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Full text of "Der Zweckbegriff bei Spinoza [microform]; eine philosophische Abhandlung"

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MASTER 
NEGA  TIVE 

NO.  92-80714 


MICROFILMED  1992 
COLUMBIA  UNIVERSITY  LIBRARIES/NEW  YORK 


as  part  of  the 
"Foundations  of  Western  Civilization  Preservation  Project" 


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NATIONAL  ENDOWMENT  FOR  THE  HUMANITIES 

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AU  THOR: 


WETZEL,  PAUL 
FRIEDRICH 


TITLE: 


ZWECKBEGRIFF  BEI 
SPINOZA 

PLACE: 

LEIPZIG 


DA  TE : 


1873 


Restrictions  on  Use: 


COLUMBIA  UNIVERSITY  LIBRARIES 
PRESERVATION  DEPARTMENT 

BIDLIOGRAPHIC  MICROFORM  TARGET 


Original  Material  as  Filmed  -  Existing  Bibliographie  Kecortl 


-   193Sp4 
S683 

Wetzel,  Paul  Friedrich,  b.  1842. 

Der  Zveckbegriff  bei  Spinoza;  eine  philoso- 
püische  Abhandlung,  verfasst  von  Paul  Wetzel 
Leipzig,  A.  Lorentz,  18 73» 

90  p.  21cni. 

Issued  also  as  thesis,  Leipzig. 


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Master  Negative  # 


TECHNICAL  MICROFORM  DATA 

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DATE     FILMED:__:^2?|^ INITIALS_/?;?^_Z)_  C^ 

HLMEDBY:    RESEARCH  PUDLICATIONS.  INC  WOODBRIDGE.  CT 


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Centimeter 

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Der  Zweckbegriff 


bei 


Spinoza. 


Eine  philosophische  Abhandlung 


verfasst 


von 


I>r.  Paul  i;V^etzel, 

trstem  ordinirten  Katecheten  zu  St.  Petri  in  Leipzig. 


_>EIPZIG. 

Alfred    I.  o  r  e  n  t  z. 

1873. 

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Es  bedarf  wohl  keiner  Entschuldigung,  dass  in  der  vor- 
liegenden Abhandlung  ein  einzelner  Begriff  im  System  des 
Spinoza  zum  Gegenstand  einer  näheren  Erklärung  gemacht 
svird.  Denn  bei  der  Menge  von  Gosammtdarstellungen  des 
spinozischen  Systems  wird  Jeder,  der  sich  mit  dem  Studium 
desselben  beschäftigt,  darauf  hingewiesen,  auf  Specielleres 
seine  Aufmerksamkeit  zu  wenden.  Es  ist  diess  vielleicht 
der  einzige  Weg,  das  Verständniss  dieses  Philosophen,  dessen 
Denken  von  so  weittragendem  Einfluss  bis  auf  unsre  Zeit 
gewesen  ist,  zu  fördern.  Wenigstens  bot  sich  dem  Verfasser 
der  gegenwärtigen  Abhandlung,  dessen  Beruf  nicht  erlaubt, 
den  philosophischen  Wissenschaften  seine  ganze  Kraft  zu 
widmen,  keine  andre  Möglichkeit  dar,  auch  aui  diesem  Ge- 
biete, in  welches  er  als  ein  ihm  fremdes  hinübergreift,  et- 
was nicht  ganz  Unnützes  zu  leisten,  als  sich  auf  ein  mög- 
lichst kleines  Feld  der  Untersuchung  zu  beschränken,  um 
wenigstens  da  durch  eine  eingehendere  und  genaue  Forschung 
zu  einem  in  gewissem  Grade  selbständigen  und  neuen  Re- 
sultate zu  kommen. 

Wohl   aber   ist  hier  eine  Erklärung   darüber  vorauszu- 
schicken, warum  in  der  vorliegenden  Abhandlung  ein  Gegen- 
stand zur  Behandlung  herausgegriffen  wird,  der  vielleicht 
Manchem  ziemlich  fem  zu  liegen  scheint.   Denn  der  Zweck-    j 
begriff'  gehört  weder  zu  denen ,  die  von  Spinoza  als  Grund-    ' 


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begriffe  seines  Systems  aiit«5'estellt  werden,  noch  beschäftigt 
sich  Spinoza  eingehender  mit  demselben.  An  einer  einzigen 
Stelle  seiner  Ethik,  noch  dazu  in  einem  Anhange,  kommt  er 
ausdrücklich  auf  den  Begriff  des  Zweckes  zu  sprechen  und 
auch  da  nur,  um  ihn  zu  bestreiten.  Wenn  dennoch  in  die- 
ser Abhandlung  der  /weckbegriff  bei  Spinoza  zum  Gegen- 
stande einer  Untersuchung  gemacht  wird,  so  rechtfertigt 
sich  diess  nui'  dadurch,  dass  dieser  Begriff,  der  im  Zu- 
sammenhang der  Etliik  des  Spinoza  eine  so  untergeordnete 
Stellung  einnimmt ,  von  der  durchgreifendsten  Bedeutung 
für  das  in  derselhen  entwickelte  System  ist.  Den  Nach- 
weis davon  zu  führen,  will  ich  im  Folgenden  versuchen, 
und  es  muss  diess  eine  Hauptaufgabe  der  gegenwärtigen 
Abhandlung  sein. 

Der  Plan  zu  derselhen  entstand  mir  bei  der  erstmaligen 
Lecttire  der  Ethik  des  Spinoza.  Ich  versuchte  schon  damals  in 
einer  kleinereu  Arbeit  nachzuweisen,  von  welcher  weittragen- 
den Bedeutung  für  das  ganze  System  des  Spinoza  die  Leug- 
uung  des  Zweckbegriffs  sei.  Nachdem  ich  dafür  durch 
eignes  Studium  und  durch  Berücksichtigung  der  Urtheile 
Andrer*)  mehrfach  Bestätigung  gefunden,  entschloss  ich 
mich,  diesen  Gedanken,  der  bis  dahin  nur  auf  eiuer  mehr 
suhjectiven  Beobachtung  mir  zu  ruhen  schien ,  weiter  aus- 
zuführen, und  so  entstand  die  vorliegende  Arbeit. 

Dass,  während  ich  schon  an  die  Ausarbeitung  derselben 


•)  Besonders  denke  ich  hierbei  an  die  Bemerkung  Trendelenburg's 
in  den  .»Logischen  Untersuchungen'',  2.  Band  S.  43:  Die  Vernichtung 
des  Zweckes,  die  Alleinherrchaft  der  wirksamen  Ursache  ist  hiemach 
das  bedeutsamste  Kennzeichen  des  spinozischen  Systems  und  könnte 
vielmehr  der  Atheismus  desselben  heissen,  als  der  gefürchtete  Satz,  dass 
Gott  die  immanente  Ursache  der  Dinge  sei. 


I 


herangetreten  war,  ein  Schriftchen  über  denselben  Gegen- 
stand erschien  (Spinoza's  Ansicht  über  den  Zweckbegriff, 
dargestellt  und  beurtheilt  von  Heinrich  Kratz,  Neuwied  und 
Leipzig,  1871),  konnte  mich  an  der  Ausführung  meines  "Vor- 
habens nicht  hindern.  Denn,  wie  sehr  ich  auch  in  vielen 
Punkten  mich  mit  demselben  in  Uebereinstimmung  fand, 
so  geht  doch  der  Verfasser  desselben  auf  die  mir  am  wich- 
tigsten scheinenden  Punkte  zu  wenig  ein,  als  dass  eine  er- 
neute und  weitergehende  Untersuchung  desselben  Gegen- 
standes dadurch  überflüssig  gemacht  würde.  Ich  konnte 
in  der  erwähnten  Schrift  aber  wohl  ein  Zeugniss  dafür 
erkennen,  dass  ihr  Gegenstand  nicht  ohne  Interesse  ist. 
Gehörigen  Ortes  wird  auf  dieselbe  Rücksicht  genommen 
werden. 

Auf  eine  Besprechung  der  in  neuester  Zeit  über  die 
Lehre  des  Spinoza  geführten  Verhandlungen  einzugehen, 
bot  sich  mir  bei  der  Begränzung  meiner  Aufgabe  keinerlei 
Veranlassung.  Vielleicht  wird  überhaupt  eine  eingehende 
Berücksichtigung  der  bisherigen  Resultate  der  über  Spino- 
za's  Lehre  angestellten  Ihitersuchungen  vermisst  werden. 
Ich  habe  mich  im  Wesentlichen  auf  die  Ethik  des  Spinoza 
beschränken  zu  müssen  geglaubt  und  möchte  lieber  eine 
mangelhafte  Kenntniss  dessen,  was  Andre  über  sie  geurtheilt 
haben,  verrathen,  als  ein  gründliches  und  selbstständiges 
Eingehen  auf  die  Gedanken  des  Spinoza  selbst  vermissen 
lassen. 

Wenn  durch  die  vorliegende  Abhandlung  an  einigen 
Punkten  -das  Verständniss  des  grossen  Denkers  gefördert 
werden  sollte,  würde   die  Aufgabe  derselben  erreicht  sein. 

An  vielen  Punkten  habe  ich  wohl  gegen  die  Lehren 
des  Spinoza  mich  erklären  zu  müssen  geglaubt.  Meine  eigne 


—     VI     — 

üebeizeugung,  nach  welcliei  «Uc  Welt  und  ihre  Entwickelung 
eine  Verwirklichung  göttlicher  Zwecke  und  Ziele  ist,  und 
Gott  selbst  Zweck  und  Ziel  des  Menschen,  konnte  nicht 
ohne  Einftuss  bleiben  auch  auf  die  Beurtheilung  der  Zweck- 
lehre des  Spinoza  und  seiner  den  Zweck  ausschliessenden 
Weltanschauung.  Nur  hoffe  ich ,  darum  nicht  eines  vor- 
schnellen Absi)rechens  über  Spinoza  mich  schuldig  gemacht 
zu  haben,  sondern  auch  in  der  Polemik  gegon  ihn  die 
Pietät,  welche  die  Wissenschaft  überhaupt  und  nicht  am 
wenigsten  auch  die  theologische  Wissenschaft  ihm,  als  För- 
derer  und  Bahnbrecher  schuldet,  bezeugt  zu  haben. 

Die  Werke  des  Spinoza  habe  ich  nach  der  lateinischen 
Stereotypausgabe  von  C.  H.  Bruder,  Leipzig,  bei  Tauchnitz, 
1743—46  citirt;  die  Abhandlung  von  Gott,  dem  Menschen 
nnd  dessen  Glück  nach  der  deutschen  U^'bersetzung  von 
C.  Schaarschmidt,  Berlin,  1869  bei  Hermann. 


Einleitung^, 


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Die  Bedeutung  des  Spinoza  ist  eine  weit  über  die  Grenzen 
seines  Zeitalters  liinausreiehende.  Wolil  wird  im  Zusammen- 
hange einer  Darstellung  der  Geschichte  der  Philosophie  immer 
zunächst  Rücksicht  genommen  werden  auf  seine  Stellung  inner- 
halb der  Entwickelung  des  philosophischen  Denkens  seiner  Zeit. 
Welchen  Fortschritt  sein  Denken  bezeichne  im  Vergleich  zu  dem 
des  Cartesius,  welches  Verdienst  er  sich  erworben  habe  durch 
die  Durchbrechung  der  Schranken,  von  denen  die  philosophische 
Forschung  bis  zu  seiner  Zeit  eingeengt  ward,  und  in  wie  weit 
er  Einflnss  gewonnen  hat  auf  die  philosoplüschen  Systeme,  die 
dem  seinigen  zunächst  folgen,  wird  da  vor  Allem  gezeigt  wer- 
den müssen. 

Indess  wird  damit  die  Bedeutung  Spinoza  s  nicht  erschöpft. 
Sein  Einflnss  lässt  sich  verfolgen  in  der  Entwickelung  des  ge- 
sammten  geistigen  Lebens  der  späteren  Jahrhunderte  und  reicht 
bis  zu  unsrer  Zeit  herab ,  ja  ist  gerade  in  der  neuesten  Zeit 
deutlicher  als  sonst  erkennbar. 

Seitdem  Schleiermacher  in  seinen  Reden  über  die  Religion 
,,den  Manen  des  heiligen,  verstossenen  Spinoza  ehrerbietig  eine 
Locke  geopfert",  ist  von  den  verschiedensten  Seiten  her  die 
Aufmerksamkeit  auf  ihn  gelenkt  worden ,  den  in  seiner  Zeit  so 
einsam  dastehenden  Denker;  ist  zuletzt  in  unsren  Tagen  auch 
das  grosse  Publicum  durch  freiere  Darstellungen  seines  Lebens 
und  seiner  Lehre  für  ihn  interessirt  worden. 

Wie  ist  dieser  Einflnss  des  Spinoza  zu  erklären? 

Sehen  wir  recht,  so  übt  seine  Lehre  und  Weltanschauung 
nach  zwei  Seiten  hin  Reiz  nnd  Anziehungskraft  aus  und  seine 
Verehrer  theilen  sich  gleichsam  in  zwei  Classen. 

Die  Einen  werden  vornehmlich  durch  die  ideale  Seite  seines 
Wesens  angezogen.  Die  kühne  Wahrheitsliebe,  die  fleckenlose 
Sittenreinheit,  die  seinen  persönlichen  Character  auszeichnen, 
nöthigt  ihnen  Verehnmg  für  ihn  ab.  Der  religiöse  und  poetische 
Zug,  der  sein  doch  in  so  herber  Strenge  durchgeführtes  System 
durchweht,  ist  ihnen  sympathisch.     In  ihrer  aller  Namen  redet 

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gleichsam  Schleiermaeher ,  wenn  er  von  Spinoza  sagt:  ,,Ihn 
durchdrang  der  hohe  Weltgeist,  das  Unendliche  war  sein  An- 
fang und  Ende,  das  Universum  seine  einzige  und  ewige  Liebe. 
In  heiliger  Unschuld  und  tiefer  D<'muth  siiiegelte  er  sich  in  der 
ewigen  Welt  und  sah  zu,  wie  mich  er  ihr  liebenswürdigster 
Spiegel  war;  voller  Religion  war  er  und  voll  heiligen  Geistes." 

Auf  der  andern  Seite  berührt  sich  aber  Spinoza  in  auf- 
fallender Weise  mit  den  materialistischen  und  atheistischen  be- 
lehrten unserer  Zeit.  Soweit  der  modernen  Naturforschung,  die, 
meist  in  Anschluss  an  die  Darwinsche  Theorie,  den  Begriff  der 
Schöpfung  und  die  zweckmässige  Einrichtung  der  Naturorganis- 
men leugnet  ,  eine  philosophische  Anschauung  zu  Gmnde  liegt, 
ist  der  Einfluss  des  Spinoza  auf  dieselbe  nicht  zu  verkennen.  Für 
die  Leugnung  eines  besondren  Princips  des  Sittlichen  neben  dem  des 
Nutzens  und  der  Selbsterhaltung,  welche  in  unserer  Zeit  mit 
materialistischen  Theorien  vielfach  verbunden  erscheint,  kann 
man  sich  ebenfalls  schon  auf  Spinoza  als  Vorgänger  berufen. 

Es  fragt  sich,  ob  jene  Idealisten  oder  diese  Realisten  die 
Lehre  des  Spinoza  am  richtigsten  aufgefasst  haben.  Ist  das 
System  des  Spinoza  ein  naturalistisches  oder  ein  religiös-panthe- 
istisches?  Welcher  von  jenen  beiden  geistigen  Richtungen  hat 
der  grosse  Denker  angehr>rt  oder  am  nächsten  gestanden? 

Zunächst  ist  zuzugeben :  Die  bemerkenswerthe  Erscheinung, 
dass  die  Vertreter  so  entgegengesetzter  geistiger  Richtungen  durch 
denselben  Mann  beeinflusst  erscheinen  und  auf  ihn  sich  berufen, 
liegt  in  der  Eigenthümlichkeit  seines  Systems  begründet  (cf. 
Ti-endelenburg,  Hist.  Beiträge  zur  Ph.  2.  Band  S.   108). 

