selbst (V. 2l>i lässt er als höchstes Ziel alles Philosophirens nicht die Erkenntniss der Wahrheit, sondern die Ruhe der Seele gelten. Damit stimmt übei'ein , was von seinem persönlichen Character erzählt wird. Die Sanftmuth, Leidenschaftslosigkeit und Uneigcnnützigkeit , die ihn nach dem übereinstimmenden Trthcile seiner Freunde und seiner Gegner auszeichnete , war nur die Bethätigung seiner Lehre. Im persönlichen Verkehr mit seinen Freunden und Hausgenossen zeigte er sich in keiner Beziehung als Gegner der Religion. Im Gegentheil, er betonte die Wichtigkeit des aller Religion Wesent- lichen mit persönlicher Wärme. Die Hauptsache in der Reli- gion sei ein frommes , friedfertiges und ruhiges Leben , pflegte er öfters im Gespräch zu äussern. Ja sogar gegenüber einer gehässigen Herabsetzung seiner Philosophie hat er einmal ge- sagt (epist. 74) : Est enim , ut cum Johanne dixi , justitia sei Caritas unicum et certissimum Signum verae fidei , et ubi- cunque desunt , deest Christus. Solo namque Christi spiritu duci possumus in amorem justitiae et caritatis. Und wenn auch Spinoza zweimal ,,deus seu natura" sagt (Eth. praef. ad partem.IV), so ist dieser Stelle doch auch die andere entgegen- zustellen im 21. Briefe (S. PJ5 bei Bruder): ,,Attamen quod quidam putant. tractatum theologico-politicum eo niti quod deus et natura per quam massam quandam vel materiem corpoream intelligunt^ unum et idem sint , tota errant via. In ähnlicher Weise hat er öfters betont, dass seine Philosophie der Religion nicht widerspreche , sondern vielmehr zu frommem Leben und ewigem Heile führe. Und solchen Aeusserungen ist doch bei der strengen Wahrheitsliebe des Spinoza ein um so grösseres

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Gewicht beizulegen. Dazu kommt noch, dass auch die ver- trautesten Freunde des Spinoza, deren Zeugniss immerhin wichtig bleibt, wenn ihnen auch das volle Verständniss der Philosophie des Spinoza nnisstc abgesprochen werden , der Ueberzeugung einen Ausdruck gegeben hnben, es stimme die Philosophie Spi- nozas mit den Lehren der christlichen Religion überein (cf. die praefatio editoris bei Bruder S. löl ff. und die Bemerkung von Voigtländer in den theol. Studien u. Kritiken 1<S4I 3. Heft, S. 654; siehe auch Kratz l. c. S. 11 Anm. **).

Durch alles diess wird die Annahme ausgeschlossen, dass die Gnmdtendenz des spinozischen Philosophirens eine rein kritische und intellectuelle gewesen sei.

Wir w(M-den also zu einer anderen Annnhme geführt, durch welche die Aufüissung der Lehre des Spinoza wesentlich ver- ändert wird. (Vergleiche liierzu die treffliche Darstellung Kuno Fischer's Geschichte der neueren Philosophie 1. Band 2. Theil, l). Kapitel.)

Es war ein zweifaches Interesse, welches den Spinoza bei der Durchführung seines Systems geleitet hat.

Die (irundtendenz seines Philosojdiirens wtw eine sittlich- religiöse. Es war ihm ein inneres lUHlürfniss, (i(>tt zuerkennen und in ihm a}le Dinge zu begreifen. Es kam ihm darauf an, durch die Erkenntniss Gottes inneren Frieden und Freiheit von den sinnlichen Leidenschaften zu finden.

Diese religiös-sittliche Tendenz ist aber nur der eine Factor, der den Character seines philosophischen Systems bestimmt. Bei der Durchführung desselben kam es ihm nun vor Allem auf die strengste Folgerichtigkeit an, da von dieser alle Zuver- lässigkeit seiner Sätze ihm abhängen musste. In der rücksichts- losen Consequenz des Denkens bot sich ihm der einzige Weg zur Erreichung seines praktischen Zieles.

Daher übertrug er die mathematische Methode, als durch welche allein die Evidenz der Beweisführung erreichbar sei, auf die Philosophie und verwarf in unbedingtem Vertrauen aui die Untrüglichkeit derselben jede zu Gunsten eines praktischen Postulates sich darbietende Abweichung davon. Diese strenge Anwendung der mathematischen Methode giebt allerdings sei- nem System den Character grossartiger Einheit. Es erscheint durch dieselbe als die conseqnente Durchführung einer einheit- lichen W^dtanschauung , als ein allseitig nach den nämlichen Gesetzen ausgebautes philosophisches Kunstwerk. Aber es er- klärt sich dadurch auch, dass Spinoza bei der Durchführung seines Systems durch die logische Consequenz zu solchen Sätzen

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getrieben werden konnte , welche der Omndteiidenz desselben widersprechen, (cf. K. Fischer 1. c. S. 231 : 8o kommen in die WeltanschfTimn^ Spinozas jene Züge , welclie die Welt so lange Zeit erschreckt nnd empört haben.)

Dieses Widersprnclis ist freilich Spinoza, der für sein per- sönliches Leben so völlige Befriedigung in seinem Denken fand und von der unbedingten (lewissheit seiner Itcsultate überzeugt war, sich nie bewusst geworden. Es wäre ungerecht gegen ihn , aus einzelnen Sätzen seines Systems gegen die Wirklich- keit der von ilim so klar ausgesproclienen Orundanscliauung und somit gegen seine persönliche Aufriclitigkeit zu argumentiren.

Ebenso unrichtig aber würde es sein, solche Sätze als die unvermeidliche und notliwendige Consequenz aus seiner (Jrnnd- anschnung zu betrachten , also letztere selbst als unhaltbar, da sie mit Nothwendigkeit zu Sätzen führe, die mit ihr selbst im Widerspruche ständen. Denn wer diess behaupten wollte, müsste zuvor nachgewiesen haben, dass wirklich die mathema- tische Methode Spinozas die richtige und zur Durchführung eines philosophischen Systems zureicliende sei.

Ist diess nun wirklich der Fall? Diese Frage ist vor Allem zu untersuchen, um für eine eingehendere Würdigung und Beurtheilung der Lehre des Spinoza den Standpunkt zu gewinnen.

Wir sehen dabei von aller äusseren Form der Methode, wie sie Spinoza auf die philosopliische Darstellung übertragen hat, ab, also von seiner Darlegung des Lehrstoffs in Lehrsätzen, Beweisen, Erklärungen und Zusätzen, denen er nach Weise des Euklid Definitionen und Axiome voranschickt. Dass Spinoza dadurch nur das Verständniss seiner Lehre erschwert hat und doch keine Evidenz des Beweises erreicht, weil er seine Grund- voraussetzungen schon in den Definitionen und Axiomen nieder- legt, ist von Anderen hinreichend nachgewiesen worden, (cf. Ueberweg, Grundriss der Geschichte der Philosophie 3. Theil S. 63, von Kirchmann, Erläuterungen etc. S. 9, auch M. Brasch : B. v. Spinozas System der Philosophie genetisch dargestellt. Berlin 1870 S. 9 u. 10.)

Im Wesen dieser Methode aber liegt es begründet, dass Spinoza keine anderen Kategorien anerkannt, als die, welche in der Mathematik Anwendung finden. Daher operirt er vor- züglich mit dem Begriff der Gausalität (Eth. I ax 3 u. 4) ; unterscheidet diesen Begriff aber nicht V(m dem der logischen Folge oder begrifflichen Inhärenz (cf. v. Kirchmann 1. c. S. 11, 23, 27 auch K. Fischer 1. c. 12. Capitel III 2). Daher

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schliesst er den Begriff des Zweckes, insofern dieser in der Mathematik keine xVnwendung findet , auch bei der philosophi- schen Betrachtung der Dinge aus, und führt das, was im mensch- lichen Verhalten als Zweck erscheine , auf ein bloses Begehren des Menschen zurück. Diese Fassung des Causalitätsbegriffs und die L8ugnung des Zweckes ist durch sein ganzes System hindurch zu verfolgen. Wird diess im Auge behalten, so muss die Auffassung seiner Lehre durchgängig dadurch bestimmt werden. Lässt sich nun nachweisen , dass die Leugnung des Zweckes bei Spinoza und darum auch seine ausschliessliche An- wendung des Causalitätsbegriffs eine irrige ist, so ergiebt sich daraus ein Massstab für die Beurtheilung seiner Lehre in allen ihren Theilen.

Wir werden in diesem Falle allerdings alle aus der Leug- nung des Zweckes sich ergebenden Folgerungen abweisen müssen, aber eben dadurch den bleibenden Gehalt seiner Philosophie, der doch in gewissem Grade von seinen dialectischen Voraus- setzungen unabhängig ist, desto besser zu würdigen vermögen.

Wir suchen diess im Folgenden zu leisten , indem wir zu- nächst die Ansicht des Spinoza über den Zweckbegriff darstellen und beurtheilen, dann alier die Consequenzen seiner Leugnung des Zweckes in den Hauptlehren seines Systems nachweisen.

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1. Der Zweck in, HiTcicho des menschlichen

Hand eins.

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T^l v'^?'' ^I«'"sch<'n -, sosaf.^ er, (8. 217 Z. 12 v o cf S ^1k V *'n v'V'''^*'" nnkundjn: der l'rsachen der Din-e

geboren nnd Alle haben ein VerlnnKcn, das. was ihnen nfitzl ch n '." '''.v-n^'" ""^^ '^i"'^ -^i^i' <U'ssen bewnsst. 8ie sind also wohl Ihrer Wdlensacte nnd ihres Begehrens bewnsst, abc^ an d e

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Ursachen, von denen sie dazu bestimmt werden, etwas zu begeh- ren und zu wollen, denken sie nicht im Entferntesten, weil sie derselben unkundig sind. Daher geschieht es, dass sie immer nur die Zwecke des (Jeschehenen kennen zu lernen streben und wenn sie dieselben gehr»rt haben , sich beruhigen , nämlich weil sie keinen Anlass haben, weiter zu zweifeln."

Aus diesen Erfahrungssätzen , die ja Spinoza in dem Zu- sammenhang, dem sie entnommen sind, nur benutzt, um zu er- klären, woher ,,die Vorurtheile" gegen seine im ersten Theile der Ethik dargelegte (lotteslehn' stammen, lässt sich die An- sieht des 8i)inoza über den Zweckbegrilf , die uns sonst um Vieles dunkler bleiben würde , al)leiten , und nur deshalb habe ich sie hier mit VVeglassung des für diesen Zweck Unwesent- lichen aufgeführt, wozu Spinoza selbst uns berechtigt, indem er an der Stelle, wo er seine Deliniticm des Zweckbegrifts ab- leitet (8. ^).')1 f. 1 V. (»I)en' auf diese Sätze sich zurückbezieht.

Wir sehen also : Wer etwas um eines Zweckes willen thut, thut es um eines Vurthcils willen, den er begehrt. Der Gnind^ seines Thuns ist alsi» dieses einzelne Begehren. Wenn ein Ding um eines Zweckes willen geschehen ist (uler da ist, so ist ein bestimmtes Hegeluen die Ursache dieses Dinges gewesen. Weil nun die iMensclien dieser einzelnem Degehrungen sich be- wnsst sind; der UrsaclicMi aber, von denen sie zum Begehren bestimmt werden, gewöhnlich unkundig sind, so bleiben sie mit ihrem Denken und P'oischen bei diesem Begehren stehen und forschen aus dem (Jrunde nach keiniMi weiteren. Ursachen , weil sie gar nicht wissen, dass es solche giebt. Sie fassen also ein einzelnes Begehren als die erste Ursache, als das Princip eines Dinges auf, nicht, wie (\s dem wahren Sachverhalt entsprechend wäre , als eine Ursache . di(^ wieder von andern Ursachen bestimmt ist. Darin liegt nach Spinoza das Irrthümliche der Annahme eines besonderen Zweck begriffs. Nur durch eine irr- thümliche Auffassung der einzelnen Begehrungen ist es geschehen, dass der Zweck übeihaupt von der Ursache, die causa finalis von der causa efticiens unterschieden ward. Die Annahme von Zwecken zur Erklärung der Dinge beruht auf der Unkennt- iiiss der in Wahrheit stattiindenden Verkettung der Ursachen, auf der irrthümlichen Auffassung eines einzelnen Begehrens als der ersten Ursache eines Dinges.

So erklärt sich die Definition des Zweckes , welche Spi- noza giebt (IV. def. 7): ,, Unter Zweck, wegen dessen wir et- was thun, verstehe ich ein Begehren.'' Noch Volltsändiger und genauer ausgedrückt lautet dieselbe: Was Zweck (causa finalis)

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genannt wird , ist nichts als das menschliche Begehren selbst, sofern es aufgefasst wird als das Princip oder die erste Ursache (cansa primaria) eines Dinges (praef. ad partem IV. S. 330, Z. 10 V. u.)

Diese letzten Worte ,, sofern es aufgefasst wird als die erste Ursache eines Dinges'' sind wohl zu beachten. Denn eben diese Auflassung ist nach Spinoza eine irrige. Das mensch- liche Begehren darf nicht aufgefasst werden als erste Ursache eines Dinges, weil es selbst wieder durch andere Ursachen be- stimmt wird. Nur, insofern wir es irrihüralicher Weise als die erste Ursache eines Dinges ansehen , nennen wir das Begehren durch welches das Ding verursacht wird, den Zweck des Dinges. Bei richtiger Erkenntniss können wir es nur als eine von den Ursachen des Dinges auffassen.

Spinoza erläutert seine Definition noch durch folgendes Beispiel: ,, Wenn wir sagen, dass das Wohnen der Zweck eines Hauses gewesen sei, verstehen wir darunter nichts anderes, als dass ein Mensch darum, weil er sich die Vortheile des häus- lichen Lebens vorstellte, das Hegehren gehabt hat, ein Haus zu bauen. Damm ist das Wohnen, sofern es als Zweck betrachtet wird, nur dieses einzelne Begehren, welches in Wahrheit die bewirkende Ursache ist, die als erste Ursache aufgefasst wird, weil die Menschen der Ursachen ihrer Begehrungen gewöhnlich unkundig sind.'' (S. 330 Z. <S v. u.)

Wir sehen also: Spinoza leugnet den Zweck schon für das menschliche Handeln. Dass er eine Definition des Zwecks giebt, beweist dagegen nichts. I )iese Definition soll nur die Erklärung eines Begriff's sein, den er als auf einer imgen Auffassung beruhend zurückweist. Diess wiederholt er auch mit deutlichen Worten. Er versichert nicht nur, dass sich die Natur keinen Zweck vor- gesetzt hat, sondern fügt auch hinzu, dass alle Zwecke nichts als menschliche Erfindungen seien. S. 218. Z. 3 v. u.) Er erkennt also auch für das menschliche Handeln keinen Zweck an. Dies verkannt von Kirchmann (1. c. S. 43 Z. 18 v. o.), wenn er sagt : Es bleibt nur auff'allend , wie (nach Spinoza) in dem menschlichen Denken und Wollen der Zweck sich einfinden kann, wenn er in Gott und in der Natur ganz fehlt. Dies übersieht auch Kratz, wenn er sagt l. c. S. 37), Spinoza be- schränke den Begriff" des Zwecks auf die menschliche Innenwelt nnd (S. 2S) er erkenne den Zweckbegriff" innerhalb der mensch- lichen Sphäre ausdrücklich an. Nein, er schliesst ihn aus und will, dass auch die menschlichen Werke und Handlungen allein aus ihren Ursachen erklärt werden.

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2. Der Zweck in der Natur.

Da Spinoza den Zweckbegriff" schon bei der Erklärung des menschlichen Handelns verwirft , so ist es begreiflich , dass er denselben auch bei der Erklärung der natürlichen Dinge aus- schliesst. Am ausführlichsten ist er bei der Bestreitung der Annahme einer Zweckbeziehung der natürlichen Dinge auf den Nutzen des Menschen. Wir werden , um nicht genöthigt zu sein, öfters auf früher Gesagtes zurückzugreifen , die Ansicht des Spinoza über diese Annahme zuerst darstellen müssen.

Die Zweckbeziehung der natürlichen Dinge auf den Menschen.

Spinoza spricht sich zunächst wieder darüber aus, wie die Menschen dazu gekommen seien , in den natürlichen Dingen eine Zweckbeziehung auf den Menschen anzunehmen. (Appen- dix ad partem I. S. 217 f.)

,,Da die Menschen", so sagt er, ,, immer nur nach den Zwecken des Geschehenen fragen, so bleibt ihnen, wenn sie dieselben von einem Andern nicht hören können , nur übrig, sich zu sich selbst zu wenden und auf die Zwecke zu sehen, von denen sie selbst zu Aehnlichem bestimmt zu werden pflegen, und so beurtheilen sie nothwendiger Weise nach ihrem eigenen Sinn den Sinn eines Anderen. Ferner, da sie in sich selbst und ausser sich nicht wenig Mittel finden, die zur Erreichung ihres Nutzens erheblich beitragen, wie z. B. die Augen zum Sehen, die Zähne zum Kauen, die Kräuter und Thiere zur Nahning, das Meer zur Ernährung der Fische u. s. w., so ist es daher gekommen , dass sie alle natürlichen Dinge als Mittel zu ihrem Nutzen betrachten , und weil sie wissen , dass jene Mittel von ihnen vorgefunden, nicht aber bereitet worden sind, so wurden sie dadurch veranlasst, zu glauben, dass irgend ein Anderer sei , welcher jene Mittel zu ihrem Nutzen bereitet habe. Denn, nachdem sie die Dinge als Mittel aufgefasst hatten, konnten sie nicht glauben, dass dieselben sich selbst ge- macht haben, sondern mussten aus den Mitteln, welche sie sich selbst zu bereiten pflegen, schliessen, dass es einen oder mehrere Lenker der Natur , die mit menschlicher Freiheit begabt seien, gebe , welche Alles für sie besorgt und zu ihrem Nutzen ge- macht haben. Aber auch deren Sinnesweise mussten sie, da sie ja davon niemals etwas gehört hatten, nach ihrer eigenen Sinnes- weise beurtheilen , und daher nahmen sie an , dass die Götter Alles zum Nutzen der Menschen leiten, um sich die Menschen

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zu verbinden und von ilinen in liöehsten P^hren gehalten zu werden."

Es ist also nacli Spinoza die Annalime eines Zweckes in den natürlichen Din«j:en die natürliche Fol<,'e der Annahme ei- nes solchen bei den menschlichen Werken. Da man bei diesen das menschliche Begehren als ihre erste Ursache auffasste , also zu ijircr Erklürnn- es für völlij,' zureichend hielt, ein jedes Ding auf ein einzelnes Begehren des Menschen nach einem be- stimmten Vortlieil zurückzuführen, so lag es nahe, diese bei den menschlichen Werken beliebte Erklärungsweise auch auf die natür- lichen Dinge zu übertragen und denniach auch diese zuerklären aus einem auf den Nutzen des Menschen gerichteten Willen iGottes), der als ihre letzte Ursacln; aufzufassen sei. Diese Uebertragung aber beruht, abgeselien von der an sich unbewiesenen Annahme, dass die natürlichen Dinge, wie die menschlichen, einen Willen zur Ursache haben, wieder auf einer irrigen Auffassung.

Denn 1. nuissten die Menschen, um überhaupt irgend ein Ding, das niclit von ihnen selbst herrührte, und dessen Zweck sie auch von Andren nicht erfahren konnten, aus ei- nem Zweck zu erklären , denselben daraus zu erkennen suchen, durch welche Begehren sie selbst zu älinliclien Dingen bestimmt zu werden pflegen, also die Sinnesweise eines Andren nach der eignen Sinnesweise beurtheilen. Und so geschah es auch, dass sie zur Erklärung der natürliclien Dinge, als deren Urheber sie Cott oder die (Jötter anmdimen , die Sinnesweise dieser nach der eignen Sinnesweise beurtheilten. Nur durch diesen Schluss von der eigenen Sinnesweise auf die (iottes, kann ein bestimmter Wille (i(>ttes als die letzte Ursache eines von ihm hervorgebrachten Dinges bezeichnet werden.

2.) Dass nun dieser Wille (iottes auf den Nutzen der Men- schen gerichtet sei, beruht auf einer weiteren irrigen Auffassung. Die .Alenschen pflegen nämlich die Dinge nur in Bezug auf sich selbst zu beurtheilen. Darum fassen sie diejenigen Dinge, aus denen sie einen Nutzen für sich gewinnen, als Mittel zu diesem Nutzen auf, was sie, abgesehen von dieser Beziehung auf den Menschen, gar nicht sind. Daher schliessen sie also von den- jenigen Dingen , die sie als Mittel zu ihrem Nutzen auffassen, auf Jemanden, der diese Dinge zu ihrem Nutzen bestimmt habe'. So entsteht die Annahme, dass (Jott oder die Götter Alles zum Nutzen der Menschen leiten, oder genauer, dass jedes einzelne natürliche Ding zu erklären sei aus einem bestimmten auf den Nutzen des Menschen gerichteten Willen Gottes. Es beruht also die Annahme einer Zweckbeziehung der natürlichen Dinge

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auf den Menschen auf einer durchaus irrigen Auffassung. Schon dass überhaupt der Wille Gottes als als erste Ursache der Dinge an- genommen wird , beruht auf der unberechtigten Uebertragung des ja schon bei der Erklärung des menschlichen Handelns auszuschliessenden Zweckbegriffs auf die natürlichen Dinge. Soll nun irgend ein bestimmter Wille (iottes als eine Ursache eines Dinges angegeben werden, so kann dies nur durch einen Schluss von der eigenen Sinnesweise auf die Sinnesart Gottes ge- schehen. Ein solcher Schluss ist aber ebenso völlig unberechtigt und muss zu irrigen Annahmen führen. AVird endlich gar der Nutzen, welchen wir Menschen aus den Dingen ziehen, als Zweck derselben angesehen, also angenommen, dass ein einzelner, auf den Kutzen des Menschen gerichteter Wille Gottes die erste Ur- sache eines jeden einzelnen natürlichen Dinges sei, so geschieht dies nur dadurch , dass wir die natürlichen Dinge rein in Be- ziehung auf uns und darum als Mittel für unsren Nutzen be- trachten, anstatt sie nach ihrem eigenen Wesen zu betrachten und aus ihren Ursachen zu erklären.

Es ist darum die Annahme einer Zweckbeziehung der na- türlichen Dinge auf den Menschen auszuschliessen.

Im Sinne des Spinoza ist damit aber

die Annahme eines Zweckes in der Natur überhaupt

ausgeschlossen. Allerdings kann ein Zweck in den natürlichen Dingen angenommen werden, auch ohne dass ein Nutzen des Menschen als solcher vorausgesetzt wird. Es wird aber damit nur die an letz- ter Stelle genannte irrige Auffassung, die Dinge nur nach ihrer Be- ziehung auf den Menschen zu betrachten, vermieden, nicht aber die beiden vorhergenannten. So kann z. B. (siehe praef. ad partem IV. S. i^2\) f.) angenommen werden, dass die Natur bei der Hervorbringung eines gewissen Dinges ein betimmtes Musterbild, d. h. die Vorstellung eines vollkommenen Dinges vor Augen gehabt und sich darnach gerichtet habe. Diesser Annahme liegt aber immer noch eine zweifache irrige Aufltissung zu Grunde. Erstens wird dabei vorausgesetzt , dass die Natur immer nur um eines Zweckes willen handle , also in unberechtigter Weise angenommen, dass, wie es bei den menschlichen Werken der Fall sei , auch die natürlichen Dinge auf einen Willen als erste Ursache zurückzuführen seien. Zweitens wird aber auch bei dieser Annahme die göttliche Sinnesweise nach der mensch- lichen beurtheilt. Denn nur deshalb wird angenommen, dass die Natur sich Musterbilder vorgesetzt habe, weil die Menschen,

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seitdem sie sich Allgemeinbegriffe von Häuscni , Thürmen, Gebäuden etc. gemacht haben, solche AUgemeinbegi-iffe sich als Musterbilder vorzusetzen pflegen, nach denen sie ihre Werke anfertigen. Und, soll ein bestimmtes Musterbild an- gegeben werden, welches die Natur bei der Hervorbringung ei- nes einzelnen Dinges vor Augen gehabt habe, so wird einer von den Allgemeinbegriffen, welche die Menschen wie von den künstlichen Dingen so auch von den natürlichen Dingen gebildet haben, als ein solches Musterbild der Natur bezeichnet. Es ist also auch die Annahme, dass die Natur der bei Hervorbringung der natürlichen Dinge solche Musterbilder vor Augen gehabt habe, hinfällig. Ja es kann überhaupt nie ein Zweck der na- türlichen Dinge angegeben werden , ohne einen unberechtigten Schluss von dem Thun der Menschen auf das Wirken der Natur.

Es kann endlich auch ein Zweck in den natürlichen Dingen angenommen werden , ohne diese Beurtheilung des göttlichen Wirkens nach der Anologie des menschlichen Handelns. Dann wird nur überhaupt

der Wille Gottes als erste Ursache der natürlichen Dinge

angesehen , ohne dass für jedes einzelne Ding ein bestimmter Wille Gottes als Zweck angegeben wird. Dabei wird indess immer noch der Irrthum nicht vermieden , der schon in der blosen Uebertragung des Zweckbegrifls auf die natürlichen Dinge liegt. Und so sprechen auch gegen diese Annahme dieselben Gründe, wie die gegen die Annahme eines Zweckes bei dem menschlichen Handeln vorgebrachten.

Wie nach Spinoza die Annahme eines Zweckes in dem menschlichen Handeln auf der Unkenntniss der Verkettung der Ursachen beruht und dahin führt, dass man sich jedes Forschens und Fragens nach der Verkettung der Ursachen enthält, so ist es auch der Fall bei der Annahme , nach welcher alle natür- lichen Dinge auf den Willen Gottes als erste Ursache dereelben zurückgeführt werden.

Sie entsteht aus der Unkenntniss der Ursachen der Dinge. Wenn z. B. die Vertreter der Zwecklehre ein natürliches Er- eigniss auf den Willen Gottes als erste Ursache desselben zu- rückführen, so geschieht es nur darum, weil uns nur die näch- sten, nicht aber die entfernteren Ursachen desselben bekannt sind. Darum hören sie nicht auf, nach den Ursachen der Ur- sachen zu fragen } bis man endlich zu dem Willen Gottes seine

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Zuflucht nimmt. (S. 219.) Und wenn sie bei der Betrachtung des Baues des menschlichen Körpers staunen und darum an- nehmen, dass er nicht durch mechanische Kräfte, sondern durch eine göttliche und übernatürliche Kunst gebildet und so ein- gerichtet sei, dass kein Theil den anderen verletze, so schliessen sie diess nur daraus, dass sie die Ursachen so grosser Kunst nicht kennen (S. 220).

Die Lehre vom Zweck führt aber auch dazu, alles Forschen nach den Ursachen der Dinge abzuschneiden. Sie ist ,,ein Asyl der Unwissenheit''. Denn wenn der Wille Gottes als erste Ursache der Dinge aufgefasst wird und demnach als zureichende Erklärung derselben angesehen, so giebt es keinen Grund mehr, nach den Ursachen der Dinge zu fragen. Daher kommt es (S. 120), dass öfters der, welcher nach den wahren Ursachen der Wunder fragt und die natürlichen Dinge wie ein Unterrich- teter einzusehen, nicht aber wie ein Dummer anzustaunen sucht, für einen Ketzer und Gottlosen erklärt wird. Daher beruhi<4 man sich auch, wo man den Zweck eines Dinges nicht anzugeben vermag, damit, dass man ja von vielen Dingen den Nutzen nicht kenne und giebt alles Streben nach Erkenntniss unter Berufung auf die Unbegreiflichkeit Gottes auf (S. 218).

Wir sehen also: Spinoza leugnet nicht nur die Zweckbe- ziehung der natürlichen Dinge auf den Menschen, er leugnet auch, dass irgend ein Zweck derselben angegeben werden könne, ja^ dass überhaupt der Wille Gottes als erste Ursache derselben zu betrachten sei , dass überhaupt Zwecke der Dinge anzunehmen seien und nach ihnen zu fragen sei. So kommt er zu dem Satze, dass die Natur sich keine Zwecke vorgesetzt habe und dass alle Zwecke nichts als menschliche Erfindungen seien.

3.) Die Beweisgründe für die Leugnung des

Zweckes ,

welche Spinoza auffilhrt, sind meist im Bisherigen schon auf- geführt worden und ist hier nur noch Weniges nachzuholen.

Gegen die Annahme einer Zweckbeziehung der natürlichen Dinge auf den Menschen insbesondei e wendet Spinoza ein (S. 218), dass damit diejenigen Dinge, die dem Menschen Nachtheil bringen,' wie Stürme, Erdbeben, Krankheiten nicht erklärt werden. Denn die Erklärung derselben aus dem Zorn Gottes sei unzureichend, da erfahrungsgemäss Fromme und Gottlose . ohne Unterschied von diesen Nachtheilen betroffen werden. (S. 218, Z. 15 v. u.)

Gegen die Annahme eines Zweckes überhaupt führt Spinoza

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vorzüglich den Grund auf, dass diese Lehre vom Zweck die Natur gänzlich umkehre. ,,Denn das', so sagt er (S. 219, Z. 5 V. u.) ,,wa8 in Wahrheit die Ursache ist, betrachtet sie als Wirkung und umgekehrt ; sodann macht sie das, was in Wahr- heit das Frühere ist, zu dem Späteren und macht sie das, was das Höchste und Vollkommenste ist, zu d<'m Unvollkommensten.

Darin ist ein Doppeltes ausgesprochen. 1.) Wenn ein Ding als Zweck des Andren angegeben wird, so wird es als Ursache desselben, somit als das Frühere angeselien , während es doch in Wahrheit die Wirkung desselben , also das Spätere ist. 2.) Wenn (iott, um einen Zweck zu erreichen, die Dinge hervorgebracht hätte, so würden nothwendiger Weise die letz- ten Dinge, um deren Willen die früheren hervorgebracht wor- den sind, die allervollkommensten sein. In Wahrheit aber ist diejenige Wirkung die allervoUkommenste , welche von Gott unmittelbar hervorgebracht wird uiid je mehr Mittelursachen etwas braucht, um hervorgebracht zu werden, desto unvoll- kommener ist es.

Ein weiterer Grund gegen die Annahme eines Zweckes überhaupt ist der, dass die Lehre vom Zweck die Vollkommen- heit Gottes aufliebe. ,,Denn wenn (Jott wegen irgend eines Zweckes handelt, so begehrt er nothwendiger Weise etwas, dessen er entbehrt. Und wenn auch die Theologen und Meta- physiker zwischen dem Zwecke des Bedürfnisses und dem der Verähnlichung unterscheiden , so gestehen sie doch , dass Gott Alles seinetwegen, nicht aber wegen der zu schaffenden Dinge gethan habe, weil sie nichts ausser (iott vor der Schöpfung be- zeichnen können, um desswillen (iott handle, und so werden sie nothwendiger Weise dazu geführt, einzugestehen, dass Gott das, um desswillen er Mittel hat bereiten wollen, entbehrt und darum begehrt habe (S. 211) Z. 16 von oben).

Hierher gehört auch die von Kratz ^S. 24) und vor ihm von K. Fischer (1:5. Cap. IV, 4) angezogene Stelle: Eth. I pr. 33, schol II, ,, Diejenigen irren noch weiter von der Wahrheit ab, welche behaupten, dass (iott Alles unter der Rücksicht auf das (iute thue. Denn diese scheinen etwas ausser Gott zu setzen, was von (iott nicht abhängt, wonach sich Gott wie nach einem Musterbilde in seinem Wirken richte oder wohin er, wie nach einem bestimmten Ziele trachte. Und diess heisst in der That nichts anderes, als Gott einem Fatum untei-werfen etc.'' Denn auch in diesen Worten geht Spinoza darauf aus, die An- nahme eines Zweckes, den Gott gehabt habe, als die Ueber- tragung einer ünvollkommenheit auf Gott hinzustellen.

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Auf diese Beweisgründe gegen die Annahme eines Zweckes die wir hier , um die Ansicht des Spinoza über den Zweck- begriff vollständig darzustellen , mit aufführen mussten können wir erst bei der Beurtheilung dieser Ansicht iiälier ein-ehen Wir haben ein^x^denk der Bitte, die Spinoza selbst an" seine Leser richte Abhandlung von (iott, dem Menschen und dessen Glück, S. 1 )J) ,, nicht sofort zur Widerlegung dessen, was uns schwierig scheine, zu eilen, ehe wir es mit hinlänglicher Müsse und Erwägung überdacht haben 'S bisher jeder Kritik der Zweck- lehre des Spinoza uns enthalten und eine möglichst treue all- seitige und zusammenhängende Darstellung zu geben uns be- müht. Ehe wir nun zur Beurtheilung derselben übergehen soll um diesen ersten Abschnitt abzuschliessen , noch gezeigt' wer- den , welche Wichtigkeit Spinoza selbst der hier dargestellten Leugnung und Bestreitung des Zweckes zuschreibt; wodurch wir zugleich den Weg uns bahnen für unsere nachherige Darstellung der aus dieser Leugnuug des Zweckes sich ergebenden Conse- quenzen innerhalb seines Systems.

4.) Die Bedeutung der Leugnung des Zweckes

nach Spinoza.

Spinoza leitet seine Besprechung der gewöhnlichen Zweck- lehre mit den Worten ein (S. 216 f.): „Weil nicht wenige \orur heile noch übrig sind , welche gar sehr verhindern, dass die Menschen die Verkettung der Dinge in der von mir ent- wickelten Weise annehmen , so halte ich für der Mühe werth dieselben hier einer Prüfung durch die Vernunft zu unter- werfen. Alle diese Vorurtheile aber hängen von dem einen ab dass nämlich die Menschen gewöhnlich voraussetzen, dass alle natürlichen Dinge, wie sie selbst, um eines Zweckes willen han- rteln, ja als gewiss annehmen, dass G(»tt selbst Alles nach einem bestimmten Zweck leite." Weiter sagt er, nachdem er diese Annahme eines Zweckes bespnK'lien und die Annahme der Un- Degreiflichkeit Gottes aus derselben hergeleitet hat (S 217)- ,,Diess allein hätte hingereicht, dass die Wahrheit dem Men- schengeschlecht auf ewig verborgen geblieben wäre, wenn nicht die Mathematik , die nicht um die Zwecke , sondern um das \Jesen und die Eigenschaften der Figuren sich bekümmert, den Menschen eine andere Norm der Wahrheit gezeigt hätte ''

Vergegenwärtigen wir uns die Bedeutung dieser beiden Behauptungen ! Spinoza sagt , dass die Annahme eines Zweckes

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ein Vorurtheil sei, von welchem alle andren Vorurtheile gegen seine Lebre abhän^^en und welches allein schon hinreiche, die Erkenntniss der Wahrheit zu verhindern. Dem liegt die Voraus- setzung zu (ininde, dass seine eigne Lehre die absolute Wahr- heit sei, wie davon ja Spinoza fest überzeugt war. Wenn wir aber, wie billig, diess zunächst noch dahingestellt sein lassen, so werden wir seine Worte auch nur dahin verstehen dürfen, dass alle Einwände und Gegengründe gegen <lie Lehre des Spi- noza von der Annahme und Festhaltung des Zweckbegriffs ab- hängen und dass diese Eine Annahme hinreicht, die Zustimmung zu seiner Lehre zu verhindern.

Er sagt weiter, dass die Mathematik eine andre Norm der Wahrheit gezeigt habe. Das werden wir wieder nur dahin ver- stehen dürfen , dass Spinoza in seiner mathematischen Methode die Norm der Wahrheit gefunden zu haben meint und dass er der bislierigen teleologischen Betrachtungsweise diese Forderung, alle Dinge wie Linien, Flächen und Körper zu betrachten, ge- genüberstellt.

Wir sehen also, dass Spinoza, obwohl er, wie natürlich, inner- halb seines Systems von dem Zweckbegriff keinen Gebrauch macht, doch sehr wohl der Tragweite seiner Ausschliessung desselben sich bewusst gewesen ist. Nicht einen einzelnen Begriff will er corrigiren, sondern die ganze bisherige W^eise, die Dinge zu betrachten, umstossen und durch eine andere ersetzen. (Vergl. hierzu: K. Fischer 1. c. L B. 2. Th. G. Cap. 113 ., Spinozas ansschliessende Stellung'; ferner 24. Cap. L 4: ,,Erst im Be- griff der reinen Causalität wird Spinoza er selbst" und weiter: ,,So ist unter allen Philosophen Spinoza der einzige, der den Zweckbegriff vollkommen verneint . . . der diesen Begriff zur alleinigen Richtschnur seiner Erkenntniss nahm".)

Wie wichtig ist es also, seine im Vorstehenden entwickelte Ansicht über den Zweck eingehend zu prüfen. Hängen alle Einwände gegen seine Lehre von der Annahme des Zweck- begriffs ab, so liegt auch alle Gewähr für die Wahrheit dersel- ben in der Richtigkeit seiner Bestreitung des Zweckbegriffs, so ist die Leugnung desselben eine Grundvoraussetzung seines Systems und die Fassung seiner Lehre wird dadurch in allen ihren Theilen mitbedingt sein.

Von der Art, wie wir uns zu der Ansicht des Spinoza über den Zweckbegriff stellen , hängt also ab, in wie weit wir über- haupt seiner Lehre zustimmen können. An dem Resultat , das wir bei unsrer Beurtheilung seiner Lehre vom Zweck gewonnen

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haben, werden wir einen Massstab zur Beurtheilung seiner ganzen

"^'"T-nd'vön "welcher Wichtigkeit muss dieses Resultat, aneh abgesehen von dem Beitrag für das Verständn.ss des Spinoza, £ danms sich ergicbt , «berhaupt für die Krkenntn.ss der Wahrhei sein ! Vot der Stellung zum Zweckbcgnff d.e ein ;it iiuunt, wird seine ganze Weltanschauung bestnnmt^ ^n

der Beantwortung der Frage, ob es «»'f . f^^*^«*;""? .'*"'' j.^^t nen Zweck auch ausserhalb des menschlichen Handelns giebt öder St scheiden sich die Geister, scheiden sich die geistigen mchtu^c, n vor Allem in unsrer Zeit, lieber diese bVage muss Jede S klar werden , der ein Urtheil habe« will über die Prob eine vor die «nsre Zeit gestellt ist, insbesondere ubei d[e Zu äss'igkeit der von naturwissenscliaftlichcr Seite aufgestel ten TheS über die Entstehung und Entwickelung der Arten. W werden darum im Verlauf unsrer Entwickelung darauf ge- f«.vt worden einen Schritt über die (Jrenzcn unsrer Aufgabe ihLuszuien ™d kurz auf eine Besprechung der in „euerer zTvo^ de^ Uesultaten der Naturwissenschaft hergenommenen ArUente gegen den Zweck in der Natur einzugehen

" Zunächst \aben wir die von Spinoza g-^^^S-^/l'^.f'f^^^'S^ A^A Zweckbco-ritts vorgebrachten Gründe zu prüfen und zu be u thelren in w Leit seine, von ihm selbst als die „mechanische beze'lh ;te Naturerklärung , auf welche, wenn schon auf and- rem Wege, die moderne Naturwissenschaft zurückgekommen ist,

haltbar ist.

B, Beurtheilung.

Wie wir sahen, ist die Leugnung des /^weckes bei Spino« von grundlegender Bedeutung für sein ganzes bystora Anstatt die Gesammtheit des körperlichen und SC'^t'gen Lebens, «e es

bisher geschehen sei, aus i'''-'^'V^^«'='^«^ 7, VTe^Fleu en dieselbe wie es in der Mathemtik geschieht den Fluren, mit denen diese es zu tliuii hat, nur aus ihrem Wesen una iii ™n E ge" Äten erklären. Es ist also die l^-« d-.f^^^J^^ nicht ein einzelner Punkt seines Systems, auf dessen volles Vei

•l^chK Fischer nennt den von uns erläuterten Abschnitt: Append. ad p. I „den seine ganze Lehre erleuchtenden . ^^

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ständniss man ohne Berücksichtigung des Ganzen nicht rechnen dürfte, und den ausserhalb des Zusammenhangs mit dem System des Spinoza zu beurtheilen , eine Ungerechtigkeit gegen den Philosophen einschlösse, sondern eine der Grundvoraussetzungen seines Systems , auf welcher alles Andre ruht, und die darum zunächst abgesehen von den daraus abgeleiteten Folgen, beur- theilt werden darf und muss diess gegen Kratz 1. c. s! ;"> ff.). Allerdings werden sich uns aus einer Betrachtung der Lehre des Spinoza im (ianzen Gesiclitspuiikte zur Beurtheilung seiner Ausschliessung des Zweckbegriffs ergeben. Würde es sich er- weisen , dass Spinoza ohne diesen Begiiff es vermocht hat , die Welt des Gegebenen ausreichend zu erklären, so würde diess für seine Leugnung desselben sprechen, ist diess aber nicht der Fall, so lässt sicli jiuch mit Kecht daraus gegen dieselbe argumentiren. Wir müssen uns aber die Untersuchung dieser Frage, aus der wir nur die Bestätigung unsres vorlier gewonnenen Resultates zu erlangen gedenken, hier noch vorbehalten.

Haben wir also die Ansicht des Spinoza über den Zweck- begriff zunächst ohne Berücksichtigung der Gesammtheit seiner Lehre zu beurtheilen, so folgt daraus jedoch nicht, dass wir sie ohne jede Beziehung auf andre bei Spinoza vorkommende Be- griffe beurtheilen dürfen. Wie wir sahen , steht die Leugnung des Zwecks bei Spinoza in enger Beziehung zu seiner von der Mathematik hergenommenen Betrachtungsweise der Dinge. Wie in der Geometrie die Eigenschaften der Figuren nur aus ihren Gründen , nicht aber aus ihren Zwecken abzuleiten und zu er- klären sind *), so fordert Spinoza, dass alle Dinge nur aus ihren Gründen, nicht aber aus ihren Zwecken erklärt weiden. Diese doppelte Forderung, die sich ihm aus der mathematischen Be- trachtungsweise der Dinge ergab, ist also wesentlieh Eine. Die Ausschliessung des Zweckbegriffs und die alleinige Anwendung des Causalitätsbegriffs ergänzen und bedingen sich gegenseitig. Die eine ist nicht ohne die andre zu verstehen , jede steht und fällt mit der andern. Was ergiebt sich nun daraus für unsre Be- urtheilung der Ansicht des Spinoza über den Zweckbegriff? Wir werden allerdings zugeben müssen, dass Spinoza nothwendig zu dieser Ansicht kommen musste , wenn er einmal alle Dinge rein aus ihren Ursachen erklären wollte.

•) Auch wo in der Geometrie erwiesene Eigenschaften der Figuren zur Losung von Aufgaben , also als Mittel zu Zwecken verwendet wer- den, worauf zuerst Kant aufmerksam gemacht hat, wird doch in keiner Weise vorausgesetzt, das« die Figuren oder ihre Eigenschaften um eines Zweckes willen da seien.

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Aber auf diese Forderung, die Dinge allein aus ihren Ur- sachen zu erklären , besonders einzugehen , ist darum für uns keineswegs geboten. Denn lässt sich nachweisen, dass die Bestreitung des Zweckbegriffs bei Spinoza unberechtigt ist, so ergiebt sich mit Nothwendigkeit, dass die Dinge nicht allein aus ihren Ursachen zu erklären sind.

Alle Argumente, die Spinoza aus der alleinigen Anwend- barkeit des Causalitätsbegriffs gegen die Annahme eines Zweckes herleitet, werden ferner für uns von keinem Gewicht sein kön- nen. Denn die Berechtigung zur alleinigen Anwendung des Causalitätsbegriffs sucht ja Spinoza selbst erst durch seine Be- streitung des Zweckbegriffs nachzuweisen. Wir haben nur zu prüfen, in wie w^eit ihm dieser Nachweis gelungen ist. Lässt sich auch nur an einem einzigen Punkte nachweisen, dass die Annahme eines Zweckes, die Anwendung des Zweckbegriffs un- umgänglich ist, so wird die (irundvoraussetzung des Spinoza hinfällig, während freilich die Bichtigkeit der teleologischen Weltanschauung damit noch nicht bewiesen ist.

Wir gehen bei unsrer Beurtheilung der Ansicht des Spi- noza wieder von seiner Bestreitung des Zwecks beim mensch- lichen Handeln aus.

1.) Der Zweck im Bereiche des menschlichen

Hand eins.

Indem Spinoza zur Erklärung der Dinge allein den Begriff der Causalität anwenden wolUe , war er genöthigt, jede andere Erklärungsweise , also auch die aus den Zwecken , auf die von ihm als allein zulässig behauptete zurückzuführen. Er musste nachweisen, dass überall, wo ein Zweck zur Erklärung eines Dinges angenommen wird, die Erklärung aus einer Ursache zureiche.

Für das Gebiet des menschlichen Handelns leugnet nun Spinoza die Thatsächlichkeit dessen, was Zweck genannt wird, nicht; er erkennt an, dass ein einzelnes Begehren zur Erklärung eines durch dasselbe bestimmten Thuns könne angewendet

werden.

Aber er behauptet, dass in Wahrheit dieses Begehren, in- sofern aus ihm ein bestimmtes Ding erklärt werden könne, nur die bewirkende Ursache desselben sei, welche aber darum Zweck genannt w^erde, weil man sie irrthümlicher Weise als erste Ur- sache betrachte. Durch diese Erklärung des Zwecks, zu wel- cher Spinoza durch seine Causalitätslehre getrieben worden ist,

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meint er den ZweckbegrifF auf den der Cansalität ziirückgefüln t zu haben.

Es ist aber diese Erklänin«r tlieils irri^r, theils unzureichend. Diess müssen wir zuerst nachweisen.

Spinoza behauptet , dass ein einzelnes Betjehren , durch welches wir zu einer Handlung bestimmt werden , nur darum Zweck genannt werde , weil man sich der Ursachen dieses Be- gehrens nicht bewusst sei und es darum als erste Ursache auffasse. Daran ist so viel richtig, da.ss im gewöhnlichen Leben öfters , wenn der Zweck eines Dinges angegeben wird . dieser als ausreichende Erklärung des Dinges aufgefasst wird.

Aber keineswegs wird danim dieser Zweck als erste Ursache aufgefasst, oder überhaupt als eine Ursache. Eine solche Zurück- ftihrung des Zwecks auf die ( 'ausalität liegt der populären Betrach- ungsweise ganz fern. Nur Spinoza, der nun einmal gar keine andere Erklärungsweise der Dinge als die durch ihre Ursachen anerkannte, setzte darum ohne Weiteres voraus , dass die Annahme eines Zweckes zur Erklärung eines Dinges nur stattHnden könne, indem das , was man Zweck nenne , als dessen erste Ursache angesehen werde. Wäre er damit im Hecht, so müsste mit der Kenntniss der Ursachen , durch welche wir zu einem gewissen einzelnen Begehren bestimmt werden , auch die Annahme eines Zweckes autliören.

Diess ist aber nicht der Fall. Wir können uns sehr wohl der Ursachen bewusst sein . durch welch«» wir dazu bestimmt werden, uns etwas als Zweck zu setz<'n, ohne darum aufzuhören, von einem Zweck , den wir uns vorgesetzt haben , zu reden. So kann also auch die Annahme eines Zweckes nicht aus der Unkenntniss dieser Ursachen abgeleitet werden.

Damit fällt der Einwand des Spinoza gegen die Annahme eines Zweckes innerhalb des menschlichen Handelns. Die An- nahme eines Zweckes bleibt ja bestehen, auch wo wir das ein- zelne , menschliche Begehren . aus welchem ein Ding hervor- gegangen ist. als selbst durch andre irrsachen bedingt aner- kennen. Das, was er als das Irrige in der Annahme des Zweckes bezeichnet, die Auflassung eines Begehrens als erste Ursache, gehört gar nicht nothwendig zu di(>ser .Vnnahme. Wird dieses Moment nun aus seiner Definition des Zwecks hinweggelassen, so wäre also die Annahme eines Zweckes nichts anderes, als die Auflassung eines bestimmten Begehrens als bewirkende Ur- sache eines Dinges. Einer solchen Annahme eines Zweckes bei den von Menschenhand herrührenden Dingen läge dann durchaus nichts Imges mehr zu Grunde. Spinoza selbst

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ümche eines Dh,ges beruht, d.ss vielmolr a,e Moment zu. Erklärung des Zweckes s;ar nicht verwendet >uMden ka«" ' zeigt sich , dass die ZweekdeHuition , we cl>e Spinoza aufstellt, das Unterscheidende des Zweckes gar nicht ang.c bt

Nach dieser Definition wäre der /weck ein einzelnes, mensdithes Begehren, welches die U-ehe eines Dinge^ st Aber nicht jedes menscldirhe B. -elire" > ^«•'^'"'s '''! ^'^*'"'*' e^ne D nges ist , kann auch als .br Zweck dieses Dinges an- geselen werde»: Das Verlangen . welches , "'" "fe Jum Spinoza benutzten Beispiele stehen ^"bleiben die Lrsaeh^ zum Bau eines Hauses gewesen ist . braucht ja n eh J* Vtnangen zu wohnen gewesen zu sein wie diess in dem ^a «^ ^^ Bauherr selbst das Haus zu bewohnen wünscht, ^t^tthndet M kann auch ein Verlangen nach Geld gewesen sein wenn der Bauhei-r das Haus zum Verkauf bestimmt hat Und doch wuü Niemand den Gelderwerb als Zweck des Hauses bezeichnen sondern in jedem Falle ist das Wohnen der Zweck aes

"'""xnn lässt sich freilich einwenden , dass in diesem Falle dasV^Lgen - wohne,, i,nnu.rhin die Ursache des Hauses ge- tse^i s^i' nnr dass sie ^^ _ <n^<^r.Vf. ^<^^ ^^^ Da* ist wohl richtig, aber in der Definition d,^s Spinoza egl ketnet-ö« igung. a.Tf dieses letztere Verlangen zuriiekzugehen^ Sie untemheidet den Zweck der Dinge „ielit von den möglichen

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würde dem nicht entgehen können, nach solchen Zwecken zu S^en und nur die Forden.ng dabei stellen dür en , dass der weitere Zusammenhang der Ursachen darum nicht unbeachtet

gelassen werde. -. r. a\^ v;/»iif?o-P qh

" Wäre nun diese Erklärung des Spinoza die '•icht ge , so wäre damit allerdings der Zweekbegriif aut den Causal.tatsbeguff rriuteführt. Je.kr (irui.d . neben letzterem noch vm>„ einem Zweikbegriff zu reden, fiele damit weg. Alle menscid.chen Be- . liTungen nämlich . so.orn sie Ursachen d.n- Dinge sind, war n Se zn nennen ; die Zwecke also wären unter dem BegrifT Z- wirkenden Ursache zu subsumiren. Die -^"";"."- «'"«^ijr sondren Zweckbegrifls für das Gebiet der meuschUchen That.g- kei wie wenn schon nicht aus Unkenntniss hervorgehend - den de dahin gehende Behauptung Spinozas ".»«« e. wir ja zurückweisen - so doch überflüssig und darum unhaltbai.

Se wir sehen leicht, dass die Erklärung des Zweckes die zu dieser Conseqnenz führt , ei,,.' durchaus unzureichende ist Wird :^!mal anXu.t. dass die Annahme ,--- f-f es n.ch in der Auffassung eines mensehuehen Verlang a^s «' f , |

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Absichten bei der Herstellung derselben, den Zweck der mensch- lichen Werke nicht von den Beweggründen oder Motiven der menschlichen Handlungen. Es ist diese Definition, zu welcher Spinoza durch sein Streben, den Zweckbegriff auf den Causalitäts- begriff zurückzuführen, verleitet worden ist, zu weit und darum ungenügend, sie bezeichnet durchaus nicht das unterscheidende Wesen des Zweckes.

Es fragt sich nun , ob die Zurück fühiiing des Zwecks aul die Causalität, die dem Spinoza offenbar nicht gelungen ist, überhaupt möglich ist. Lässt sich eine vollständige Erklärung dessen, was Zweck genannt wird, geben, ohne damit über den Begriff der Causalität hinaus zu gehen?

Ehe wir Jedoch zur Beantwortung dieser Frage übergehen, möge hier nachträglich festgestellt werden, um auch dieses Mo- ment seiner Definition des Zweckes nicht uii erörtert zu lassen, was Spinoza unter dem Begehren (appetitus) versteht.

Wir brauchen dabei nicht auf die pars. Hlpr. 9 schol. S. 279 gegebene Unterscheidung zwischen voluntas und appetitus ein- zugehen , welche ja Spinoza , wo er , wie in den hier in Be- tracht kommenden Stellen, in freierer Weise ü])er Thatsachen der Erfahrung redet, selbst nicht vor Augen gehabt zu haben scheint.

Es genüge, darauf hinzuweisen, das er nach S. 217. Z 15 ff. zwischen Wollen und Begehren, sofern sie zur Erklärung des Zweckes in Betracht kommen, keinen Unterschied macht, (quando- quidem homines suarum volitionum suique appetitus sunt con- sciiet de causis a quibus disponnntur ad appetendnm et volendum, quia earum sunt ignari, ne per somnium cogitant) und weiter, was wichtiger ist, darauf, dass er unter dem Begehren, als wel- ches er den Zweck bezeichnet, das Verlangen nach dem eignen Nutzen versteht. (S. 217 Z. K) v. o. c^mnes appetitum habent, suum utile quaerendi u. Z. W^ v. u. propter finem videlicet propter utile quod appetunt.)

Gewiss ist nun zuzugeben, dass, wo wir von dem Zwecke eines Dinges reden, wir jedesmal einen Willen voraussetzen. Dass aber zur Erklärung des Zweckes es nöthig ist, diesen Wil- len als ein Verlangen nach dem eigenen Nutzen zu bestimmen, hat Spinoza nicht nachgewiesen. Selbst wenn zugegeben wird, dass, wie Spinoza es will, alle menschlichen Willensthätigkeiten auf ein Verlangen nach dem eignen Nutzen zurückzuführen sind, bleibt es immer noch in Frage, ob der einzelne menschliche Wille, schon sofern er bei der Erklärung des Zweckverhaltens ins Spiel kommt, als Verlangen nach dem eigenen Nutzen auf- zufassen ist.

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Untersuchen wir also das

Unterscheidende des Zweckverhaltens,

indem wir uns zunächst auf den Zweck im Bereiche des mensch- lichen Handelns beschränken.

Ueberall, wo der Zweck eines von Menschenhand herrüh- renden Dinges angegeben oder nach ihm gefragt wird, wird allerdings ein menschliches Verlangen oder Wollen vorausge- setzt. Dieses Verlangen an sicli kann aber niemals der Zweck des Dinges genannt werden. Es kann JL ein solches Verlangen stattfinden, auch ohne dass ein Zweck gesetzt wird. Von Zweck reden wir erst dann, wenn wir eine bestimmte menschliche Vor- stellung voraussetzen, auf deren Verwirklichung der menschliche AVille gerichtet ist. Auch Spinoza hat, wo er den Zweck er- klären will, die Annahme einer solchen Vorstellung nicht um- gehen können.

Er fügt daher in dem vorerwähnten Beispiele vom Hause, durch welches er zeigen will, dass ein bestimmtes Begehren es sei, welches Zweck genannt werde, als nähere Bestimmung des da angenommenen Verlangens, ein Haus zu bauen, die Bemerk- ung hinzu, dass der Mensch dieses Verlangen gehabt habe, ,, da- her, weil er die Vortheile des häuslichen Lebens sich vorstellte''. Es muss aber zugestanden werden, dass eine solche Vorstellung nothwendig mit zur Erklärung des Zweckes gehört. Ueberall, wo von Zweck geredet wird, wird eine solche Vorstellung an- genoii.men, auf deren Verwirklichung der menschliche Wille ge- richtet ist.

Es k(>mmt dabei gar nicht weiter in Betracht, ob ein sol- cher auf die Verwirklichung einer menschlichen Vorstellung sich beziehende Wille auf den eigenen Nutzen des wollenden Sub- jectes gerichtet ist, ob also der Inhalt dieser Vorstellung der eigene Nutzen dessen ist, der die Verwirklichung desselben ver- langt. Denn als Zweck eines Dinges kann auch- etwas bezeich- net werden, was nicht dem Urlieber dieses Dinges, sondern einem Andern zum Nutzen gereicht. Nur enthält in jedem Falle diese Vorstellung, welche, wo von Zweck die Rede ist, voraus- gesetzt wird, eine bestimmte Beziehung oder ein gewisses Ver- halten dieses Dinges zu einem Anderen als Inhalt. Denn überall, wo nach einem Zweck gefragt wird, wird nach dem «Wozu?« oder »Wofür?« gefragt.

Damit ist aber auch das Unterscheidende des Zweckver- halten ersschöpft. Wo überhaupt eine Vorstellung von einem

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bestimmten Verhalten eines Dinges durch den Willen eines Menschen verwirklicht werden soll oder verwirklicht worden ist, reden wir von dem Zweckverhalten eines Menschen. Was wird also darunter verstanden, wenn von dem Zwecke eines von Menschenhand herrührenden Dinges die Rede ist? Das that- sächliche Verhalten eines Dinges wird niemals Zweck genannt. Denn, wenn dieses Verhalten nicht als vorher vorgestellt und gewollt angesehen wird, kann es nur etwa als Nutzen oder Gebrauch, niclit aber als Zweck dieses Dinges bezeichnet werden.

Der menschliche Wille oder das menschliclie Verlangen an sich kann ebensoweni«; als der Zweck eines Dinges bezeichnet werden; denn nur dadurch, dass der Wille auf die Verwirklich- ung einer bestimmten Vorstellung sich bezieht, entsteht der Zweck. Wir können also definiren : der Zweck ist eine Vorstell- ung von einem bestimmten Verhalten eines Dinges, welches durch den Willen in diesem Dinge zur Verwirklichung kommen soll oder gekommen ist. *)

Wie verhält sich nun der Zweckbegriff zu dem Causalitäts- begriff? Schon aus dem bisher Dargelegten ergiebt sich, dass der erstere sich nicht einfach auf den letzteren zurückführen lässt. Wo nach dem Zwecke eines Dinges gefragt wird, wird nicht die Ursache desselben zu wissen verlangt und umgekelirt. Wer nach den Ursachen eines Dinges fragt, will die Entstehung eines Dinges kennen lernen ; wer nach den Zwecken fragt, den beabsichtigten (»ebrauch, das vorhergewollte V\n*halten des Dinges zu einem Andern. Der erstere fragt nach dem «Woher» ?, der andere nach dem «Wofür?«

Wird aber dämm, wo ein Zweckverhältniss stattfindet, das Oausalitätsverhältnis ausgeschlossen ?

Keineswegs ! Eine nähere Betrachtung des Zweckverhältnisses zeigt vielmehr, dass überall, wo ein solches stattfindet, auch ein

*) Kratz 1. c. S. 2S fl". giebt wohl eine im Wesentlichen richtige Beschreibung des menschliclien Verhaltens , sofern es durch den Zweck bestimmt ist, und auf dieses werden auch wir im Folgenden näher ein- gehen müssen, aber es erscheint uns unrichtit]^, die einzelnen Stadien, die dabei in Betracht kommen, mit in die ])efiniti()n des Zweckes aufzuneh- men. Der Zweckbc«jriff' wird nicht erst constituirt durch die 4 Einzelbe- gritte : Zweckwille, Mittelwille, Mittelursache, Zweckwirkung, sondern die Vorstellung, auf deren Verwirklichung der Wille gerichtet ist, heis.st schon an sich Zweck und nur ein ungenauer Ausdruck ist es, wenn auch die Verwirklichung einer solchen Voi-stellung Zweck genannt wird.