Auf  der  einen  Seite  ist  seine  ganze  Lehre  von  einem  sitt- 
lich-religiösen Zuge  getragen.  ,,Quicquid  est  in_  Deo  est  et 
nihil  sine  Deo  esse  neque  concipi  postest  (Eth.  I.  L'>)".  Dieser 
Grundgedanke  durchzieht  sein  ganzes  System.  Auch  wo  er  durch 
die  Negation  jeglicher  Bestimmtheit  des  göttlichen  Wesens  Gott  der 
menschlichen  Auffassung  in  die  weiteste  Feme  rückt,  ist  es  das 
religiöse  Interesse,  die  göttliche  Vollkommenheit  vor  jeder  Ver- 
menschlichung zu  bewahren ,  das  ihn  dazu  treibt.  Alle  wahre 
Erkenntniss  ist  ihm  Gotteserkenntniss,  alle  wahre  Tugend  Gottes- 
liebe,  und  die  Seele  des  Menschen  nach  ihrem  gi'össeren  und 
besseren  Theile  ist  unsterblich  (cf.  Eth.  II,  pr.  40,  schol.  II; 
V  pr.  25  ;  IV  pr.  2S ;  V  pr.  32  coroU  und  Eth.  V  pr.  23  pr. 
40  coroll.  pr.  38  schol.  auch  :  Kurzgefasste  Abhandlung  von 
Gott,  dem  Menschen  und  dessen  Gltlck,  übersetzt  von  C.  Schaar- 
schmidt,  Kap.  XXIII.) 

Auf  der  andern  Seite  finden  sich  bei  ihm  solche  Sätze,  die 


alle  Religion    und  Sittlichkeit   aufzuheben  scheinen.     So  spricht 
er   bekanntlich    Gott   den  Verstand   und    Willen  ab  (Eth.  I  pr. 
17  schol) ,  und  erkennt  *«ur  ein  Handeln  Gottes  aus  der  Notli- 
wendigkeit  seiner  Natur  an,   was  folgerichtig  zu  dem  Satze  führt; 
Wer    Gott   liebt,    kann    nicht    wollen,    dass    Gott   ihn   wieder 
iiebe''   (pr.  V  ID)  ;  ja  an  einigen  Stellen  hebt  er  jeden  Unter- 
schied zwischen  Gott  und  Natur  auf,  so  dass  sein  Pantheismus 
zum   Atheismus   herabzusinken    scheint.      Ferner   behauptet   er, 
es   sei    das  oberste  Princip  aller  Tugend  das  Streben  nach  dem 
eigenen  Nutzen  oder  das  der  Selbsterhaltung  (IV  pr.  24),    erklärt 
die    Begriffe    des   Guten    und    Schlechten   als    nur    relative   und 
fordert,    dass    alle  Leidenschaften  und  Begierden  als  etwas   aus 
der  natürlichen  Ordnung  folgendes,  nicht  als  etwas  Fehlerhaftes 
oder  zu  Beklagendes  angesehen  werden  sollen. 

Das  Verständniss  des  Spinoza  wird  durch  diese,  sein  ganzes 
System  durchziehenden  Widersprüche  nicht  wenig  erschwert. 
Um  in  der  Auffassung  seiner  einzelnen  Sätze  nicht  irre  zu  gehen, 
ist  es  vor  Allem  nöthig,  die  Grundtendenz  seines  Philosophirens 
recht  zu  erkennen.  Diese  wird  den  Massstab  geben  sowohl  für 
die  richtige  Auffassung  seiner  einzelnen  Sätze,  als  auch  für 
jede  gerechte ,  nicht  von  subjectiven  Anschauungen  ausgehende 
Kritik  derselben. 

Zwei  Annahmen  sind  dabei  möglich. 

Nach  der  ersten  hat  Spinoza  die  Tendenz,  alle  bisherige 
Wahrheitserkenntniss  zu  critisiren.  Er  wendet  sich  gegen  die 
bisher  allein  geltende  theologische  Anschauung,  durch  welche 
die  Erkenntniss  der  Natur  vernachlässigt  worden  sei.  Er  sucht 
das  Wesen  der  Natur  aus  ihr  selbst  zu  begreifen  und  sieht  m 
der  Natur  selbst  das  Absolute.  Sein  System  ist  also  wesent- 
lich Naturalismus.  Dass  er  dennoch  das  Absolute  als  Gott  be- 
zeichnet, ist  ein  unüberwundener  Rest  der  bisherigen  Welt- 
anschauung. Seine  eigentliche  Tendenz  ist  die ,  din  Welt  un- 
abhäi,^  -  von  Gott  zu  verstehen ,  die  Wahrheit  zu  erkennen, 
ohn^  ^.iicksicht  darauf,  welchen  Einfluss  sie  auf  das  Leben  der 

^     *ichen  übe  )  • 

Wäre   diese   Annahme  richtig ,    so  lösten  sich  die  oben  er- 


•)  So  z.  B.  V.  Kirchmann,  Erläuterungen  zu  B.  v.  Smnozas  Ethik 
Berlin,  1869.  S.  24:  „Im  Allgemeinen  ist  festzuhalten,  dass  der  Oott 
Spinoza's  sich  gänzlich  von  dem  Gott  der  jüdischen  und  christlichen 
Religion  unterscheidet.  Die  Beibehaltung  des  blosen  Wortes  kann  des- 
halb  hier  gar  nichts  entscheiden. 


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wähnten  Widersprüche.  Ein  religiös  -  sittliches  Interesse  läge 
dann  dem  Spinoza  fern.  Denn  was  er  Liebe  zu  Gott  nennt, 
wäre  nur  die  Lust  an  der  Erkenntrifcs  der  Natur ,  was  er 
Tugend  nennt ,  nur  die  Bethäti^ung  der  natürlichen  Kräfte. 
Darin  läge  dann  der  Schlüssel  zum  Verständniss  des  Spinoza. 
Je  völliger  von  Allem,  was  seiner  Lehn«  noch  aus  der  theolo- 
gischen Ausdrucksweise  anhafte  ,  abstrahiit  werde ,  desto  deut- 
licher trete  seine  eigentliche  Meinung  zu  Tage. 

Aber  diese  Annahme  ist  unvereinbar  mit  den  eigenen  Aus- 
sagen des  Spinoza  und  mit  seinem  persönlichen  Character. 

Was  ihn  zum  Philosophiren  getrieben  habe ,  sagt  er  selbst 
in  den  ersten  Worten  seines  tractatus  de  intellcctus  emendatione. 
Da  heisst  es :  Constitui  tandem  inquirere ,  num  aliquid  daretur, 
quod  verum,  bonum  et  sui  communicabilc  esset  ....  quo  in- 
vento  et  acquisito  continua  ac  summa  in  aeternum  fruerer  lae- 
titia.  In  der  Ethik  selbst  (V.  2l>i  lässt  er  als  höchstes  Ziel 
alles  Philosophirens  nicht  die  Erkenntniss  der  Wahrheit,  sondern 
die  Ruhe  der  Seele  gelten.  Damit  stimmt  übei'ein ,  was  von 
seinem  persönlichen  Character  erzählt  wird.  Die  Sanftmuth, 
Leidenschaftslosigkeit  und  Uneigcnnützigkeit ,  die  ihn  nach 
dem  übereinstimmenden  Trthcile  seiner  Freunde  und  seiner 
Gegner  auszeichnete ,  war  nur  die  Bethätigung  seiner  Lehre. 
Im  persönlichen  Verkehr  mit  seinen  Freunden  und  Hausgenossen 
zeigte  er  sich  in  keiner  Beziehung  als  Gegner  der  Religion.  Im 
Gegentheil,  er  betonte  die  Wichtigkeit  des  aller  Religion  Wesent- 
lichen mit  persönlicher  Wärme.  Die  Hauptsache  in  der  Reli- 
gion sei  ein  frommes ,  friedfertiges  und  ruhiges  Leben ,  pflegte 
er  öfters  im  Gespräch  zu  äussern.  Ja  sogar  gegenüber  einer 
gehässigen  Herabsetzung  seiner  Philosophie  hat  er  einmal  ge- 
sagt (epist.  74) :  Est  enim ,  ut  cum  Johanne  dixi ,  justitia 
sei  Caritas  unicum  et  certissimum  Signum  verae  fidei ,  et  ubi- 
cunque  desunt ,  deest  Christus.  Solo  namque  Christi  spiritu 
duci  possumus  in  amorem  justitiae  et  caritatis.  Und  wenn 
auch  Spinoza  zweimal  ,,deus  seu  natura"  sagt  (Eth.  praef.  ad 
partem.IV),  so  ist  dieser  Stelle  doch  auch  die  andere  entgegen- 
zustellen im  21.  Briefe  (S.  PJ5  bei  Bruder):  ,,Attamen  quod 
quidam  putant.  tractatum  theologico-politicum  eo  niti  quod  deus 
et  natura  per  quam  massam  quandam  vel  materiem  corpoream 
intelligunt^  unum  et  idem  sint ,  tota  errant  via.  In  ähnlicher 
Weise  hat  er  öfters  betont,  dass  seine  Philosophie  der  Religion 
nicht  widerspreche ,  sondern  vielmehr  zu  frommem  Leben  und 
ewigem  Heile  führe.  Und  solchen  Aeusserungen  ist  doch  bei 
der   strengen   Wahrheitsliebe    des   Spinoza   ein  um   so  grösseres 


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Gewicht  beizulegen.  Dazu  kommt  noch,  dass  auch  die  ver- 
trautesten Freunde  des  Spinoza,  deren  Zeugniss  immerhin  wichtig 
bleibt,  wenn  ihnen  auch  das  volle  Verständniss  der  Philosophie 
des  Spinoza  nnisstc  abgesprochen  werden ,  der  Ueberzeugung 
einen  Ausdruck  gegeben  hnben,  es  stimme  die  Philosophie  Spi- 
nozas mit  den  Lehren  der  christlichen  Religion  überein  (cf. 
die  praefatio  editoris  bei  Bruder  S.  löl  ff.  und  die  Bemerkung 
von  Voigtländer  in  den  theol.  Studien  u.  Kritiken  1<S4I  3.  Heft, 
S.  654;    siehe  auch  Kratz  l.   c.   S.    11   Anm.   **). 

Durch  alles  diess  wird  die  Annahme  ausgeschlossen,  dass  die 
Gnmdtendenz  des  spinozischen  Philosophirens  eine  rein  kritische 
und  intellectuelle  gewesen  sei. 

Wir  w(M-den  also  zu  einer  anderen  Annnhme  geführt,   durch 
welche   die   Aufüissung   der   Lehre   des  Spinoza  wesentlich  ver- 
ändert   wird.       (Vergleiche    liierzu     die     treffliche    Darstellung 
Kuno    Fischer's   Geschichte    der    neueren    Philosophie    1.    Band 
2.  Theil,   l).  Kapitel.) 

Es  war  ein  zweifaches  Interesse,  welches  den  Spinoza  bei 
der  Durchführung  seines  Systems  geleitet  hat. 

Die  (irundtendenz  seines  Philosojdiirens  wtw  eine  sittlich- 
religiöse. Es  war  ihm  ein  inneres  lUHlürfniss,  (i(>tt  zuerkennen 
und  in  ihm  a}le  Dinge  zu  begreifen.  Es  kam  ihm  darauf  an, 
durch  die  Erkenntniss  Gottes  inneren  Frieden  und  Freiheit  von 
den  sinnlichen  Leidenschaften  zu  finden. 

Diese  religiös-sittliche  Tendenz  ist  aber  nur  der  eine  Factor, 
der  den  Character  seines  philosophischen  Systems  bestimmt. 
Bei  der  Durchführung  desselben  kam  es  ihm  nun  vor  Allem 
auf  die  strengste  Folgerichtigkeit  an,  da  von  dieser  alle  Zuver- 
lässigkeit seiner  Sätze  ihm  abhängen  musste.  In  der  rücksichts- 
losen Consequenz  des  Denkens  bot  sich  ihm  der  einzige  Weg 
zur  Erreichung  seines  praktischen  Zieles. 

Daher  übertrug  er  die  mathematische  Methode,  als  durch 
welche  allein  die  Evidenz  der  Beweisführung  erreichbar  sei, 
auf  die  Philosophie  und  verwarf  in  unbedingtem  Vertrauen  aui 
die  Untrüglichkeit  derselben  jede  zu  Gunsten  eines  praktischen 
Postulates  sich  darbietende  Abweichung  davon.  Diese  strenge 
Anwendung  der  mathematischen  Methode  giebt  allerdings  sei- 
nem System  den  Character  grossartiger  Einheit.  Es  erscheint 
durch  dieselbe  als  die  conseqnente  Durchführung  einer  einheit- 
lichen W^dtanschauung ,  als  ein  allseitig  nach  den  nämlichen 
Gesetzen  ausgebautes  philosophisches  Kunstwerk.  Aber  es  er- 
klärt sich  dadurch  auch,  dass  Spinoza  bei  der  Durchführung 
seines  Systems  durch  die  logische  Consequenz  zu  solchen  Sätzen 


—     6     — 

getrieben  werden  konnte ,  welche  der  Omndteiidenz  desselben 
widersprechen,  (cf.  K.  Fischer  1.  c.  S.  231  :  8o  kommen  in 
die  WeltanschfTimn^  Spinozas  jene  Züge ,  welclie  die  Welt  so 
lange  Zeit  erschreckt  nnd  empört  haben.) 

Dieses  Widersprnclis  ist  freilich  Spinoza,  der  für  sein  per- 
sönliches Leben  so  völlige  Befriedigung  in  seinem  Denken  fand 
und  von  der  unbedingten  (lewissheit  seiner  Itcsultate  überzeugt 
war,  sich  nie  bewusst  geworden.  Es  wäre  ungerecht  gegen 
ihn ,  aus  einzelnen  Sätzen  seines  Systems  gegen  die  Wirklich- 
keit der  von  ilim  so  klar  ausgesproclienen  Orundanscliauung  und 
somit  gegen  seine  persönliche  Aufriclitigkeit  zu  argumentiren. 

Ebenso  unrichtig  aber  würde  es  sein,  solche  Sätze  als  die 
unvermeidliche  und  notliwendige  Consequenz  aus  seiner  (Jrnnd- 
anschnung  zu  betrachten ,  also  letztere  selbst  als  unhaltbar,  da 
sie  mit  Nothwendigkeit  zu  Sätzen  führe,  die  mit  ihr  selbst  im 
Widerspruche  ständen.  Denn  wer  diess  behaupten  wollte, 
müsste  zuvor  nachgewiesen  haben,  dass  wirklich  die  mathema- 
tische Methode  Spinozas  die  richtige  und  zur  Durchführung 
eines  philosophischen  Systems  zureicliende  sei. 

Ist  diess  nun  wirklich  der  Fall?  Diese  Frage  ist  vor 
Allem  zu  untersuchen,  um  für  eine  eingehendere  Würdigung 
und  Beurtheilung  der  Lehre  des  Spinoza  den  Standpunkt  zu 
gewinnen. 

Wir  sehen  dabei  von  aller  äusseren  Form  der  Methode, 
wie  sie  Spinoza  auf  die  philosopliische  Darstellung  übertragen 
hat,  ab,  also  von  seiner  Darlegung  des  Lehrstoffs  in  Lehrsätzen, 
Beweisen,  Erklärungen  und  Zusätzen,  denen  er  nach  Weise  des 
Euklid  Definitionen  und  Axiome  voranschickt.  Dass  Spinoza 
dadurch  nur  das  Verständniss  seiner  Lehre  erschwert  hat  und 
doch  keine  Evidenz  des  Beweises  erreicht,  weil  er  seine  Grund- 
voraussetzungen schon  in  den  Definitionen  und  Axiomen  nieder- 
legt, ist  von  Anderen  hinreichend  nachgewiesen  worden,  (cf. 
Ueberweg,  Grundriss  der  Geschichte  der  Philosophie  3.  Theil 
S.  63,  von  Kirchmann,  Erläuterungen  etc.  S.  9,  auch  M.  Brasch : 
B.  v.  Spinozas  System  der  Philosophie  genetisch  dargestellt. 
Berlin  1870  S.  9  u.  10.) 

Im  Wesen  dieser  Methode  aber  liegt  es  begründet,  dass 
Spinoza  keine  anderen  Kategorien  anerkannt,  als  die,  welche 
in  der  Mathematik  Anwendung  finden.  Daher  operirt  er  vor- 
züglich mit  dem  Begriff  der  Gausalität  (Eth.  I  ax  3  u.  4) ; 
unterscheidet  diesen  Begriff  aber  nicht  V(m  dem  der  logischen 
Folge  oder  begrifflichen  Inhärenz  (cf.  v.  Kirchmann  1.  c.  S.  11, 
23,    27    auch   K.    Fischer    1.    c.    12.   Capitel  III  2).     Daher 


T 


-    7    - 

schliesst  er  den  Begriff  des  Zweckes,  insofern  dieser  in  der 
Mathematik  keine  xVnwendung  findet ,  auch  bei  der  philosophi- 
schen Betrachtung  der  Dinge  aus,  und  führt  das,  was  im  mensch- 
lichen Verhalten  als  Zweck  erscheine ,  auf  ein  bloses  Begehren 
des  Menschen  zurück.  Diese  Fassung  des  Causalitätsbegriffs 
und  die  L8ugnung  des  Zweckes  ist  durch  sein  ganzes  System 
hindurch  zu  verfolgen.  Wird  diess  im  Auge  behalten,  so  muss 
die  Auffassung  seiner  Lehre  durchgängig  dadurch  bestimmt 
werden.  Lässt  sich  nun  nachweisen ,  dass  die  Leugnung  des 
Zweckes  bei  Spinoza  und  darum  auch  seine  ausschliessliche  An- 
wendung des  Causalitätsbegriffs  eine  irrige  ist,  so  ergiebt  sich 
daraus  ein  Massstab  für  die  Beurtheilung  seiner  Lehre  in  allen 
ihren  Theilen. 

Wir  werden  in  diesem  Falle  allerdings  alle  aus  der  Leug- 
nung des  Zweckes  sich  ergebenden  Folgerungen  abweisen  müssen, 
aber  eben  dadurch  den  bleibenden  Gehalt  seiner  Philosophie, 
der  doch  in  gewissem  Grade  von  seinen  dialectischen  Voraus- 
setzungen unabhängig  ist,    desto  besser  zu  würdigen  vermögen. 

Wir  suchen  diess  im  Folgenden  zu  leisten ,  indem  wir  zu- 
nächst die  Ansicht  des  Spinoza  über  den  Zweckbegriff  darstellen 
und  beurtheilen,  dann  alier  die  Consequenzen  seiner  Leugnung 
des  Zweckes  in  den  Hauptlehren  seines  Systems  nachweisen. 


S     — 


I.  Tlu'il. 

t 
D(initellioi()  »ml  lieiirtlmhuu) 
der  Ansicht  des  Spinoza  iihcr  de»  Ztcerkhetjriff. 

A.  Darstellung. 

Ausfillirli.l,    l.at    si<l,  Spinoza    iilxr    ,],.„  Zwcckbcffrift-  aus- 

fs''"';;'"«!'  ,'"•  ;'■'",  •^"''""^"'  •'■•^  '•'•''♦•■"  'r'"'!'.^  «^'i-K.-  Ktiük 

(&.-!(.  ff.   I„.i  l.ru.Irii   uii.l  ««■ilcr  in  .In- Vorrcd..  zum  4    Tlieil 

vSi.-i'ol.  ^t'"'*  '"'■  ■'''■'"■'"'  "'""'*'""  *''■''''""'"  '^^'^'  ■'■'' 

\yii-  ver«u<-li.m    in  K»lfr,.n.l..,n    .sein,'  li,. ,kun-cn  und  „o- 

lem>s,-lK.„  Kr.irt,.rnn^a.n  untor  b.stin.n.f,.  (i,.si,.|,rs„uukt,.  /„ 
bn..s..n .  n,n  s.,  sein.  .Vusi,-!..  (ih,.,-  ,1..,  Zw,...kl,...niff  und  s.-ine 
Ort  nde   g,...n   d.e   Anwnull..uk..it    .l..«.sclbcu   ....«dn.t    darz  " 


1.    Der  Zweck  in,  HiTcicho  des  menschlichen 

Hand  eins. 

Wiibmul  bei  d,.n   nx-istm   I!,-rim.„  des  Spin.-za  sieb   niebt 

er  z,u    liiblui,^'  de.s,dben  -rk neu  ist.   «priebt  ci-  sieb   in   lie- 

r  be,-"l„  "'"'•    '■"•"""^■'.'''■^  Zweekbe,nitls  ziendieb  deutlieb    da- 

1  Übe.   ans,   wie  er  zu  seiner.   Creilieb  denselben br  aufliwenden 

als  erklar,.„den  Kassun,-  .less,.|be„  ...kennuen    ist.        ^  ,d  „" 
sonst    .„seinen   l!eK.iHse.,lwi,.kel„n,.,,    ,„in  ap.i„,iseb    ver     .rt 

ssi^etbtu::::;!.:''''''-  '^ "'- "•■"  '•"•  ••-  ^^^^^ 

T^l   v'^?''  ^I«'"sch<'n -,  sosaf.^  er,   (8.  217  Z.    12  v    o    cf    S 
^1k  V  *'n     v'V'''^*'"    nnkundjn:    der   l'rsachen    der   Din-e 

geboren  nnd  Alle   haben  ein  VerlnnKcn,   das.   was  ihnen  nfitzl  ch 
n  '."  '''.v-n^'"  ""^^  '^i"'^  -^i^i'  <U'ssen  bewnsst.     8ie  sind  also 
wohl  Ihrer  Wdlensacte  nnd  ihres  Begehrens  bewnsst,  abc^  an  d  e 


i>     — 


Ursachen,  von  denen  sie  dazu  bestimmt  werden,  etwas  zu  begeh- 
ren und  zu  wollen,  denken  sie  nicht  im  Entferntesten,  weil 
sie  derselben  unkundig  sind.  Daher  geschieht  es,  dass  sie  immer 
nur  die  Zwecke  des  (Jeschehenen  kennen  zu  lernen  streben 
und  wenn  sie  dieselben  gehr»rt  haben ,  sich  beruhigen ,  nämlich 
weil  sie  keinen  Anlass  haben,  weiter  zu  zweifeln." 

Aus  diesen  Erfahrungssätzen  ,  die  ja  Spinoza  in  dem  Zu- 
sammenhang, dem  sie  entnommen  sind,  nur  benutzt,  um  zu  er- 
klären,  woher  ,,die  Vorurtheile"  gegen  seine  im  ersten  Theile 
der  Ethik  dargelegte  (lotteslehn'  stammen,  lässt  sich  die  An- 
sieht des  8i)inoza  über  den  Zweckbegrilf ,  die  uns  sonst  um 
Vieles  dunkler  bleiben  würde  ,  al)leiten ,  und  nur  deshalb  habe 
ich  sie  hier  mit  VVeglassung  des  für  diesen  Zweck  Unwesent- 
lichen aufgeführt,  wozu  Spinoza  selbst  uns  berechtigt,  indem 
er  an  der  Stelle,  wo  er  seine  Deliniticm  des  Zweckbegrifts  ab- 
leitet  (8.  ^).')1    f.    1    V.   (»I)en'   auf  diese  Sätze  sich  zurückbezieht. 

Wir  sehen  also :  Wer  etwas  um  eines  Zweckes  willen  thut, 
thut  es  um  eines  Vurthcils  willen,  den  er  begehrt.  Der  Gnind^ 
seines  Thuns  ist  alsi»  dieses  einzelne  Begehren.  Wenn  ein 
Ding  um  eines  Zweckes  willen  geschehen  ist  (uler  da  ist,  so 
ist  ein  bestimmtes  Hegeluen  die  Ursache  dieses  Dinges  gewesen. 
Weil  nun  die  iMensclien  dieser  einzelnem  Degehrungen  sich  be- 
wnsst sind;  der  UrsaclicMi  aber,  von  denen  sie  zum  Begehren 
bestimmt  werden,  gewöhnlich  unkundig  sind,  so  bleiben  sie  mit 
ihrem  Denken  und  P'oischen  bei  diesem  Begehren  stehen  und 
forschen  aus  dem  (Jrunde  nach  keiniMi  weiteren.  Ursachen ,  weil 
sie  gar  nicht  wissen,  dass  es  solche  giebt.  Sie  fassen  also  ein 
einzelnes  Begehren  als  die  erste  Ursache,  als  das  Princip  eines 
Dinges  auf,  nicht,  wie  (\s  dem  wahren  Sachverhalt  entsprechend 
wäre ,  als  eine  Ursache .  di(^  wieder  von  andern  Ursachen 
bestimmt  ist.  Darin  liegt  nach  Spinoza  das  Irrthümliche  der 
Annahme  eines  besonderen  Zweck begriffs.  Nur  durch  eine  irr- 
thümliche Auffassung  der  einzelnen  Begehrungen  ist  es  geschehen, 
dass  der  Zweck  übeihaupt  von  der  Ursache,  die  causa  finalis 
von  der  causa  efticiens  unterschieden  ward.  Die  Annahme 
von  Zwecken  zur  Erklärung  der  Dinge  beruht  auf  der  Unkennt- 
iiiss  der  in  Wahrheit  stattiindenden  Verkettung  der  Ursachen, 
auf  der  irrthümlichen  Auffassung  eines  einzelnen  Begehrens  als 
der  ersten  Ursache  eines  Dinges. 

So  erklärt  sich  die  Definition  des  Zweckes ,  welche  Spi- 
noza giebt  (IV.  def.  7):  ,, Unter  Zweck,  wegen  dessen  wir  et- 
was thun,  verstehe  ich  ein  Begehren.''  Noch  Volltsändiger  und 
genauer  ausgedrückt  lautet  dieselbe:  Was  Zweck  (causa  finalis) 


-     10    - 

genannt  wird  ,  ist  nichts  als  das  menschliche  Begehren  selbst, 
sofern  es  aufgefasst  wird  als  das  Princip  oder  die  erste  Ursache 
(cansa  primaria)  eines  Dinges  (praef.  ad  partem  IV.  S.  330, 
Z.   10  V.  u.) 

Diese  letzten  Worte  ,, sofern  es  aufgefasst  wird  als  die 
erste  Ursache  eines  Dinges''  sind  wohl  zu  beachten.  Denn 
eben  diese  Auflassung  ist  nach  Spinoza  eine  irrige.  Das  mensch- 
liche Begehren  darf  nicht  aufgefasst  werden  als  erste  Ursache 
eines  Dinges,  weil  es  selbst  wieder  durch  andere  Ursachen  be- 
stimmt wird.  Nur,  insofern  wir  es  irrihüralicher  Weise  als  die 
erste  Ursache  eines  Dinges  ansehen ,  nennen  wir  das  Begehren 
durch  welches  das  Ding  verursacht  wird,  den  Zweck  des  Dinges. 
Bei  richtiger  Erkenntniss  können  wir  es  nur  als  eine  von  den 
Ursachen  des  Dinges  auffassen. 

Spinoza  erläutert  seine  Definition  noch  durch  folgendes 
Beispiel:  ,, Wenn  wir  sagen,  dass  das  Wohnen  der  Zweck  eines 
Hauses  gewesen  sei,  verstehen  wir  darunter  nichts  anderes,  als 
dass  ein  Mensch  darum,  weil  er  sich  die  Vortheile  des  häus- 
lichen Lebens  vorstellte,  das  Hegehren  gehabt  hat,  ein  Haus  zu 
bauen.  Damm  ist  das  Wohnen,  sofern  es  als  Zweck  betrachtet 
wird,  nur  dieses  einzelne  Begehren,  welches  in  Wahrheit  die 
bewirkende  Ursache  ist,  die  als  erste  Ursache  aufgefasst  wird, 
weil  die  Menschen  der  Ursachen  ihrer  Begehrungen  gewöhnlich 
unkundig  sind.''     (S.  330  Z.  <S  v.  u.) 

Wir  sehen  also:  Spinoza  leugnet  den  Zweck  schon  für  das 
menschliche  Handeln.    Dass  er  eine  Definition  des  Zwecks  giebt, 
beweist  dagegen  nichts.   I  )iese  Definition  soll  nur  die  Erklärung  eines 
Begriff's  sein,   den  er  als  auf  einer  imgen  Auffassung  beruhend 
zurückweist.     Diess   wiederholt  er  auch  mit   deutlichen  Worten. 
Er  versichert  nicht  nur,  dass  sich  die  Natur  keinen  Zweck  vor- 
gesetzt hat,    sondern  fügt  auch  hinzu,    dass  alle  Zwecke  nichts 
als   menschliche  Erfindungen   seien.      S.  218.  Z.  3  v.  u.)     Er 
erkennt  also  auch  für  das  menschliche  Handeln  keinen  Zweck  an. 
Dies   verkannt   von   Kirchmann  (1.  c.   S.  43  Z.   18  v.  o.), 
wenn  er  sagt :    Es  bleibt  nur  auff'allend ,   wie  (nach  Spinoza)  in 
dem  menschlichen  Denken  und  Wollen  der  Zweck  sich  einfinden 
kann,    wenn    er   in   Gott   und    in    der  Natur  ganz  fehlt.     Dies 
übersieht  auch  Kratz,  wenn  er  sagt    l.  c.  S.  37),  Spinoza  be- 
schränke den  Begriff"  des  Zwecks  auf  die  menschliche  Innenwelt 
nnd  (S.  2S)  er  erkenne  den  Zweckbegriff"  innerhalb  der  mensch- 
lichen Sphäre  ausdrücklich  an.     Nein,  er  schliesst  ihn  aus  und 
will,  dass  auch  die  menschlichen  Werke  und  Handlungen  allein 
aus  ihren  Ursachen  erklärt  werden. 


-     11     - 


2.  Der  Zweck  in  der  Natur. 

Da  Spinoza  den  Zweckbegriff"  schon  bei  der  Erklärung  des 
menschlichen  Handelns  verwirft ,  so  ist  es  begreiflich ,  dass  er 
denselben  auch  bei  der  Erklärung  der  natürlichen  Dinge  aus- 
schliesst.  Am  ausführlichsten  ist  er  bei  der  Bestreitung  der 
Annahme  einer  Zweckbeziehung  der  natürlichen  Dinge  auf  den 
Nutzen  des  Menschen.  Wir  werden ,  um  nicht  genöthigt  zu 
sein,  öfters  auf  früher  Gesagtes  zurückzugreifen ,  die  Ansicht 
des  Spinoza  über  diese  Annahme  zuerst  darstellen  müssen. 


Die  Zweckbeziehung  der  natürlichen  Dinge  auf  den  Menschen. 

Spinoza  spricht  sich  zunächst  wieder  darüber  aus,  wie  die 
Menschen  dazu  gekommen  seien ,  in  den  natürlichen  Dingen 
eine  Zweckbeziehung  auf  den  Menschen  anzunehmen.  (Appen- 
dix ad  partem  I.  S.  217  f.) 