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Causalitätsverhältniss obwaltet, welches aber durch den Zweck erst herbeigeführt wird*)

Wenn nämlich ein Zweck zur Verwirklichung kommt, so geschieht diess so, dass das thatsächliche Verhalten des Dinges, welches der Inhalt dieser Zweckvorstellung ist, von einer Ur- sache oder einer Reihe von Ursachen abhängig ist. Diese Ur- ,\ I Sache oder diese Reihe von Ursachen ist aber ebenso, wie je- nes Verhalten des Dinges vorher vorgestellt. Jede solche vor- her vorgestellte Ursache eines zweckentsprechenden Verhaltens nennen wir Mittel. Zwischen dem Mittel und dem zweckent- sprechenden Verhalten findet das reine Causalitätsverhältniss statt. Letzteres ist die Wirkung vonersterem und ersteres die Ursache von letzterem. Ja, weiter darf gesagt werden: Der Zweck ist die Ursache der Vorstellung eines Mittels. Wie aus dem realisirten Mittel das zweckentsprechende Verhalten folgt, so folgt ans dem Zweck die Vorstellung eines Mittels**). Ueber- all also, wo ein Zweckverhältniss obwaltet, giebt es eine Reihe von Gliedern, von denen jedes F(dgende durch das Vorhergehende causirt ist. Das Schema einer solchen Reihe würde, wenn das was in der Vorstellung gegeben ist, mit kleinen und das was that- sächlicli vorhanden ist, mit grossen Buchstaben bezeichnet wird, etwa Folgendes sein :

f, e, d, c, b, a -- A, B, C, D, E, F

In dieser lieihe kann zwar jedes vorhergehende Glied als Ursache des Folgenden angesehen werden, aber nur f als Zweck von F, e als Zweck von E, u. s. w.

^'icht insofern eine Vorstellung in der Kette der Ursachen eines thatsächlichen Verhaltens eines Dinges als Glied vorhanden ist, heisst sie der Zweck dieses Dinges, sondern nur insofern diese Vorstellung in einem bestimmten Dinge zur Verwirklichung

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*) Vergl. hierzu die Abhandlung von Dro bisch über den Zweck- begrift" und seine Brdei;timg für Naturwissenschaft, Metaphysik und Religionsphilosophie, (in der Ulrici-Fichte'schen Zeitschrift für Philo- sophie u. philosophische Kritik im 29 B., bes. auf S. 86 und 87.

**) So Drobisch 1. c. ,, causa finalis heisst eine solche psychische

egung setzt, üass deren

Endwirkung dem Inlialte jenes Grundgedankens adäquat wird, der als ge- wollter die erste und anfängliche causa efliciens des ganzen Verlaufs von zusammenhängenden Wirkungen ist.

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kommt. Es Ifisst sich also das Zweck verliältniss nicht zurück- führen anf das Oausalitätsverhnltniss, da vielmelir umgekehrt überall, wo ein Zweckverhältniss stattfindet, das dabei concur- rirende Oausalititsverhältniss ein erst durch den Zweck herbei- gefülirtes ist.

Wir sind damit zu dem Resultate gelangt : Im Bereiche des menschlifhen Ilandfdns ist der Zweckbegriff nicht zu umgehen, da nicht nur das, was als Zweck angenommen wird, thatsächlich vorhanden ist, sondern auch der Zweck, sobald er nur richtig definirt wird, sich nicht anf die C'ansalität znrückfüliren lässt.

Es stellt sich nun die weitere Frage, welche Anwendung der Zweckbegriff, wenn er einmal wenigstens in einem Gebiet berechtigt und unumjranglich ist, bei der Erklärung der Dinge, also zunäclist der v«m Menschenhand herrührenden, zulässt. Ist die Kenntniss des Zweckes verwendbar, notliwendig und zu- länglich znr I'Tklärnng eines Dinges, oder ist die Erklärung der Dinge ans ihren Ursachen die allein zulässige und aus- reichende?

Diese Frage ist besonders darum wichtig, weil das dabei gewonnene Resultat überall da seine Anwendung wird finden können, wo etwa auch ausserhalb des menschlichen Handelns ein Zweckverhältniss nnzunehmen ist. Wir behandeln danim diese Frage in der dazu niUbigen Allgemeinheit.

Die Anwendung des Zwecks zur Erklärung der Dinge.

Spinoza erklärt, wie wir salien, den Zweck für unzureichend zur Erklärung der Dinge, weil er in dieser Art, die Dinge zu erklären, eine Verkennung des unendlichen Causalzusammenhangs sieht. Wer bei der Erklärung eines Dinges die Kenntniss des Zwecks desselben für zureichend lialte, bleibe bei einem Gliede in der Kette von Ursaclien und Wirkungen, durch welche das Ding bestimmt sei, stehen und fasse dieses Glied irrtliümlich als erste Ursache des Dinges anf. Dieser (irund gegen die An- wendung des Zwecks fällt mit der Erklärnng des Zweckes, die Spinoza giebt, und deren Unhaltbarkeit wir glauben nachgewie- sen zu haben.

Bei richtiger Auffassung des Zweckbegriffs ist von vorn- herein so viel klar, dass aus dem Zweck eines Dinges in jedem Falle ein bestimmtes Verhalten des Dinges erklärt wird; das zweckentsprech endeVerhalten des Dinges wird erkannt aus dem Zweck, dessen Verwirklichung es ist. Je zusammengesetzter nun die Vorstellung ist, die in einem Dinge zur Verwirklichung ge-

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kommen ist, desto mehr Eigenschaften dieses Dinges werden aus derselben erklärt werden können. Denn in jedem Dinge, welches seinem Zwecke entspricht, muss einem jeden Theile der zur Verwirklichung gebrachten Vorstellung auch ein thatsäch- liches Verhalten des Dings entsprechen. Da nun ferner alle Mittel, durch welche das zweckentsprechende Verhalten eines Dinges verursacht wird, vor ihrer Verwirklichung auch in der Vorstellung enthalten sind und zwar so, dass jede Vorstellung eines Mittels durch einen vorhergehenden Zweck causirt ist, so ergiebt sich, dass aus dem Zweck auch alle die Mittel erklärt werden können, durch welche das zweckentsprechende Verhalten eines Dinges bedingt wird. Denn wie juis den JMitteln das zweckentsprechende Verhalten folgt, so folgen in umj^ekehrter Reihenfolge aus dem Zweck die Vorstellungen der Mittel. Wer also den Zweck kennt, kann aus demselben die Vorstellungen der Mittel erkennen, es erklären sich ihm also aus dem Zweck auch die zweckgemässen Mittel, die in einem Dinge verwirk- licht sind. Je mehr solche Vorstellungen von Mitteln aus dem Zweck folgen, desto vollständiger wird auch die Erklärung eines Dinges aus dem in ihm verwirklichten Zweck sein.

In jedem Falle, wo die Theile als Mittel des zweckentsprechen- den Verhaltens zu dem Ganzen in Beziehung stehen, kann aus dem bekannten Zweck eines Dinges auch das Verhältniss des- selben zu seinen Theilen erkannt werden.

Soweit also die Eigenschaften eines Dinges die Verwirklich- nng des Zwecks sind, oder derselben als Mittel dienen, werden sie aus dem Zweck erklärt werden können. Dnrin liegt die Anwendbarkeit des Zwecks zur Erklärung der Dinge.

Unbedingt ausreichend ist diese Erklärungsweise allerdings nicht. Denn auch wo der Zweck eines Dinges völlig bekannt ist, lassen nicht alle Eigenschaften des Dinges aus dem Zweck sich erklären. Die Herrscliaft des Gedankens über den Stoff ist wir reden zunächst von den menschlichen Werken niemals vollkommen. Je coniplicirter aber der Zweck eines Dings ist und je völliger er verwirklicht worden ist, desto mehr wird durch den Zweck das Ganze bis in die einzelnsten Theile durchdrungen, desto vollständiger also lässt sich das Wesen eines Dinges aus seinem Zweck erkennen.

Während z. B. bei den einfachsten menschlichen Werk- zeugen nur eine äussere Bearbeitung des Stoffes erkennbar ist, so durchdringt bei einer complicirten Maschine oder bei einem vollendeten Kunstweike die Vorstellung, die in demselben zur Verwirklichung gekommen, das Verhältniss aller Theile zu eiu-

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ander und zu dem Ganzen. Hier erklärt sieh aus dem Zweck eine unendliche Manichfaltigkeit von Beziehungen, die ohne Kenntniss desselben unverständlich bliebe, und was nicht aus dem Zweck sich erklärt, darf als unwesentlich angesehen werden.

Darin liegt die Berechtigung, bei denjenigen Dingen, in denen eine menschliche Vorstellung zur vollendeten Verwirklich- ung gekommen ist, die Erklärung aus dem Zweck für völlicr zureichend zu erachten. Denn nicht derjenige versteht ein sol- ches menschliche Werk am vollkommensten , der etwa die Ent- stehung der dazu verwendeten Stofte bis auf die entferntesten Ursachen zurückzufahren weiss und es als einen Theil des Natur- organismus aumisst, sondern der, welcher die dasselbe beherr- schende Vorstellung und die zur Verwirklichung desselben ange- wendeten Mittel überblickt und es als ein wenigstens relativ selbst- ständiges Ganze auffasst. Zur Erklärung eines Gemäldes als solchen ist nicht die Kenntniss der Farbenbereitung, zur Er- klärung einer Dampfmaschine nicht die Kenntni.ss der Erzschmelzun^ erforderlich. So dürfen wir allerdings für alle Dinge, in denen ein Zweck zur allseitigen Verwirklichung gekommen ist die Erklärung derselben aus ihrem Zweck als zureichend ansehen

Weiter muss auch gesagt werden, dass ohne Kenntniss des Zweckes, nach welchem ein Ding hergestellt worden ist, eine zureichende Erklärung desselben nicht möglich ist. Es lassen sich wohl auch ohne Kenntniss des Zwecks die einzelnen Eigen- schalten eines menschlichen Werks und die Ursachen derselben erkennen. Dadurch wird aber das W^rk als Ganzes nicht er- klärt. Zur zureichenden Erklärung desselben gehört auch die Erkenntniss dessen, worauf alle einzelnen Eigenschaften des Werkes sich beziehen. Wird dieses erkannt, so ist eben damit die Kenntniss des Zweckes gegeben. Damit ist also bewiesen dass zur Erklärung jedes nach einem Zweck hergestellten Werkes' die Kenntniss dieses Zweckes nothwendig ist. '

Wir gehen nun einen Schritt weiter und fragen : Lässt sich der Zweck eines solchen Werkes, auch ohne dass er dem Be- trachter desselben durch den Urheber mitgetheilt worden ist aus dein Werke selbst erkennen, und wie ist diess möglich? ' Spinoza behauptet, wie wir sahen, dass diess nur geschehen könne, indem die Sinnesweise des Andren nach der eignen be- urtheilt werde. Es ist diess aber eine unhaltbare Behauptung Gewiss ist zuzugeben, dass wir, um den Zweck eines Dinges zu erkennen, in vielen Fällen nach der Analogie unsres eignen Handelns auch das des Andern beurtheilen. Ist es aber darum

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unvermeidbar, dass wir bei dem Andern solche Motive voraus- setzen, die bei ihm nicht stattfinden? Diess würde nur dann der Fall sein, wenn es keine allg^^meinen Gesetze des mensch- lichen Handelns überhaupt gäbe. Solche Gesetze stellt aber Spinoza selbst, z. B. im 3. Theile seiner Ethik, auf. Darum muss er auch die Berechtigung zugestehen, aus der Analogie des mensch- lichen Handelns zu beurtheilen, welchen Zweck ein Andrer ge- habt haben müsse. Es ist diess nicht ein Schluss von der eignen Sinnesweise auf die eines Andern, sondern von der allgemein menschlichen Art zu denken und zu handeln, auf die eines Einzelnen. Es kann also der Zweck eines Dinges, wenn er auch nicht von dem Urheber desselben uns mitgetheilt worden ist, aus den allgemeinen Gesetzen des menschlichen Handelns erschlossen worden.

Es lässt sich aber auch weiter zeigen, dass der Zweck eines solchen Dinges auch abgesehen von dem Schluss aus der Analo- gie erkannt werden kann.

Es ist diess allerdings nur dann möglich , wenn der Zweck eines Dinges ein complicirter ist und mehrere Mittel zu seiner En-eichung angewendet worden sind. Ist diess nicht der Fall, wie bei dem obenerwähnten lieispiel der einfachsten mensch- lichen Werkzeuge, so kann der Zweck aus dem Dinge selbst nicht erkannt werden, sondern nur aus der Analogie des mensch- lichen Handelns oder überhaupt nicht. Wer z. ß. einen abge- brochenen Baumast findet, kann nicht wissen, ob derselbe als Brennmaterial, oder als Stab hat dienen sollen.

Ist dagegen das zweckentsprechende Verhalten eines Dinges ein complicirtes und beziehen sich die Theile desselben als Mittel auf das Ganze, so' ist der Zweck des Dinges aus diesem selbst erkennbar. Denn dann ergiebt sich uns, wenn auch der Zweck des Dinges uns noch unbekannt ist, aus der Beobacht- ung des Dinges, dass mehrere Eigenschaften desselben und meh- rere einzelne Theile eine gemeinsame Beziehung haben. Das- jenige Verhalten des Dinges nun, welches durch eine Mehrheit von einzelnen Eigenschaften und Theilen des Werkes bedingt wird, dürfen wir als das zweckentsprechende Verhalten des Dinges ansehen , also die Vorstellung von diesem Verhalten, insofern sie in dem Dinge zur Verwirklichung gekommen ist, als den Zweck desselben. Je mehr Eigenschaften und Theile des Dinges nun eine solche gemeinsame Beziehung haben, d. h. je zweckmässiger die Einrichtung desselben ist, desto sichrer wird aus der Natur des Dinges selbst auf den Zweck desselben

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geschlossen werden können, weil um so mehr Eigenschaften und Theile des Dinges auf ihn hinweisen.

Wir fragen endlich. Kann, auch wo wir nicht wissen ob ein Ding einen Zweck habe, oder nicht, rein aus der Na- tur dieses Dinges erkannt werden, dass es einen Zweck habe^ Auch diese Frage müssen wir bejahen. In den Fällen, wo die ganze Eigenthümlichkeit eines Diii^-es durch eine Beziehun- der einzelnen Theile und Eigenschafteii.hjs Diii-os auf ein Verhalten des Ganzen bestimmt wird, werden wir mit Nothwendi-keit auf die Annainne eines Zweckes geführt. Und zwar treibt dazu eben die Erklärung aus d<'n Ursachen, die 8])iiioza als allein anwendbar ansieht. Ergiebt sich nämlich aus der Beobachtung' eines Dinges, dass alle Eigenschaften und alle Theile des Dinges ein bestimmtes Verhalten des(;anzen beliiigen, so reicht es zur Erklärung des Dinges nicht aus, dies.' Ursachen so weit als möglich zu vertolgen, sondern v,a muss auch die Ursache dieser gemeinsamen B^-ziehung der Theile gefunden werden. Lässt sich nun aus einem angenommenen Zweck des Dinges diese ffe- meinsame Beziehung der Theile zum Ganzen ableiten, so darf dieser Zweck als Ursache derselben angenommen werden we- nigstens so lange, als auf andere Weise diese gemeinsame Beziehung der Theile zum Ganzen nicht erklärt werden kann.

Wir sehen also, dass der Zweckbegriff zur Erklärung der Dinge angewendet werden kann, dass auch in vielen Fällen der Zweck eines Dinges völlig zur Erklärung oenügt, und ohne denselben eine zureichende Erklärung dann unmöglich ist. Es lässt sich endlich aus der Natur eines Dinges sell)st erkennen ob es nach einem Zweck hergestellt sei, und welcher Zweck in ihm zur Verwirklichung gekommen ist. Alle diese Sätze die sich uns aus der Betrachtung des Zweckverhaltens im Ge- biete des menschlichen Handelns ergeben haben, lassen aber auch eine Anwendung auf die nicht von Menschenhand herrüh- renden Dinge zu, und werden also bei der Beurtheilung der Lehre des S],inoza über den Zweck in der Natur von uns benutzt werden können. Zu dieser gehen wir nun über.

2) Die Bestreitung des Zwecks in der Natur.

Im Bisherigen mussten wir die Sätze des Spinoza durch- weg bestreiten. Wir fanden, dass seine Definition des Zweck- begriffs eine unzureichende und unrichtige ist, dass er mit Un-

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recht die Annahme eines Zweckes in den menschlichen Hand- lungen verwirft, dass endlich die Erklärung menschlicher Werke aus dem Zwecke nicht wie Spinoza behauptet, unstatthaft, son- dern völlig anwendbar, ja nothwendig ist.

Dagegen gestehen wir der Polemik des Spinoza gegen die Annahme eines Zwecks in den natürlichen Dingen gern ein I grosses Verdienst zu. Spinoza wendet sich zunächst und j vor Allem gegen die populäre Betrachtungsweise der Dinge, ] nach welcher ein Jeder die Dinge nur in Bezug auf sich selbst j beurtheilt und den Nutzen, den er von einem Dinge hat, ohne weiteres als den Zweck desselben ansieht. Seine Polemik ge- gen diese Anschauungsweise ist g(^wiss berechtigt und in einer Zeit, wo diese Betrachtungsweise die herrschende war, ver- dienstlich.

Gegen dieselbe sich zu wenden trieb den Spinoza ebenso- wohl wie seine wissenschaftliche Strenge, sein sittlicher Ernst und seine religiöse Tendenz (vergl. K. Fischer, B. Sps. Leben und Char. S. G f.)

Und in der Tliat ist die populäre, teleologische Betracht- ungsweise der natürlichen Dinge nicht nur unwissenschaftlich, son- dern auch egoistisch und einer tieferen Religiosität wider- sprechend.

Wir belächeln jetzt wohl die noch im vorigen Jahrhundert beliebten Zweckmässigkeitstheorien, nach denen der Korkbaum um der Stöpsel willen und gewisse Insecten zur Beförderung der menschlichen Reinlichkeit geschaffen sein sollten, und halten eine Widerlegung derselben nicht für nöthig. Spinoza aber, der in einer viel früheren Zeit lebte, war wohl berechtigt, aus- drücklich' gegen solche Vorstellungen von der Zweckmässigkeit der Dinge sich zu wenden und die Forderung aufzustellen, mit der er selbst vollen Ernst gemacht hat, die Dinge ohne die Beziehung auf den Menschen zu betrachten. Es fliesst diese Forderung unmittelbar ans seinem grossen Satz : Eth. I, 16, und soll von uns am wenigsten bestritten werden.

Indess schlicsst diese Forderung durchaus nicht von vornherein jedwede Annahme eines Zweckes in den natürlichen Dingen aus. Um von vornherein den Standpunkt unsrer Kritik der Lehre des Spinoza über den Zweck in der Natur festzustellen, müssen wir uns an diesem Orte kurz darüber aussprechen , in welchem Sinne wir die zweckvolle Ordnung des gesammten Naturlebens behaupten zu dürfen glauben und in wie weit wir die teleolo- gische Naturbetrachtung zu vertheidigen gemeint sind. Wir thun diess mit Rückbeziehung auf die Erörterung des Zweck-

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begriffs, die Kant in seiner Kritik der Urtheilskraft gegeben (s. darüber die erwähnte Abbandhing v. Drobiseh). Zunächst müssen wir uns gegen die von ihm aufgestellte Unterscheidung zwischen blos relativen oder äussern und innern Naturzwecken erklären. Den natürlichen Dingen, die als Mittel zu möglichen Zwecken verwendet werden (oder die der Mensch tauglich fin- det zu einer bestimmten Verwendung! schreiben wir um dess- willen weder eine innere , noch eine äussere Zweckmässigkeit zu. Es ist irreführend, schon da von dem Zwecke eines Dinges zu reden , wo zwar ein bestimmter Nutzen von dem zweck- setzenden Wesen vorgefunden , nicht aber an ihm durch eine bestimmende Thätigkeit erst zur Verwirklichung gebracht wird. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch zum wenigstens sollte nur ) da von Zweck und Zweckmässigkeit die Kedc sein, wo letzteres Verhältniss stattfindet, im ersteren Falle aber nur von Brauch- barkeit oder Anwendbarkeit, wie ja auch Kant sich in diesem j Falle der Ausdrücke Nutzbarkeit und Zuträglichkeit bedient. 1 (S. 231) in der Ausgabe v. Kirchmann's.) Im Weiteren be- antwortet nun Kant die Frage, was dazu erfordert werde, um einzusehen, dass ein Ding nur als Zweck möglich sei, d. h. um die Causalität seines Ursprungs in einer Ursache, deren Vermögen zu wirken durch Begriff'e bestinmit wird , suchen zu müssen. In der Beantwortung dieser Frage hebt Kant zuerst hervor, dass dazu in jedem Falle erfordert werde, dass die Theile nur durch ihre Beziehung auf das Ganze möglich sind. (Damit bewährt sich, was wir auf Seite 14 als Bedingung der Erkennbarkeit eines Zweckes im Allgemeinen angegeben haben). Wenn nun Kant im Weiteren ausführt, dass dieses Verhältniss bei den Naturproducten in concreto alle Zeit so stattfinde, dass auch alle Theile von einander wechselseitig Ursache und Wir- kung ihrer Form sind und darin den Unterschied des zweck- vollen Naturproductes von dem zweckvollen Kunstproduct findet, so können wir damit völlig übereinstimmen. Allerdings findet das von uns oben als Bedingung einer Zweckannahme und Zweckerkenntniss geforderte Verhältniss in der Natur nur da ; n statt, wo Organisation stattfindet. Und völlig richtig ist es, was Kant weiter sagt: ,, Dieser Begriff" führt nun nothwendig auf die Idee der gesammten Natur als eines Systems nach der Regel der Zwecke, Avelcher Idee nun aller Mechanismus der Natur . . . untergeordnet werden muss . . . Man ist durch das Beispiel, das die Natur an ihren organischen Producten giebt, berechtigt, ja benifen, von ihr und ihren Gesetzen, nichts als was im Ganzen zweckmässig ist, zu erwarten." (Dass Kant

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der teleologischen Naturbetrachtung in dieser Ausdehnung Be- rechtigung zuspricht, wird von Drobiseh in der erwähnten Ab- handlung übergangen . )

Wenn Kant nun weiter sagt, dass die Physik, um sich genau in ihren (iräiizeii zu halten, von der Frage abstrahire, ob die Naturzwecke es absichtlich sind, oder unabsichtlich sind, so kann damit doch nur gemeint sein, dass die Naturwissenschaft, obwohl sie die organisirte Gestaltung der Naturdinge zum Er- kenntnissobject habe , nicht die Ableitung derselben, aus dem Begriff Gottes zur Aufgabe sich stellen dürfe. Nicht aber kann gemeint sein, dass ein unabsichtlicher Zweck möglich sei, denn dieser Ausdruck ist auch nach der Kant'schen Definition des Zweckes eine contra dictio in adjecto. In wie weit nun Kant dem Schluss von der Zweckmässigkeit der Natur auf einen weisen Schöpfer derselben Berechtigung zugesteht, darauf brau- chen wir hier nicht einzugehen.

Auch unsre Aufgabe kann es nicht sein, auszuführen, wie die Erkenntniss der Zwecke in der Natur zum Glauben an Gott hinzuführen und demselben zur Stütze oder Rechtfertigung zu dienen geeignet sei ; nur das haben wir nachzuweisen , dass die Annahme von Zwecken in der Natur berechtigt ist. Unsre eigne Ansicht darüber sprechen wir im Anschluss an Kant da- hin aus , dass überall wo organisirtes Leben zu finden ist , die Annahme eines Zweckes geboten und die Angabe eines be- stimmten Zweckes möglicli ist und dass eben darin die Berech- tigung liegt, auch das ganze Naturleben als ein zweckvoll organisirtes Ganze aufzufassen und die Zwecke, nach denen es geordnet ist, aufzusuchen. Diese teleologische Naturbetrachtung, scheint uns nicht nur berechtigt, sondern auch geboten, und hat mit jener populären Betrachtungsweise, die jedes Ding nur auf den Nutzen, den es dem Menschen bringt, hin ansieht, nichts gemein. Nur diese teleologische Betrachtungsweise, nach wel- cher also zunächst die Thier- und Pflanzenorganismen als zweck-

' massig eingerichtet angesehen werden , haben wir gegen die Beweisgründe , die gegen sie erhoben werden , zu vertheidigen. Spinoza, der die Annahme eines Zweckes in den natürlichen Dingen überhaupt als unstatthaft hat nachweisen wollen, er- reicht diess durch seine Polemik gegen die gewöhnliche Lehre

* vom Zweck keinweswegs. Fr folgert offenbar aus der Unhalt- barkeit der populären Zwecklehre zu schnell die UnStatthaftigkeit irgend welcher Zweckannahme in den natürlichen Dingen. Diess ist besonders deutlich an der Stelle, wo Spinoza sagt : (praef. ad'partem IV, S. 330 Z. IS v.u.) Ostendimus in primae partis

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appendice naturam propter finem non agere. Denn diesen Beweis hat Spinoza im Anhang des ersten Theiles nicht er- bracht, vielmehr nnr die populäre Anscliauiingsweise widerlegt, was leicht genug war. Wenn er dabei noch darauf sich beruft, dass Gott oder die Natur mit derselben Noth wendigkeit, mit welcher sie existire, handle, so liegt in der Herbeiziehung die- ses Satzes einestheils eine petitio principii, und anderntheils ist selbst, wenn dieser Satz zugegeben wird, nicht jeder Zweck aus der Natur damit ausgeschlossen.

Indem nun Spinoza sich hauptsächlich mit der Widerlegung der gewöhnlichen Auffassung von der Zweckmässigkeit der na- türlichen -Dinge beschäftigt, ist er dazu verleitet worden, eine strengere Unterscheidung zwischen der Zwecklehre, welche die Dinge in Bezug auf den Menschen auffasst, und der, welche sie zunächst rein an sich betrachtet, zu vernachlässigen *)

Wir können aber bei einer Beurtheilung seiner Leugung des Zwecks in den natürlichen Dingen einer solchen nicht ent- behren und werden im Folgenden so vorgehen, dass wir zunächst die von Spinoza vorgeführten Gründe gegen die Annahme eines Zweckes in der Natur überhaupt prüfen und schrittweisse ge- gen sein Leugnung derselben Kaum fär die Annahme eines Zweckes in der Natur zu gewinnen suchen.

Wir werden dabei freilich auf früher Gesagtes öfter zu- rückgreifen müssen.

Wird einmal der Zweck innerhalb des menschlichen .Han- delns zugegeben, so fällt ein Hauptgrund des Spinoza gegen die Annahme eines Zweckes in den natürlichen Dingen. Die Ueber- tragung des Zweckbegriffs auf die natürlichen Dinge ist dann nicht von vornherein damit abzuweisen, dass die Annahme eines Zwecks überhaupt unzulässig sei. Die Möglichkeit, dass in ei- nem natürlichen Dinge eine bestimmte Vorstellung zur Verwirk- lichung gekommen sei, lässt sich nicht ohne Weiteres abweisen.

•) Wenn auch gesagt i;v'ird, dass Spinoza noch nicht die Unterscheid- ung von äussern und innem Zwecken, die erst Kant hervorgehoben habe, gekannt habe, so möchten wir ihm diess nicht zum Vorwurf machen ; denn, was äussere Zweckmässigkeit genannt >vird, fällt dem Sp. nicht unter den Begriff der Zweckmässigkeit , und er unterscheidet gar wohl S. 217 Z. 13 V. u. zwischen der Annahme, dass viele natürliche Dinge zum Nutzen der Menschen seien, (äussere Zweckmässigkeit) u. der Annahme, dass sie um dieses Zweckes willen daseien (innere Zweckmässigkeit). Eben den Schluss von der äussern auf die innere Zweckmässigkeit oder vielmehr von der Brauchbarkeit auf die nach einem Zweck getroffene Einricht- ung ürlichen der natDinge bestreitet Spinoza.

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Spinozas weitere Beweise aber gegen die Annahme eines Zweckes sind nicht durchschlagend, wenigstens nicht für den der nicht ganz auf den Standpunkt des Spinoza sich stellt. ' bem Satz, dass die Lehre vom Zweck die Natur völligr umkehre, indem sie, was in Wahrheit die Ursache sei, als Wirk- ung be rächte und umgekehrt, beruht auf Täuschung. (Ver- gleiche hierzu Kratz 1. c. S 11)

Wer z B. die Vermittelung des Sehens als Zweck des Auges hinstellt, nimmt nicht an, dass das Sehen früher ge- wesen sei als das Auge, sondern nur, dass eine Vorstellung des Schopfers von dieser Vermittlung des Sehens früher gewesen sei als das Ange, in welciiem diese Vorstellung zur Verwirk- lichung gekommen sei; ganz in der Weise, wie es bei den menschlichen Werken unzweifelhafte Thatsache ist, dass die Zweckvorstellung eines Menschen früher vorhanden ist, als das thatsächliche dieser Vorstellung entsprechende Verhalten desie- nigen Dinges in welchem diese Vorstellung zur Verwirklichung gekommen ist Spinoza hat sich hier durch den gewöhnlichen Sprachgebrauch zu einer Verwechslung des Zwecks mit dem zweckentsprechenden Verhalten des Dinges, welches ja oft auch ungenauer Weise Zweck genannt wird, verleiten lassen

Bei einer richtigen Definition des Zweckes wird nicht das was m Wahrheit die Wirkung ist, als Ursache betrachtet, son- dern nur die Vorstellung dieser Wirkung. Zwischen beiden ist aber wohl zu unterscheiden.

Ebenso hinfällig ist der Satz, dass die Lehre vom Zweck dasjenige, was in der Natur das ll.ichste und Vollkommenste sei, zum Unvollkommensten mache. Es sei nämlicli nach Eth I R^';/ . diejenige Wirkung die vollkommenste, welche von Gott unmittelbar hervorgebracht werde, und jemelir Mittelur- sachen etwas brauche, um hervorgebracht zu werden, desto un- vollkommener sei es. Wenn nun die Dinge, welche von Gott unmittelbar Jiervorgebracht worden sind, um desswillen gemacht wareji, damit Gott seinen Zweck erreiche, dann würden noth- wendig die letzten, um deren willen die früheren gemacht worden seien, unter allen die vorzüglichsten sein (Eth. append ad p. 1 S. 21,) u. vergleiehe das von uns auf S. 16 bemerkte) Spin(»za beruft sich hier wieder aufSätze seines eigenen Systems welches doch die LeiTgunr- des Zweckes zur Voraussetzung hat' u. macht sich also eines logischen Cirkels schuldig.

Wer die Wahrheit seines Systems n(»ch dahingestellt sein

asst, wird mit eben soviellJecht, wie Spinoza das Umgekehrte

lehrt, behaupten können, das je mehr Mittelursacheu etwas

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braucht, um liervorgebracht zu werden, es desto vollkommnerist (cf. Kratz 1. c. S. 42).

Indess ist die Argumentation des Spinoza auch von seinem eignen Standpunkt aus nicht zulässig. Kr identificirt Vollkom- menheit mit Realität Eth., pars II, def. ii) ; nennt also ein Ding um so vollkommner, je mehr Realität es hat, und um so unvollkommner, je mehr Begränzung. Verneinung, Ohnmacht ihm zukomme (^pars IV. praef S. 331). Ist nun Spinoza berechtigt, den Grad dieser Realität der Dinge daran zu messen*, oh sie unmit- telbar von (iott hervorgebracht worden seien, oder weniger oder mehr Mittelursachen bedürfen ? Nach seinen eigenen Sätzen keineswegs. Allerdings redet Spinoza in den von ihm angezoge- nen Lehrsätzen Kth. I, 21 2;> von solchen modis, welche mit Nothwendigk(^it und unendlich existiren und unterscheidet unter ihnen solche, welche unmittelbar von (iott hervorgebracht wor- den sind und solehe, welche durch Vermittelung einer nothwendigen und ewigen Modification eines Attributs aus der absoluten Natur eines göttlichen Attributs f(dgen. Welche diess seien, sagt er zwar nicht, und die Beispiele, die er epistola 1*);'). 4 anführt dienen kaum zur Erläuterung.*)

*) Zu der Lehre von den unendlichen ModiHcationen, über welche Erdmann. GrundbegriftV' des Spinozismus, (in Verni. Aufsätze L. 1848.) S. 141 ff u. K. Fischer 1. c. U). Cap. I, 2—4 ausführlich handeln, ist besonders auch zu verglciclu'n, wasV., 2.'>, schol. u.V., 40, schol. gesagt wird. Spinoza hezielit sich an letzterer Stelle auf 1, 21 zurück und hat. wie wir gewiss annehmen dürfen', die Sätze I., 21 23 schon mit Rück.sicht auf die Lehre von der UnsterhlichUeit der Seele, die er im 5. Theile geben wollte, geschrieben. Denn wenn die ,,idea dei in cogi- tatione" (I, 21 dem.) d. h. die Vorstellung von (iott in dem Attribut des Denkens eine ewige und unendliche Mtxlitication des göttlichen Denkens ist, so muss die Seele des Menschen, solern sie an dieser idea Theil hat nothwendig ewig sein. Daher redet denn auchSjünoza an den beiden angeführten Stellen von modis aeternis tinitis. Denn er sagt deut- lich, dass diejenige Vorstellung in (iott, welche das Wesen eines mensch- licheD Körpers unter der Form der Ewigkeit ausdrückt und darum noth- wendig zur menschlichen Seele als deren unsterblicher Theil gehöre, certus cogitandi modus sei, qui necessaric» aeternus est, und ferner V, 40 dchol. sagt er: mens nostra ([ualenus intelligit, aeternus cogitandi modus est, qui alio aeterno cogitandi modo determinatur et hie iterum ab alio et .sie in intinitum, ita ul omnes simul dei aeternum et intinituro intellectum con.stituunt. Die Erkenntniss Gottes in der menschlichen Seele, oder der Theil der menschlichen Seele, w elcher die Krkenntniss Gottes ist, ist also nicht ein wechselnder Modus, sondern ewig, soforn er ein Theil des intellectus inHintus aeternus al.so einer ewijjen und unendlichen

Moditication des Denkens ist. Vergleiche hierzu auch die um.sichtigen Be- merkungen bei Dr. Volkelt, Pantlieismus und Individualismus im System Spinoza's, Leipzig, bei A. Lorenz 1872. S. 52.

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Jedenfalls aber handelt es sich in diesen Sätzen nicht um die Einzeldinge, die eine Stufenreihe der Vollkommenheit bil- deten, je nach dem sie mehr oder weniger Mittelursachen zu ihrer Hervorbringung bedurft hätten. Von den Einzeldingen behauptet Spinoza vielmehr Eth. I, pr. 2^^, dass ein jedes derselben durch ein andres causirt werde, und dieses wieder durch ein andres und so fort ohne Ende. Keines dieser Einzeldinge ist also un- mittelbar von Gott hervorgebracht wcn-den. Von allen aber be- hauptet Spinoza (pr. 2><. schol 2.), dass sie von (iott abhängen und ohne ihn weder sein noch gedacht werden können. Seine Unterscheidung von mittelbar und unmittelbar hervorgebrachten Dingen findet also auf die Einzeldinge gar kt^ine Anwendung, ja Spinoza sagt selbst, dass Gott nicht eigentlich die entfernte Ursache der Einzeldinge genannt werden k(inne. Durch seine eignen Sätze hätte also Spinoza sich abhalten lassen sollen, zu sagen , dass ein Ding um so unvollkommener sei , je weniger es Mittelursachen bedürfe, um hervorgebracht zu werden. Es passt eine solche Unterscheidung von vollkommnen und unvoll- kommenen Dingen durchaus nicht in seine ganze sonstige An- schauung.

Ist ein Ding um so vollkommener, je mehr Realität es hat, so wird vielmehr auch das Zusammengesetztere vollkommener sein, als das durch wenige Ursachen bedingte. Einer ähnlichen Beweisführung bedient sich Spinoza auch selbst im zweiten Theile seiner Ethik vergl. bes. IL pr. 14, auch V, 7).

Ein weiterer Grund des Spinoz.'i gegen die Annahme eines Zweckes in der Natur ist dvv , dass die Lehre vom Zweck die Vollkommenheit Gottes aufhebe. Denn wenn Gott um eines Zweckes willen handle, so begehre er nothwendig etwas, dessen er entbehre (l. c. S. 2U.)).

Auch dieses Argument ist von Spinoza's eignem Stand- punkt aus als unhaltbar zu erkennen , sobald nur eine richtige Zweckdefinition angewendet wird. ,,G(dt handelt um eines Zweckes willen'' heisst ja nach unsrer Zweckerklärung nichts anderes als ,,Es giebt in Gott eine Vorstellung, welche in einem bestimmten Dinge, das er hervorbringt, zur Verwirklichung kommt. Wird nun das Dasein solcher Vorstellungen in Gott geleugnet wie es geschieht, wenn ein Hervorgehen der Dinge aus der absoluten Natur (iottes angenommen wird so wird Gott etw^as beigelegt, was eine Verneinung invcdvirt. Das heisst aber (nach pars II, praef. S. 3:U) : es wird Gott eine Unvoll- kommenheit zugeschrieben. Es findet also in Wahrheit das dem von Spinoza behaupteten entgegengesetzte Verhältniss statt. Giebt

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es in Gott unendlich viele Vorstellungen, die durch seine Macht in den Dingen zur Verwirklichung kommen, so kann darin keine Unvollkommenheit Gottes gefunden werden, sondern es besteht darin die Vollkommenheit Gottes.

Ebenso ist klar, dass der Eth. I, ;]3, schol 2. angeführte Grand nicht stichhaltig ist. Denn bei einer richtigen Definition des Zweckes ist der Zweck nicht etwas ausserhalb Gottes, son- dern eine Vorstellung in ihm , die zur Verwirklichung kommt. Insbesondere wird derjenige, der die Forderung stellt, dass alle Dinge in G(»tt zu betrachten seien, die xAIöglichkeit zu- geben müssen, dass Gott die Dinge nach Zwecken geschaffen und geordnet habe.

Nun behauptet aber Spinoza , der Zweck irgend eines na- türlichen Dinges könne gar nicht angegeben werden, ohne dass ein Schluss von dem Thun des Menschen auf das Wirken der Natur gezogen werde. Er leugnet also, dass in den Dingen selbst irgend welche Nöthigung liege, einen Zweck derselben anzunehmen und irgend welche Möglickkeit , den Zweck der- selben aus ihnen selbst zu erschliessen. Wir glauben diese Behauptung schon widerlegt zu haben in dem, was wir bei der Beurtheilung der Lehre des Spinoza über den Zweck in den menschlichen Werken gesagt haben. Wir haben da gezeigt, dass auch in dem Falle, wo wir nicht wissen, ob ein Ding ei- nen Zweck habe oder nicht, rein aus der Natnr dieses Dinge's er- kannt werden könne, dass und weh-hen Zweck es habe. Es gilt diess aber ebenso von den natürlichen Dingen wie von den menschlichen AVerken. Findet sich in irgend einem Dinge ein bestimmtes Verhalten, welclies durch mehrere Eigenschaften und Theile des Dinges bedingt wird, so muss diese gemeinsame Be- ziehung der Theile zum Ganzen auf eiiK* Ursache zurückgeführt werden kcinnen. Wird nun als solche Ur-sache eine Vorstellung Gottes, welche in dem bestimmten Verhalten des Dinges zur Verwirklicliung gekommen sei, vorausgesetzt, und lässt sich aus diesem angenommenen Zweck das Verhalten des Diuires sowie die Beziehung seiner einzelnen Theile zu diesem Verhalten er- klären, so ist in diesem Falle allerdings die Erklärung aus dem Zweck zureichend, ja, so lange keine andre Erklärung, die das Namhche ebenso gut oder noch besser leistet, angegeben werden kann, nothwendig.

Insbesondere zeigt sich deutlich , dass derjenige, welcher die kunstvolle Einrichtung der Naturorganismen aus dem Zwecke erklärt, darauf nicht durch die Unkenntniss der Ursachen, durch welche diese Kunst bedingt ist, geführt wird. Je vollkommner

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ftf It "r^K-^f ""*"''' ^'"'' ^''^^''' '«*' «n» «0 stärker Ist tui uns die Nothigung, einen Zweck des betreffenden üin-es anzunehmen Diess erhellt aus dem von uns Bemerkten. wL bei den einfaclisten raenscliliclien Werkzeugen der Zweck der- selben nicht mit voller Sicherheit aus deui Dinge aiTsich e - kanut werden kann , dagegen in den Fällen , m> viele Mittel zu dem einen Zweck erkennbar sind, wie etwa bei e ner oiu- pl.cii^e.i Maschine, der Zweck des Dinges eben desshalb um so deutlicher aus der Betrachtung des Dinges sich ergiebt, so fin! dt Zi^,"^"' , .«"'«Itniss bei der Betrachtung und Erklärung

fin,,» f , '" ^,"'^"^ f*'*"- '^^'«'- =• ^ <>''« ^^«y« betrachtet! findet allerdings, dass alle die einzelnen Vorgänge, durch weicht

lassen An r^' T' ' r*' '''™ ^'""■^'''' ^'«'' ^•"«^'kführen ^ssen^ Alle diese Ursachen aber, deren Znsammenhang die

Naturforschung erkennen lehrt, haben eine gemeinsame B^zieh-

«uI^tI -r ) ?"" **'' ^'''"'"'- ^*'^'«" gemeinsame Beziehung vP^l ,h ? ? "*''? ?'' ""■*"• •^i"'i'"''t"ns auf das (iesaramt- divif(V , ;^»^7«,fo>'le-t nun eine Erklärung. Je complicirter dieses Gesammtverhalten des Auges, je vielfacher die Verkettung

v:nvirkHc,:!';;ä^;:''™t. """ '^"'^^- ^'^"•"^■'- "• <'''"-»'-

<, .>^''"'' '^'"'""'•■' ^"n 'Iß" Anhängern der Zwecklehre sagt

li;i,;n ,;-" T'" ''•' *'""''• '^•'"" **'" •l'"' •*••"• •'«« mensch-

lichen Körpers sehen , und schliessen da.-an,. , ,lass sie die Ur- sachen so gi-osser Kunst nicht kennen, dass dieselbe nicht durch mechanische, sondern durch g.ittliche und nbeniatürliehe Kräfte gebildet worden sc,'-, so trifft diess nicht die Annahme eines ^weckes in der Natnr überhaupt, sondern nur diejenige Natur- betraehtnug. welche in einseitiger Ftetonung der Sch^fermacht

des w/ftl! r u- '■ '" ^■"""" ^'"^'"^' '"''' *"« Vermittelung nbeiSl ' ■'" '"" "' ''«'-Natur wirksamen Kräfte

Zwischen beiden weiss Spinoza nicht zu unterscheiden. So ricmig es ist dass diejenige Naturbetrachtung, welche die in

NaMin^ " " l'T' '■'•'^«""''«'•" K»"«t . wie überhaupt alle ^at.ureleg„,.sse m.d Naturerscheinungen aus einem unmittelbaren Wi ken Gotes ableitet, aus der Unkenntniss der Unsachen stammt, 0 ungerecht ist dieser Vorwurf, wenn er im Allgemeinen gegen die Annahme eines Zweckes in der Natur erhoben wird. Denn die vollkommenste Kenntniss der Ursachen der Dinge macht de Annahme eines Zweckes nicht entbehrlich, nöthigt vielmehr nur nm so stärker zu einer solchen ; hebt nicht das Staunen

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über die in den natürlichen Dingen erkennbare Kunst auf, sondern lässt diese Kunst nur um so bewundeniswerther er- scheinen.

Ebenso trifft der letzte Vorwurf, den Spinoza gegen die Lehre vom Zweck erhebt, dass sie nämlich alles Forschen nach den Ursachen der Dinge abschneide und ein Asyl der Unwissen- heit sei, nur jene populäre Naturbetiachtuiig, die um die Ver- mittelung des göttlichen Allmachtwirkens sich nicht kümmert, nicht die Annahme eines Zweckes in den natürlichen Dingen überhaupt. Wird uäinlich ein Zweck in den natürlichen Dingen angenommen, so entsteht naturgemäss das Interesse, die Mittel, welche zur Verwirklichung dieses Zweckes dienen , kennen zu lernen. Denn zur völligen Keuntniss des Zweckes gehört ja auch die Kenutn'ss der aus demselben iiervorgeheiiden Vorstell- ungen der zur Verwirklicliuug desselben führenden Mittel. Diese Mittel aber werden erkannt, sobald die Ursachen des zweck- entsprechenden Verhaltens an dem Dinge erkannt werden. Es heissen ja eben diese Ursachen Mittel, sofern sie das Verhalten des Dinges, welches als zweckentsprechend aufgefasst wird, be- dingen. Wenn also ein natürliches Ding, zu dessen Erklärung ein Zweck angenonimen wird , nach seinen Ursachen erforscht wird, so wird dadurch auch die Keuntniss des Zwecks vervoll- ständigt oder berichtigt.

Ja weiter muss gesagt werden, dass ein bestimmter Zweck eines natürlichen Dinges nur dann mit Siclierheit bezeichnet werden kann , wenn diese Ursachen bekannt t^ind. Denn nur die Beziehnng verschiinlener Ursachen auf ein bestimmtes Oe- sammtverhalten des Dinges ermöglicht es uns, den Zweck des- selben mit Sicherheit aus dem Dinge selbst zu erschliessen, wie wir ebenfalls oben gezeigt haben. Die Annahme von Zwecken in der Natur treibt also vielmehr dazu, die Ursachen der Dinge zu erforschen, um dadurch die Zweckbeziehung derselben mit Sicherheit kennen zu lernen.

Wir glauben damit hinreichend gezeigt zu haben, dass Spinozas Polemik gegen die Annahme eines Zweckes in der Natur unzulänglich ist. Seine Einwäiule beruhen theils auf einer falschen Erklärung des Zweckbegriffs, theils treffen sie nicht die Lehre vom Zweck überhaupt, sondern die populäre Betrachtung der Dinge nach ihrer Beziehung auf den mensch- lichen Nutzen und die populäre Auflassung des schöpferischen Wirkens Gottes als eines unvermittelten.

Darin liegt es begründet, dass die Ausführungen Spinoza's uns an manchen Stellen etwas oberflächlich erscheinen wollen.

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Er hat es sich mit der Lösung seiner Aufgabe nach dieser Be- ziehung zu leicht gemacht. Er beschäftigt sich eingehend mit der Widerlegung abergläubischer und thörichter Ausartungen der Zwecklehre , die unserer Zeit als kaum der Widerlegung be- dürftig erscheinen , und geht auf die Gründe , welcire für die Zwecklehre sprechen, gar nicht ein. In keiner Weise hat er insbesondre nachgewiesen , was er zur Aufrechthaltung seiner Leugnung des Zweckes nachweisen musste , dass die kunstvolle Einrichtung der Naturorganismen ohne Annahme eines Zwecks erklärt werden könne. Es fragt sich nun, ob ein solcher Nach- weis überhaupt möglich ist. Es gebührte dann dem Spinoza das Verdienst, zuerst nachdrücklich die Forderung gestellt zu haben, die dann Spätere erfüllten, zuerst das Priitcip der Na- turbetraclitung und Naturerkläruug aufgestellt zu haben, von dem aus dann Andre mehr zu leisten vermochten.

In der That ist nun die ausgesprochene Tendenz der mo- dernen Naturforschung, die Teleologie aus der Naturforschung auszuschliessen und alles was bisher als zweckmässig aufgefasst worden ist, rein aus der wirkenden Ursache zu erklären. Ge- länge ^ diess der Naturforschung und hätte sie bisher auch nui* eine Spur des W^eges aufgezeigt, der zu einem solchen Gelingen führen könnte, so würde allerdings Spinoza's Lehre eine Be- stätigung dadurch finden. So sagt v. Kirchmann 1. c. S. 43: ,,Das grosse Bedenken gegen diese Auffassung i die Leugnung der Zwecke in der Natur bei Spinoza), welches in der überaus zweckmässigen Einrichtung der Organismen z. B. des mensch- lichen Auges liegt, hat seit der Tlieorie Darwin's von der Entstehung <ler Arten und der natürlichen Züchtung sehr an Kraft verloren."

Es ist daher von nicht geringem Interesse für die Beur- theilung Spinoza's, zu untersuchen, ob die moderne Naturwissen- schaft den bei Spinoza vermissten Nachweis erbracht habe und zu erbringen überliani)t im Stande sei. Und so gestatten wir uns eine kurze Abschweifung, um zu prüfen, ob wirklich unsre Bedenken gegen di(i Leugnung des Zweckes bei Spinoza durch Darwins Theorie entkräftet werden.

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über die von den Resultaten der neueren Natur- wissenscliaft hergenommenen Argumente gegen den

Zweck in der Natur.

E3 kann nicht unsre Aufgabe sein, die Richtigkeit der Darwinschen Theorie zu prüfen, noch zu untersuchen, ob und in wie weit die durcli exacte Forschung festgestellten That- sachen derselben günstig sind oder nicht. Wir haben nur zu prüfen, ob, wenn die Richtigkeit dieser Theorie zugegeben wird, der Zweck damit aus der Natur entfernt ist, oder doch die Annahme eines Zweckes dadurch überflüssig gemacht wird. Wir reden zunächst von der Lehre , dass die verschiedenen Thier- und Pflanzengattungen aus einer geringern Zahl von vorhergehenden und diese wieder aus wenigen Urformen und diese zuletzt aus einer gemeinsamen Urmutter sich allmählig entwickelt haben und zwar so, dass jede Gattung gemäss der Veränderung der ihr gegebeneu Lebensbedingungen sich umgestaltet habe. Dieser Gedanke ist von Vielen vor Darwin ausgesprochen und ent- wickelt worden; sagt doch schon Kant, Kritik der Urtheils- kraft S. 3(K) f., naclidem er selbst die (innidzüge dieser Lehre kurz und scharf gezeichnet hat : Eine Theorie von solcher Art kann man ein gewagtes Abenteuer der Vernunft nennen und es mögen wenige, selbst von den scharfsinnigsten Naturforschern sein, denen es nicht bisweilen durch den Kopf gegangen wäre. Das Verdienst des Darwin in Beziehung auf diese Lehre liegt nicht darin, dass er sie zuerst aufgestellt, sondern darin, dass er sie in scharfsinniger und eingehender Weise begründet und Anlass dazu gegeben hat, dass im Interesse ihrer weiteren Be- grtiudung das ganze Gebiet des Naturlebens durchforscht wor- den ist.

W^elche Consequenzen ergeben sich nun , wenn die Lehre von der Entwickelung der Arten zugegeben wird, für die Zweck- lehre. Gemeinhin wird von den Anhängern dieser Lehre be- hauptet, dass durch dieselbe die Lehre vom Zweck als thörichtes Voinirtheil nachgewiesen sei. Während Kant, nachdem er die- selbe Lehre aufgestellt hat, nachweist, wie wenig aus derselben gegen den Zweck argimientirt werden kann (S. :>01— 8(J9), ist es die stete Voraussetzung der Anhänger Darwins, dass die Annahme der natürlichen Entwickelung der Arten die Annahme der zweckmässigen Einrichtung ihrer Organisation ausschliesse^

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Belege dafür beizubringen, ist wohl nicht nöthig, da ja diese Be- hauptung so oft wiederholt worden ist, als dass nicht bei einem Jeden die Bekanntschaft damit vorausgesetzt werden müsste. Man sagt : Wenn die der gegenw^ärtigen Lebensweise eines Thieres ent- sprechende Eigenthüralichkeit, seine der Erhaltung seines Lebens Y förderliche Organisation , die uns als zweckmässige Einrichtung erscheint, als durch allmählige natürliche Entwickelung hervor- gegangen sich ansehen lässt, so ist kein Grund mehr vorhanden, noch einen Zweck anzunehmen. Da nun in vielen Fällen diese natürliche Entwickelung nachgewiesen sei, so dürfe eine solche auch da, wo es noch nicht oder noch nicht völlig habe nach- gewiesen werden können, vorausgesetzt werden ; es müsse con- sequenter AVeise gefolgert werden, dass die behauptete Zweck- mässigkeit der Naturorganismen eine blos scheinbare sei und vielmehr als das Resultat einer natürlichen Entwickelung, einer Verkettung von Ursachen und Wirkungen zu betrachten sei.

Es ist diess aber ein ganz irriger Schluss. Wenn wir wirklich die Entwickelungsfähigkeit der Arten zugeben und ich wüsste in der Tliat nicht, was von teleologischer oder re- ligiöser Anschauung aus dem entgegenstände so wird damit die behauptete Zweckmässigkeit der Naturorganismen nicht auf- gegeben. Wer eine bestimmte Erscheinung, welche bisher als zweckmässige Einrichtung erschienen war, auf die natürliche Entwickelung zurückgeführt hat, hat damit noch kein Präjudiz gewonnen für die Unstatthaftigkeit jeglicher Zweckannahme. Denn in der That hat er auch bei jener bestimmten Erscheinug, die er aus natürlicher Entwickelung erklärt, den Zweck nicht weggeschaft't, sondern nur zurückgeschoben*). Ist nämlich eine bestimmte Eigentliümlichkeit eines Organisnms eine durch ver- änderte Lebensbedingungen bewirkte Umgestaltung, so setzt dies eine Entwickelungsfähigkeit des Organismus voraus, ein . Vermögen desselben , sich veränderten Lebensbedingungen an- zupassen. Diese Fähigkeit oder dieses Vermögen aber lässt

*) Anmerkung. So sagt auch Kant: Kritik der Urtheilskraft, S. 301: Der Archäolog der Natur, welcher alle Arten auf eine ge- meinsame Mutter zurückführt, „muss gleichwohl zu dem Ende dieser all- gemeinen^ Mutter eine auf alle diese Geschöpfe zweckmässig gestellte Organisation beilogen, widrigenfalls die Zweckform der Producte des Thier- und Pflanzenreichs ihrer Möglichkeit nach gar nicht zu denken ist. Alsdann aber hat er den Erklärungsgrund nur aufgeschoben und kann sich nicht anmassen, die Erzeugung jener zwei Reiche von der Bedingung der Endursachen unabhängig gemacht zu haben.

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sich aus der natürlichen Entwickelung nicht erklären, ist viel- mehr dem Zwecke der Or-anismen , ihr Leben zu eihalten entsprechend. Diese Zweckniüssi-keit verscliwindet auch nicht' wenn jede frühere Einrichtung eines Organismus als aus einer nachstyorliergehenden durch natürliche Entwickelung entstanden angesehen wird , ja selbst wenn mit Recht behauptet werden dürfte, dass der Reichthum alles organischen Lebens aus einer Urzelle hervorgegangen sei. Es würde dann derjenige Organis- mus, aus welchem die Fülle aller lebenden Wesen hervorge- gangen wäre, als in eminentem 8inne zweckentsprechend an- gesehen werden müssen, indem diesem L'rorgani.smus die Fähigkeit zugeschrieben werden müsste, sich in einer unendlichen Manig- taltigkeit zu entwickeln und unendlich vielen verschiedenen Lebensbedingungen anzupassen. Es wird indess auf empirischem Wege die Glänze der Entwickelungsfähigkeit niemals gefunden werden können, es ist vielmehr die Behauptung einer Entstehung alier Arten aus einer einzigen nur zu begründen durch Schlüsse aus der Analogie, die doch immer ti-üglich und unsicher bleiben. Wir beschränken uns darauf, festzuhalten, dass die Thatsache der Entwickelungsfähigkeit <ler Organismen überhaupt kein Ar- gument bilden kann wider die Zwecklehre. Es steht vielmehr die Zweckmässigkeit eines Organismus um so höher , je grösser seine Fähigkeit ist , veränderten Lebensbedingungen sich anzu- passen und die gewonnene Fähigkeit, unter denselben sein Leben zu erhalten, auch fortzupflanzen. Ein ähnlichss Verhältniss hndet ja auch bei denjenigen menschlichen Werken statt in denen ein bestimmter Zweck zu allseitiger Durchführung gebracht ist, wie z. B. eine l hr, die ihren Gang selbst regulirt, zweck- mässiger ist, als eine solche, die bei Veränderung der Temperatur unregelmässig oder gar nicht mehr geht.

In engem Zusammenhang mit der erwähnten Lehre von der Entstehung der Arten steht die von Darwin zuerst aufgestellte Lehre von der natürlichen Zuchtwahl und dem Kampf ums Dasein. Diese Lehre will ja nur eine Erläuterung jener ersten sein und zeigen, wie eine spätere Art aus einer früheren habe entstehen können. Wir haben nicht zu untersuchen, ob die Entstehung der Arten durch diese Lehre hinreichend erklärt wird , was ja auch von Anhängern der Entwickelungstheorie verneint wird. Wir fragen nur, ob diese Lehre ausreicht, in irgend welchem Falle diejenige Einrichtung der Organismen, die wir als zweckmässige bezeicJinen, ohne Annahme eines Zweckes zu erklären. Es wird diess von Vielen ihrer Vertreter behauptet öie erklaren solche Erscheinungen, welche dem Leben eines

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Thieres förderlich sind, daraus, dass alle diejenigen Exemplare einer Gattung, deren zufällige Eigenthümlichkeiten der Er- haltung ihres Lebens weniger förderlich waren, natürlicher Weise der Vernichtung anheim fielen, daher auch ihre Eigen- thümlichkeiten nicht fortpflanzen konnten, so dass also nur die der Erhaltung ihres Lebens förderlichen Eigenthümlichkeiten sich erhielten und in der Gattung feststehend wurden. Es wird jedoch dabei immer vorausgesetzt, dass im Laufe der Ent- wickelung einer Thiergattung immer neue Bildungsformen auf- traten , von denen die den Lebensbedingungen derselben ent- sprechenden sich erhielten. Diese neuen Bildungen, mögen sie anfänglich noch so kleine Abweichungen gewesen sein , ermög- lichen erst die Entwickelung einer Gattung zu einer ihre Erhaltung und Ausbreitung begünstigenden Eigenthümlichkeit. Besitzt also eine Gattung diese Fähigkeit, verschiedene Bildungs- yeränderungen anzunehmen, so ist eben diese Fähigkeit der Erhaltung ihres Lebens entsprechend und es wird uns diese der Gattung gegebene Fälligkeit als eine zweckmässige erscheinen können. Es wird also auch hier der Zweck nicht weggeschafft, sondern nur zurückgeschoben.

Wird nun angenommen , dass diese im Laufe der Ent- wickelung auftretenden Bildungsveränderungen ein buntes , zu- fälliges Durcheinander von lebensförderlichen und lebenöhinder- lichen Erscheinungen aufweisen und dass nur dadurch, dass die Individuen , an denen die letzteren auftreten , ausstarben , die ersteren sich dauernd erhielten, so werden dadurch diejenigen Erscheinungen , die uns am zweekinässigsten erscheinen , am wenigsten erklärt. Wer auf diesem. Wege z. B. die Entstehung des menschlichen Auges erklären wollte . würde zu den unge- heuerlichsten Aufstellungen geführt werden. Auch wenn zu- gegeben wird, dass immer die zweekinässigsten Bildungsformen durch den Kampf um das Dasein die meiste Aussicht auf Er- haltung haben, wird der Zweckbegrift' zur Erklärung der Natur- organismen nicht entbehrlich gemacht. Findet ja auch auf dem Gebiete der menschlichen Kunsterzeugnisse ein analoges Ver- hältniss statt. Es erhalten sich immer diejenigen Erfindungen und Kunsterzeugnisse, welche dem Kampf ums Dasein auf volks- wirthschaftlichem Gebiete, d. i. der Concurrenz am besten gewachsen sind. Und dennoch wird kein Mensch leugnen, dass in diesen menschlichen Kunsterzeugnissen ein Zweck zur Ver- wirklichung kommt, dass ohne schaffende Thätigkeit des mensch- lichen Geistes keine Kunst oder Industrie denkbar wäre.

Es kann endlich gegen die Zwecklehre eingewandt werden,

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dass ja in den Natnrorganismen anch solche Organe sich finden, die als völlig zwecklos, ja zweckwidrig erscheinen, nämlich die sogenannten rudimentären Organe. Es bedarf kaum der Be- merkung , dass auch durch diesen Einwand der Zweck nicht entfernt, sondern nur zurückgeschoben wird. Ist die Annahme rudimentärer Organe richtig, so ist auch ihre Bildung nicht ohne einen Zweck zu erklären, nur dass sie diesen Zweck gegenwärtig nicht erfüllen , sondern in einer früheren Gattung , aus welcher die gegenwärtige entstanden ist, erfüllt haben.