,,Da  die  Menschen",  so  sagt  er,  ,, immer  nur  nach  den 
Zwecken  des  Geschehenen  fragen,  so  bleibt  ihnen,  wenn  sie 
dieselben  von  einem  Andern  nicht  hören  können ,  nur  übrig, 
sich  zu  sich  selbst  zu  wenden  und  auf  die  Zwecke  zu  sehen,  von 
denen  sie  selbst  zu  Aehnlichem  bestimmt  zu  werden  pflegen,  und 
so  beurtheilen  sie  nothwendiger  Weise  nach  ihrem  eigenen  Sinn 
den  Sinn  eines  Anderen.  Ferner,  da  sie  in  sich  selbst  und 
ausser  sich  nicht  wenig  Mittel  finden,  die  zur  Erreichung  ihres 
Nutzens  erheblich  beitragen,  wie  z.  B.  die  Augen  zum  Sehen, 
die  Zähne  zum  Kauen,  die  Kräuter  und  Thiere  zur  Nahning, 
das  Meer  zur  Ernährung  der  Fische  u.  s.  w.,  so  ist  es  daher 
gekommen ,  dass  sie  alle  natürlichen  Dinge  als  Mittel  zu  ihrem 
Nutzen  betrachten ,  und  weil  sie  wissen ,  dass  jene  Mittel  von 
ihnen  vorgefunden,  nicht  aber  bereitet  worden  sind,  so  wurden 
sie  dadurch  veranlasst,  zu  glauben,  dass  irgend  ein  Anderer 
sei ,  welcher  jene  Mittel  zu  ihrem  Nutzen  bereitet  habe. 
Denn,  nachdem  sie  die  Dinge  als  Mittel  aufgefasst  hatten, 
konnten  sie  nicht  glauben,  dass  dieselben  sich  selbst  ge- 
macht haben,  sondern  mussten  aus  den  Mitteln,  welche  sie  sich 
selbst  zu  bereiten  pflegen,  schliessen,  dass  es  einen  oder  mehrere 
Lenker  der  Natur  ,  die  mit  menschlicher  Freiheit  begabt  seien, 
gebe ,  welche  Alles  für  sie  besorgt  und  zu  ihrem  Nutzen  ge- 
macht haben.  Aber  auch  deren  Sinnesweise  mussten  sie,  da  sie 
ja  davon  niemals  etwas  gehört  hatten,  nach  ihrer  eigenen  Sinnes- 
weise beurtheilen ,  und  daher  nahmen  sie  an ,  dass  die  Götter 
Alles  zum  Nutzen  der  Menschen  leiten,  um  sich  die  Menschen 


^  0 


~     12    - 


zu    verbinden   und   von   ilinen   in    liöehsten  P^hren  gehalten   zu 
werden." 

Es  ist  also  nacli  Spinoza  die  Annalime  eines  Zweckes  in 
den  natürlichen  Din«j:en  die  natürliche  Fol<,'e  der  Annahme  ei- 
nes solchen  bei  den  menschlichen  Werken.  Da  man  bei  diesen 
das  menschliche  Begehren  als  ihre  erste  Ursache  auffasste ,  also 
zu  ijircr  Erklürnn-  es  für  völlij,'  zureichend  hielt,  ein  jedes 
Ding  auf  ein  einzelnes  Begehren  des  Menschen  nach  einem  be- 
stimmten Vortlieil  zurückzuführen,  so  lag  es  nahe,  diese  bei  den 
menschlichen  Werken  beliebte  Erklärungsweise  auch  auf  die  natür- 
lichen Dinge  zu  übertragen  und  denniach  auch  diese  zuerklären  aus 
einem  auf  den  Nutzen  des  Menschen  gerichteten  Willen  iGottes),  der 
als  ihre  letzte  Ursacln;  aufzufassen  sei.  Diese  Uebertragung  aber 
beruht,  abgeselien  von  der  an  sich  unbewiesenen  Annahme,  dass 
die  natürlichen  Dinge,  wie  die  menschlichen,  einen  Willen  zur 
Ursache  haben,  wieder  auf  einer  irrigen  Auffassung. 

Denn  1.  nuissten  die  Menschen,  um  überhaupt  irgend 
ein  Ding,  das  niclit  von  ihnen  selbst  herrührte,  und  dessen 
Zweck  sie  auch  von  Andren  nicht  erfahren  konnten,  aus  ei- 
nem Zweck  zu  erklären ,  denselben  daraus  zu  erkennen 
suchen,  durch  welche  Begehren  sie  selbst  zu  älinliclien  Dingen 
bestimmt  zu  werden  pflegen,  also  die  Sinnesweise  eines  Andren 
nach  der  eignen  Sinnesweise  beurtheilen.  Und  so  geschah  es 
auch,  dass  sie  zur  Erklärung  der  natürliclien  Dinge,  als  deren 
Urheber  sie  Cott  oder  die  (Jötter  anmdimen ,  die  Sinnesweise 
dieser  nach  der  eignen  Sinnesweise  beurtheilten.  Nur  durch 
diesen  Schluss  von  der  eigenen  Sinnesweise  auf  die  (iottes,  kann 
ein  bestimmter  Wille  (i(>ttes  als  die  letzte  Ursache  eines  von 
ihm  hervorgebrachten  Dinges  bezeichnet  werden. 

2.)  Dass  nun  dieser  Wille  (iottes  auf  den  Nutzen  der  Men- 
schen gerichtet  sei,  beruht  auf  einer  weiteren  irrigen  Auffassung. 
Die  .Alenschen  pflegen  nämlich  die  Dinge  nur  in  Bezug  auf  sich 
selbst  zu  beurtheilen.  Darum  fassen  sie  diejenigen  Dinge,  aus 
denen  sie  einen  Nutzen  für  sich  gewinnen,  als  Mittel  zu  diesem 
Nutzen  auf,  was  sie,  abgesehen  von  dieser  Beziehung  auf  den 
Menschen,  gar  nicht  sind.  Daher  schliessen  sie  also  von  den- 
jenigen Dingen ,  die  sie  als  Mittel  zu  ihrem  Nutzen  auffassen, 
auf  Jemanden,  der  diese  Dinge  zu  ihrem  Nutzen  bestimmt  habe'. 
So  entsteht  die  Annahme,  dass  (Jott  oder  die  Götter  Alles  zum 
Nutzen  der  Menschen  leiten,  oder  genauer,  dass  jedes  einzelne 
natürliche  Ding  zu  erklären  sei  aus  einem  bestimmten  auf  den 
Nutzen  des  Menschen  gerichteten  Willen  Gottes.  —  Es  beruht 
also  die  Annahme  einer  Zweckbeziehung  der   natürlichen  Dinge 


^    13    - 

auf  den  Menschen  auf  einer  durchaus  irrigen  Auffassung.  Schon 
dass  überhaupt  der  Wille  Gottes  als  als  erste  Ursache  der  Dinge  an- 
genommen wird ,  beruht  auf  der  unberechtigten  Uebertragung 
des  ja  schon  bei  der  Erklärung  des  menschlichen  Handelns 
auszuschliessenden  Zweckbegriffs  auf  die  natürlichen  Dinge. 
Soll  nun  irgend  ein  bestimmter  Wille  (iottes  als  eine  Ursache 
eines  Dinges  angegeben  werden,  so  kann  dies  nur  durch  einen 
Schluss  von  der  eigenen  Sinnesweise  auf  die  Sinnesart  Gottes  ge- 
schehen. Ein  solcher  Schluss  ist  aber  ebenso  völlig  unberechtigt 
und  muss  zu  irrigen  Annahmen  führen.  AVird  endlich  gar  der 
Nutzen,  welchen  wir  Menschen  aus  den  Dingen  ziehen,  als  Zweck 
derselben  angesehen,  also  angenommen,  dass  ein  einzelner,  auf 
den  Kutzen  des  Menschen  gerichteter  Wille  Gottes  die  erste  Ur- 
sache eines  jeden  einzelnen  natürlichen  Dinges  sei,  so  geschieht 
dies  nur  dadurch  ,  dass  wir  die  natürlichen  Dinge  rein  in  Be- 
ziehung auf  uns  und  darum  als  Mittel  für  unsren  Nutzen  be- 
trachten, anstatt  sie  nach  ihrem  eigenen  Wesen  zu  betrachten 
und  aus  ihren  Ursachen  zu  erklären. 

Es  ist  darum  die  Annahme  einer  Zweckbeziehung  der  na- 
türlichen Dinge  auf  den  Menschen  auszuschliessen. 

Im  Sinne  des  Spinoza  ist  damit  aber 


die  Annahme  eines  Zweckes  in  der  Natur  überhaupt 

ausgeschlossen.  Allerdings  kann  ein  Zweck  in  den  natürlichen  Dingen 
angenommen  werden,  auch  ohne  dass  ein  Nutzen  des  Menschen 
als  solcher  vorausgesetzt  wird.  Es  wird  aber  damit  nur  die  an  letz- 
ter Stelle  genannte  irrige  Auffassung,  die  Dinge  nur  nach  ihrer  Be- 
ziehung auf  den  Menschen  zu  betrachten,  vermieden,  nicht  aber  die 
beiden  vorhergenannten.  So  kann  z.  B.  (siehe  praef.  ad  partem 
IV.  S.  i^2\)  f.)  angenommen  werden,  dass  die  Natur  bei  der 
Hervorbringung  eines  gewissen  Dinges  ein  betimmtes  Musterbild, 
d.  h.  die  Vorstellung  eines  vollkommenen  Dinges  vor  Augen 
gehabt  und  sich  darnach  gerichtet  habe.  Diesser  Annahme  liegt 
aber  immer  noch  eine  zweifache  irrige  Aufltissung  zu  Grunde. 
Erstens  wird  dabei  vorausgesetzt ,  dass  die  Natur  immer 
nur  um  eines  Zweckes  willen  handle ,  also  in  unberechtigter 
Weise  angenommen,  dass,  wie  es  bei  den  menschlichen  Werken 
der  Fall  sei ,  auch  die  natürlichen  Dinge  auf  einen  Willen  als 
erste  Ursache  zurückzuführen  seien.  Zweitens  wird  aber  auch 
bei  dieser  Annahme  die  göttliche  Sinnesweise  nach  der  mensch- 
lichen beurtheilt.  Denn  nur  deshalb  wird  angenommen,  dass 
die  Natur  sich  Musterbilder  vorgesetzt  habe,  weil  die  Menschen, 


~n 


-    14    - 

seitdem  sie  sich  Allgemeinbegriffe  von  Häuscni ,  Thürmen, 
Gebäuden  etc.  gemacht  haben,  solche  AUgemeinbegi-iffe  sich 
als  Musterbilder  vorzusetzen  pflegen,  nach  denen  sie  ihre 
Werke  anfertigen.  Und,  soll  ein  bestimmtes  Musterbild  an- 
gegeben werden,  welches  die  Natur  bei  der  Hervorbringung  ei- 
nes einzelnen  Dinges  vor  Augen  gehabt  habe,  so  wird  einer 
von  den  Allgemeinbegriffen,  welche  die  Menschen  wie  von  den 
künstlichen  Dingen  so  auch  von  den  natürlichen  Dingen  gebildet 
haben,  als  ein  solches  Musterbild  der  Natur  bezeichnet.  Es  ist 
also  auch  die  Annahme,  dass  die  Natur  der  bei  Hervorbringung 
der  natürlichen  Dinge  solche  Musterbilder  vor  Augen  gehabt 
habe,  hinfällig.  Ja  es  kann  überhaupt  nie  ein  Zweck  der  na- 
türlichen Dinge  angegeben  werden ,  ohne  einen  unberechtigten 
Schluss  von  dem  Thun  der  Menschen  auf  das  Wirken  der 
Natur. 

Es  kann  endlich  auch  ein  Zweck  in  den  natürlichen  Dingen 
angenommen  werden ,  ohne  diese  Beurtheilung  des  göttlichen 
Wirkens  nach  der  Anologie  des  menschlichen  Handelns.  Dann 
wird  nur  überhaupt 

der  Wille  Gottes  als  erste  Ursache  der  natürlichen  Dinge 

angesehen ,  ohne  dass  für  jedes  einzelne  Ding  ein  bestimmter 
Wille  Gottes  als  Zweck  angegeben  wird.  Dabei  wird  indess 
immer  noch  der  Irrthum  nicht  vermieden ,  der  schon  in  der 
blosen  Uebertragung  des  Zweckbegrifls  auf  die  natürlichen  Dinge 
liegt.  Und  so  sprechen  auch  gegen  diese  Annahme  dieselben 
Gründe,  wie  die  gegen  die  Annahme  eines  Zweckes  bei  dem 
menschlichen  Handeln  vorgebrachten. 

Wie  nach  Spinoza  die  Annahme  eines  Zweckes  in  dem 
menschlichen  Handeln  auf  der  Unkenntniss  der  Verkettung  der 
Ursachen  beruht  und  dahin  führt,  dass  man  sich  jedes  Forschens 
und  Fragens  nach  der  Verkettung  der  Ursachen  enthält,  so  ist 
es  auch  der  Fall  bei  der  Annahme ,  nach  welcher  alle  natür- 
lichen Dinge  auf  den  Willen  Gottes  als  erste  Ursache  dereelben 
zurückgeführt  werden. 

Sie  entsteht  aus  der  Unkenntniss  der  Ursachen  der  Dinge. 
Wenn  z.  B.  die  Vertreter  der  Zwecklehre  ein  natürliches  Er- 
eigniss  auf  den  Willen  Gottes  als  erste  Ursache  desselben  zu- 
rückführen, so  geschieht  es  nur  darum,  weil  uns  nur  die  näch- 
sten, nicht  aber  die  entfernteren  Ursachen  desselben  bekannt 
sind.  Darum  hören  sie  nicht  auf,  nach  den  Ursachen  der  Ur- 
sachen zu  fragen }  bis  man  endlich  zu  dem  Willen  Gottes  seine 


) 


'( 


-     i5    - 

Zuflucht  nimmt.  (S.  219.)  Und  wenn  sie  bei  der  Betrachtung 
des  Baues  des  menschlichen  Körpers  staunen  und  darum  an- 
nehmen, dass  er  nicht  durch  mechanische  Kräfte,  sondern  durch 
eine  göttliche  und  übernatürliche  Kunst  gebildet  und  so  ein- 
gerichtet sei,  dass  kein  Theil  den  anderen  verletze,  so  schliessen 
sie  diess  nur  daraus,  dass  sie  die  Ursachen  so  grosser  Kunst 
nicht  kennen  (S.  220). 

Die  Lehre  vom  Zweck  führt  aber  auch  dazu,  alles  Forschen 
nach    den   Ursachen    der    Dinge    abzuschneiden.      Sie    ist    ,,ein 
Asyl  der  Unwissenheit''.    Denn  wenn  der  Wille  Gottes  als  erste 
Ursache  der  Dinge  aufgefasst  wird  und  demnach  als  zureichende 
Erklärung  derselben  angesehen,   so  giebt  es  keinen  Grund  mehr, 
nach    den    Ursachen   der   Dinge  zu    fragen.      Daher   kommt    es 
(S.   120),    dass   öfters  der,   welcher  nach  den  wahren  Ursachen 
der  Wunder  fragt  und  die  natürlichen  Dinge  wie  ein  Unterrich- 
teter einzusehen,  nicht  aber  wie  ein  Dummer  anzustaunen  sucht, 
für  einen  Ketzer  und  Gottlosen  erklärt  wird.  —  Daher  beruhi<4 
man  sich  auch,  wo  man  den  Zweck  eines  Dinges  nicht  anzugeben 
vermag,    damit,    dass   man  ja   von   vielen  Dingen    den  Nutzen 
nicht   kenne   und    giebt   alles   Streben    nach   Erkenntniss   unter 
Berufung  auf  die  Unbegreiflichkeit  Gottes  auf  (S.  218). 

Wir  sehen  also:  Spinoza  leugnet  nicht  nur  die  Zweckbe- 
ziehung der  natürlichen  Dinge  auf  den  Menschen,  er  leugnet  auch, 
dass  irgend  ein  Zweck  derselben  angegeben  werden  könne,  ja^ 
dass  überhaupt  der  Wille  Gottes  als  erste  Ursache  derselben  zu 
betrachten  sei ,  dass  überhaupt  Zwecke  der  Dinge  anzunehmen 
seien  und  nach  ihnen  zu  fragen  sei.  So  kommt  er  zu  dem 
Satze,  dass  die  Natur  sich  keine  Zwecke  vorgesetzt  habe  und 
dass  alle  Zwecke  nichts  als  menschliche  Erfindungen  seien. 

3.)  Die  Beweisgründe  für  die  Leugnung  des 

Zweckes , 

welche  Spinoza  auffilhrt,  sind  meist  im  Bisherigen  schon  auf- 
geführt worden  und  ist  hier  nur  noch  Weniges  nachzuholen. 

Gegen  die  Annahme  einer  Zweckbeziehung  der  natürlichen 
Dinge  auf  den  Menschen  insbesondei  e  wendet  Spinoza  ein  (S.  218), 
dass  damit  diejenigen  Dinge,  die  dem  Menschen  Nachtheil  bringen,' 
wie  Stürme,  Erdbeben,  Krankheiten  nicht  erklärt  werden.  Denn 
die  Erklärung  derselben  aus  dem  Zorn  Gottes  sei  unzureichend, 
da  erfahrungsgemäss  Fromme  und  Gottlose .  ohne  Unterschied 
von  diesen  Nachtheilen  betroffen  werden.   (S.  218,  Z.   15  v.  u.) 

Gegen  die  Annahme  eines  Zweckes  überhaupt  führt  Spinoza 


/ 


1 


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\ 


—     16    — 

vorzüglich  den  Grund  auf,  dass  diese  Lehre  vom  Zweck  die 
Natur  gänzlich  umkehre.  ,,Denn  das',  so  sagt  er  (S.  219, 
Z.  5  V.  u.)  ,,wa8  in  Wahrheit  die  Ursache  ist,  betrachtet  sie  als 
Wirkung  und  umgekehrt ;  sodann  macht  sie  das,  was  in  Wahr- 
heit das  Frühere  ist,  zu  dem  Späteren  und  macht  sie  das,  was 
das  Höchste  und  Vollkommenste  ist,  zu  d<'m  Unvollkommensten. 

Darin  ist  ein  Doppeltes  ausgesprochen.  1.)  Wenn  ein 
Ding  als  Zweck  des  Andren  angegeben  wird,  so  wird  es  als 
Ursache  desselben,  somit  als  das  Frühere  angeselien ,  während 
es  doch  in  Wahrheit  die  Wirkung  desselben ,  also  das  Spätere 
ist.  2.)  Wenn  (iott,  um  einen  Zweck  zu  erreichen,  die  Dinge 
hervorgebracht  hätte,  so  würden  nothwendiger  Weise  die  letz- 
ten Dinge,  um  deren  Willen  die  früheren  hervorgebracht  wor- 
den sind,  die  allervollkommensten  sein.  In  Wahrheit  aber  ist 
diejenige  Wirkung  die  allervoUkommenste ,  welche  von  Gott 
unmittelbar  hervorgebracht  wird  uiid  je  mehr  Mittelursachen 
etwas  braucht,  um  hervorgebracht  zu  werden,  desto  unvoll- 
kommener ist  es. 

Ein  weiterer  Grund  gegen  die  Annahme  eines  Zweckes 
überhaupt  ist  der,  dass  die  Lehre  vom  Zweck  die  Vollkommen- 
heit Gottes  aufliebe.  ,,Denn  wenn  (Jott  wegen  irgend  eines 
Zweckes  handelt,  so  begehrt  er  nothwendiger  Weise  etwas, 
dessen  er  entbehrt.  Und  wenn  auch  die  Theologen  und  Meta- 
physiker  zwischen  dem  Zwecke  des  Bedürfnisses  und  dem  der 
Verähnlichung  unterscheiden ,  so  gestehen  sie  doch ,  dass  Gott 
Alles  seinetwegen,  nicht  aber  wegen  der  zu  schaffenden  Dinge 
gethan  habe,  weil  sie  nichts  ausser  (iott  vor  der  Schöpfung  be- 
zeichnen können,  um  desswillen  (iott  handle,  und  so  werden 
sie  nothwendiger  Weise  dazu  geführt,  einzugestehen,  dass  Gott 
das,  um  desswillen  er  Mittel  hat  bereiten  wollen,  entbehrt  und 
darum  begehrt  habe  (S.  211)  Z.   16  von  oben). 

Hierher  gehört  auch  die  von  Kratz  ^S.  24)  und  vor  ihm 
von  K.  Fischer  (1:5.  Cap.  IV,  4)  angezogene  Stelle:  Eth.  I  pr. 
33,  schol  II,  ,, Diejenigen  irren  noch  weiter  von  der  Wahrheit 
ab,  welche  behaupten,  dass  (iott  Alles  unter  der  Rücksicht  auf 
das  (iute  thue.  Denn  diese  scheinen  etwas  ausser  Gott  zu 
setzen,  was  von  (iott  nicht  abhängt,  wonach  sich  Gott  wie  nach 
einem  Musterbilde  in  seinem  Wirken  richte  oder  wohin  er,  wie 
nach  einem  bestimmten  Ziele  trachte.  Und  diess  heisst  in  der 
That  nichts  anderes,  als  Gott  einem  Fatum  untei-werfen  etc.'' 
Denn  auch  in  diesen  Worten  geht  Spinoza  darauf  aus,  die  An- 
nahme eines  Zweckes,  den  Gott  gehabt  habe,  als  die  Ueber- 
tragung  einer  ünvollkommenheit  auf  Gott  hinzustellen. 


m 


—    17    ~ 

Auf  diese  Beweisgründe  gegen  die  Annahme  eines  Zweckes 
die  wir  hier ,    um    die    Ansicht   des   Spinoza   über   den   Zweck- 
begriff  vollständig  darzustellen  ,    mit  aufführen  mussten     können 
wir   erst    bei    der  Beurtheilung   dieser  Ansicht   iiälier   ein-ehen 
Wir   haben      ein^x^denk    der  Bitte,    die  Spinoza  selbst  an" seine 
Leser  richte      Abhandlung  von  (iott,  dem  Menschen  und  dessen 
Glück,  S.    1  )J)   ,, nicht  sofort  zur  Widerlegung  dessen,  was  uns 
schwierig  scheine,  zu  eilen,   ehe  wir  es  mit  hinlänglicher  Müsse 
und  Erwägung  überdacht  haben 'S  bisher  jeder  Kritik  der  Zweck- 
lehre des  Spinoza  uns  enthalten  und  eine  möglichst  treue     all- 
seitige   und    zusammenhängende  Darstellung   zu    geben  uns    be- 
müht.    Ehe  wir  nun  zur  Beurtheilung  derselben  übergehen    soll 
um   diesen    ersten    Abschnitt  abzuschliessen ,   noch  gezeigt'  wer- 
den ,  welche    Wichtigkeit  Spinoza  selbst   der   hier   dargestellten 
Leugnung  und  Bestreitung  des  Zweckes  zuschreibt;  wodurch  wir 
zugleich  den  Weg  uns  bahnen  für  unsere  nachherige  Darstellung 
der   aus   dieser  Leugnuug  des  Zweckes  sich  ergebenden  Conse- 
quenzen  innerhalb  seines  Systems. 


4.)  Die  Bedeutung  der  Leugnung  des  Zweckes 

nach  Spinoza. 

Spinoza  leitet  seine  Besprechung  der  gewöhnlichen  Zweck- 
lehre   mit   den   Worten    ein    (S.    216   f.):    „Weil   nicht   wenige 
\orur  heile  noch  übrig  sind ,    welche    gar  sehr  verhindern,   dass 
die   Menschen    die  Verkettung  der  Dinge    in   der  von  mir  ent- 
wickelten Weise   annehmen ,    so   halte  ich  für  der  Mühe  werth 
dieselben    hier    einer   Prüfung   durch  die   Vernunft   zu    unter- 
werfen.   Alle  diese  Vorurtheile  aber  hängen  von  dem  einen  ab 
dass    nämlich   die  Menschen  gewöhnlich  voraussetzen,    dass  alle 
natürlichen  Dinge,  wie  sie  selbst,  um  eines  Zweckes  willen  han- 
rteln,  ja  als  gewiss  annehmen,   dass  G(»tt  selbst  Alles  nach  einem 
bestimmten  Zweck   leite."     Weiter  sagt  er,    nachdem   er   diese 
Annahme  eines  Zweckes  bespnK'lien  und  die  Annahme  der  Un- 
Degreiflichkeit   Gottes  aus  derselben    hergeleitet   hat    (S     217)- 
,,Diess  allein   hätte  hingereicht,    dass  die  Wahrheit  dem  Men- 
schengeschlecht auf  ewig  verborgen  geblieben  wäre,  wenn  nicht 
die   Mathematik ,    die   nicht   um   die  Zwecke ,    sondern   um  das 
\Jesen  und  die  Eigenschaften  der  Figuren  sich  bekümmert,  den 
Menschen  eine  andere  Norm  der  Wahrheit  gezeigt  hätte  '' 

Vergegenwärtigen    wir   uns    die   Bedeutung    dieser    beiden 
Behauptungen !  Spinoza  sagt ,  dass  die  Annahme  eines  Zweckes 


\ 


"! 


ii 


^     18     - 

ein  Vorurtheil  sei,  von  welchem  alle  andren  Vorurtheile  gegen 
seine  Lebre  abhän^^en  und  welches  allein  schon  hinreiche,  die 
Erkenntniss  der  Wahrheit  zu  verhindern.  Dem  liegt  die  Voraus- 
setzung zu  (ininde,  dass  seine  eigne  Lehre  die  absolute  Wahr- 
heit sei,  wie  davon  ja  Spinoza  fest  überzeugt  war.  Wenn  wir 
aber,  wie  billig,  diess  zunächst  noch  dahingestellt  sein  lassen, 
so  werden  wir  seine  Worte  auch  nur  dahin  verstehen  dürfen, 
dass  alle  Einwände  und  Gegengründe  gegen  <lie  Lehre  des  Spi- 
noza von  der  Annahme  und  Festhaltung  des  Zweckbegriffs  ab- 
hängen und  dass  diese  Eine  Annahme  hinreicht,  die  Zustimmung 
zu  seiner  Lehre  zu  verhindern. 

Er  sagt  weiter,  dass  die  Mathematik  eine  andre  Norm  der 
Wahrheit  gezeigt  habe.  Das  werden  wir  wieder  nur  dahin  ver- 
stehen dürfen ,  dass  Spinoza  in  seiner  mathematischen  Methode 
die  Norm  der  Wahrheit  gefunden  zu  haben  meint  und  dass  er 
der  bislierigen  teleologischen  Betrachtungsweise  diese  Forderung, 
alle  Dinge  wie  Linien,  Flächen  und  Körper  zu  betrachten,  ge- 
genüberstellt. 

Wir  sehen  also,  dass  Spinoza,  obwohl  er,  wie  natürlich,  inner- 
halb seines  Systems  von  dem  Zweckbegriff  keinen  Gebrauch  macht, 
doch  sehr  wohl  der  Tragweite  seiner  Ausschliessung  desselben 
sich  bewusst  gewesen  ist.  Nicht  einen  einzelnen  Begriff  will 
er  corrigiren,  sondern  die  ganze  bisherige  W^eise,  die  Dinge  zu 
betrachten,  umstossen  und  durch  eine  andere  ersetzen.  (Vergl. 
hierzu:  K.  Fischer  1.  c.  L  B.  2.  Th.  G.  Cap.  113  ., Spinozas 
ansschliessende  Stellung';  ferner  24.  Cap.  L  4:  ,,Erst  im  Be- 
griff der  reinen  Causalität  wird  Spinoza  er  selbst"  und  weiter: 
,,So  ist  unter  allen  Philosophen  Spinoza  der  einzige,  der  den 
Zweckbegriff  vollkommen  verneint  .  .  .  der  diesen  Begriff  zur 
alleinigen  Richtschnur  seiner  Erkenntniss  nahm".) 

Wie  wichtig  ist  es  also,  seine  im  Vorstehenden  entwickelte 
Ansicht  über  den  Zweck  eingehend  zu  prüfen.  Hängen  alle 
Einwände  gegen  seine  Lehre  von  der  Annahme  des  Zweck- 
begriffs ab,  so  liegt  auch  alle  Gewähr  für  die  Wahrheit  dersel- 
ben in  der  Richtigkeit  seiner  Bestreitung  des  Zweckbegriffs,  so 
ist  die  Leugnung  desselben  eine  Grundvoraussetzung  seines 
Systems  und  die  Fassung  seiner  Lehre  wird  dadurch  in  allen 
ihren  Theilen  mitbedingt  sein. 

Von  der  Art,  wie  wir  uns  zu  der  Ansicht  des  Spinoza  über 
den  Zweckbegriff  stellen  ,  hängt  also  ab,  in  wie  weit  wir  über- 
haupt seiner  Lehre  zustimmen  können.  An  dem  Resultat ,  das 
wir  bei  unsrer  Beurtheilung  seiner  Lehre  vom  Zweck  gewonnen 


) 


—    19    - 

haben,  werden  wir  einen  Massstab  zur  Beurtheilung  seiner  ganzen 

"^'"T-nd'vön  "welcher  Wichtigkeit  muss  dieses  Resultat,  aneh 
abgesehen  von  dem  Beitrag  für  das  Verständn.ss  des  Spinoza, 
£  danms  sich  ergicbt ,  «berhaupt  für  die  Krkenntn.ss  der 
Wahrhei  sein !  Vot  der  Stellung  zum  Zweckbcgnff  d.e  ein 
;it  iiuunt,  wird  seine  ganze  Weltanschauung  bestnnmt^  ^n 

der  Beantwortung  der  Frage,  ob  es  «»'f .  f^^*^«*;""?  .'*"'' j.^^t 
nen   Zweck  auch   ausserhalb    des   menschlichen    Handelns  giebt 
öder  St    scheiden  sich  die  Geister,  scheiden  sich  die  geistigen 
mchtu^c,  n  vor  Allem  in  unsrer  Zeit,     lieber  diese  bVage  muss 
Jede     S  klar   werden ,    der  ein  Urtheil   habe«   will  über  die 
Prob  eine     vor   die   «nsre  Zeit   gestellt   ist,    insbesondere   ubei 
d[e  Zu  äss'igkeit  der  von  naturwissenscliaftlichcr  Seite  aufgestel  ten 
TheS    über   die    Entstehung   und   Entwickelung    der   Arten. 
W     werden   darum  im  Verlauf  unsrer  Entwickelung  darauf  ge- 
f«.vt  worden      einen  Schritt   über   die  (Jrenzcn  unsrer  Aufgabe 
ihLuszuien    ™d   kurz   auf  eine  Besprechung  der  in  „euerer 
zTvo^  de^    Uesultaten  der  Naturwissenschaft   hergenommenen 
ArUente  gegen  den  Zweck  in  der  Natur  einzugehen 

"  Zunächst  \aben  wir  die  von  Spinoza  g-^^^S-^/l'^.f'f^^^'S^ 
A^A  Zweckbco-ritts  vorgebrachten  Gründe  zu  prüfen  und  zu   be 
u  thelren    in  w  Leit  seine,  von  ihm  selbst  als  die  „mechanische 
beze'lh  ;te  Naturerklärung ,  auf  welche,  wenn  schon  auf  and- 
rem Wege,   die  moderne  Naturwissenschaft  zurückgekommen  ist, 

haltbar  ist. 


B,  Beurtheilung. 

Wie  wir  sahen,  ist  die  Leugnung  des  /^weckes  bei  Spino« 
von  grundlegender  Bedeutung  für  sein  ganzes  bystora  Anstatt 
die  Gesammtheit  des  körperlichen  und  SC'^t'gen  Lebens,  «e  es 

bisher   geschehen   sei,  aus  i'''-'^'V^^«'='^«^  7,      VTe^Fleu  en 
dieselbe     wie  es  in  der  Mathemtik   geschieht  b«   den  Fluren, 
mit  denen  diese  es  zu  tliuii  hat,  nur  aus  ihrem  Wesen  una  iii 
™n  E  ge"  Äten  erklären.    Es  ist  also  die  l^-«  d-.f^^^J^^ 
nicht  ein  einzelner  Punkt  seines  Systems,  auf  dessen  volles  Vei 

•l^chK   Fischer  nennt  den  von  uns  erläuterten  Abschnitt:  Append. 
ad  p.  I  „den  seine  ganze  Lehre  erleuchtenden   .  ^^ 


( 

I 


1^ 


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-    20    - 

ständniss  man  ohne  Berücksichtigung  des  Ganzen  nicht  rechnen 
dürfte,  und  den  ausserhalb  des  Zusammenhangs  mit  dem  System 
des    Spinoza    zu  beurtheilen ,    eine    Ungerechtigkeit  gegen    den 
Philosophen  einschlösse,  sondern  eine  der  Grundvoraussetzungen 
seines  Systems ,    auf  welcher  alles  Andre   ruht,  und  die    darum 
zunächst  abgesehen  von  den   daraus  abgeleiteten  Folgen,    beur- 
theilt  werden  darf  und  muss    diess  gegen  Kratz  1.  c.  s!  ;">  ff.). 
Allerdings  werden  sich  uns  aus  einer  Betrachtung  der  Lehre 
des  Spinoza  im  (ianzen  Gesiclitspuiikte    zur  Beurtheilung  seiner 
Ausschliessung   des  Zweckbegriffs    ergeben.     Würde  es  sich  er- 
weisen ,  dass  Spinoza  ohne  diesen  Begiiff  es  vermocht  hat ,  die 
Welt   des    Gegebenen  ausreichend  zu  erklären,    so  würde    diess 
für   seine   Leugnung   desselben   sprechen,    ist   diess  aber  nicht 
der  Fall,    so  lässt  sicli  jiuch  mit  Kecht  daraus  gegen  dieselbe 
argumentiren.     Wir   müssen    uns   aber   die  Untersuchung  dieser 
Frage,  aus  der  wir  nur  die  Bestätigung  unsres  vorlier  gewonnenen 
Resultates  zu  erlangen  gedenken,   hier  noch  vorbehalten. 