Aus dem Gesagten erhellt, dass die Gründe gegen die An- nahme eines Zweckes in der Natur, die von naturwissenschaft- licher Seite her erhoben worden , unzureichend sind. Es ist ja die Aufgabe der Naturforschung, nach den Entstehungsursachen der Naturorganismen zu fragen , und die Entwickelung der Le- bens- und liildungsformen zu erforschen. Und es wird auch der Laie auf diesem Gebiete den förderlichen Einfluss der er- wähnten Theorien auf diese F^orscliung mit Interesse verfolgen und anerkennen, dass dadurch allgemeine Gesichtspunkte für das wissenschaftliche Verständniss der Erscheinungen des Naturlebens gegeben sind. Es steht aber die Erkenntniss der natürlichen Ursachen der teleologischen Betrachtungsweise der Natur nicht entgegen, indem vielmehr der Zweck eines Dinges um so voll- kommener erkannt wird, je melir die Mittel zur Verwirklichung desselben bekannt sind. Es hat ja gewiss diese Erforschung der natürlichen Ursachen ihr selbstständiges Kecht, und es mag die Naturforschung immerhin es als eine Befreiung von ihrer un- würdigen Fesseln ansehen , dass sie nicht mehr betrieben wird im ausschliesslichen Dienste der teleologischen Betrachtungsweise. Es ist ferner richtig , dass die Naturforschung bei ihrer Be- trachtung der natürlichen Dinge die Beziehung derselben auf den Nutzen des Menschen zunächst gar nicht zu berück- sichtigen , und über die populäre Naturbetrachtung zu einer Anschauung der Natur als eines Ganzen sich zu erheben hat. Diejenigen Naturforscher aber, welche die Bekämpfung jeglicher Zweckannahme sich zur Aufgabe machen, verkennen dabei , dass die Erforschung der natürlichen Ursachen die An- nahme eines Zweckes nicht ausschliesst , sondern zu derselben nöthigt. Sie überschreiten , wo sie weitere Gründe gegen die Zwecklehre anführen , das CJebiet ihrer Wissenschaft als einer empirischen und dürfen zum Mindestens nicht im Namen der Wissenschaft gegen die Zwecklehre auftreten. Die, welche diess zu thun sich für berechtigt halten , verkennen , dass es eine

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jVissenschaft des Geistes giebt neben der Naturwissenschaft, und dass keine von beiden die andre ignoriren darf, soll sie nicht in Einseitigkeit sich versteifen.

Wir kommen zurück auf Spinoza. Nach allem bisher Ge- sagten ergiebt sich , dass seine Beweisführung gegen die An- nahme von Zwecken unzureichend ist , dass t>hne Anwendung des Zweckbegriffs weder eine zureichende Erklärung der menschlichen Werke , noch gewisser Erscheinungen in der Natur gegeben werden kann. An und für sich folgt daraus noch nicht die Berechtigung der teleologischen Weltanschauung. Es könnte immer noch gesagt werden , dass der Zweckbegriff auf einigen Gebieten des natürlichen Lebens anzuwenden, auf anderen auszuschliessen sei. Nur würde dadurch jede einheit- liche Weltanschauung zerstört. Wer, wie Spinoza, die Natur als ein Ganzes betrachtet und fordert, dass alle Dinge in Gott aufgefasst und betrachtet werden , muss entweder den Zweck allenthalben ausschliessen . was. wie wir sahen, unmöglich ist, oder allenthalben annehmen. Es ist daher allerdings berechtigt, was Spinoza tadelt, dass die Menschen immer nach dem Zwecke der Dinge forschen S. 217, Z. 19;, dass sie ferner Allgemein- begriffe annehmen. Ja, auch die Zweckbeziehung der natür- lichen Dinge auf den Nutzen des Menschen ist nicht unbedingt auszuschliessen. Falsch ist nur die Betrachtungsweise der Dinge, nach welcher ein Jeder die Dinge in Bezug auf sich selbst be- urtheilt. Berechtigt aber ist die teleologische Weltanschauung, die nicht nur nach den Zwecken der Einzeldinge, sondern auch nach der Zweckbeziehung der Dinge zu einander fragt und zu erkennen sucht , welches der höehste Zweck sei , dem alle von (iott gesetzten Zwecke dienen. Erst auf dem Grunde einer solchen Auffassung ist die Forderung Spinoza s , alle Dinge in Gott zu betrachten, recht erfüllbar. Denn, wer in den Dingen die Verwirklichung von göttlichen Zwecken zu erkennen sucht, der geht den ewigen (iottesgedanken nach . deren fortgehende Verwirklichung die Welt des Gegebenen ist. Eine solche Er- kenntniss aber wird unmöglich gemacht, sobald der Begriff des Zweckes geleugnet wird. Die Forderung, alle Dinge in Gott zu betrachten, läuft dann darauf hinaus, nichts in der Welt an sich , sondern Alles nur als eine Folge aus Gott zu be- tracliten , von allen Besonderheiten abzusehen und nur auf den gemeinsamen (4iund alles Lebens zu achten.

Ein Verständniss der Welt des Gegebenen in ihrem Zu-

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sammenhan^ und ihrer Bedingtheit von Gott kann von einer solchen Auffassung aus nicht erreicht werden. Dass auch Spi- noza es nicht vermocht hat , dass vielmehr die Ausschliessung des Zweckes ihn durchgängig gehindert hat , gemäss seiner Grundtendenz zu einem Verständniss des natürlichen und sitt- lichen Lebens und dessen Beziehung zu (iott zu gelangen, haben wir im zweiten Theile dieser Abhandlung nachzuweisen. Es wird , wenn uns dieser Nachweis gelingt, die Bestätigung von dem , was wir im ersten Theile haben nachweisen wollen, dass nämlich die Einwände gegen die Zwecklehre unhaltbar sind, sich uns ergeben, und die Lehre des Spinoza im Ganzen uns dadurch verständlicher werden.

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II. Thcil.

Die Consequenzen der Leugnuny des Zwecks im Si/stem des Spinoza.

Dass Spinoza innerhalb seines in der Ethik niedergelegten Systems nie einen (icbraucli von dem Zweckbegriff macht, ist nach dem bisher Gesagten selbstverständlich. Er selbst beruft sich, wie wir sahen, für die Leugnung des Zweckes auf einzelne Sätze seines Systems. Auch seine Beurtheiler haben wohl die Polemik ^e^^M den Zweck l)ei Spinoza aus solchen Sätzen er- klärt, etwa aus seinem Gottesbegriffe, der ein Handeln Gottes nach Zwecken ausschliesst. Wir versuchen hi»'i den umgekehr- ten Weg und wollen vielmehr zeigen, dass die Sätze seines Systems durchgängig bestimmt sind durch die Leugnung des Zweckes. *)

Die Berechtigung dazu finden wir darin, dass, wie oben bemerkt, die Leugnung dos Zwecks zu den formalen Voraus- setzungen gehört, die den Inhalt sein(U- Lehre nothwendig beein- flussen müssen, dass sie wesentlich die AVeise des Denkens und der begrifflichen Entwickelung Si)inozas bestimmt, also auf alle einzelnen Lehren ihren Einfluss üben muss.

Und so finden wir denn auch die Consequenzen der Leug-

*) Auch T r e n d e 1 e n b u r g (Logisdie Untersuchungen, 2 B. S. 40, und Historische Beiträge zur Philosophie, 2. Band; üeber Spinozas Grund- gedanken und dessen Erfolg, S. 36) sagt, dass die Aufhebung des Zweckes für Sj). die ausgedehntesten Folgen habe, die sich in seiner Lehre auch niemals verleugnen. Aber diese Aufhebung des Zweckes erscheint ihm erst als eine Folge seines Grundgedankens, den er darin findet, dass bei Spinoza Gedanke und Kraft im Grunde dieselben seien und sich nur in dem auffassenden Vertsande unterscheiden. (Spinozas Grundgedanke S. .'32 u. o5). ISo weicht auch die Aufgabe, die er in letzterer Abhand- lung sich stellt, von der unseren ab. Auch wir wollen das System des Spinoza nicht nach fremden Gewicht, sondern nach eignem Masse mes- sen, aber gehen dabei von derLeugnung des Zweckes aus, von welcher nach unsrer Meinung auch jener Grundgedanke Spinoza's beeinflusst ist,

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nun^ des Zwecks bei Spinoza nicht nnr in seiner (Jotteslelire, sondern auch in seiner Lelire vom menschliclien (leiste und vom sittlichen Leben des ^Lenschen. Auf diesen drei Gebieten, denen der wesentliclie Inhalt des in dt^Kthik entwickelten Systems zugewiesen werden kann, wollen wir den Kinfluss der Zweck- leugnung bei Spinoza nachweisen.

l. Der Einfluss der Leuj>nung des Zwecks bei Spinoza auf seine (iot teslehre.

Gemäss der sittlich religiösen l'endenz, von welcher das Denken Spinozas bestimmt ist, geht er bei der Aufstellung sei- nes Systems von dem 15egrift'(J(>ttes aus, des absolut unendlichen Wesens, ohne den kein andrer Begriff erfasst werden kann, da alle Dinge nur in (iott sind und durch ilin nnfgefasst werden können. Kr beschäftigt sich daher eingehend damit, des Da- sein Gottes nachzuweisen, und so wenig die von ihm gebrach- ten Beweise, welche alle auf den ontologischen sich zurückfüh- ren lassen, genügen kr»nnen, so steht ilim doch die (iewissheit von der Existenz (iottes so unerschütterlich fist, dass er diese sogar in den ersten Worten seiner Etliik (def. 1^ schon als bewiesen voraussetzt und die Leugming (iottes als etwas in sich widerspruchvolles ansieht. So sagt er denn auch (S. 105, Z. 9 v. u. pr.XI.schol) dass wir über keinesDingesExistenz gewisser sein können als über die Existenz des absolut unendlichen oder vollkommenen Wesens d. i. (iottes, und macht in der Entwickelung seines Systems von dem Gottesbegrift' den ausgedehntesten (iebrauch. Auch die Ethik Spinoza's, die von (iott als dem an sich Ge- wissen, alles Andere und so auch das sittliche Leben zu erken- nen strebt, verdiente wohl den Namen einer theologischen Ethik, unter dem die bedeutendste systematische Darstellung der christ- lichen Sittenlehre, die von Kothe, erschienen ist.

Die Gotteslehre Spinozas aber, so viel Gewicht er ihr bei- legt, und so viel er sich auf dieselbe im Weiteren zurückbe- zieht, ermangelt durchaus eines positiven Inhaltes. Spinoza's Ansagen über (iott beschränken sich wesentlich auf die Ver- neinung der ihm gewöhnlich beigelegten Eigenschaften und Thätigkeiten, und seine scheinbar positiven Ansagen über ihn sind nur verhüllte Negationenen. Darum ist die (iotteslehre Spinozas so schwer zu fassen, und es ist seine eigentliche Meinung darüber, was (iott sei, kaum erkennbar. ;

Spinoza nennt Gott die Substanz und zwar die einzige. \

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(Eth. I, def. 6, pr. 14 aber es ist die Detinition der Substanz auch in ihrem positiv gefassten Theile dem Sini| nacli eine Negation. Substanz ist, was nicht an einem Andern ist und nicht duicli etwas Andres autgetasst wird. Insofern Gott die Substanz ist, ist er muh causa sui, aber der Ausdruck causa sui ist nur eine i)ositive Wendung der rein negativen Bestimm- ung, dass die Substanz nicht \on etwas Anderem causirt ist. Insofern Gott Substanz ist, folgt auch ^nach Spinoza) unendlich Vieles aus der Nothwentiigkeit seiner Nntur, gerade so, wie aus einer Definition mehrere Eigenscliaften folgen, d. h. vom Ver- stände erschlossen werden. Nur in diesem Sinn nennt Spinoza Gott die wirkende Ursache aller denkbaren Dinge. Aber dabei er- klärt sich Spinoza durchaus nicht darüber, welches denn diese Natur (iottes sei, aus der alle Dinge folgen. Was er im Ein- zelnen über Gott sagt, sind eben nur Negationen. Er nennt Gott die freie Ursache, Eth. I. pr. 17, cor. II); aber er de- finirt den Begrifl' der Freiheit nur negativ. Denn wenn er sagt (def. 7 : da-^jeuigcDing heisst frei, welches aus der blosen Nothwendigkeit seiner Natur existirt und durch sich selbst zum Handeln bestimmt wird, so schlicsst er damit nur den äusseren Zwang aus. So verneint er ferner von Gott, dass ihm ein freier Wille, dass ihm der höchste Verstand zukomme (pr. 17, schol. S. 202), dass Gott in Rücksicht auf das Gute handle (I, 3o) ; verneint weiter nicht nur, dass (iott als körperlich gedacht werden, d. h. dass ihm eine begränzte Ausdehnung beigelegt werden dürfe, er wendet sich auch gegen den Begriff der Schöpf- ung, weil durch denselben die körperliche oder ausgedehnte Substanz von der göttlichen Natur ganz entfernt werde (pr. XV schol.;

So scheint Spinoza denn allerdings, indem er den Gottesbe- grifi" zu reinigen bemüht ist, vielmehr denselben zu beseitigen. Diess hält z. B. von Kirchmann (1. c S. ISO; für die eigent- liche Meinung des Spinoza und geräth in Erstaunen über die Grösse und Erhabenheit dieses von ihm dem Spinoza aufgebür- deten Gedankens. In Wahrheit hat Spinoza den Gottesbegriff als den höchsten und obersten anerkannt und nicht im Entfern- testen daran gedacht, ihn zu beseitigen.

Dass Spinoza, so nachdrücklich er den Begriff (jottes betont, durchaus nichts Positives von ihm aussagen kann, ist die unaus- bleibliche Folge davon, dass er den Zweckbegriff ais unanwendbar an- sieht. Denn wo der Zweck ausgeschlossen wird, da kann es auch keinen Willen geben, da kann auch keine den Dingen vor- hergehende Erkenntniss und eine andere kann ja in (jott seinem

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Begriffe nach nicht gegeben sein angenommen werden. (Die Beweisführung S. 2i^3, Z. 18 v. u. beniht dnreliaus auf der Vorausetzung, dass es keinen Zweck giebt. Es tallt damit wei- ter der Begrff der Freiheit und der Sehr»pfiing. Die ganze den Gottesbegriff aufzulösen scheinrnde Gotteslelire des Spinoza wird aus seiner Leugnung des Zweckes erst verständlich. An Einer Stelle ^Eth. I, pr. :i3, coroll. II, 8. 2ir)jsagt das auch Spinoza selbst, indem er als (irund dafür, dass Gott nicht unter der Rücksicht auf das (iutc handle anführt, es werde dann ein Zweck angenommen, nach welchem Gottes Wirken sich richte. (Nam hi ali<|uid extra Deum videntur ponere, quod a Deo uon dependet, ad quod Dens tanquam ad exemplar in operando atten- dit, vel ad quod tancpiam ad certum scopum collimat.)

Eine weitere Folge der Leugnung des Zweckes bei Spinoza ist die, dass er, wie sehr er diess aucli anstrebt, doch den Dua- lismus der früheren Weltanschaung, die einen schroffen Gegen- satz zwischen (Jott und Welt statuirte, nicht hat überwinden können.

In dem Streben nach Ausgleichung dieses Gegensatzes er- kennt Spinoza auch eine kcirperliclie oder ausgedehnte Substanz an oder die Ausdehnung als eines der Attribute Gottes. Er be- müht sich daher zu zeigen, dass die körperliche Substanz, so- fern sie Substanz sei, untlieilbar und unmessbar und unend- lich sei und folglich Gott zukommen könne, (pr. lö, scliol. S. 198). (Der Beweis, den Spinoza dafür giebt, ist nicht ohne Mängel und kommt eigentlich nur darauf Iiinaus, dass die kör- perliche Materie, wenn der Verstand von der Quantität und Theilbarkeit derselben, wie sie in der bildlichen Vorstellung ge- geben sei, abstrahirt, dieselbe als Substanz und als untlieilbar und unendlich auffassen kann. cf. von Kirch mann 1 c Seite 2;").) ' '

Damit ist allerdings der Gegensatz zwischen (iott und Welt aufgehoben, wie denn auch Spinoza es betont, I, pr. IS. Deus est omnium rerum causa immanens nee vero transiens. Aber es tritt an die Stelle des abgewiesenen Dualismus von (Jott und Welt sofort der Andre zwischen Ausdehnung und Denken. Von den unendlich vielen Attributen, die nach seiner Definition Gott zukonunen, behält nämlich Spinoza in Wahrheit nur zwei, die Ausdehnung und das Denken, bei. pars I i)r 14 coroll II; pars II, pr. 1 n. 2.)

W^ie er dazu kommt, spricht er nicht ausdrücklich aus; er scheint diese beiden als die einzigen für den menschlichen Geist erkennbaren zu betrachten, wiewohl er an einigen Stellen so redet, als wären noch andere Attribute angebbar. (z. B. II,

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7, schol. S. 228; «sive subalio quocunque concipiamus«, und weiter unten «et idem de allis attributis intelligo.»

Zwischen den beiden Attributen nun liisst Spinoza einen schroffen Gegensatz bestehen. Wohl nimmt er nur Eine Sub- stanz an und doch soll jedes der beiden Attribute in sich auf- gefasst werden (1. pr. 10 , beide sollen als wirklich unterschieden, d. h. eines ohne die Hülfe des Andren aufgefasst werden (I, pr. 10, schol.) Ferner soll Gott die Ursache der körperlichen Einzeldinge sein , nur sofern er unter dem Attribut der Aus- dehnung betrachtet wird , die Ursache der Einzelvorstellungen, nur sofern er unter dem Attribut des Denkens betrachtet wird (II, L. ö u. (>). Zwischen diesen beiden Causalitätsreihen soll es durchaus keinen Zusammenhang g(^ben , weder können die Vorstellungen verursacht werden durch die ihnen entsprechenden Dinge, noch die Dinge durch die Vorstellungen (III, 2.). Nur einen durchgängigen Parallelismus dieser beiden Reihen statuirt Spinoza, indem er behauptet, dass die Ordnung und Verbindung der Vorstellungen dieselbe sei, wie die Ordnung und Verbindung der Dinge (II, 7), und dass demnach Alles, was aus der Natur Gottes in Wirklichkeit folge , in derselben Ordnung und Ver- bindung aus der Vorstellung (Jottes als Gedachtes folge (II, 71, coroll). Diese Getrenntheit der beiden Attribute hält auch Spinoza , wie wir sehen werden , in seiner weiteren Lehre fest und statuirt so einen Dualismus zwischen Denken und Aus- dehnung.

Diesen Dualismus vermag Spinoza wohl zu verhüllen, aber nicht zu überwinden. Denn, was er I, 10, schol. sagt, ist gänz- lich unzureichend, und an den beiden andren Stellen, an denen er die Einheit der Substanz gegenüber der Zweiheit der Attri- bute zu wahren sucht 11, 7, schol, III, 2, schol.), setzt er sich in AViderspruch mit seinen eignen Behauptungen. Es ist in der That eine gänzlich von der sonst in seiner Ethik durch- geführten Lehre verschiedene Auffassung , wenn Spinoza II, 7, schol. sagt, dass die denkende und die ausgedehnte Substanz ein und dieselbe Substanz sei , welche bald unter diesem, bald unter jenem Attribut aufgefasst werde , und dass so auch ein Modus der Ausdehnung und die Vorstellung dieses Modus die- selbe Sache sei , aber auf zwei Weisen ausgedrückt. Es ver- steht sich dann freilich die durchgängig gleiche Ordnung und Verbindung der Dinge und der Vorstellungen ganz von selbst. Aber es widerspricht diese Auffassung den obenerwähnten Aussagen Spinozas über die Attribute und besonders dem

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Satze (Eth. I. 19): Dens sive omnia Dei attribiita sunt ae- terna*).

Eine Ueberwindunj^ dieses Dualismus , eine wirkliche Ver- oiittelunj^ zwischen dein körj)erlichen und «reisti^en Leben, kann ohne Anwendunji^ des Zweck begrift's nicht ;j:efunden werden.

Erst wenn der Zweck bej^ritt' auf das Verliältniss (iottes zur Welt anj^ewendel wird , erscheint das krnperliche Leben als die Verwirklichun«^' des jröttlidien Denkens. 80 ist dann ein Ueber^ang «gefunden von dem Attribut des Denkens zu dem der Ausdehnung und somit eine Vermittelung des körperlichen und des geistigen Lebens. Auch dann ist eine parallele Ver- bindung des körperlichen und des geistigen Lebens anzunehmen, nur dass dann, was im Vorstelbn (iottes das Frühere ist, im wirklichen Sein das Spätere sein wird und umgekehrt. S. da- rüber das oben von uns Bemerkte. Ebenso ist auch die Ver- bindung des menschlichen Geistes mit dem Körper und die Wirkung des ersteren auf den letzteren zu denken. Nur so ist die gegenseitige Beeinflussung des geistigen und des kr»rpcrlichen Lebens, wie sie thatsächlich stattfinilct. erklärbar.

Die Lehre des Spinoza von der völligen (Jetreiintheit bei- der Gebiete ist die nothwendige l\»lge von seiner Leugnung des Zweckes. Diess ist noch erkennbar aus seinen eigenen Worten, nur dass er als Folge dieser Trennung hinstellt, was in Wahr- heit die Ursache desselben ist. Er folgert nämlich aus seinem Lehrsatz II, 0, dass die Modi eines jeden Attributes Gott, nur sofern er unter diesem Attribut aufgefasst wird, als Ursache haben, in dem coroU zu II, 0, ,, dass die körperlichen Dinge nicht darum aus der göttlichen Natur folgen, weil Gott die Dinge \orher er- kannt habe." In diesen Worten leugnet also Spinoza, dass die Vorstellungen Gottes in den Dingen ihre Verwirklichung finden, d. h. er leugnet den Zweck in Gott. Da indess der Beweis von

1, lU, auf welchem II, pr. () ruht, unzureichend ist i;cf. v. Kirchmann, S. lU f.), so ist auch die in diesem Zusatz gezogene Folgerung unrichtig.

•) Es ist daher der Streit, ob die Attribute bei Soinoza als etwas wirklich in Gott Seiendes zu verstehen seien (K. Fiscner . Trendelen- burg), das der menschliche Verstand in Gott nur unterscheide , oder als etwas , das der menschliche Verstand erst an die Substanz heranbringe (Erdmann) insofern ein müssiger, als beide sich widersprechende Auf- fassungen bei Spinoza selbst sich finden ; erste rc in seiner ganzen Lehre, letztere in den beiden erwähnten Stellen (Eth. II, 7, schol. und 111,

2, schol). Das Richtige scheint uns in dieser Frage v. Kirchraann Ketrotfen zu haben (1. c. S. 54, ff., cf. auch Brasch, Spinoza's System, Berlin, 1870. S. :j8, f).

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Scheint es demnach, als ob die Gotteslehre des Spinoza ausserordentlich dürftig und unzureichend sei, so dürfen wir, um dieselbe recht zu würdigen, doch nicht übersehen, was Spi- noza, vorzüglich im 5. Theile der Ethik, über das Selbstbewusst- sein Gottes und seine intellectuelle Selbstliebe sagt. Erst durch die dahin gehörigen Sätze gewinnt der (iottesbegritl" des Spinoza einen tiefen und reichen Inhalt, erst durch sie wird seine For- derung, alle Dinge in Gott aufzulassen und Alles als allein nach den Gesetzen der göttlichen Natur geschehen zu betrach- ten, erftillbar.

Spinoza leitet zunächst aus dem Attribut des Denkens, welches er Gott beilegt^ den Satz ab, dass es in Gott noth- wendig eine Vorstellung sowohl seines Wesens als alles dessen, was aus seinem AVesen nothwendig folgt, giebt. II, 3.)

Er leitet aber aus diesem Satze, in welchem er ein Selbstbe- wusstsein Gottes statuirt, den weiteren Satz ab, dass Gott sich selbst mit einer unendlichen geistigen Lieb<' liebt (V, 35) und ferner , dass Gott , insofern er sich selbst liebt , die Menschen liebt und dass folgli<'h die Liebe (Jottes zu den Menschen und die intellectuelle Liebe der Seele zu Gott ein und dasselbe sind. (V. ;]{') Zus.)

Diese Sätze enthalten allerdings die tiefste und frucht- barste Gotteserkenntniss , und es zeigt sich in ihnen deutlich die hohe, religiöse Bedeutung des si)inozischen Systems.

Auch stehen die früheren Sätze des Sjiinoza zu ihnen nicht in unbedingtem Widerspruch. Denn wenn Spinoza sagt y. lU: ,,Wer Gott liebt, kann nicht danach streben, dass Gott ihn wieder liebe", so bezieht sich diess nach V. 17, Zus. nur auf die Liebe, welche ein Leiden, nicht ein Handeln ist. Und nur von dieser Liebe sagt Spinoza : ,,Gott liebt im eigentlichen Sinne Niemanden und hasst Niemanden, denn (Jott wird durch keinen Affect der Fröhlichkeit oder Traurigkeit erregt."

Die Bedeutung dieser Sätze kann auch dadurch nicht ab- geschwächt werden , dass man . wie z. B. von Kirchmann in seinen Erläuterungen es nicht müde wird, zu thun, darauf hin- weist, dass der Gott Spinoza's durchaus verschieden sei von dem Gott der Religionen er ist todt und kalt, er ist keine Person, er hat weder Verstand , noch Gefühl , noch Willen, er ist nur der Inbegriff der zeitlosen Einzeldinge zu einem (ianzen ver- bunden*) .

*) Auch K. Fischer erklärt, dass Spinoza Gott als vollkommen un- bestimmtes und unpersönliches Wesen aufgefasst habe. Er beruft sich dafür auf den viel citirten Satz des tO. Briefes: determinatio est ne-

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Denn eben in diesen Sätzen (V. o5 u. 36) offenbart sich die eigentlielie Meinung Spinozas , es bricht sich in ihnen die religiöse Anöchuiiun^^ Spinozas von (iott, die zufolge seiner ma- thematischen Methode und der ganzen Art seiner Entwickelung und Beweisführung nicht hatte zum Ausdruck kommen können, endlich durch . Und nichts berechtigt uns , anzunehmen , dass Spinoza in diesen Sätzen ein bloses Spiel mit Worten treibe, während seine eigentliche Tendenz sei, den Gottesbegriff eben- sowohl wie den Begriff der Liebe zu beseitigen.

Ganz richtig ist es , dass Spinoza in den Sätzen V, ;k') u. 3<) ,, seinen letzten und geheimsten Gedanken verräth " (v. Kirch- mann, S. 17S). Aber dieser CJedanke ist nicht der ,, von Hegel wieder aufgenommene , wonach (iott erst in dem Menschen wirklich wird', was Spinoza allerdings V, 40, schol. an- deutet, wenn er sagt: omnes incntes simul dei a<'ternum et infinitum intellectum constituunt (cf. II, 11. Zusatz und dazu Trendelenburg, liist. Beitr. 1. c. S. GO.. Vielmehr spricht Spinoza an der in Rede stehenden Stelle die Einheit der Liebe Gottes zu den Menschen und zu sieh selbst und der Liebe der Menschen zu ihm und die in dieser Liebe gegebene Einheit Gottes und der Mensehen aus.

gatio , den doch Spinoza seihst gar nicht auf das Wesen Gottes ange- wendet, indem er aus ihm/vielmehr nur diess ableitet, dass eine ma- thematische Figur im Verhältniss zum Baume, der integra materia, eine Negation, nicht aber etwas Positives sei. Ein unmittelbarer Schluss von diesem Satze auf die (iotteslehre S^)inozas bleibt immer etwas Missliches, und in keiner Beziehung lässt es sich rechtfertigen , wenn dieser Satz, von dem Spinoza sonst gar keinen Gebrauch macht, als oberstes Princip der Lehre des Spinoza ausgegeben wird. (Auf den Ausdruck ,,deus seu natura", den Spinoza einmal gebraucht, legt man gleichfalls ein zu grosses Gewicht, wenn man ihn bei der Darstellung der Lelire des Spi- noza als ,, Formel" gebraucht. Denn Spinoza schliesst sich, wo er die- sen Ausdruck gebraucht , ottenbar an den gewöhnlichen Sprachgebrauch an (praef. ad p. IV, S. Ö.'iO .,aeternum illud et infinitum ens, quod deum seu naturam appellamus"), daher denn auch aus demselben für die eigentliche Lehre Spinoza's nicht gar viel zu entnehmen ist.)

Aber auch, wo Spinoza (ep. 41) (iott ein ens absolute indeterminatum nennt, will er damit nicht beweisen, dass von Gott überhau})t nichts be- stimmtes ausgesagt werden könne, sondern dass ihm keinerlei Beschränkung zukomme. Damit wird nur dasjenige Selbstbewusstsein ausgeschlossen, das in der Selbstunterscheidung eines Wesens von andren ihn beschrän- kenden Wesen besteht, nicht aber ein Selbstbewusstsein, das in der Vor- stellung des Subjectes von seinem ^^'esen und dem , was aus diesem Wesen folgt , besteht. Ein solches Selbstbewusstsein schreibt aber Spi- noza ausdrücklich Gott zu. Er kommt damit ebensowenig in Wider- spruch mit sich selbst, wie darin, dass er Gott intellectuelle Selbstliebe und einen intellectus intinitus zuschreibt.

So viel ist indessen zuzugeben, dass Spinoza zu diesen Sätzen nicht durch consequente Anwendung der von ihm allein als zulässig erklärten Theorien gelangt ist. Denn der Begriff der intellectuellen Liebe, der in seinem persönlichen Bewusst- sein ihm gegenwärtig war , ist von ihm nicht in Wahrheit mit dem ihm zu Gebote stehenden r>egriffsmaterial abgeleitet wor- den. Auch der Begriff der Liebe, wie überhaupt alle sittlichen Begriffe können ohne den Begriff des Zweckes nicht abgeleitet werden. Den Nachweis dafür müssen wir uns indess an dieser Stelle noch vorbehalten.