Haben   wir  also  die  Ansicht  des  Spinoza  über  den  Zweck- 
begriff zunächst   ohne  Berücksichtigung   der  Gesammtheit  seiner 
Lehre  zu  beurtheilen,  so  folgt  daraus  jedoch  nicht,   dass  wir  sie 
ohne  jede  Beziehung   auf  andre  bei  Spinoza  vorkommende  Be- 
griffe  beurtheilen   dürfen.     Wie  wir  sahen ,  steht  die  Leugnung 
des  Zwecks    bei  Spinoza   in  enger  Beziehung  zu  seiner  von  der 
Mathematik  hergenommenen  Betrachtungsweise  der  Dinge.     Wie 
in  der  Geometrie  die  Eigenschaften   der  Figuren   nur  aus  ihren 
Gründen ,    nicht  aber  aus  ihren  Zwecken  abzuleiten  und  zu  er- 
klären sind  *),  so  fordert  Spinoza,  dass  alle  Dinge  nur  aus  ihren 
Gründen,  nicht  aber  aus  ihren  Zwecken  erklärt  weiden.     Diese 
doppelte  Forderung,    die  sich  ihm  aus  der  mathematischen  Be- 
trachtungsweise der  Dinge  ergab,  ist  also  wesentlieh  Eine.    Die 
Ausschliessung   des  Zweckbegriffs   und  die  alleinige  Anwendung 
des    Causalitätsbegriffs   ergänzen    und  bedingen  sich  gegenseitig. 
Die  eine  ist  nicht  ohne  die  andre  zu  verstehen  ,    jede  steht  und 
fällt  mit  der  andern.    Was  ergiebt  sich  nun  daraus  für  unsre  Be- 
urtheilung  der    Ansicht    des   Spinoza    über    den    Zweckbegriff? 
Wir  werden  allerdings  zugeben  müssen,  dass  Spinoza  nothwendig 
zu  dieser  Ansicht  kommen  musste ,    wenn  er  einmal   alle  Dinge 
rein  aus  ihren  Ursachen  erklären  wollte. 

•)  Auch  wo  in  der  Geometrie  erwiesene  Eigenschaften  der  Figuren 
zur  Losung  von  Aufgaben ,  also  als  Mittel  zu  Zwecken  verwendet  wer- 
den, worauf  zuerst  Kant  aufmerksam  gemacht  hat,  wird  doch  in  keiner 
Weise  vorausgesetzt,  das«  die  Figuren  oder  ihre  Eigenschaften  um  eines 
Zweckes  willen  da  seien. 


■    \\ 


—    21     - 

Aber  auf  diese  Forderung,  die  Dinge  allein  aus  ihren  Ur- 
sachen zu  erklären ,  besonders  einzugehen ,  ist  darum  für  uns 
keineswegs  geboten.  Denn  lässt  sich  nachweisen,  dass  die 
Bestreitung  des  Zweckbegriffs  bei  Spinoza  unberechtigt  ist,  so 
ergiebt  sich  mit  Nothwendigkeit,  dass  die  Dinge  nicht  allein 
aus  ihren  Ursachen  zu  erklären  sind. 

Alle  Argumente,  die  Spinoza  aus  der  alleinigen  Anwend- 
barkeit des  Causalitätsbegriffs  gegen  die  Annahme  eines  Zweckes 
herleitet,  werden  ferner  für  uns  von  keinem  Gewicht  sein  kön- 
nen. Denn  die  Berechtigung  zur  alleinigen  Anwendung  des 
Causalitätsbegriffs  sucht  ja  Spinoza  selbst  erst  durch  seine  Be- 
streitung des  Zweckbegriffs  nachzuweisen.  Wir  haben  nur  zu 
prüfen,  in  wie  w^eit  ihm  dieser  Nachweis  gelungen  ist.  Lässt 
sich  auch  nur  an  einem  einzigen  Punkte  nachweisen,  dass  die 
Annahme  eines  Zweckes,  die  Anwendung  des  Zweckbegriffs  un- 
umgänglich ist,  so  wird  die  (irundvoraussetzung  des  Spinoza 
hinfällig,  während  freilich  die  Bichtigkeit  der  teleologischen 
Weltanschauung  damit  noch  nicht  bewiesen  ist. 

Wir  gehen  bei  unsrer  Beurtheilung  der  Ansicht  des  Spi- 
noza wieder  von  seiner  Bestreitung  des  Zwecks  beim  mensch- 
lichen Handeln  aus. 

1.)  Der  Zweck  im  Bereiche  des  menschlichen 

Hand  eins. 

Indem  Spinoza  zur  Erklärung  der  Dinge  allein  den  Begriff 
der  Causalität  anwenden  wolUe ,  war  er  genöthigt,  jede  andere 
Erklärungsweise ,  also  auch  die  aus  den  Zwecken ,  auf  die  von 
ihm  als  allein  zulässig  behauptete  zurückzuführen.  Er  musste 
nachweisen,  dass  überall,  wo  ein  Zweck  zur  Erklärung  eines 
Dinges  angenommen  wird,  die  Erklärung  aus  einer  Ursache 
zureiche. 

Für  das  Gebiet  des  menschlichen  Handelns  leugnet  nun 
Spinoza  die  Thatsächlichkeit  dessen,  was  Zweck  genannt  wird, 
nicht;  er  erkennt  an,  dass  ein  einzelnes  Begehren  zur  Erklärung 
eines    durch    dasselbe    bestimmten    Thuns    könne     angewendet 

werden. 

Aber  er  behauptet,  dass  in  Wahrheit  dieses  Begehren,  in- 
sofern aus  ihm  ein  bestimmtes  Ding  erklärt  werden  könne,  nur 
die  bewirkende  Ursache  desselben  sei,  welche  aber  darum  Zweck 
genannt  w^erde,  weil  man  sie  irrthümlicher  Weise  als  erste  Ur- 
sache betrachte.  Durch  diese  Erklärung  des  Zwecks,  zu  wel- 
cher Spinoza  durch  seine  Causalitätslehre  getrieben  worden   ist, 


( 


—    22    — 

meint  er  den  ZweckbegrifF  auf  den  der  Cansalität  ziirückgefüln  t 
zu  haben. 

Es  ist  aber  diese  Erklänin«r  tlieils  irri^r,  theils  unzureichend. 
Diess  müssen  wir  zuerst  nachweisen. 

Spinoza  behauptet ,  dass  ein  einzelnes  Betjehren ,  durch 
welches  wir  zu  einer  Handlung  bestimmt  werden ,  nur  darum 
Zweck  genannt  werde ,  weil  man  sich  der  Ursachen  dieses  Be- 
gehrens nicht  bewusst  sei  und  es  darum  als  erste  Ursache 
auffasse.  —  Daran  ist  so  viel  richtig,  da.ss  im  gewöhnlichen  Leben 
öfters  ,  wenn  der  Zweck  eines  Dinges  angegeben  wird  .  dieser 
als  ausreichende  Erklärung  des  Dinges  aufgefasst  wird. 

Aber  keineswegs  wird  danim  dieser  Zweck  als  erste  Ursache 
aufgefasst,  oder  überhaupt  als  eine  Ursache.  Eine  solche  Zurück- 
ftihrung  des  Zwecks  auf  die  ( 'ausalität  liegt  der  populären  Betrach- 
ungsweise  ganz  fern.  Nur  Spinoza,  der  nun  einmal  gar  keine  andere 
Erklärungsweise  der  Dinge  als  die  durch  ihre  Ursachen  anerkannte, 
setzte  darum  ohne  Weiteres  voraus ,  dass  die  Annahme  eines 
Zweckes  zur  Erklärung  eines  Dinges  nur  stattHnden  könne, 
indem  das ,  was  man  Zweck  nenne ,  als  dessen  erste  Ursache 
angesehen  werde.  Wäre  er  damit  im  Hecht,  so  müsste  mit  der 
Kenntniss  der  Ursachen  ,  durch  welche  wir  zu  einem  gewissen 
einzelnen  Begehren  bestimmt  werden  ,  auch  die  Annahme  eines 
Zweckes  autliören. 

Diess  ist  aber  nicht  der  Fall.  Wir  können  uns  sehr  wohl 
der  Ursachen  bewusst  sein .  durch  welch«»  wir  dazu  bestimmt 
werden,  uns  etwas  als  Zweck  zu  setz<'n,  ohne  darum  aufzuhören, 
von  einem  Zweck ,  den  wir  uns  vorgesetzt  haben ,  zu  reden. 
So  kann  also  auch  die  Annahme  eines  Zweckes  nicht  aus  der 
Unkenntniss  dieser  Ursachen  abgeleitet  werden. 

Damit  fällt  der  Einwand  des  Spinoza  gegen  die  Annahme 
eines  Zweckes  innerhalb  des  menschlichen  Handelns.  Die  An- 
nahme eines  Zweckes  bleibt  ja  bestehen,  auch  wo  wir  das  ein- 
zelne ,  menschliche  Begehren .  aus  welchem  ein  Ding  hervor- 
gegangen ist.  als  selbst  durch  andre  irrsachen  bedingt  aner- 
kennen. Das,  was  er  als  das  Irrige  in  der  Annahme  des  Zweckes 
bezeichnet,  die  Auflassung  eines  Begehrens  als  erste  Ursache, 
gehört  gar  nicht  nothwendig  zu  di(>ser  .Vnnahme.  Wird  dieses 
Moment  nun  aus  seiner  Definition  des  Zwecks  hinweggelassen, 
so  wäre  also  die  Annahme  eines  Zweckes  nichts  anderes,  als 
die  Auflassung  eines  bestimmten  Begehrens  als  bewirkende  Ur- 
sache eines  Dinges.  Einer  solchen  Annahme  eines  Zweckes 
bei  den  von  Menschenhand  herrührenden  Dingen  läge  dann 
durchaus     nichts    Imges    mehr    zu    Grunde.       Spinoza    selbst 


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ümche  eines  Dh,ges  beruht,  d.ss  vielmolr  a,e  Moment  zu. 
Erklärung  des  Zweckes  s;ar  nicht  verwendet  >uMden  ka«" '  ^« 
zeigt  sich ,  dass  die  ZweekdeHuition ,  we  cl>e  Spinoza  aufstellt, 
das  Unterscheidende  des  Zweckes  gar  nicht  ang.c bt 

Nach    dieser  Definition    wäre    der    /weck    ein    einzelnes, 
mensdithes   Begehren,    welches  die  U-ehe   eines  Dinge^    st 
Aber   nicht    jedes   menscldirhe  B. -elire"  >   ^«•'^'"'s   '''!  ^'^*'"'*' 
e^ne    D  nges  ist ,    kann  auch    als   .br  Zweck  dieses  Dinges  an- 
geselen   werde»:     Das  Verlangen .    welches ,    "'"   "fe  Jum 
Spinoza  benutzten  Beispiele  stehen  ^"bleiben    die  Lrsaeh^  zum 
Bau  eines  Hauses  gewesen  ist .    braucht  ja  n  eh    J*    Vtnangen 
zu   wohnen   gewesen  zu  sein      wie  diess  in  dem  ^a  «^  J«  ^^ 
Bauherr  selbst  das  Haus  zu  bewohnen  wünscht,  ^t^tthndet    M 
kann  auch   ein  Verlangen   nach  Geld   gewesen  sein      wenn  der 
Bauhei-r  das  Haus  zum  Verkauf  bestimmt  hat     Und  doch  wuü 
Niemand    den  Gelderwerb    als   Zweck    des  Hauses   bezeichnen 
sondern     in    jedem    Falle    ist    das    Wohnen    der    Zweck     aes 

"'""xnn  lässt  sich  freilich  einwenden  ,  dass  in  diesem  Falle 
dasV^Lgen  -  wohne,,  i,nnu.rhin  die  Ursache  des  Hauses  ge- 
tse^i  s^i'  nnr  dass  sie  ^^  _  <n^<^r.Vf.  ^<^^  ^^^ 
Da*  ist  wohl  richtig,  aber  in  der  Definition  d,^s  Spinoza  egl 
ketnet-ö«  igung.  a.Tf  dieses  letztere  Verlangen  zuriiekzugehen^ 
Sie  untemheidet  den  Zweck  der  Dinge  „ielit  von  den  möglichen 


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^1 

—     -23     - 

würde  dem  nicht  entgehen  können,  nach  solchen  Zwecken  zu 
S^en  und  nur  die  Forden.ng  dabei  stellen  dür  en ,  dass  der 
weitere   Zusammenhang    der  Ursachen   darum    nicht  unbeachtet 

gelassen  werde.  -.       r.  •  a\^  v;/»iif?o-P      qh 

"       Wäre    nun   diese   Erklärung    des   Spinoza  die  '•icht  ge ,    so 
wäre  damit  allerdings  der  Zweekbegriif  aut  den  Causal.tatsbeguff 
rriuteführt.     Je.kr  (irui.d .    neben  letzterem  noch  vm>„  einem 
Zweikbegriff  zu  reden,  fiele  damit  weg.    Alle  menscid.chen  Be- 
.  liTungen  nämlich .  so.orn  sie  Ursachen  d.n-  Dinge  sind,  war  n 
Se   zn   nennen  ;    die  Zwecke  also   wären  unter  dem  BegrifT 
Z-  wirkenden  Ursache  zu  subsumiren.    Die  -^"";"."-  «'"«^ijr 
sondren  Zweckbegrifls  für  das  Gebiet  der  meuschUchen   That.g- 
kei    wie     wenn  schon  nicht  aus  Unkenntniss  hervorgehend  - 
den   de   dahin   gehende   Behauptung  Spinozas  ".»««  e.  wir  ja 
zurückweisen  -  so  doch  überflüssig  und  darum  unhaltbai. 

Se    wir  sehen  leicht,  dass  die  Erklärung  des  Zweckes    die 
zu   dieser  Conseqnenz   führt ,    ei,,.'   durchaus  unzureichende   ist 
Wird  :^!mal  anXu.t.  dass  die  Annahme  ,--- f-f  es  n.ch 
in   der  Auffassung   eines    mensehuehen  Verlang         a^s    «'  f  ,  | 


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—    24    - 

Absichten  bei  der  Herstellung  derselben,  den  Zweck  der  mensch- 
lichen Werke  nicht  von  den  Beweggründen  oder  Motiven  der 
menschlichen  Handlungen.  Es  ist  diese  Definition,  zu  welcher 
Spinoza  durch  sein  Streben,  den  Zweckbegriff  auf  den  Causalitäts- 
begriff  zurückzuführen,  verleitet  worden  ist,  zu  weit  und  darum 
ungenügend,  sie  bezeichnet  durchaus  nicht  das  unterscheidende 
Wesen  des  Zweckes.    — 

Es  fragt  sich  nun  ,  ob  die  Zurück fühiiing  des  Zwecks  aul 
die  Causalität,  die  dem  Spinoza  offenbar  nicht  gelungen  ist, 
überhaupt  möglich  ist.  Lässt  sich  eine  vollständige  Erklärung 
dessen,  was  Zweck  genannt  wird,  geben,  ohne  damit  über  den 
Begriff  der  Causalität  hinaus  zu  gehen? 

Ehe  wir  Jedoch  zur  Beantwortung  dieser  Frage  übergehen, 
möge  hier  nachträglich  festgestellt  werden,  um  auch  dieses  Mo- 
ment seiner  Definition  des  Zweckes  nicht  uii erörtert  zu  lassen, 
was  Spinoza  unter  dem  Begehren  (appetitus)  versteht. 

Wir  brauchen  dabei  nicht  auf  die  pars.  Hlpr.  9  schol.  S.  279 
gegebene  Unterscheidung  zwischen  voluntas  und  appetitus  ein- 
zugehen ,  welche  ja  Spinoza ,  wo  er ,  wie  in  den  hier  in  Be- 
tracht kommenden  Stellen,  in  freierer  Weise  ü])er  Thatsachen 
der  Erfahrung  redet,  selbst  nicht  vor  Augen  gehabt  zu  haben  scheint. 

Es  genüge,  darauf  hinzuweisen,  das  er  nach  S.  217.  Z  15  ff. 
zwischen  Wollen  und  Begehren,  sofern  sie  zur  Erklärung  des 
Zweckes  in  Betracht  kommen,  keinen  Unterschied  macht,  (quando- 
quidem  homines  suarum  volitionum  suique  appetitus  sunt  con- 
sciiet  de  causis  a  quibus  disponnntur  ad  appetendnm  et  volendum, 
quia  earum  sunt  ignari,  ne  per  somnium  cogitant)  und  weiter, 
was  wichtiger  ist,  darauf,  dass  er  unter  dem  Begehren,  als  wel- 
ches er  den  Zweck  bezeichnet,  das  Verlangen  nach  dem  eignen 
Nutzen  versteht.  (S.  217  Z.  K)  v.  o.  c^mnes  appetitum  habent, 
suum  utile  quaerendi  u.  Z.  W^  v.  u.  propter  finem  videlicet 
propter  utile  quod  appetunt.) 

Gewiss  ist  nun  zuzugeben,  dass,  wo  wir  von  dem  Zwecke 
eines  Dinges  reden,  wir  jedesmal  einen  Willen  voraussetzen. 
Dass  aber  zur  Erklärung  des  Zweckes  es  nöthig  ist,  diesen  Wil- 
len als  ein  Verlangen  nach  dem  eigenen  Nutzen  zu  bestimmen, 
hat  Spinoza  nicht  nachgewiesen.  Selbst  wenn  zugegeben  wird, 
dass,  wie  Spinoza  es  will,  alle  menschlichen  Willensthätigkeiten 
auf  ein  Verlangen  nach  dem  eignen  Nutzen  zurückzuführen  sind, 
bleibt  es  immer  noch  in  Frage,  ob  der  einzelne  menschliche 
Wille,  schon  sofern  er  bei  der  Erklärung  des  Zweckverhaltens 
ins  Spiel  kommt,  als  Verlangen  nach  dem  eigenen  Nutzen  auf- 
zufassen ist. 


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-     25    - 

Untersuchen  wir  also  das 

Unterscheidende  des  Zweckverhaltens, 

indem  wir  uns  zunächst  auf  den  Zweck  im  Bereiche  des  mensch- 
lichen Handelns  beschränken. 

Ueberall,  wo  der  Zweck  eines  von  Menschenhand  herrüh- 
renden Dinges  angegeben  oder  nach  ihm  gefragt  wird,  wird 
allerdings  ein  menschliches  Verlangen  oder  Wollen  vorausge- 
setzt. Dieses  Verlangen  an  sicli  kann  aber  niemals  der  Zweck 
des  Dinges  genannt  werden.  Es  kann  JL  ein  solches  Verlangen 
stattfinden,  auch  ohne  dass  ein  Zweck  gesetzt  wird.  Von  Zweck 
reden  wir  erst  dann,  wenn  wir  eine  bestimmte  menschliche  Vor- 
stellung voraussetzen,  auf  deren  Verwirklichung  der  menschliche 
AVille  gerichtet  ist.  Auch  Spinoza  hat,  wo  er  den  Zweck  er- 
klären will,  die  Annahme  einer  solchen  Vorstellung  nicht  um- 
gehen können. 

Er  fügt  daher  in  dem  vorerwähnten  Beispiele  vom  Hause, 
durch  welches  er  zeigen  will,  dass  ein  bestimmtes  Begehren  es 
sei,  welches  Zweck  genannt  werde,  als  nähere  Bestimmung  des 
da  angenommenen  Verlangens,  ein  Haus  zu  bauen,  die  Bemerk- 
ung hinzu,  dass  der  Mensch  dieses  Verlangen  gehabt  habe,  ,, da- 
her, weil  er  die  Vortheile  des  häuslichen  Lebens  sich  vorstellte''. 
Es  muss  aber  zugestanden  werden,  dass  eine  solche  Vorstellung 
nothwendig  mit  zur  Erklärung  des  Zweckes  gehört.  Ueberall, 
wo  von  Zweck  geredet  wird,  wird  eine  solche  Vorstellung  an- 
genoii.men,  auf  deren  Verwirklichung  der  menschliche  Wille  ge- 
richtet ist. 

Es  k(>mmt  dabei  gar  nicht  weiter  in  Betracht,  ob  ein  sol- 
cher auf  die  Verwirklichung  einer  menschlichen  Vorstellung  sich 
beziehende  Wille  auf  den  eigenen  Nutzen  des  wollenden  Sub- 
jectes  gerichtet  ist,  ob  also  der  Inhalt  dieser  Vorstellung  der 
eigene  Nutzen  dessen  ist,  der  die  Verwirklichung  desselben  ver- 
langt. Denn  als  Zweck  eines  Dinges  kann  auch-  etwas  bezeich- 
net werden,  was  nicht  dem  Urlieber  dieses  Dinges,  sondern 
einem  Andern  zum  Nutzen  gereicht.  Nur  enthält  in  jedem  Falle 
diese  Vorstellung,  welche,  wo  von  Zweck  die  Rede  ist,  voraus- 
gesetzt wird,  eine  bestimmte  Beziehung  oder  ein  gewisses  Ver- 
halten dieses  Dinges  zu  einem  Anderen  als  Inhalt.  Denn  überall, 
wo  nach  einem  Zweck  gefragt  wird,  wird  nach  dem  «Wozu?« 
oder  »Wofür?«  gefragt. 

Damit  ist  aber  auch  das  Unterscheidende  des  Zweckver- 
halten ersschöpft.     Wo   überhaupt  eine  Vorstellung    von  einem 


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-   2e,   -' 

bestimmten  Verhalten  eines  Dinges  durch  den  Willen  eines 
Menschen  verwirklicht  werden  soll  oder  verwirklicht  worden 
ist,  reden  wir  von  dem  Zweckverhalten  eines  Menschen.  Was 
wird  also  darunter  verstanden,  wenn  von  dem  Zwecke  eines  von 
Menschenhand  herrührenden  Dinges  die  Rede  ist?  Das  that- 
sächliche  Verhalten  eines  Dinges  wird  niemals  Zweck  genannt. 
Denn,  wenn  dieses  Verhalten  nicht  als  vorher  vorgestellt  und 
gewollt  angesehen  wird,  kann  es  nur  etwa  als  Nutzen  oder 
Gebrauch,  niclit  aber  als  Zweck  dieses  Dinges  bezeichnet 
werden. 

Der  menschliche  Wille  oder  das  menschliclie  Verlangen  an 
sich  kann  ebensoweni«;  als  der  Zweck  eines  Dinges  bezeichnet 
werden;  denn  nur  dadurch,  dass  der  Wille  auf  die  Verwirklich- 
ung einer  bestimmten  Vorstellung  sich  bezieht,  entsteht  der 
Zweck.  Wir  können  also  definiren  :  der  Zweck  ist  eine  Vorstell- 
ung von  einem  bestimmten  Verhalten  eines  Dinges,  welches 
durch  den  Willen  in  diesem  Dinge  zur  Verwirklichung  kommen 
soll  oder   gekommen  ist.   *) 

Wie  verhält  sich  nun  der  Zweckbegriff  zu  dem  Causalitäts- 
begriff?  Schon  aus  dem  bisher  Dargelegten  ergiebt  sich,  dass 
der  erstere  sich  nicht  einfach  auf  den  letzteren  zurückführen 
lässt.  Wo  nach  dem  Zwecke  eines  Dinges  gefragt  wird,  wird 
nicht  die  Ursache  desselben  zu  wissen  verlangt  und  umgekelirt. 
Wer  nach  den  Ursachen  eines  Dinges  fragt,  will  die  Entstehung 
eines  Dinges  kennen  lernen ;  wer  nach  den  Zwecken  fragt,  den 
beabsichtigten  (»ebrauch,  das  vorhergewollte  V\n*halten  des  Dinges 
zu  einem  Andern.  Der  erstere  fragt  nach  dem  «Woher»  ?,  der 
andere  nach  dem   «Wofür?« 

Wird  aber  dämm,  wo  ein  Zweckverhältniss  stattfindet,  das 
Oausalitätsverhältnis  ausgeschlossen  ? 

Keineswegs !  Eine  nähere  Betrachtung  des  Zweckverhältnisses 
zeigt  vielmehr,  dass  überall,   wo  ein  solches  stattfindet,  auch  ein 


*)  Kratz  1.  c.  S.  2S  fl".  giebt  wohl  eine  im  Wesentlichen  richtige 
Beschreibung  des  menschliclien  Verhaltens  ,  sofern  es  durch  den  Zweck 
bestimmt  ist,  und  auf  dieses  werden  auch  wir  im  Folgenden  näher  ein- 
gehen müssen,  aber  es  erscheint  uns  unrichtit]^,  die  einzelnen  Stadien,  die 
dabei  in  Betracht  kommen,  mit  in  die  ])efiniti()n  des  Zweckes  aufzuneh- 
men. Der  Zweckbc«jriff'  wird  nicht  erst  constituirt  durch  die  4  Einzelbe- 
gritte :  Zweckwille,  Mittelwille,  Mittelursache,  Zweckwirkung,  sondern  die 
Vorstellung,  auf  deren  Verwirklichung  der  Wille  gerichtet  ist,  heis.st 
schon  an  sich  Zweck  und  nur  ein  ungenauer  Ausdruck  ist  es,  wenn  auch 
die  Verwirklichung  einer  solchen  Voi-stellung  Zweck  genannt  wird. 


...    27    - 

Causalitätsverhältniss   obwaltet,  welches   aber  durch   den  Zweck 
erst  herbeigeführt  wird*) 

Wenn  nämlich  ein  Zweck  zur  Verwirklichung  kommt, 
so  geschieht  diess  so,  dass  das  thatsächliche  Verhalten  des  Dinges, 
welches  der  Inhalt  dieser  Zweckvorstellung  ist,  von  einer  Ur- 
sache oder  einer  Reihe  von  Ursachen  abhängig  ist.  Diese  Ur- 
,\  I  Sache  oder  diese  Reihe  von  Ursachen  ist  aber  ebenso,  wie  je- 
nes Verhalten  des  Dinges  vorher  vorgestellt.  Jede  solche  vor- 
her vorgestellte  Ursache  eines  zweckentsprechenden  Verhaltens 
nennen  wir  Mittel.  Zwischen  dem  Mittel  und  dem  zweckent- 
sprechenden Verhalten  findet  das  reine  Causalitätsverhältniss 
statt.  Letzteres  ist  die  Wirkung  vonersterem  und  ersteres  die 
Ursache  von  letzterem.  Ja,  weiter  darf  gesagt  werden:  Der 
Zweck  ist  die  Ursache  der  Vorstellung  eines  Mittels.  Wie  aus 
dem  realisirten  Mittel  das  zweckentsprechende  Verhalten  folgt, 
so  folgt  ans  dem  Zweck  die  Vorstellung  eines  Mittels**).  Ueber- 
all  also,  wo  ein  Zweckverhältniss  obwaltet,  giebt  es  eine  Reihe 
von  Gliedern,  von  denen  jedes  F(dgende  durch  das  Vorhergehende 
causirt  ist.  Das  Schema  einer  solchen  Reihe  würde,  wenn  das 
was  in  der  Vorstellung  gegeben  ist,  mit  kleinen  und  das  was  that- 
sächlicli  vorhanden  ist,  mit  grossen  Buchstaben  bezeichnet  wird, 
etwa  Folgendes  sein : 

f,   e,  d,  c,  b,  a  --  A,  B,   C,  D,  E,  F 

In  dieser  lieihe  kann  zwar  jedes  vorhergehende  Glied  als 
Ursache  des  Folgenden  angesehen  werden,  aber  nur  f  als  Zweck 
von  F,   e  als  Zweck  von  E,   u.   s.   w. 

^'icht  insofern  eine  Vorstellung  in  der  Kette  der  Ursachen 
eines  thatsächlichen  Verhaltens  eines  Dinges  als  Glied  vorhanden 
ist,  heisst  sie  der  Zweck  dieses  Dinges,  sondern  nur  insofern 
diese  Vorstellung  in  einem  bestimmten  Dinge  zur  Verwirklichung 


% 


1 


*)  Vergl.  hierzu  die  Abhandlung  von  Dro bisch  über  den  Zweck- 
begrift"  und    seine   Brdei;timg   für    Naturwissenschaft,    Metaphysik   und 
Religionsphilosophie,  (in  der  Ulrici-Fichte'schen  Zeitschrift  für  Philo- 
sophie u.  philosophische  Kritik  im  29  B.,  bes.  auf  S.  86  und  87. 

**)    So    Drobisch   1.  c.    ,, causa  finalis   heisst    eine   solche    psychische 


egung  setzt,  üass  deren 

Endwirkung  dem  Inlialte  jenes  Grundgedankens  adäquat  wird,  der  als  ge- 
wollter die  erste  und  anfängliche  causa  efliciens  des  ganzen  Verlaufs 
von  zusammenhängenden  Wirkungen  ist. 


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ti.     «I 


fr 


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—    28    — 

kommt.  Es  Ifisst  sich  also  das  Zweck verliältniss  nicht  zurück- 
führen anf  das  Oausalitätsverhnltniss,  da  vielmelir  umgekehrt 
überall,  wo  ein  Zweckverhältniss  stattfindet,  das  dabei  concur- 
rirende  Oausalititsverhältniss  ein  erst  durch  den  Zweck  herbei- 
gefülirtes    ist. 

Wir  sind  damit  zu  dem  Resultate  gelangt :  Im  Bereiche 
des  menschlifhen  Ilandfdns  ist  der  Zweckbegriff  nicht  zu  umgehen, 
da  nicht  nur  das,  was  als  Zweck  angenommen  wird,  thatsächlich 
vorhanden  ist,  sondern  auch  der  Zweck,  sobald  er  nur  richtig 
definirt  wird,   sich   nicht  anf   die  C'ansalität   znrückfüliren    lässt. 

Es  stellt  sich  nun  die  weitere  Frage,  welche  Anwendung 
der  Zweckbegriff,  wenn  er  einmal  wenigstens  in  einem  Gebiet 
berechtigt  und  unumjranglich  ist,  bei  der  Erklärung  der  Dinge, 
also  zunäclist  der  v«m  Menschenhand  herrührenden,  zulässt.  Ist 
die  Kenntniss  des  Zweckes  verwendbar,  notliwendig  und  zu- 
länglich znr  I'Tklärnng  eines  Dinges,  oder  ist  die  Erklärung 
der  Dinge  ans  ihren  Ursachen  die  allein  zulässige  und  aus- 
reichende? 

Diese  Frage  ist  besonders  darum  wichtig,  weil  das  dabei 
gewonnene  Resultat  überall  da  seine  Anwendung  wird  finden 
können,  wo  etwa  auch  ausserhalb  des  menschlichen  Handelns 
ein  Zweckverhältniss  nnzunehmen  ist.  Wir  behandeln  danim 
diese  Frage  in  der  dazu  niUbigen    Allgemeinheit. 

Die  Anwendung  des  Zwecks  zur  Erklärung  der  Dinge. 