Es ergiebt sich uns aus dem bisher Gesagten , dass durch die Leugnung des Zweckes die (iotteslehre Spinozas durchgängig beeinflusst und beeinträchtigt wird. Weil er den Zweck aus- schliesst , darum kommt er in seiner Lehre von Gott über ne- gative Bestimmungen und die Annahme einer inhaltsleeren Sub- stanz nicht hinaus und vermag die Attribute, die er der Substanz beilegt, nicht in Wahrheit aus derselben abzuleiten. Und wo er endlich seinem Gottesbegriff einen Inhalt giebt durch die Annahme einer intellectuellen Selbstliebe , die eins sei mit der Liebe zu den Menschen, da thut er diess, ohne den Begriff der Liebe vorher in irgendwie Ix^friedigender Weise erklärt oder abgeleitet zu haben.

2.) Ein f Ins s der Lengnung des Zwecks bei Spinoza auf seine Lehre vom menschlichen

Ge iste.

Der erwähnte Dualismus zwischen Denken und Ausdehnung bei Spinoza, den wir aus seiner Leugnung des Zweckes her- leiteten , tritt in seiner Lehre vom menschlichen (ieiste erst recht klaffend zu Tage.

Der Mensch besteht aus Seele und Leib ^11, 13, coroll.); Da aber die Seele ein modus des Denkens, der Leib ein modus der Ausdehnung ist , so giebt es kein Wirken des Leibes auf die Seele (111, 2. Eine Vcn-stellung in der Seele kann nur von einer andren Vorstellung verursacht werden, nicht aber von einem ihr entspreclienden Gegenstande (II, 5, 1), Ih.

Wie ist dann zu erklären, dass in der Seele Vorstellungen entstehen von dem, was im Leibe vorgeht? (II, ax. IV).

Zur Erkläning dieser Beziehung von Leib und Seele be- dient sich Spinoza einer höchst künstlichen Gonstruction (ver-

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gleiche die entsprechende [V, 1 und Beweis] zur Erklärung der Einwirkung der Seele auf den Leib.)

Er erklärt die menschliche Seele für eine Vorstellnng, de- ren Gegenstand ihr Körper sei (II, 13).

Jede Vorstellung eines wirklich existirenden Einzeldings hat nur Gott zur Ursache , sofern sie durch eine Reihe von andren Vorstellungen bedingt ist , von denen jede in derselben Art Gott zur Ursache hat (II, 1) .

Was nun im Object einer solchen Vorstellung geschieht, davon giebt es in Gott eine Vorstellung, sofern die ganze Keihe der Vorstellungen , von denen diese Vorstellunir bedingt ist , in Gott ihre Ursache hat 11, ;>. .

Weil aber die Ordnung und Verbindung der Dinge und der Vorstellungen di<»selbe ist ;1I, 7), so hat Gott von dem, was im Object einer Vorstellung geschieht, eine Kenntniss, so- fern er nur die Vorstellung eben dieses Objectes hat (II, i>, Zusatz .

Diess , angewendet auf die menschliche Seele , ergiebt die Folgerung, dass davon, was im Object der menschlichen Seele, d. h. im menschlichen Kiirper vorgeht, Gott eine Vorstellung hat, sofern er die Vorstellung dieses Körpers hat, d. h. als durch diese Vorstellung afficirt betrachtet wird II, 1:^, Beweis .

Da die Seele aber nur ein Modus des Denkens Gottes ist, so ist das Denken (Jottes, .sofern er das Wesen der mensch- lichen Seele ausdrückt, gleich dem Denken des Menschen ; und, wenn wir sagen , dass Gott , sofern er durch die Natur der menschlichen Seele erklärt wird , dieses oder jenes auffasst , so ist diess nichts andres, als wenn wir sagen, dass die mensch- liche Seele es auftasst 11, 11, CoroU . Hat also (iott, sofern er das Wesen der menschlichen Seele ausdrückt , eine Vor- stellung von dem , was im menschlichen Körper vorgeht , so heisst das nichts andres als: die menschliche Seele hat eine Voi*stellung von dem, was im menschlichen Körper vorgelit. (U, 12).

Die Seele hat also naeh Spinoza durchaus keine Kenntniss ihres Körpers , sondern nur , sofern sie als ein Modus des Denkens Gottes auch an dem Selbstbewusstsein (lottes Theil hat. Es giebt kein Wirken des menschlichen Körpers auf die mensehliche Seele . sondern beide entsprechen sich nur zufolge der durchgängig gleichen Ordnung und Verbindung der Vor- stellungen und der Dinge. Nur in Gott giebt es eine Kennt- niss von Allem , was aus seinem Wesen mit Nothwendigkeit folgt ; im Menschen nur , sofern seine Seele ein Modus des

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Denkens Gottes ist, eine Kenntniss dessen, was in seinem Kör- per vorgeht.

Diese Theorie ist v(mi Spinoza mit bewundernswerther Con- sequenz durchgeführt worden. Kr leitet alle Erkenntniss des Menschen aus den Vorstellungen der Atfectionen seines Körpers, welche die Natur der fremden uns aft'icirenden Kr>ri>er. als der Ursache dieser Aftectionen, einschlissen, ab (11. pr. 14 IG).

Er entwickelt daraus weiter seine Lehre vom bildlichen Vorstellen (pr. 17: vom menschlichen (iedächtniss (pr. 18: vom menschlichen Selbstbewustsoin 20. 21 n. 2.*»): von der ina- däquaten pr. 24 31, und der adäcjuaten Erkenntniss ab (32 40), sewievon der Vorzüglichkeit dieser adäquaten Erkenntniss gegen- über der aus verworrener, ))ildlielier Vorstellung hervorgehen- den (41 43^: endlich auch seine Lehre von der Gottes erkennt- niss des Menschen. 44 47.

Aber um diese Lehren zu beweisen, geht er durchgängig auf die Vorstellung zurück, die in Gott gegeben sei, sofern er das Wesen der menschlichen Seele ausmache. Die ganze Erkenntnisslehre des Spinoza beruht also auf dieser Theorie, die, wie wir sahen, von der Annahme einer wesentlichen Geschiedenheit des geistigen und ktu-perlichen licbens herrührt. Insofern ist auch diese Lehre des Spinoza mitbedingt durch seine Leugnu g des Zweckes in Gott. Giebt es keinen Zweck in Gott, und folgt also Alles aus der Nothwendigkeit seiner Natur, so giebt es auch keine selbst nur relativi^ Selbstständigkeit des mensch- lichen (ieistes. Die Seele des Menschen ist dann nur ein Theil des Denkens (lottes.nnd ihre Erkenntniss ein bald mehr, bald weniger vollständiges Theilnehmen an der giittlichen Er- kenntniss.

Es hat nun allerdings die Erkenntni.sslehre des Spinoza, auch abgeselien von der zur Begründung derselben angewen- deten Beweisführung, eine Bedeutung. Denn auch ohne die- selbe lassen sich manche seiner Sätze aus der Erfahrung ab- leiten. Indess auch auf denlnhalt seiner Erkenntnisslehre ist seine Leugnung des Zweckes von Einflnss gewesen, und zwar nach dieser Seite hin besonders seine Lengnnng des Zwecks im mensch- lichen Handeln,

Alles menschliehe Wissen besteht nach Spinoza nur in Vorstellungen, welche diee Erregungen des Körpers begleiten und nothwendig im Menschen entstehen. Auch die Unterscheidung der adäquaten von der confusen Erkenntniss führt nicht weiter, da erstere nur in einer nndern Auffassung und Beziehung der von den körperlichen AfTectionen herrührenden Vorstellungen,

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aber nicht in einer wirkluhfii Berichtigung oder Erweiter- ung derselben besteht.

Darüber hinaus kann Spinoza nicht kommen, weil er das Wissen nicht als das Ziel des menschlichen Erkenntnissvermögens und Erkenntnissstrebcns ansehen kann, worin ja eine Anerken- nung des Zwc«*kes läge. So bleiben trotz mancher wahren, und für die spätere Kntwickchin«:: der Erkenntnisslehre bedeutsam- men Bemerkunjr die Ausführungen des Spinoza ungenügend.

Die Leugnung des Zweckes hat aber nocli in andrer Be- ziehung KinHuss auf die Lehre des Spinoza vom menschlichen Geiste geübt. Wie wir sahen, leugnet Spinoza den Zweck auch im menschlichen Handeln. Es findet dies seinen Ausdruück auch innerhalb des Systems Spinozas.

Dass der Mensch keinen Zweck hab<'n kcinne d. h. da.ss er nicht die Fähigkeit habe, seinen Vorstellungen eine äussere Ver- wirklichung zu geben, ist mit ausgesprochen in dem ganz all- gemein ausgedrückten Lehrsatz III, '2 ; «Weder kann der Kör- per die Seele zum Denken, noch die Seele den Ivirper zur Be- wegung oder Kidie oder sonst etwas beistimmen». Auch dieser Lehi*satz ist eine selbstverständliche Folge der von Spinoza an- genommenen (Jetrenntheit der beiden Attribute (iottes. aus wel- cher auch Spinoza den Beweis dafür herleitet. Dass der Kör- per die Seele nicht zum Denken bestimmen kr>nne dass es also keine Wirkung des Krtrjiers auf die Seele gebe, ist, wenn auch von Spinoza bis dahin nicht so deutlich ausgesprochen, doch als Voraussetzung bei der Beweisführung der meisten Ijchrsätze des zweiten Theils mitenthalten. Nur sahen wir dabei, dass Spinoza, indem er durchgängig auf das DenkenClottes zurückgeht, den- noch ein mittelbares Wirken der körperlichen Atfectionen auf die Seele offm lässt und daraus die menschliche Erkenntniss ableitet.

Das Wirken der Seele auf den Körper kann Spinoza ebenso- wenig völlig auschliessen, wi«' das Wirken des Körpers auf die Seele, n. aus Lehrsatz V, 1 und 10 sehen wir. wie er eben- falls unter Berufung auf die diirchgängige gleich<'Ordnung und Ver- bindung der Dinge und der Vorstellungen allerdings auch ein Wirken der Seele auf die kr>rperlich('n .Vtfectiouen zulässt.

Dennoch leitet Spinoza aus dem Satze III, - ohne Berück- sichtigung jener Sätze des r)ten Theils Folgerungen ab. Er wendet sich in der Erklärung zu diesem Satze ausdrücklich gegen die allgemein festgehaltene Annahme, dass »der Kr»rper auf den blossen Wink der Seele bald bewegt werde, bald ruhe und sehr Vieles handle, was von dem blosen Willen der Seele

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und ihrer Kraft des Denkens abhänge,« ja er erklärt es für durchaus falsch zu sagen, dass diese oder jene Handlung des Körpers von der Seele ausgehe, welche Herrschaft über den Körper habe. BenK'rkenswertli ist hierbei, und wir führen diess zur Bestätigung des von uns oben bemerkten an, mit welcher Bestimmtheit sich Spinozn dessen bewusst ist, dass seine Leugnung des Zwecks in der Natur und im menschlichen Handeln zusammen stehen und fallen. Denn er argumentirt aus der Leugnung des Zwecks in der Natur gegen die Annahme eines solchen im (Jehicte des mcnschliclifn Handelns. Es zeige ja die Erfahrung, dass nacli den hlosen (iesetzen der Natur sehr Vieles gesche, wo\on man nimm<'r geglaubt hätte, dass es anders geschehen könne als durch die Leitung der Seele. Er beruft sich dafür auf den Bau des menschliclien Körpers, der au kunstvoller Einrichtung Alles bei Weittni übertreffe, was menschliche Kunst gefertigt habe.

Selbstverständlich kann dieser (Jrund nur für diejenigen Beweiskraft haben, die schon vorher überzeugt sind, dass es keine Zweckmässigkeit in den Naturorganismen giebt. Ebenso- wenig kann auch Spinoza aus unsrer Ünkenntniss der Uesetze des körperlichen Lebens den Beweis dafür ableiten, dass das- selbe von der Seele beeinflusst werde, (cf. hierzu auch von Kirchmann. S. 85.)

Wenn Spinoza aus dem Lehrsatz HI, 2 folgert, dass es überhaupt keiiieo Einfiuss des Geistes auf die menschlichen Handinngen gebe, also auch keine Freiheit des Willens, keine Zwecke u. s. w. .so ist diese Folgerung allerdings logisch rich- tig, Aber da nacli V, 1 u. 10 es doch eine Wirkung der Seele auf die körperlichen Aft'ectionen giebt, so verliert der Lehrsatz HI 2 seine Bedeutung, uiul die aus ihm gezogenen Folgerungen werden hinfällig.

Hier zeigt sich deutlich der Einfiuss der Leugnung des Zweckes auf die ganze Gedankenentwickelung des Spinoza. Hätte ihm diess nicht von vornherein festgestanden, dass es keinen Zweck, und folglich auch keinen Willen gebe, so würde er auch die erwähnten Folgerungen aus III, 2 zu ziehen Be- denken getragen haben.

Die Leugnung des Zwecks ist weiter von Einfiuss auf seine Lehre von den Affecten. Wie es nach ihm keine Freiheit des Willens giebt. so auch keine Freiheit des Erkennens, Zustim-

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mens, Begelirens , Liebcü.-. <•(«•. 11, 4S, sphol*^ Vielmehr folgen nach ihm alle Affeete des Menschen in sich betrachtet aus der- ßelben Xothvvendigkeit und Macht der Natur, wie alles Uebrige. Demnach leitet denn auch Spinoza alle Aflecte mit consequenter F^ernhaltung des Zweckbegriffs allein aus der Natur des Men- schen ab. Er bestinmit sie als körperliche Erregungen, und, so- fern sie sich auf die 8eeh^ beziehen, als Vor'.tellungen dieser Erregungen. D^n Einfluss der8eele auf den Körper lä.sst er dabei noch vcillig unberticksichtigt. Auf den Inhalt seiner Lehre von denAffecten, in.soweit sie das sittliche Leben des Menschen be- trifft, werden wir erst später einzugehen haben.

Aus dem bisher (Jesagten ergiebt sich, wie die Lehre des .Spinoza vom menschlichen (leiste durchgängig von seiner Leug- nung des Zweckes beinflusst ist. Wie ei* in Folge .seiner eigen- thfimlichen und, wie wir nachgewiesen, von der Leugnung des Zweckes mitbestimmten .Vnnahme einer durchgängigen Geschie- denheit der bei<len Attribute Gottes das Wesen der Seele nur als Vorstellung ihres Körpers zu erklären \ ermag und damit die Selbständigkeit der menschlichen Seele aufhebt, so vermag er auch von den Kräften der Seele keine befriedigende Erklärung zu geben. Denn, indem er den Zweck auch im Bereich des menschlichen Thuns leugnet, so kann er auch weder das Eigen- thtimliche des menschlichen Erkenntnissvermögens noch des menschlichen Willens bestimmen.

Die Bedeutung der Lehre des Spinoza von der menschli- chen Seele besteht wesentlich in der bei allen seinen Aus- führungen festgehaltenen religiösen Betrachtungsweise. Denn als einen Theil des gr>ttlichen intellectus fasst er die mensch- liehe Seele auf. in der Beziehung der V(»rstellungen auf Gott sieht er die wahre Erkenntniss. und. wo er die menschliche Frei- heit leugnet, will er die göttliche Macht betonen. Die Schwäche seiner Lehre aber liegt in der Leugnung des Zweckes, durch welche alle Selbständigkeit des Menschen aufgehoben und das Verständniss seines unterscheidenden Wesens ausgeschlossen wird.

*) Die in L.48 geleugnete Freiheit des Willens bezieht sich auf die Fähigkeit des Menschen, nach welcher er bejaht oder verneint, was wahr und was falsch sei, also auf die Fähigkeit, einer Erkenntniss zu- zustimmen und ilirerfjewiss zu sein. Daher identiticirt er (11,49, coroU.) den Willen mit der Erkenntniss, sofern in den Vorstellungen selbst das Kriterium ihrer Wahrheit gegeben sei. Von dieser Detinition des Wil- lens aber, die von der im Sprachgebrauch bejfründeten so gänzlich ab- weicht, macht er keinen weiteren Gebrauch und giebt 111, 1), schol. eine davon abweichende u. dem Sprachgebrauch näherstehende/

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3. Einfluss der Leugnung des Zweckes bei

Spinoza auf seine Lehre vom sittlichen

Leben des Menschen.

Um die sittliche Qualität der menschlichen Handlungen und Bestrebungen zu beurtheilen, kann entweder geachtet werden auf den Zweck derselben oder auf die sie bedin<2:enden Ursachen. Wird der Zweck als das die sittliche Qualität der Handlungen und Bestrebungen Ausmachende angesehen, so muss zwischen solchen Zwecken, auf welche die sittlich richtigen Handlungen und Bestrebungen sich beziehen, und solchen, auf welche die sittlich unrichtigen sich beziehen, unterschieden werden. Es muss also eine Vorstellung angenommen werden, welche allen den Zweckvorstellungen, auf welclie sich die sittlich richtigen Handlungen beziehen, gemeinsam ist, und diese ist die Vor- stellung des sittlich (Juten; und eine solche, die den Zweck- vorstellungen, auf welche sich die sittlich unrichtigen Hand- lungen beziehen, gemeinsam ist, und diese ist die Vorstell- ung des sittlich Bösen, wobei es dahingestellt bleibt, ob letztere einen positiven od(U- nur negativen Inhalt hat. Die Begriffe des sittlich Guten und sittlich r)ösen entstehen also durch die Annahme eines Zweckes bei d<'n Handlungen der Menschen.

Da nun Spinoza diese Annahme verwirft, so tolgt daraus, dass er die Begriffe des sittlicli (Juten u. sittlich Bösen nicht aufneh- menkann. Und darin bestellt zunächst der Einfluss seiner Leugnung des Zweckes auf seine lielirc vom sittlichen Leben des Menschen, dass ihm die Begrifte des sittlich (iuten und Bösen ver- schwinden.

Andeutungsweise redet davon Spinoza schon in dem mehr- erwähnten Anhang zum 1. Theil der Ethik, wo er unter an- dern ^'praejudiciis« auch von den Begrißen des Guten und Schlechten redet. Indess bleibt es an dieser Stelle unbestimmt, ob Spinoza auch die Begrifte des sittlich Guten und Bösen aus- schliessen will. Deutlich erhellt es aber aus Hl, 1>, cor., dass Spinoza den Begrift* des sittlich (Juten verwirft.

Dort sagt er, dass wir nichts erstreben, wollen, begehren oder wünschen, weil wir es für gut halten, sondern dass wir im Gegentheil desshalb etwas für gut halten, weil wir es er- streben, w^oUen, begehren, oder wünschen ; und (nach III. oV>, schol.) für böse, weil wir es verabscheuen. Die Begriffe gut und böse sind also blos relative Begriffe. Sie bezeichnen nichts Positives in den Dingen, sofern diese nämlich an sich betrachtet werden,

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und sind nur Begi'iffe, die wir dadurch bilden, dass wir die Dinge mit einander vergleichen. Denn eine und dieselbe Sache kann zu einer und derselben Zeit gut und schleclit oder auch gleichgültig sein. Z. B. ist die Musik dem Melancholischen gut, dem Trauernden schlecht, dem Tauben aber weder gut noch schlecht, (praef. ad pt IV, S. I^'il.) Daher beurtheilt oder schätzt ein Jeder nach seinem Affecte, was gut, was schlecht, was besser, was schlechter, und was endlich das beste oder was das schlechteste sei. So liält der (Jeizige eine Menge Geld für das Beste , den Mangel desselben aber für das Schlechteste u. s. w.

Für Spinoza ist also der Begrift* des Outen gleicli dem Be- griff des Nützlichen (uler Zuträglichen. Die Vorstellung des sittlich Unten, die er ja auch in seiner (lotteslehre verwirft, giebt es für ihn nicht, also auch kein Handeln um des Guten willen, wie überhaupt kein auf einen Zweck gerichtetes Handeln.

Spinoza betrachtet als(> die Handlungen, Kmplindungen und Bestrebungen der Menschen nur nach ilen Ursachen, aus denen sie hervorgehen. Wie ist aber dann eine Unterscheidung und Beurtheilnng derselben nach ihrer sittlichen Qualität, die doch die ganze Tendenz und Anlage seines Syr>tems fordert, möglich? In der Verschiedenheit der Eigenart der Mens<hen scheint sie nicht gefunden werden zu können, da alle Mensehen modi (Jottcs sind und ihr Thun und Denken aus der Natur Gottes folgt. Und in der That schliesst die Darstellung des Spinoza zunächst eine solche Unterscheidung vrdlig aus. Wie; schon bemerkt, folgen mu'h ihm die Affecte, in sich betrachtet, aus eben der- selben Nothwendigkeit der Natur, wie nlles Uebrige. (IV, praef. S. 271). Er hält es für falsch, dieselben zu beweinen, zu be- lachen, zu verachten oder zu verabseheuen, und will vielmehr die menschlichen Handlungen und Begehrungen gerade so be- trachten, als ob von i^inien. Ebenen oderKörpern die Rede wäre. So scheint er den sittlichen Unterschid zwischen Hass und Neid u. s. w. auf der einen. Liebe und Mitleid auf der andern Seite, ganz zu verneinen und keine andre Triebfeder der menschlichen Handlungen, als die S'dbstsucht anzuerkennen, weil er ja aus dieser das sittlich Gute, wie das sittlich Böse, wie endlich das an sich sittlich Indifferente herleitet. Ehe wir nun die Frage erörtern, auf welchem Wege Spinoza dennoch zur Ableitung sittlicher Vorschriften von seinen Voraussetzungen aus kommt, und welches sein Princip des Sittlichen ist, müssen wir wenigstens in soweit auf den Inhalt seiner Lehre von den

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Affecten eingehen, als die uns gestellte Aufgabe, den Einfluss der Leugnuug des Zwecks auf die Lehre des Spinoza nachzu- weisen, erfordert.

Spinoza nimmt o Grundaffecte an, aus denen er alle üb- rigen herleitet, die Begierde, die Fröhlichkeit und die Trau- rigkeit (III, 11, schol.). Diese drei Grundaffecte folgen unmittel- bar aus der Natur des Menschen. Denn jedes Ding strebt, so- weit es in sich ist, in seinem Sein zu beharren (III, ()) und in diesem Streben besteht die Macht oder das Wesen der Dinge. (Beides, Maeht und Wesen, sind ja, wie in Gott (I, 31), so auch in den Einzeldingen , als dessen Modificationen , identisch.)

In diesem Streben besteht also auch das Wesen des Men- schen (III, il) und sofern er sich dessen bewusst ist, nennt Spinoza dieses Streben Begierde. Nun wird aber der Körper des Menschen in vielfacher Weise afficirt durch andere Kör- per. Sofern nun dadurch die Kraft des Körpers vermehrt oder gefördert wird, wird auch die Kraft der Seele dadurch ver- mehrt oder gefördert. Diesen Uebergang der Seele zu grösserer Vollkommenheit bezeichnet Spinoza als den Affect der Fröh- lichkeit, und den entgegengesetzten als den Affect der Traurigkeit. Ein solcher Affect des Menschen aber ist nach U, 17 von einer bildliehen Vorstellung des äuseren Körpers, der ihn vci-ursacht, begleitet. Die Seele wird also danach streben, soviel sie kann, diejenigen Dinge sich bildlich vorzustel- len, welche sie mit dem Atlect der Fröhlichkeit afficiren.

Dieses Streben der Seele sich etwas bildlich vorzustel- len, weil es die Kraft ihres Körpers zu handeln und darum ihre eigene Kraft zu denken befördert und vermehrt, geht also hervor aus einem Affect der Fröhlichkeit, der von der bildlichn Vorstellung der äussern Ursache derselben begleitet ist. Daher nennt Spinoza diesen xVffectLiebe. Liebe ist ihm die Fröhlich- keit, begleitet von der Vorstellung einer äusseren Ursache. (III 13, schol.) In genau dem entsprechender Weise leitet er auch den Affect des Hasses ab.

Hier bleiben wir einen Augenblick stehen, um die Rich- tigkeit der Entwickelung des Spinoza zu prüfen. Offenbar ver- wechselt Spinoza in dieser Definiton der Liebe das Wesen der Liebe mit einer möglichen Ursache derselben. Aus einer Fröhlichkeit, die begleitet ist von einer bildlichen Vorstellung der äussern Ursache derselben, kann wohl einem Streben her- vorgehen, diese äussere Ursache soviel als möglich sich vor-

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anstellen und, was Spinoza weiter daraus ableitet, sie gegen- wärtig zu liaben und zu bewahren u. s. w.

Aber erst dieses Streben maclit die Liebe aus, jene von einer bildliclien Vorstellun«r ibrer Ursache begleitete Fröhlich- keit ist noch nicht Liebe, sondern kann nur eine Ursache der- selben werden.

Auch was Spinoza IUI, äff. def. c. VL S. :J11I) zur Ver- theidigung seiner Definition sagt, indem er zwischen der essen- tia und proprietas unterscheidet, beweist dagegen nichts. Nur wird daraus deutlich, wie die Definition der Liebe, welche Spinoza giebt, wiederum becinflusst ist durch seine Leugnung des Zweckes. Denn auch b<'i der Bestimmung der proprietas der Liebe sucht er den Willen, weil dieser nur durch den Zweck zu erklären ist, fern zu halten und gesteht nur eine acquiescen- tia, quae est in amante (»b rei amatae praesentiam zu.

Es wird aber damit das Wesen der Liebe nicht erklärt. Liebe ist nicht allein das Snchen des Eigenen im Andern oder das Streben, den Andern zu erhalten, als Streben, sich selbst zu erhalten, sondern ist ebenso das Streben aufzugehen im Andern, das Sich-selbst- Aufgeben um des Andern willen. Wir ver- suchen niclit das Wesen der Liebe an dieser Stelle näher zu erörtern, behaujjten auch nicht, dass durch Annahme des Zweckes unmitlelbar das Verständniss des Hegriffs der Liebe gegeben sei, aber das sehen wir aus vSpinozas Entwickelnng. dass ohne den Zweck eine Bestimmung des Wesens der Liebt- unmöglich ist.

Wenn wir aber die Begriffsbestimmung der Liebe, die Spinoza giebt, für unzureichend halten, S(> meinen wir darum nicht, dass überall wo Spinoza von Liebe redet, nur an jenes selbstsüchtige Suchen des eigenen Nutzens zu denken sei, wel- ches in der That, auch wo r'in Streben des Andern zu erhalten daraus hervorgeht, des Namens der Liebe nicht werth ist. Dass Spinoza gewusst hat, was sell^stlose, hingebende Liebe ist, be- weist sein Leben, wie seine weitere Ausführung. Nur begriff- lich das Wesen der Liebe zu erfassen ist ihm unmöglieh ge- wesen, wie wenig er auch selbst bei seinem vrdligen Vertrauen auf die Untrüglichkeit seiner Methode sich dessen bewusst ge- worden ist. Sein Begriffsapparat war zu dürftig, seine formalen Voraussetzungen waren zu mangelhaft dazu.

Freilich übt diess auch Eintluss aus auf den Inhalt seiner Lehre, nicht aber einen solchen, dass er die Wirklichkeit des sittlichen Lebens und der ewigen Gesetze desselben hätte auf- heben wollen. Wir werden im Weiteren darauf zurückkom-

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man müssen und nehmen den Faden der Entwickelnng an der Stelle, wo wir ihn fallen gelassen haben, wieder auf.

Die Affecte der Fröhlichkeit und Traurigkeit, der Liebe und des Hasses gehen, wie wir sahen, nach Spinoza aus den Affectionen unseres Körpers, die seine Macht zu handeln und darum die Macht der Seele zu denken entweder befördern oder hemmen, hervor. Ans diesen leitet Spinoza alle übrigen Affecte ab. Sie sind entweder xVrten der Liebe und des Hasses, wie die Sympathie und Antipathie, Gunst und Erbitterung, oder Arten der Fröhlichkeit und Traurigkeit, wie die Hoffnung und Furcht, Zuversicht und Verzweiflung, oder Arten der Begierden, wie Wohlwollen Ehrgeiz und Nacheiferung, oder Zusammen- setzungen verschiedner Affecte, wie die Eifei sucht.

Gegen die Kichtigkeit dieser Ableitung wird im Allge- meinen nichts einzuwenden sein, wenn auch Spinoza in seinen Definitionen öfters unnötliig vom Sprachgebrauch abweicht (z. B. def. 17, S. l\2\). Auf eine Prüfung derselben brauchen wir da- her auch nicht einzugehen und erkennen die Consequenz an, mit welcher Spinoza alle .Vffecte, die wir sonst nur nach ihrem sittlichen Werthe zu beurtheilen pflegen, als natürliche Folgen der menschlichen Natur betrachtet.

Sehen wir nun weiter, in welcher Weisse er dennoch eine Unterscheidung derselben nach ihrem sittlichen Werthe ermög- licht. Diess geschieht in dem 4. Theile der Ethik. Er ver- spricht in der Vorrede derselben, die Ursachen davon zu zeigen, dass der den Leidenschaften unterworfene Mensch nicht seiner selbst Herr, sondern dem Schicksal unterworfen sei, so dass er oftmals gezwungen sei, obwohl er das Bessere einsehe, doch dem Schich- tern zu folgen, und verspricht ferner zu zeigen, was die Affecte ausserdem Gutes und Böses haben.

Zunächst beschäftigt sich also Spinoza damit, nachzuwei- sen, dass, obwohl allen Menschen die Begierde innewohne, in ihrem Sein zu beharren, doch die Kraft dazu beschränkt sei, und von der Macht äusserer Ursachen unendlich übertroften werde, dass ferner die Begierden, die aus wahrer Erkenntniss des Guten ent- stehen, durch viele andere Begierden, die aus bildlicher Vor- stellung desselben entstehen, gehemmt werden, dass also der Meuj^ch, sofern er den Begierden unterworfen ist, vielfach nicht das, was für ihn gut ist. erstrebe. Wenn schon in diesen Sätzen zwischen s(>lchen Aftecten, die aus wahrer Erkenntniss des Guten hervorgehen, und sedchen, durch welche diese gehemmt werden, unterschieden wird, so betrifft doch diese Unterscheid- ung noch niclit eigentlich ihren sittlichen Werth; denn unter

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dem Guten ist ja immer nur das dem Einzelnen Nützliche ver- standen .

Worin nun das sittlich Richtige besteht, versucht Spinoza erst von IV, 18, schol. an zu zeigen, indem er ausführt, was die Vernunft uns vorschreibe, und welclie Affecte mit den Regeln der Vernunft übereinstimmen, welche aber ihm entgegen sind (IV, 18, schol).

Er nennt selbst als das erste und einzige Princip der Tu- gend das Streben des Einzelnen, sich selbst zu erhalten, weil kein anderes Princip früher als dieses gedacht werden könne und ohne dieses keine Tugend gedacht werden könne. {IV, 22 , coroll.) Er sagt, dass Jeder um so tugenhafte sei, je mehr er danach strebe und diess vermöge, seinen Nutzen zu suchen oder sein Sein zu erlialteu (IV, 20.)

Er schreibt dieses Vermögen aber nur demjenigen zu, welcher Erkenntniss habe (IV, 2)) u. 24), und bestimmt daher das Nütz- liche näher als das, was zur Erkenntniss beitrage, (IV, 2<)u. 27.) und das Streben sein Sein zu erhalten als das Streben nach Erkenntniss (IV, 20, dem.), demnach als das höchste Gut der Seele die Erkenntniss Gottes, und so auch als die höchste Tugend dasErkennen Gottes (IV, 28.) Demnach sei auch das höchste Gutder Tugendhaften Allen gemeinsam. (o(3)

Ferner sei von den Einzeklingen ein jedes um so nütz- licher, je mehr es mit mit unserer Natur übereinstimme. (IV 29 31, bes.ol, coroll.) Die Menschen aber, sofern, sie tugend- haft sind, können sich nicht entgegen, sein, sondern stimmen dann immer mit einander überein (I, 35), daher strebt der Tugend- hafte zu bewirken, dass die andern Menschen auch tugendhaft seien und wünscht das was, ihm nützlich ist. auch den Ueb- rigen. (IV, 37) Endlich sei dasjenige nützlicli, was bewirke, dass die Menschen einträchtig leben. (IV, 40.)

Nach diesen Grudsätzen beurtheilt nun Spinoza denWerth der einzelnen Aflecte (IV, 41 73.) Aus diesen Sätzen ist also zu beurtheilen, welches Princip des Sittlichen Spinoza hat.

Es zeigt sich da deutlich, dass, wenn Spinoza sagt, das erste und einzige Princip der Tugend sei das Streben sich selbst zu erhalten und den eigenen Nutzen zu suchen, diess nach seinen eigenen Aufstellungen nicht zureichend ist. Denn die- ses Streben liegt nach ihm ebenso den richtigen, wie den sittlich falschen Handlungen zu Grunde. Um eine Unterscheidung zwischen beiden einzuführen, bedarf Spinoza eines neuen Prin- cips. Und diess ist ihm die Erkenntniss, wie er denn auch

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deutlich sagt (IV, 26, Bew.) : «Hie intelligendi conatus primum et unicum virtutis fundamentum est, und vorher (IV, 23) : Von dem Mensclitn kann nur insofern schlechtliin gesagt werden, dass er aus der Tugend handle, sofern er erkennt oder adäquate Vorstellungen hat.

Das Princip des Sittlichen bei Spinoza ist also nicht schlechthin das Streben des Einzelnen sich selbst zu erhalten, sondern das Streben des Erkennenden sich selbst zu erhalten, oder das Streben des Menschen, sich, sofern er adäquate Ideen hat, selbst zu erhalten. Vergleiche hierzu auch App. ad IV. pt. 2 u. 3.)

Wir müssen nun, um die Bedeutung der Erkenntniss als sittlichen Prineipes bei Spinoza recht zu verstehen, auf seine im zweiten Theile der Ethik gegebene Erkenntnisslehre zu- rückgreifen.

Alle Erkenntniss entsteht nach Spinoza aus den Affectio- nen des Körpers, denen Vorstellungen dieser Affectionen in der Seele entspreehen. (II, V,), 2)J, 2C}). Diese Vorstellungen schliessen nämlich die Natur des äusseren Körpers, der ihre Ursache ist, ebensowohl ein als die Natur unseres Körpers. (II, IG) Sie sind darum, obwohl sie aus der unendlichen Macht Gottes zu denken, folgen, also in Gott adäiiuate Vorstellungen sind doch im Mens<'hen indäquat, sofern sie nicht ihrer Totali- tät nach sondern nur einem Theile nach auf den menschlichen Körper sieh beziehen, also nur einem Theile nach die mensch- liche Seele ausmachen (II, 2;")). Solche Vorstellungen also ge- hören dem Menschen nicht allein zu, sondern müssen erklärt werden sowohl aus der Natur des menschlichen, als auch des ihn von aussen afficirenden Körpers. Was aus ihnen folgt, folgt also nicht allein aus der Natur der menschlichen Seele. In diesen Vorstellungen besteht die Meinung oder Imagination. (II, 27, schol.)

Verschieden von ihr ist die Erkenntniss. Sie besteht aus den adäquaten Ideen. Solehe adäcjuate Ideen folgen aus der unend- lichen Macht (iottes, insofern sie ihrer Totalität nach auf den mensch- lichen Körpersich beziehen, und zu ihrer Erklärung keines äussern Körpers bedürfen . Solche adäquate Ideen machen also einen Theil der menschlichen Seele aus, und. was aus ihnen folgt, folgt aus der Natur der menschliclien Seele allein . Solche adäquate Voi*stellungen giebt es in der menschlichen Seele von dem, was dem menschlichen Körper mit dem ihn afficirenden Körper gemeinsam ist (II, 38u. 39), und da-

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her am sichersten von Gott, der das gemeinsame Wesen aller Ein- zeldinge ist. (46 n. 47.^

Wir sehen, wie diese Erkenntnisslehre des Spinozivon der wir ja oben bemerlvt haben, wie wenig sie das Wesen der menschlichen Erkenntniss erklärt, doch völlig seine Lehre vom Sittlichen vorbereitet. Spinoza scheint bei den Sätzen des zweiten Theiles die im 4. Tlieile daraus abzuleitenden Folgen schon klar sich vorgestellt zu haben.

Da die Erkenntniss in den adiüiuaten Vorstellungen besteht, so folgt klar, dass nur, was in der menschlichen Seele aus der Erkenntniss folgt, aus dem Wesen der Seele an sich folgt d. h., -wenn die Definitionen Spinozas III, 1 u. 2 zugegeben werden, dass die menschliche Seele nur davon die adäquate Ursache ist, was aus ihrer Erknnntniss folgt, dass sie nur dann handelt, wenn etwas aus ihrer Erk<Mmtniss folgt. Besonders deutlich spricht sich Spinoza darüber aus: App. ad pt. IV, 1— o.

Je ungenügender seine Definition der Erkenntniss ist, um das Erkenntnissvermögen des Menschen und sein Streben nach Er- kentniss zu erklären, desto geeigneter ist sie, um die Erkennt- niss als Princip des Sittlichen aufzustellen. Denn, was Spinoza Erkenntniss nennt, ist nur eine Art der Aumissung der Dinge und zwar diejenige, welche das ihnen Gemeinsam und als letzten Grund derselben, das ihnen allen gemeinsame göttliche We- sen betrachtet. Was er Erkenntniss nennt, ist die (iesinnung und liichtung des (Jeistes, nach welcher der Einzelne sich selbst und alle Dinge nicht als Einzelwesen, sondern als Wesen von gemeinsamer Natur und in letzter Linie als in (lott ihr Wesen habend betrachtet, also ein selbstloses Sich- Eins- Wissen und Leben mit und im Allgemeinen und Göttlichen.

Wenn nun Spinoza als Princip des Sittlichen das Streben des Menschen, sich, sofern er diese Gesinnung hat, selbst zu er- halten, und das für sich Nützliche zu suchen, aufstellt, so meint er damit nicht das, was gewöhnlich unter Streben nach dem eigenen Nutzen verstanden wird, ja auch nicht einmal das Streben nach dem, was einem Vernünftigen als das Nützlichste für sich selbst erscheint, sondern das Streben des Menschen, sich m dieser (Besinnung d. h. in der Erkenntniss zu erhalten (cf IV.2t), Tract. theol. pol, IV, 10 : Quummeliorpars nostri sit lutellectus, certum est, si nostrum utile revera quaerere ve- limus, nos supra omnia debere conari ut eum, (luantum fiori po- test, perficiamus etc.) und folglich sich in derselben zu be- thätigen.

Spinozas Princip des Sittlichen ist nichts weniger als ein

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egoistisches, wie z. B. von Kirchmaim \l. c. S. 12i),Z. 1^ v. u.) sagt, (sielre dagegen K. Fischers Vortrag über Spinozas Leben und Charakter, S. 7/ ebensowenig aber «ein rein theoretisches und doch auf der andern Seite egoistisches« iBrasch 1. c. S. 135) sondern ein religiöses: denn, was Spinoza Erkenntniss nennt, dass ist Religion. Spinoza gesteht auch selbst eine solche Ge- sinnung oder Erkenntniss den Fonnmen des alten und des neuen Testaments zu (z. B. Eth. IV, <^-, scliol . . libertatem . ^ . quam patriarchae postearecuperaverunt ducti spiritu Christi, hoc est Dei idea, a qua sola pendet, ut honio Über sit etc), wenn er auch selbst sich bewusst war. zu derselben durch sein Den- ken gekommen zu sein. Vergleiche auch seine Erklärung von Religion IV, o7 scliol. 1- *)

Es zeigt sich deutlich, wie nahe Spinoza in dieser Aut- stellung des Priiicips des Sittlichen sich berührt mit den Auf- stellungen theologischer Ethiker. Wenn er als Princip des Sitt- lichen das Streben des Einzelnen, sich, sofern er adäcpiate Ideen hat, in seinem Sein zu erhalten, aufstellt, so ist diess in der Tliat materiell wenig unterschieilen von dem, was christliche Theologen als solches angeben die Selbstbethätigung des zur sittlichen Freiheit gekommenen Snbjeets. Mindestens wird je- der zugeben, dnss so verstanden und anders darf es im Sinne Spinozas nicht verstanden werden - das Princip, (luod scilicet unusquisque tenetur suum utile (luaerere, non impietatis sed viritutis et pietatis fundamentum est (ef. IV, IS^seliol. S. 344

Z. 3 V. u.

Es ist aber auch leicht einzusehen, warum Spinoza das, was er meinte, in keiner andren Form als in dieser, die bei- nahe das Gegentheil davon auszusagen scheint, darzustellen ver- mochte. Zunächst ist der Satz des Si)inoza hierbei zu berück- sichtigen (II, 33): Nihil in ideis positivum est, pr(»pter quod falsae dicuntur und III, ^^ Falsitas consistit in cognitionis privatione. Spinoza durfte die Selbsterhaltung und das Streben nach dem eignen Nutzen unbedenklich als Princip des Sitt- lichen aufstellen. Denn nach seiner Meinung trägt das Streben nach dem eignen Nutzen nichts positiv Falsches in sich, sondern führt nur insofern zu schlechten und unsittlichen Handlungen, als eine privatio cognitionis damit verbunden ist. Da Spinoza bestrebt war, bei Aufstellung seines sittlichen Principes von

*) In dieser Auflassung berühren wir uns nahe mit Dr. Paul Schmidt, Spinoza und Schleiermacher, Berlin 1868 bei Reimer, S. 83—91.

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Allem abzusehen, was nicht wesentlich zu demselben gehöre, und das Moment der Erkenntnibs als schon mit eingeschlossen in dem des Strebens nach dem eignen Nutzen ansah , so kam er dazu, dieses erstere bei seiner Bestimmung des sittlichen Prin- cipes nicht mit aufzunehmen.

Der Voi*wurf der Inconsequenz darf ilim dabei nicht ge- macht werden, wie diess z. B. Kratz, 8. 14, Anm. thut.

Denn wenn Spinoza aucli alle Erscheinungen im Menschen- leben als nothwendig aus Gott folgend ansieht, so ist er darum noch nicht genöthigt , sie auch alle als gleich werthvoll auf- zufassen. Zwar giebt es nach ihm keine Vorstellungen, die positiv falsch wären, da sie ja alle nothwendig aus Gott folgen, wohl aber giebt es inadäquat«' Ideen , die aus den adäquaten Ideen Gottes folgen. Sie sind in Gott adäquat, im Menschen aber inadä((uat, sofern er als Einzelwesen sich betrachtet. Ebenso folgen die der Natur des Menschen widerstreitenden Leiden- schaften aus der unendlichen Macht (Jottes nur, sofern die Menschen sich und Andre als Einzelwesen autiassen ^simpliciter res imaginantur, wie Spinoza V, 5 sagt). Aus der Vereinzelung also folgen nach ihm die Irrthümer wie die Uebertretungen. (Vergl. ep. I^G, 4.)

Endlich machen wir auch an dieser Stelle darauf aufmerk- sam, wie Spinoza bei der Durchführung seiner ethischen Grund- lehren den Zweckbegrift' völlig umgangen hat. Er sagt aus- drücklich (IV, 25) : nemo suum esse alterius rei causa conservare conatur und folgert daraus weiter (IV, 2i), Bew. i : non conamur res intelligere alicujus finis causa.

Diess ist auch bei den xVusführungen (IV, praef. S. ^^'1, Z. 7 V. u.) festzuhalten. Er sagt an dieser Stelle: Nam quia ideam hominis , tanquam naturae humanae exemplar , quod in- tueamur, formare cupimus, nobis ex usu erit, haec ea- dem vocabula (sc. bonum et malum), eo, quo dixi sensu, retinere. Per bonum itaque in seqq. intelligam id , quod certo scimus medium esse , ut ad exemplar humanae naturae , quod nobis proponimus, magis magisque accedamus: per malum autem id, quod certo scimns impedire, quominus idem exemplar referamus. Allerdings giebt Spinoza, wenn er von einer idea hominis, quam tanquam naturae humanae exemplar intuemur, redet, zu, duss es einen Zweck giebt. Indessen ist dabei nicht ausser Acht zn lassen, dass an dieser Stelle Spinoza in freierer Weise seine Lehre entwickelt, und bestrebt ist, dieselbe dem allge- meinen Verständniss zugänglicher zu machen. Nur durch eine im Sinne Spinoza's selbst ungenaue Kedeweise entsteht bei ihm

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der Schein einer Zulassung des Zweckbegriffs. Dasselbe gilt von der Stelle IV, App. 4, wo überdiess Spinoza den Ausdruck finis ultimus sofort durch summa cupiditas erklärt oder vielmehr corrigirt. (Diess gegen Trendelenburg l. c. S. ^.Hi).

Wo Spinoza nach der ihm eignen Methode seine Lehre entwickelt , redet er nicht von Vorschriften der Vernunft, son- dern nur von Handlungen , die aus der Natur der Menschen, sofern er adäquate Vorstellungen hat , folgen ; nicht von einem Ideal der menschlichen Natur, dem wir nachstreben sollen, son- dern nur von der Natur des Menschen , wie sie sich darstellt und bethätigt , wenn von den inadäquaten Vorstellungen

abgesehen wird.

Die Leugnung des Zwecks ist wie bei seiner ganzen Lehre , so auch bei seiner Lehre vom Sittlichen die formale Voraus- setzung, welche seine ganze Entwickelung und Darstellung be- dingt. ' Zur Aufstellung seines Princips des Sittlichen ward Spi- noza genöthigt , eben weil ihm in Folge seiner Leugnung des Zweckes keine andre Möglichkeit blieb. Und gewiss wird unter dieser Voraussetzung auch kein andres Princip des Sittlichen gefunden werden können, aus welchem das sittliche Handeln des Menschen im Einzelnen so zureichend erklärt werden

könnte. . ^, ,

Es zeigt sich ferner der Einfluss der Leugnung des Zweckes auch in den Sätzen des Spinoza, in denen er die einzelnen Affecte nach ihrem sittlichen Werthe ))eurtheilt.

Als Massstab dieser Benrthcilung dient ihm niemals em sittliches Gebot , welches durch sie befolgt oder verletzt werde, oder ein sittliches (iut, welches durch sie erreicht oder verfehlt werde, oder ihre Richtung auf einen zu billigenden oder zu verwerfenden Zweck , sondern stets ihre Nützlichkeit für den Men- schen oder ihre Fähigkeit, die Macht des Menschen zu handeln zu vermehren. Daher bezeichnet Spinoza die Affecte der Fröh- lichkeit und Liebe und die daraus hervorgehenden Begierden als direkt gut und die Affecte der Traurigkeit und des Hasses mit den aus ihnen hervorgehenden Begierden als direkt böse. Erstere können nach ihm nur, s(»fern sie sich auf Einzelnes be- ziehen, ein Uebermass haben, und können insofern (indirekt) böse sein, ebenso wie im Verhältniss dazu die Affecte der Trau- rigkeit gut sein können. Ferner nennt er alle die Affecte schlecht, die ihrer Definition nach der Vernunft widersprechen, also auch die Machtdes Menschen zu handeln vermindern. (IV, 41—63.) Gemäss dieser Beurtheilung beschreibt denn auch Spinoza das Handeln des freien d. h. von der Erkenntniss oder Ver- nunft geleiteten Menschen und giebt in dieser Form seine

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P Tugendlehre , die er am öciiiusse de8 vierten Theiles in einem

Anhang nach ihren Hauptsätzen zusanimenfasst.

Nach dem von uns eben über die Auffassung der Erkennt- niss bei Spinoza Gesagten, ist es begreiflich, dass diese Tugend- lehre nicht wesentlich abweichen kann von der aus den Be- griffen des sittlich Guten und Bösen abgeleiteten. Und es lässt sich auch leicht zeigen, dass mit Ausnahme weniger Sätze, deren Fassung aber nicht durch die consequente Durchführung seines Princips bedingt ist, eine durchgängige Uebereinstimmung der Tugendlehre des Spinoza mit der christlichen stattfindet. Selbst diejenigen Sätze, welche zu derselben in direktem Wider- spruch zu stehen scheinen, beruhen entweder auf einer dem Spinoza eigenthümlichen, von dem gewöhnlichen Sprachgebrauch abweichenden Begriffsbestimmung, so dass der Widerspruch ein nur scheinbarer ist, oder werden von Spinoza selbst in soweit restringirt, dass tler Widerspruch wenigstens nur ein relativer ist. Ersteres gilt z. B. von den Sätzen IV, 47, 02, (w cf. V, 38 vergl. Ul, 18, schol. '2 u. Affect. deff. 17; letzteres von den Sätzen IV, iA) verglichen mit IV, 5G schol., IV, öo n. r)4 vergl. mit IV, r)4, schol. ; IV, r)S vergl. mit IV, 58 schol. u. V, 27.

Freilich ist aucli hier wieder seine ganze Ausdrucksweise durch seine Leugnung des Zwecks und die daraus sich ergebenden Folgen bedingt, so dass seine Beschreibung des sittlichen Lebens immer in vieler Beziehung unbefriedigt lässt. ;

Eine Folge der Leugnung des Zweckes ist es auch, dass Spinoza eine eigentliche Fflichtenlehre nicht giebt. Eine Dar- stellung des sittlichen Verhaltens in den Lebenskreisen der Familie des Staates und der Kirche und eine Entwickelung der sittlichen Bedeutung der Kunst und Wissenschaft suchen wir in der Ethik des Spinoza vergebens.

Was er über die Ehe sagt, beschränkt sich auf die wenigen Zeilen : App. ad pt. IV, cap. 20, S. o><i\ Dessgleichen giebt er nur spärliche Andeutungen über die Pflichten des socialen Lebens. Der Begriff des Staates als einer sittlichen

•) Auf die Spitze getrieben ist es indess, wenn K. Fischer, Gesch der neueren Ph. 24. Clap. II, 4 sagt: „Vom Spinozismus eine Moral als Vorschrift des menschlichen Handelns erwarten, hiesse Kürbisse von der Ei. he verlangen*'. „Spinoza war kein Moralist". Denn allerdings giebt Spinoza nicht nur eine Beschreibung des sittlichen Lebens, sondern auch moralische Vorschriften (s. u). K. F. 's Behauptung wäre nur richtig, wenn die I eugnung des Zwecks bei Spinoza mit der Consequenz durch- geführt wäre, die K. Fischer selbst bei ihm vermisst. (24. Cap. III, 2)

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Gemeinschaft liegt ihm fern , denn er leitet den Staat ab aus einem Vertrage, den die Menschen tacite vel expresse zur gegenseitigen Hilfleistuiig eingegangen seien (tract. theol. pol. XVI, S. 20<)), und versteht unter Staat nur die Staatsgewalt (tract. pol. III, 1). Eltensoweiiig kennt er den Begriff einer Oemeinschaft des religiösen Lebens , der Kirche . da naeli ihm vielmehr der Staatsgewalt zukommt, die äussere Religionsübung zu regeln und dem Nutzen des Staates anzupassen, während die innere Gottesverehrung und die Fnimmigkeit selbst Sache eines jeden Einzelnen ist. (Tr. th. pol. XIX, S. 202). So kennt er auch nicht den Begriff der Wissenschaft, als einer Gemeinschaft des Forsclnrns und h>kennens; denn, wie sehr er aucli seihst der Forschung und Erkenntniss sein Leben ge- weiht hat, so fern lag es ihm, dieses Forschen und Erkennen als ein besondres Gebiet der menscliliclien (Jeistesthätigkeit von andren abzngränzen, und das ihm Zugehörige aufzuweisen, so- wie die innerhalb desselben zn erreichenden x\ufgaben. Eben- sowenig hat er ein besondres Gebiet des künstlerischen Handelns und Darstellens abgesondert. V?, findet sich bei ihm nirgends eine Darstellung der besctndren Pflichten des Menschen inner- halb der Familie, des Staates, der Kirche, nc.ch eine Ableitung des Begriffs dieser (Jemeinscliaftskreise. Eine solche konnte Spinoza nicht geben, weil er den Begriff des Zwecks ausschliesst. Wie niimlicli Spinoza zufolge seiner Leiignnng des Zweckes auch die Begriffe des (Juten und des Bösen nur als relative gelten lassen kann, so giebt es für ihn auch keine Objectivität der Begrifft^ des Bechtes und des Fnrechtes. Daher auch keine Rechtsgemeinscliaft , sondern nur eine durch Vertrag zur An- erkennung gekommene Begierungsgewalt, die zn entscheiden hat, was als Becht und Unrecht gelten s(dl und was zu thun und zu lassen sei ^ tract. pol. IV, 1).

Dessgleichen giebt es filr ihn keine (Gemeinschaft des künstlerischen Darstellens, weil er nicht einmal die Begriffe des Schönen und Ilässlichen anerkennt (App. ad I pt. S. 221, besonders die charakteristischen Worte: Qnae denique aures movent, strepitnm. sonnm vel harmoniam edere dicuntur, quo- rnm postremum Iiomines adeo dementavit, ut deum etiam har- monia delectari crederentV Indem Spinoza den Zweck verwirft, kann er auch niclit annehmen, dass es ein nach der Norm des Rechtes oder der Schönheit sich bestimmendes Handeln giebt, sondern muss umgekehrt die Begriffe des Rechtes und der Schön- ] eit als solclie ansehen . welche erst nach dem Handeln der verschiedenen menschlichen Subjecte sich bestimmen, also als

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rein relative Be^-iffe, deren Inhalt je nach der Verschiedenheit der menschlichen Anschauunj^ ein ganz vei-schiedener sein kann. Aus demselben Grunde hat er aucli über die sittlichen Ge- meinschaften der Familie, der Kirche, der Wissenschaft keine Lehre aufgestellt, üeber die Aufgabe der Wissenschaft hat er nur einmal ganz kurz sich ausgesprochen tract. de intell. emend. II, u. l()i. Kr giebt dort sogar eine Andeutung über die Eintheilung der Wi.ssenschaft in ihre einzelnen Dis- ciplinen. Aber bemerkenswerth ist, dass er an dieser Stelle die Anwendung des Zweckbegrifts noch nicht ausgeschlossen hat, wie er deutlich sagt z. B. in den Worten: Omnes scien- tlas ad unum linem (^t scopum volo dirigere.^)

So sehen wir, dass Spinoza durch seine Ausschliessung des Zwecks gehindert ward, eine Darstellung des Wesens der sitt- lichen Gemeinschaften zu geben und aus ihnen die besondren GemeinschaftspHichten abzuleiten. Seine Lehre vom sittlichen Leben des Menschen bleibt eben darum ungenügend. Er giebt derselben zwar einen ihren (irundzügen nacii richtigen Gehalt, aber vermag bei seinem unzureichenden Begriffsmaterial es nicht, den Keichthum des sittlichen Lebens zu erfassen und zu einem allgemeinverständli<'hen Ausdruck zu bringen.

Der Einfluss seiner Leugnung des Zwecks zeigt sich ferner auch in den Ausführungen, die Spinoza im '). Theile seiner Ethik giebt. Er verspricht in der Vorrede zu derselben, den Weg anzugeben, der zur Freiheit führt. Das Handeln des freien, d. h. von der Erkenntniss oder Vernunft geleiteten Menschen hat Spinoza zwar s(dion im 4. Theile beschrieben. Im 5. versucht er nun zu zeigen, dass die Erkenntniss auch einen Einfluss habe auf die körperlichen Affectionen, und welche Macht die Erkenntniss im Einzelnen über die Atfecte habe. In Folge dessen ist Spinoza wohl veranlasst, mehrere schon vorher gegebene Bestimmungen weiter auszuführen. Unrichtig ist es aber, diesen ;"). Theil nur als Fortsetzung des 4. anzu- sehen, die noch einige Mittel angeben solle, durch welche die Macht der Vernunft über die Aftecte gesteigert werden könne. (So V. Kirchmann 1. c. S. U>3 u. ihm folgend Brasch S. LVJ).

Spinoza giebt vielmehr erst in diesem Theile eine An- weisung zum sittlichen Leben, während er bis dahin dasselbe

•) Ueberhaupt hat Spinoza in dieser Abhandlung wie auch in der von Gott, dem Menschen und dessen Glück, obwohl diese die Grundzüge seiner Lehre schon enthalten, den Zweckbegritt'noch niclit {lusgeschlossen, sM beweist, dass er dazu erst durch die Anwendung der mathematischen waethode geführt worden ist.

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nur beschrieben und aus seinen Ursaclien abgeleitet hat. Da Spinoza nun ein Handeln nach Zwecken für unmöglich hält, kann er auch die von ihm beschriebenen Tui^enden nicht ein- fach als Gebote und Vorschriften aufstellen, \la ja solche un- nütz wären, weil der Mensch sie nicht halten könnte (IV, 18, schol. am Anfang). Dennoch aber statnirt er nach seinem Satze von der durchgängig gleichen Ordnung und Verbindung der Vorstellungen und der Dinge , nach welchem also auch die Ordnung und Verbindung der körperlichen Affectionen die gleiche sei, wie die Ordnung der Gedanken und Vorstellungen von den Dingen in der Seele (V, 1, Bew.), eine Macht der Seele über die schlechten Affecte , und seine Vorschriften beziehen sich demgemäss zunächst auf die richtige Ordnung der Vorstellungen in der Seele.

An diesem Punkte aber scheint uns die Consequenz des Systems verlassen zu sein. Spinoza giebt von nun an die Be- trachtung des sittlichen Lebens als nothwendig aus vorher- gehenden Ursachen folgend auf. Er statnirt eine Macht der Seele über die körperlichen Affectionen, und seine Berufung auf II. 7 ist nur eine Verhüllung, abe keine Vermeidung der Inconsequenz , die darin liegt (cf. v. Kirclimann zu V, L. L Bew. l. c. S. 1(14). So erreicht Spinoza das Ziel, von dem seine Pliilosophie ausgeht, nämlich den Weg zur sittlichen Freiheit und (ilückseligkeit zu zeigen, doch nur durch eine Abweichung von der den Zweck und die menschliche Freiheit ansschliessenden I^etrachtungsweise , die er mit so grossem Scharfsinn festznlialten bemüht ist. Die Lehrsätze V, 3 ff. sind wenn auch der Form nach ponirend, doch dem Sinne nach Vorschriften für das sittliche Leben.

Als solcjie V(aschriften stellt Spinoza auf:

1) Bilde dir eine klare und bestimmte Vorstellung von jedem Affect fV, n, 4 cf. 4, schol: Huic igitur rei praecipue danda est opera, nt unumqnemqne, quantum fieri potest, clare et distincte cogncscamiis etc.)

2) Verb iiide mit der Vorstellung der äusseren Ursache ei- nes Affectes die Vorstellungen der diese wieder bedingenden Ursachen d. h. stelle dir die Ursachen deines Affectes nicht einfach oder als frei vor, sondern als nothwendig. (V, 2, 5, 6, lo.)

3) Fasse in der Ursache eines Affectes die den Dingen gemeinsamen Eigenschaften auf, die als immer gegenwärtig be- trachtet werden d. h. abstrahire in dieser Ursache von dem Begriffe der zeitlichen Gegenwart (V, 7, Bew.)

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4) Beziehe jeden Aflect auf möglichst viele bei demselben concurrirende I Ursachen. (V, 8, 9, 11, 1.)

5) Verknüpfe und ordne, so lange dn von keinem natur- widrigen Aflect belierrscht wirst, die Affeete nach der Ord- nung des Verstandes V, 10. Diese Regel modificirt sich für die, welche noeli keine vollkonnnene Kenntniss ihrer Affeete haben dahin, dass sie allgemeine Lehensregeln ihrem (iedächtniss ein- prägen und dieselben beständig auf die verscliiedenen Lebens- verhältnisse anwenden. (V, 10, schol.)

Als höcliste, alle and(^m znsnmmenfassendi^ Vorschrift aber stellt Sj)inoza auf:

()) Ueziehc alle Affeete und bildliclien Vorstellungen auf die Vorstellung (iottcs d. h. Liebe (lott und zwar über alle Dinge, und befestige dieh in dieser Liebe, die v(»n aller Lohn- sucht fern ist, dnreh die Oemeinscliaft mit denen die durch dasselbe Band der Liebe mit (iott verbunden sind V. 14 16; 19 20). O.'is ist der Weg dazu, die Aff'eete. sofern sie Leiden- schaften sind, auf das geringste Mass zu beschränken.

Vergleiche zu diesem ganzen Absclinitt V, 20, schol.

Es lässt sich nach dem Oesagten in der That behaupten, was Voigtländer 1. e. S. IhI im Anschluss an die Vorrede des Herausgebers der Ethik behauptet hat, dass die Sittenlehre des Spinoza wesentlich mit der cltristlichen übereinstimmt. Diese Uebereinstimmnng zeigt sich nicht nur in der Beschreibung des sittlichen Lebens, die Spinoza giebt und die wohl zunächst Voigtländer im Auge g^diabt hat, wenn er sagt: «Das Höchste, was von der Ethik des Spinoza gerühmt werden kann, ist ihre Uebereinstimmung mit der christlichen Moral« . Sie zeigt sich noch deutlicher darin , dass auch nach Spinoza der natürliche Mensch, d. h. wcdclier keine Erkenntniss ('ottes und keine Liebe zu ihm hat . von seinen Begierden beherrscht wird ; (cf. Praef. edit. S. i\U') : Si jam ea, quae gentium doctor de carne et carnalibus tradidit etc. und Trendelenburg 1. c. S. 70) ferner darin, dass seine Ethik ebenso wie die christliche Sitten- lehre frei ist von jedem gesetzlichen Charakter, dass sie den Zusammenhang der Sittlichkeit mit der Religion wahrt, ja so- gar keine Sittlichkeit anerkennt, als die aus der Liebe zu Gott stammende: dass ferner Spinoza's Vorschriften wesentlich auf die Erziehung zu einer frommen (Jesinnuug und zu einer selbst- losen Hingebung an (Jott zielen, im Uebrigen aber seine Sitten- lehre eine Beschreibung der Selbstl)ethätigung des sittlich freien Menschen, d. i. dessen, der die wahre Erkenntniss hat, ist. >'och enger auch an die christliche Ausdrucksweise schliesst

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sich Spinoza an in der Abhandlung von Gott, dem Menschen und dessen Glück, in welcher er S. 96 ff. sagt, dass die aus der wahren Erkenntniss entstehende Liebe zu Gott die Ver- einigung mit ihm in der Liebe in Wahrheit Wiedergeburt genannt werden kann.

Im Weiteren giebt nun Spinoza seine Lelire von der Un- sterblichkeit der Seele, und zwar nicht nur in den Sätzen 21—28 und 40, schol., wie Brascli I. c. S. 109) be- hauptet, auch nicht im Anschluss an seine Lehre von der Idee der Idee (1. c. S. 9J u. LV.D, sondern in den Sätzen 21—40, wozu die beiden letzten Sätze der P.tliik als unmittelbare Fol- gerungen daraus gehören, und im Anschluss an seine vorher (II, 40 schol. 2, S. 2')i)] nur angedeutete^ nun aber in den Sätzen V, 24 2S zur Ausführung kommende Lehre von der intuitiven Erkenntniss.

Nachdem Spinoza nämlich in den Sätzen 21 23 ausgeführt hat, dass die Seele nicht mit dem Körper schlechthin vernichtet werden kann, sondern dass von ihr etwas bleibt, was ewig ist, welches aber nicht in der Imagination bestehen könne, sondern ein Modus des Denkens sein müsse, der zum Wesen der Seele gehört und nothwendig ewig ist, kam es ihm darauf an, dieses «etwas» näher zu bestimmen.

Spinoza findet diess in dem intuitiven Erkennen ; denn diess ist bedingt von der Seele als der wirklichen Ursache, in- sofern als die Seele selbst ewig ist (V, 81); und in der in- tellectuellen Liebe zu (lOtt, welehe notli wendig aus der intuitiven Erkenntniss folgt (V, :5.'5 . ) Die intuitive Erkenntniss also und die intellectuelle Liebe zu Gott sind ewig, sind unser unsterbliches Theil , während die aus den Affectionen unsres Körpers heirührenden Vorstellungen und Affeete den Körper nicht überdauern (V, 21, 34 u. coroll.).

Als ewig aber ist die intectuelle Liebe zu Gott auch ohne Anfang (V, 33, schol.) und eins mit der intellectuellen Selbst- liebe Gottes (V, 35 u. 36) ; in ihr besteht daher das Heil, die Seligkeit und die Freiheit des Menschen (V, 36, schol.), die durch nichts getrübt oder aufgehoben werden kann.

Diese seine Lehre von der I^nsterblichkeit führt Spinoza im Folgenden weiter aus. Unser unsterbliches Theil ist um so grösser, je mehr Erkenntniss und Freiheit wir haben (V, 38

*) Die Sätze V, 24— :>0 u. ;V2 dienen nur zur Ableitung von V, 'M u. 33 und gehören daher mit zu der Lehre Spinoza's von der Unsterb- lichkeit der Seele.

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u. 39) ; wie gross oder klein aber der unsterbliche Theil unsrer Seele auch sei , so ist er vollkommner als der mit dem Leibe untergehende '{V, 40, eorr.), nud für den, der zur wahren Tugend oder Freiheit gelangt ist, kommt letzterer im Vergleich zur ersterem kaum mehr in Betracht V, 3S, schol.), während freilich die Seelen der Kinder erst durch fortgeliende Ent- wickelung dahin gelangen können, dass der gnKssere Theil ihrer Seele unsterblich sei (V, ot>, schol. vergl. den ähnlichen , nur noch schärfer ausgedrückten Gedanken bei der Unsterblichkeits- lehre Rothe's und Weisses). Daher ist der Tod desto weniger ein Uebel und die Todesfurclit um so mehr ausgeschlossen . je grösser unsre Tug<'nd und Hrkenntiiiss also unser unsterblicher Theil ist. Endlich ist die Tugend für das Ihichste zu halten, auch abgesehen von unsrer Kenntniss der Unsterblichkeit n. (V, 41) und ist die Seligkeit nicht der L(>liii der Tngend, son- dern die Tugend selbst (V, 42).

Da Spinozas Lehre v(m der Unsterblichkeit aus dem Be- griff der intuitiven Firkenntniss abgeleitet ist, so müssen wir schliesslich noch feststellen, was unter derselben zu verstehen ist.

Aus II, 4\K schol. ist diess niclit mit völliger Klarheit zu erkennen. Es bb^ibt unklar, was es heissen soll, dass diese dritte Art der Erkenntniss von der adäquaten Vorstellung des wirklichen Wesens einiger Attribute (iottes zur adä(iuaten Erkenntniss des Wesens der Dingi* fortschreitet. Aus dem Beispiele von den Zahlen, welches Spinoza (wohl nicht glücklich gewählt!) hinzufügt, ergiebt sicli nur so viel, dass er unter intuitiver Erkenntniss eine solche verst«'lit. welche unmittelbare Gewissheit in sich trägt. Es fragt sicIi , wie diese dritte Art der Erkenntniss nach Spinoza von der zweiten sich unter- scheiden soll , da doch nuch letztere nach II , 4r> innere Ge- wissheit in sich tragen soll uiul »'bfiifalls eine Erkenntniss der Attribute Gottes und der Dinge als iModificatic>n derselben ist.

Auch im T). Theile vermischt Spinoza beide Erkenntniss- weisen, z. B. V, 27 dem., wo er sagt: «deum cognoscere sive res tertiü cognitionis genere intelligere» und V, 3S, wo er, was er erst von der Erkenntniss der dritten Art gesagt hat, dann gleicherweise von der Erkenntniss der zweiten und dritten Art sagt. Es zeigt sich also, dass beide Erkenntnissarten nach Spinoza denselben Inhalt haben , nämlich wahre und adäquate Ideen. Diese wahre Erkenntniss, sofern sie durch die Thätig- keit des Verstandes, der das den Dingen gemeinsame auffasst und so bis zur Erkenntniss der Attribute Gottes fortschreitet, entsteht, nennt Spinoza die Erkenntniss der zweiten Art.

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Dieselbe Erkenntniss aber ist nach Spinoza auch ewig . sofern die Seele, welch., die Dinge unter der Form der Kwigkeit auf- fasst , ewig ist. Die Seele hat also eigentlich niemals ange- fangen die Dinge zu erkennen unter der Form der Ewigkeit wie sie niemals angcrangcn liat zu sein.

Nur ist diese ewige Erkenntniss gewölmlich getrübt durch die Imagination, daher die Menschen die Ewigkeit mit der Dauer verwechseln und glauben . dass auch die Imagination nach dem fod,- bleiben werde (V, ;;4, schol. K Dass aber die Imagination nicht -wig ist. geht daraus Jiervor, dass wir keine Erinnerung unsrer Exist,-n/. ^or den. Korper haben. Dennoch fühlen und erfahren wir es, dass wir ewig .ind. Diess ge- schielit aber nicht dunb di.. Erinnerung . welche ja eine Art der Imagination ist (11. IS, schol.), sondern durch die erkennt- nissmassige Auttassung (V, 1>;J, sdicd. mens non minus res

hlt.t r V ''T ■"*'; ''P'"'" '•»'"•ipit l'"«" q..as in memoria habet.) \on dieser Erkenntniss sagt Spinoza: «mentis oeuli quibus res videt observatque sunt ip.sae denionstrutiones» und nennt sie unsre mtuiti\c Erkenntniss.

Die beiden Erkenntnissarten. die der zweiten und die der dritten Art haben also denselben (Gegenstand. Aber der Wes auf welchem sie denselben erfassen, ist ein verschiedener.

Die Erkenntniss der zweiten Art entfernt alle Irrthümer der Imagination und gelangt so zu der adäquaten Idee, die der Seec ewige^ Eigenthum un.l Wesen sind. Daher ist es unbe- denklich, diesen Weg zu gehen, um zur Erkenntniss zu ge- langen indem bei richtigi.n Schlussfolgeruiigen der Irrthum ansgeschlossen ist. (V,;J1, schol.; V, m, schol. S. 44, wo die Erkenntniss der 2. Art legitima et extra dabitationis aleam posita genannt wird.)

Hoher aber steht die Erkenntniss der dritten Art Sie tragt unmittelbare Gewissh..it in sich un.l lehrt die richtige Auffassung der Dinge. Denn sie geht .len umgekehrten Weg, nitmlieh von der ad.tquaten V.,rstcllung einiger Attribute fiottes zu der adäquaten K..iintniss des Wesens der Dinge. Von ihr sagt Spinoza (S. 411) meiiteni n.wtrain inagis aflicit

Und was von ihr gilt . gilt au.h v.m der intellectuellen Liebe, die aus ihr entsteht. Si.. ist ohne Anfang und unsterb- lich. Bedeutsam ist .s nun , was Spinoza V, :);}, schol. sagt yuamvis lue erga deum amor principium n.,n habuerit, hSet tamen onines amoris perfectiones , periiidc ac si ortus fuisset sicnt in coroll. prop. praec. finximus. Er giebt also damit die Ableitung der intellectualen Liebe, die er V 3-^ gegeben

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hat, auf und ist genöthigt zuzugeben, dass diese Liebe nicht aus einer körperliehen Aflection liervorgegangen ist, wie er diess doch in seiner Definition der Liebe schlechtliin als dr.s Wesen derselben bezeichnet. Nur dadurch wird es ihm auch möglich diese Liebe Gott beizulegen. Jedenl'alls aber ist es ihm nicht gelungen, diesen letzten liegriff seiner Ethik auf dem von ihm bisher verfolgten Wege abzuleiten. Ebenso lässt er es uner- klärt, mit welchem Kechte er von (jott, dem doch kein Aflect der Fröhlichkeit zukommen soll, (V, 17, coroll.) sagen darf: g and et infinita perfectione. Diess zur weiteren Kechtfertigung des von uns auf Seite ÖU behaupteten, was wir schon S. (37 f. zu begründen versucht haben.

Die intuitive Erkenntniss , so dürfen wir zusammenfassend sagen , ist die das ewige Wesen der Seele ausmachende , ewig seiende und völlige Gewissheit in sich tragende Erkenntniss Gottes nach seiner wesentlichen Einheit mit dem Menschen, welche lehrt , das wahre Wesen aller Dinge aufzufassen , die Seele von Irrthum und Leidenschaft befreit und zur Liebe zu Gott führt. Diese Erkenntniss kann zwar nicht entstehen, weil sie ewig ist, tritt aber hervor und wird des Menschen wirkliches Eigenthum durch die Erkenntniss der '2. Art. Daher denn auch Alles , was von ihr gilt ,' von der Erkenntniss überhaupt gesagt werden darf, nicht insofern sie eine noch unabgeschlossene Thätigkeit des W^rstandes, nicht sofern sie eine logische Opera- tion ist , sondern sofern sie eine Auflassung der Dinge nach ihrem gemeinsamen Wesen und ihrem Sein in Gott bedingt.

Wir sind über diese Lehre des Spinoza von der Unsterb- lichkeit der Seele und der intuitiven Erkenntniss ausführlicher gewesen , als diess vielleicht die Aufgabe dieser Abhandlung nöthig machte. Es bestimmte uns dazu eine mehrfache Rück- sicht. Einmal scheint gerade in Bezug auf diese Lelire Spinoza vielfach missverstanden zu werden. Was z. B. v. Kirchmann über die Unsterblichkeitslehre Spinozas sagt S. 174) und Brasch ihm nachschreibt ,1. c. S. 102), zeigt nicht nur von Un- kenntniss dessen , was religiöser Begrifl" der Unsterblichkeit ge- nannt zu werden verdient (cf. I Cor. L"), 50 u. ^i), Math. 22, 30), sondern aueh von einem Ausserachtlassen d<T ausdrücklichen Aussagen des Spinoza V. iio, ^>4, schol. 5S, schol.

Ferner finden wir in der von uns entwickelten Lehre des Spinoza über die dritte Art der Erkenntniss eine Bestätigung des von uns oben S. 71 f. über das Wesen der Erkenntniss Gesagten.

Endlich und vor Allem zeigt sich uns in diesem letzten

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Abschnitt am deutlichsten, wie weit der Einfluss der formalen Voraussetzungen des Spinoza, von denen die wichtigste die Leug- nung des Zweckes ist, sich erstreckt. Wo er von den Fesseln dieser Methode nur einigermassen, wie diess im 5. Theile der Ethik geschieht, sich befreit, da treten seine tiefsten und frucht- barsten Gedanken zu Tage. *)

Wir haben nachgewiesen, wie die Leugnung des Zwecks bei Spinoza sowohl seine Lehre von Gott beeinflusst hat, so dass er es nicht erreicht, einen positiven Inhalt derselben zu- geben und über die blose Substanz sich zu erheben ; wir haben )yeiter gesehen, wie Spinoza in Folge derselben Voraussetzung unfähig ist, die Vermögen des menschlichen Geistes ausreichend zu erklären und endlich, dass er, obwohl er eine dem Inhalt nach richtige Sittenlehre giebt, doch die Begriffe des sittlich Guten und Bösen und damit das eigentliche Wesen des Sitt- lichen nicht begriölich abzuleiten vermocht hat.

Die Sätze aber, die er aus der intuitioen Erkenntniss her- leitet, seine Lehre von der wesentlichen Einheit Gottes und des Mensehen, von dem ewigen und unsterblichen Theil der menschlichen Seele und von der intellectullen Liebe zu Gott hängen wohl durch die Art ihrer Ableitung und Beweisführ- ung mit dem Bisherigen zusammen, aber sind von seiner Lehre vom Zweck nicht unmittelbar beeinflusst. Aus ihnen tritt uns die sittlich- religiöse Tendenz des Philosophirens Spinozas am deutlichsten entgegen. In ihnen spricht sich der ursprüngliche Inhalt seines Bewusstseins, dem er durch sein System einen be- grieflichen Ausdruck geben wollte aus. In ihnen ist die Lehre mitgetheilt, in der Spinoza selbst seine höchste Befriedigung und jene vollendete Ruhe und sittliche Erhebung fand, die sein persönliches Leben auszeichneten.

Diese Sätze sind es auch vor Allem, in denen die Keime zu späterer Entwickelung gegeben sind. Ihre Ausführung und Entfaltung haben dieselben nicht nur in der pantheistischen Philosophie Hegels und Schellings sondern auch in den Lehren

) Aus den dürren Sätzen über Substanz, Attribute u. Modi, mit denen Spinoza beginnt, ergiebt sich dnrchaus noch nicht seine Lehre durch blose Analysis undCombination, wie Erdraann in der obener- wähnten Abhandlung behauptet, um einer eingehenden Berücksichtigung der Satze des 5. Theil sich überheben zu dürfen. Vielmehr fällt auf Jene Grundbegriffe erst dann das reclite Licht, wenn jene Sätze des 5. Iheils richtig aufgefasst und in Beziehung zu ersleren gebracht werden. °

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philosophischer Dogmatiker gefunden, welche die Trinität speku- lativ zu construiren versucht haben*).

Es ist nun freilicli unmöglich , ohne in willkürliche und

•) So auch Liebner, der trotzdem diese Bedeutung des Spinoza völlig verkennt. Er sa^t sehr richtig in seiner Christologie ö. 72 Anm. : ,,Kein Philosoph legt im System wissenschaftlich mehr aus, als er in seiner unmittelbaren Welt- und Gottesanschauung, in dem factischen (ethischen, lebensgemässen) Zusammenschluss seiner mit dem absoluten Inhalt hat." Aber er verkennt dabei, dass dieser Satz nicht dahin um- gedreht werden darf, dass kein Philosoph mehr in seiner unmittelbar«^ Welt- und Gottesanschauung habe, als er in seinen System wissen- schaftlich auslegt. Bei Spinoza findet vielmehr, wie wir sahen, eben die- ses Verhältniss statt, dass sein Begritismaterial nicht ausreicht, die in seinem unmittelbaren Bewusstsein gegebene Welt- und Gottesanschau- ung wissenschaftlich auszulegen. Es i.st diess aber nicht ihm zur Last zu legen, vielmehr inmierhin als ein Verdienst anzurechnen, dass er von der scholastischen Methode, deren Unfruchtbarkeit er einmal erkannt- eanz abgesehen und erprobt hat, wie weit mit der ihm als einzig zuver- lässigerscheinenden, mathematischen Methode zu kommen sei. Mag immer- hin zugegeben werden, dass diese Methode untauglich ist, die höchsten Aufgaben des Denkens zu lösen, .so bleibt die Energie, mit welcher Spinoza diese Methode zur Anwendung gebracht hat, immer bewundernswerth und verdienstlich. Liebner thut ihm entschieden Unrecht, wenn er den Ausspruch zu dem seinigen macht, (S. 54^ Spinoza sei in der neueren Wissenschaft der immerwährende Versucner des germanischen Geistes gewesen, insofern der germanische Geist nicht auf das (orientalische) starre, ruhende, stubstanzielle Sein angelegt sei, sondern auf Willen, Freiheit, Persönlichkeit, Personalismus göttlichen und menschlichen (Jac. Böhm, Leibnitz und der spätere Schelling).'* Denn in der Lehre des Spinoza von der initutiven Erkenntniss liegt offenbar auch schon ein mystisches Element, wie es bei Jac, Böhm sich findet.

So ist auch die aus Erdmann (1. c.) aufgenommene Darstellung der Lehre des Spinoza eine einseitige. Auf seine Sätze von den ewigen Modificationen, von dem unsterblichen Theil der menschlichen Seele u. die daran sich anschliessenden geht Liebner nicht ein, und über den Satz von der intellectuellen Liebe Gottes geht er mit vier Zeilen einer Anmerk- ung hinweg, obwohl doch seine eigene Entwickelung unmittelbar an den darin ausgesprochenen Gedanken anknüpft. Geradezu unrichtig ist es wenn Liebner sagt, Spinoza habe durch ausdrückliche Erklärungen da- für gesorgt, dass, was er Gott nenne, nicht von dem ,, Gott der Christen" verstanden werden könne. Er nimmt diess von Erdmann herüber, wel- cher (1. c. S. 122) sagt ,,Sie beuchten nicht seine ausdrückliche Erklär- ung, dass er von Gott eine canz andere Vorstellung habe als die Christen. Aber nur von den ,,neotericis Christianis'* will sich Spinoza scheiden, wenn er .sagt (ep. XXI 1) ,,dico, me de deo et natura sententiam fovere longe diversam ab ca quam neoterici Christiani defendere solent,** und be- ruft sich für seineLehrevon Gott als der immanenten Ursache aller Dinge sofort auf das Zeugniss des Apostel Paulus (Ap. Gesch, 17, 28, 1 Cor. 3, 16; 12 6. Eph. 1, 23.

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gewagte Annahmen sich zu verlieren, die philosophische Lebens- anschauung des Spinoza, soweit sie von seinen formalen Voraus- setzungen unabhängig ist und rein aus seiner sittlichen und religiösen Grundtendenz folgt, darzustellen. Denn beide Seiten seines Philosophirens durchdringen einander und stehen in fast durchgängiger Wechselwirkung, und zufolge seines unrichtigen, formalen Princips ist auch das materiale Princip seiner Philo- sophie zu keiner ungehemmten Entwickelung gekommen. Die Aufgabe, von der Idee Gottes ausgehend, das gesamrate Leben und insbesondere das sittliche Leben zu begreifen, <lie Spinoza in seiner Ethik sich gestellt hat, hat er schon darum nur un- vollkommen lösen k(innen.

Ihre immer voUkommnere Lösung blieb dem speculativen Denken seiner Nachfolger, soweit dieselben , wie ei* , von der Idee Gottes, als einer an sich gewissen, ausgegangen sind, tiberlassen. Die Ethik Kothe's, die gleich der des Spinoza zu- nächst nicht eine Darstellung der Sittenlehre, sondern ein Ver- such, die Gesammtheit des natürlichen, wie des geistigen Lebens speculativ zu begreifen, sein will, nimmt diese Aufgabe, so viel uns scheint, am meisten im Sinne Spinozas wieder auf, da auch sie von dem Begrift' Gottes ausgehend in der Darstellung des sittlichen Lebens des Menschen gipfelt. Indem aber Rothe schon in den ersten Anfängen seines Systems, bei der Ent- wickelung der Ciottesidee, den Zweckbegriff einsetzt und diesen Begriff im Folgenden durchgängig verwerthet, erreicht er in einer unvergleichlich vollkommneren Weise die von Spinoza nur gestellte, aber nicht wirklich gelöste Aufgabe. Es zeigt sich in seinem Werke» deutlich, eine wie ausgedehnte und fruchtbarere Anwendung der Zweckbegriff in <ler speculativen Ethik zulässt.

Wir kommen zum Schluss. Wenn , wie wir glauben dai*- gethan zu haben, die Leugnung des Zweckes bei Spinoza eine unrichtige ist, und alle die daraus sich ergebenden Consequenzen abzulehnen sind, so hindert uns diess in der That nicht, die eminente Bedeutung der spinozischen Philosophie völlig zu würdigen.

Es ist allerdings die gesammte Lehre des Spinoza nach Form und Inhalt dadurch bedingt, dass er keinen Zweck weder in Gott noch im Menschen anerkennt und jede Betrachtung der Dinge nach den in ihnen vei*wirklichten Zwecken ausschliesst. Es behält seine ganze Lehre in Folge dessen etwas Unbe- friedigendes für Jeden, dem die Frage nach dem höchsten Gut, dem alle andren Zwecke dienen, die oberste und wichtigste ist.

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Aber eben die Erkeiiiitniss , dass die Unvollkommenheit des spinozischeii Pliilosophirens rein bedingt ist durch seine logischen und formalen Voraussetzungen , in denen er uns als ein Kind seiner Zeit ei'scheint, entfernt uns den Anstoss, den wir wohl sonst an vielen seiner Sätze nehmen mtissten.

Was uns Bewunderung und Verehrung für Spinoza ab- nöthigt, ist nicht sowohl die Consequenz seines Denkens, die ja in manchem Betracht eine unvollkommne genannt werden muss*), nicht seine Methode und Darstellungsweise, die immer- hin eine steife und ermüdende bleibt, sondern die Grossartigkeit seiner Gesammtanschauung , die durch alles Einzelne sich hin- durchziehende sittlich-religiöse Tendenz und die gewissenhafte Durchführung derselben bis ins Einzelnste, soweit dieselbe dem Spinoza nach seiner Art zu denken, erreichbar war.

Und diess erscheint um so glänzender und bewunderns- werther , je mehr wir erkennen , dass alle uns anstössig , ja «empörend» erscheinenden Behauptungen nicht aus seiner Grund- tendenz hervorgehen, sondern die nothwendige Folge seiner Leugnung des Zweckes sind, zu der er im Interesse der Wahr- heit selbst genöthigt zu sein meinte.

So ist es in der TJiat für die Würdigung und das Ver- ständniss des Spinoza von nicht geringer Bedeutung, wenn der Eintluss seiner Leugnung des Zweckes auf seine Philosophie erkannt wird. Es wird diess ebenso sehr von einem unselb- ständigen Annehmen seiner Resultate als von einem ungerechten Aburtheilen über seine Philosophie zurückhalten.

In keinem Falle wird dadurch die sittliche Persönlichkeit

•) Auch K. Fischer, dessen Darstellung der Philosophie des Spinoza eine so eingehende , gerechte und verständnissvolle ist , statuirt dann bei der Kritik derselben innere Widersprüche im System des Spinoza, durch welche dieses aufgelöst werde. Lr thut diess aber vornehmlich mit der Tendenz, nachzuweisen, wie die Philosophie Spinoza's über sich hinausweise und auf Leibnitz hinführe. Daraus erklärt es sich, dass K. F. , indem er einzelne Sätzen des Sp. ohne Berücksichtigung des Zusammenhangs, in welchem sie ihre natürliche Restriction finden, zu scharf markirt, zum Theil erat selbst den Schein des Widerspruchs her- vorgerufen hat , und dass er die einheitliche Wurzel der wirklich vor- handenen Widersprüche nicht aufgezeigt hat.

Uns scheint die Ursache aller Mängel und Widersprüche bei Spinoza in der Unvereinbarkeit seiner J>eugnung des Zwecks mit seiner Grund- tendenz zu liegen. Er geht davon aus, das höchste Gut zu suchen , ist sich also eines Zweckes bewusst, den er erreichen will (cf. tract. de intell. emend I u. II. : Hie est finis ad quem tendo) und gelangt schliesslich dazu, jeden Zweck zu verneinen, also auch den, von welchem er ausgegangen ist. Darin besteht der Selbstwiderspruch bei Spinoza.

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des Spinoza herabgestellt. Denn seine unbestechliche und rück- sichtslose Wahrheitsliebe zeigt sich auch in seiner durchgefülirten Ausschliessung des Zweckes.

Dem Verständniss seiner Philosophie aber kann es nur forderlich sein, wenn eine sein ganzes System beeinriussende Grundvoraussetzung in ihren Consequenzen verfolgt wird Es ist damit ein Massstab gegeben, den bleibenden (iehalt seiner Pliilosophie zu unterscheiden von der zeitlicli bedingten Art ihrer Ableitung, Ausführung und Darstellung.

Die bleibende Bedeutung der Philosophie Spinozas lie^t in ihrer religiös- sittlichen Tendenz. Ist, wie K. Fischer be- tont, Spinozas Weltstellung darum eine einzige, weil er die Geltung aller Zwecke verneint und damit die (Grundlage aller christlichen Theologie und ebenso aller Philosophie vor und nach ihm aufhebt, so steht Spinoza ebenso einzig da auch dann , dass seine Philosophie nach ihrem Ausgangspunkte und nach ihrem Ziele einen durchaus ethischen Charakter trä<*-t wie diess am deutlichsten aus seinen trart. d<^ intell. ein ' her- vorgeht.

Welcher Philosoph nach ihm oder vor ihm wäre zu nennen der nach Erkenntniss strebt nll.in um durch die Erkenntniss Gottes das höchste (Jut zu erlangen und mit der Liebe zu Gott erfüllt zu werden , in weleher das ewige Heil der Menschen beseht? Welcher Philosoidi nach ihm oder vor ihm, dessen Philosophie unmittelbar hervorwäclist aus dem Erlösungsbedtirfniss aus dem Streben, von der Selbstsucht und der Liebe zu den vergänglichen Gütern der Welt l(»szukommen > cf K Fischer 1. c. 11. Cap. I u. U.)

Um dieser ihrer religiösen Tendenz willen dürfen wir der Philosophie des Spinoza, wie sehr wir auch im Einzelnen ihren Widerspruch zu aller dogmatischen Auffassung des Christen- thunis annerkennen, einen in Wahrheit christlichen Charakter vindiciren, und die bei ihm .sieh findenden Aussprüche über die ewige Geltung der in Christo gesch( henen Offenbarung (cf K Irischer, X,2,o.j sind nicht als Accomodation zu der christ- lichen Ueberzeugung seiner Zeitgenossen, die in AViderspruch zu sei- ner eigenen Weltanschauung stände, aufzufassen , sondern als der Aus- di-uck seiner innersten Uebezeugung, der er in seiner Philosophie ei- nen nur in der verstandesmässigen Darlegung, darin aber allerdings pnncipiell von der christlichen Lehre abweichenden Ausdruck gegeben hat. Zur christlichen Religion als solcher hat Spinoza Keine teindhche Stellung eingenommen, seinePolemik gegen dieluthe-

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Tische Dogmatik ist nicht schärfer als die gegen die Lehre der Kabbinen, (K. Fischer, XIII, (>, 3. .

Die Beschäftigung mit Spinoza muss dämm auch für den, der in Christo allein die Wahrheit erkannt hat, fruchtbar und erpuicklich sein, sobald er nur versteht, zwischen Christen- thum und christlicher Dogmatik zu unterscheiden.

Ja es wird auch der, welcher mit den formalen Voraussetz- ungen, wie mit den zur christlichen Lehre in Widerspruch ste- henden Resultaten Spinozas in keiner Weise sich befreunden kann, an der allem seinen Denken zu Grunde liegenden Gesinnungsrein- heit sich erfreuen und erheben können.

Je mehr wir die Mängel seiner Beweisführung und die Un- vollkommenheit seines begrifflichen Apparates erkannt haben, um so ungetheilter werden wir ihm auch folgen dürfen in dem Streben, alle Dinge in Gott zu begreifen und auf ihn, als die ewige und unveränderlirhe Substanz aller Dinge unverwandt unsern Blick gerichtet sein zu lassen.

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