Spinoza  erklärt,  wie  wir  salien,  den  Zweck  für  unzureichend 
zur  Erklärung  der  Dinge,  weil  er  in  dieser  Art,  die  Dinge  zu 
erklären,  eine  Verkennung  des  unendlichen  Causalzusammenhangs 
sieht.  Wer  bei  der  Erklärung  eines  Dinges  die  Kenntniss  des 
Zwecks  desselben  für  zureichend  lialte,  bleibe  bei  einem  Gliede 
in  der  Kette  von  Ursaclien  und  Wirkungen,  durch  welche  das 
Ding  bestimmt  sei,  stehen  und  fasse  dieses  Glied  irrtliümlich 
als  erste  Ursache  des  Dinges  anf.  Dieser  (irund  gegen  die  An- 
wendung des  Zwecks  fällt  mit  der  Erklärnng  des  Zweckes,  die 
Spinoza  giebt,  und  deren  Unhaltbarkeit  wir  glauben  nachgewie- 
sen zu  haben. 

Bei  richtiger  Auffassung  des  Zweckbegriffs  ist  von  vorn- 
herein so  viel  klar,  dass  aus  dem  Zweck  eines  Dinges  in  jedem 
Falle  ein  bestimmtes  Verhalten  des  Dinges  erklärt  wird;  das 
zweckentsprech  endeVerhalten  des  Dinges  wird  erkannt  aus  dem 
Zweck,  dessen  Verwirklichung  es  ist.  Je  zusammengesetzter  nun 
die  Vorstellung  ist,  die  in  einem  Dinge  zur  Verwirklichung  ge- 


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kommen  ist,  desto  mehr  Eigenschaften  dieses  Dinges  werden 
aus  derselben  erklärt  werden  können.  Denn  in  jedem  Dinge, 
welches  seinem  Zwecke  entspricht,  muss  einem  jeden  Theile  der 
zur  Verwirklichung  gebrachten  Vorstellung  auch  ein  thatsäch- 
liches  Verhalten  des  Dings  entsprechen.  Da  nun  ferner  alle 
Mittel,  durch  welche  das  zweckentsprechende  Verhalten  eines 
Dinges  verursacht  wird,  vor  ihrer  Verwirklichung  auch  in  der 
Vorstellung  enthalten  sind  und  zwar  so,  dass  jede  Vorstellung 
eines  Mittels  durch  einen  vorhergehenden  Zweck  causirt  ist,  so 
ergiebt  sich,  dass  aus  dem  Zweck  auch  alle  die  Mittel  erklärt 
werden  können,  durch  welche  das  zweckentsprechende  Verhalten 
eines  Dinges  bedingt  wird.  Denn  wie  juis  den  JMitteln  das 
zweckentsprechende  Verhalten  folgt,  so  folgen  in  umj^ekehrter 
Reihenfolge  aus  dem  Zweck  die  Vorstellungen  der  Mittel.  Wer 
also  den  Zweck  kennt,  kann  aus  demselben  die  Vorstellungen 
der  Mittel  erkennen,  es  erklären  sich  ihm  also  aus  dem  Zweck 
auch  die  zweckgemässen  Mittel,  die  in  einem  Dinge  verwirk- 
licht sind.  Je  mehr  solche  Vorstellungen  von  Mitteln  aus  dem 
Zweck  folgen,  desto  vollständiger  wird  auch  die  Erklärung  eines 
Dinges  aus  dem  in  ihm  verwirklichten  Zweck  sein. 

In  jedem  Falle,  wo  die  Theile  als  Mittel  des  zweckentsprechen- 
den Verhaltens  zu  dem  Ganzen  in  Beziehung  stehen,  kann  aus 
dem  bekannten  Zweck  eines  Dinges  auch  das  Verhältniss  des- 
selben zu  seinen    Theilen  erkannt  werden. 

Soweit  also  die  Eigenschaften  eines  Dinges  die  Verwirklich- 
nng  des  Zwecks  sind,  oder  derselben  als  Mittel  dienen,  werden 
sie  aus  dem  Zweck  erklärt  werden  können.  Dnrin  liegt  die 
Anwendbarkeit  des  Zwecks  zur  Erklärung  der  Dinge. 

Unbedingt  ausreichend  ist  diese  Erklärungsweise  allerdings 
nicht.  Denn  auch  wo  der  Zweck  eines  Dinges  völlig  bekannt 
ist,  lassen  nicht  alle  Eigenschaften  des  Dinges  aus  dem  Zweck 
sich  erklären.  Die  Herrscliaft  des  Gedankens  über  den  Stoff 
ist  —  wir  reden  zunächst  von  den  menschlichen  Werken  — 
niemals  vollkommen.  Je  coniplicirter  aber  der  Zweck  eines 
Dings  ist  und  je  völliger  er  verwirklicht  worden  ist,  desto  mehr 
wird  durch  den  Zweck  das  Ganze  bis  in  die  einzelnsten  Theile 
durchdrungen,  desto  vollständiger  also  lässt  sich  das  Wesen 
eines  Dinges  aus  seinem   Zweck  erkennen. 

Während  z.  B.  bei  den  einfachsten  menschlichen  Werk- 
zeugen nur  eine  äussere  Bearbeitung  des  Stoffes  erkennbar  ist, 
so  durchdringt  bei  einer  complicirten  Maschine  oder  bei  einem 
vollendeten  Kunstweike  die  Vorstellung,  die  in  demselben  zur 
Verwirklichung  gekommen,  das  Verhältniss  aller  Theile  zu  eiu- 


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ander  und  zu  dem  Ganzen.  Hier  erklärt  sieh  aus  dem  Zweck 
eine  unendliche  Manichfaltigkeit  von  Beziehungen,  die  ohne 
Kenntniss  desselben  unverständlich  bliebe,  und  was  nicht  aus 
dem  Zweck  sich  erklärt,  darf  als  unwesentlich  angesehen 
werden. 

Darin  liegt  die   Berechtigung,    bei    denjenigen   Dingen,    in 
denen  eine  menschliche  Vorstellung  zur  vollendeten  Verwirklich- 
ung gekommen  ist,  die   Erklärung   aus    dem    Zweck    für   völlicr 
zureichend  zu  erachten.    Denn  nicht  derjenige  versteht  ein  sol- 
ches menschliche  Werk  am  vollkommensten ,  der  etwa  die  Ent- 
stehung der  dazu  verwendeten  Stofte   bis   auf   die    entferntesten 
Ursachen  zurückzufahren  weiss  und  es  als  einen  Theil  des  Natur- 
organismus aumisst,    sondern   der,    welcher  die  dasselbe  beherr- 
schende Vorstellung  und  die  zur  Verwirklichung  desselben  ange- 
wendeten Mittel  überblickt  und  es  als  ein  wenigstens  relativ  selbst- 
ständiges   Ganze   auffasst.      Zur    Erklärung   eines    Gemäldes   als 
solchen   ist  nicht  die  Kenntniss  der  Farbenbereitung,    zur   Er- 
klärung einer  Dampfmaschine  nicht  die  Kenntni.ss  der  Erzschmelzun^ 
erforderlich.    So  dürfen  wir  allerdings  für  alle  Dinge,  in  denen 
ein    Zweck   zur   allseitigen    Verwirklichung  gekommen    ist      die 
Erklärung  derselben  aus  ihrem  Zweck  als  zureichend  ansehen 

Weiter  muss  auch  gesagt  werden,  dass  ohne  Kenntniss  des 
Zweckes,  nach  welchem  ein  Ding  hergestellt  worden  ist,  eine 
zureichende  Erklärung  desselben  nicht  möglich  ist.  Es  lassen 
sich  wohl  auch  ohne  Kenntniss  des  Zwecks  die  einzelnen  Eigen- 
schalten eines  menschlichen  Werks  und  die  Ursachen  derselben 
erkennen.  Dadurch  wird  aber  das  W^rk  als  Ganzes  nicht  er- 
klärt. Zur  zureichenden  Erklärung  desselben  gehört  auch  die 
Erkenntniss  dessen,  worauf  alle  einzelnen  Eigenschaften  des 
Werkes  sich  beziehen.  Wird  dieses  erkannt,  so  ist  eben  damit 
die  Kenntniss  des  Zweckes  gegeben.  Damit  ist  also  bewiesen 
dass  zur  Erklärung  jedes  nach  einem  Zweck  hergestellten  Werkes' 
die  Kenntniss  dieses  Zweckes  nothwendig  ist.  ' 

Wir  gehen  nun  einen  Schritt  weiter  und  fragen :  Lässt  sich 
der  Zweck  eines  solchen  Werkes,  auch  ohne  dass  er  dem  Be- 
trachter desselben  durch  den  Urheber  mitgetheilt  worden  ist 
aus  dein  Werke  selbst  erkennen,  und  wie  ist  diess  möglich?  ' 
Spinoza  behauptet,  wie  wir  sahen,  dass  diess  nur  geschehen 
könne,  indem  die  Sinnesweise  des  Andren  nach  der  eignen  be- 
urtheilt  werde.  Es  ist  diess  aber  eine  unhaltbare  Behauptung 
Gewiss  ist  zuzugeben,  dass  wir,  um  den  Zweck  eines  Dinges 
zu  erkennen,  in  vielen  Fällen  nach  der  Analogie  unsres  eignen 
Handelns  auch  das  des  Andern  beurtheilen.    Ist  es  aber  darum 


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unvermeidbar,  dass  wir  bei  dem  Andern  solche  Motive  voraus- 
setzen, die  bei  ihm  nicht  stattfinden?  Diess  würde  nur  dann 
der  Fall  sein,  wenn  es  keine  allg^^meinen  Gesetze  des  mensch- 
lichen Handelns  überhaupt  gäbe.  Solche  Gesetze  stellt  aber  Spinoza 
selbst,  z.  B.  im  3.  Theile  seiner  Ethik,  auf.  Darum  muss  er 
auch  die  Berechtigung  zugestehen,  aus  der  Analogie  des  mensch- 
lichen Handelns  zu  beurtheilen,  welchen  Zweck  ein  Andrer  ge- 
habt haben  müsse.  Es  ist  diess  nicht  ein  Schluss  von  der  eignen 
Sinnesweise  auf  die  eines  Andern,  sondern  von  der  allgemein 
menschlichen  Art  zu  denken  und  zu  handeln,  auf  die  eines 
Einzelnen.  Es  kann  also  der  Zweck  eines  Dinges,  wenn  er 
auch  nicht  von  dem  Urheber  desselben  uns  mitgetheilt  worden 
ist,  aus  den  allgemeinen  Gesetzen  des  menschlichen  Handelns 
erschlossen  worden. 

Es  lässt  sich  aber  auch  weiter  zeigen,  dass  der  Zweck  eines 
solchen  Dinges  auch  abgesehen  von  dem  Schluss  aus  der  Analo- 
gie erkannt  werden  kann. 

Es  ist  diess  allerdings  nur  dann  möglich ,  wenn  der  Zweck 
eines  Dinges  ein  complicirter  ist  und  mehrere  Mittel  zu  seiner 
En-eichung  angewendet  worden  sind.  Ist  diess  nicht  der  Fall, 
wie  bei  dem  obenerwähnten  lieispiel  der  einfachsten  mensch- 
lichen Werkzeuge,  so  kann  der  Zweck  aus  dem  Dinge  selbst 
nicht  erkannt  werden,  sondern  nur  aus  der  Analogie  des  mensch- 
lichen Handelns  oder  überhaupt  nicht.  Wer  z.  ß.  einen  abge- 
brochenen Baumast  findet,  kann  nicht  wissen,  ob  derselbe  als 
Brennmaterial,  oder  als  Stab  hat  dienen  sollen. 

Ist  dagegen  das  zweckentsprechende  Verhalten  eines  Dinges 
ein  complicirtes  und  beziehen  sich  die  Theile  desselben  als 
Mittel  auf  das  Ganze,  so'  ist  der  Zweck  des  Dinges  aus  diesem 
selbst  erkennbar.  Denn  dann  ergiebt  sich  uns,  wenn  auch  der 
Zweck  des  Dinges  uns  noch  unbekannt  ist,  aus  der  Beobacht- 
ung des  Dinges,  dass  mehrere  Eigenschaften  desselben  und  meh- 
rere einzelne  Theile  eine  gemeinsame  Beziehung  haben.  Das- 
jenige Verhalten  des  Dinges  nun,  welches  durch  eine  Mehrheit 
von  einzelnen  Eigenschaften  und  Theilen  des  Werkes  bedingt 
wird,  dürfen  wir  als  das  zweckentsprechende  Verhalten  des 
Dinges  ansehen ,  also  die  Vorstellung  von  diesem  Verhalten, 
insofern  sie  in  dem  Dinge  zur  Verwirklichung  gekommen  ist, 
als  den  Zweck  desselben.  Je  mehr  Eigenschaften  und  Theile 
des  Dinges  nun  eine  solche  gemeinsame  Beziehung  haben,  d.  h. 
je  zweckmässiger  die  Einrichtung  desselben  ist,  desto  sichrer 
wird  aus  der  Natur  des  Dinges  selbst  auf  den  Zweck  desselben 


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geschlossen   werden   können,    weil    um   so    mehr  Eigenschaften 
und  Theile  des  Dinges  auf  ihn  hinweisen. 

Wir  fragen    endlich.      Kann,    auch   wo    wir  nicht    wissen 
ob  ein  Ding  einen  Zweck  habe,  oder  nicht,  rein    aus   der   Na- 
tur dieses  Dinges  erkannt  werden,  dass    es   einen  Zweck  habe^ 
Auch  diese    Frage  müssen  wir  bejahen.     In  den  Fällen,  wo  die 
ganze  Eigenthümlichkeit  eines  Diii^-es  durch  eine  Beziehun-  der 
einzelnen  Theile  und  Eigenschafteii.hjs  Diii-os  auf  ein  Verhalten 
des  Ganzen  bestimmt  wird,   werden  wir  mit  Nothwendi-keit  auf 
die   Annainne    eines   Zweckes   geführt.      Und    zwar  treibt    dazu 
eben  die  Erklärung  aus  d<'n    Ursachen,     die    8])iiioza  als   allein 
anwendbar  ansieht.    Ergiebt  sich  nämlich    aus    der   Beobachtung' 
eines  Dinges,  dass  alle  Eigenschaften  und  alle  Theile  des  Dinges 
ein  bestimmtes  Verhalten  des(;anzen  beliiigen,  so  reicht  es  zur 
Erklärung  des  Dinges    nicht     aus,    dies.'    Ursachen    so    weit  als 
möglich  zu  vertolgen,  sondern  v,a  muss  auch    die  Ursache    dieser 
gemeinsamen    B^-ziehung   der    Theile    gefunden   werden.     Lässt 
sich  nun  aus  einem  angenommenen  Zweck  des  Dinges    diese   ffe- 
meinsame  Beziehung  der  Theile  zum  Ganzen  ableiten,    so   darf 
dieser  Zweck  als  Ursache  derselben    angenommen   werden     we- 
nigstens so  lange,    als     auf    andere    Weise     diese     gemeinsame 
Beziehung     der    Theile     zum    Ganzen     nicht    erklärt     werden 
kann. 

Wir  sehen  also,  dass  der  Zweckbegriff    zur  Erklärung    der 
Dinge  angewendet  werden  kann,  dass  auch  in  vielen  Fällen  der 
Zweck  eines  Dinges    völlig    zur    Erklärung   oenügt,    und    ohne 
denselben  eine  zureichende  Erklärung  dann  unmöglich   ist.     Es 
lässt  sich  endlich  aus  der  Natur  eines  Dinges  sell)st   erkennen 
ob  es  nach   einem   Zweck   hergestellt   sei,     und  welcher   Zweck 
in   ihm    zur     Verwirklichung   gekommen   ist.     Alle   diese   Sätze 
die  sich  uns  aus  der  Betrachtung   des  Zweckverhaltens    im  Ge- 
biete des    menschlichen    Handelns    ergeben    haben,    lassen   aber 
auch  eine  Anwendung  auf  die  nicht  von  Menschenhand  herrüh- 
renden Dinge  zu,  und  werden   also    bei   der   Beurtheilung    der 
Lehre     des    S],inoza    über   den    Zweck    in   der   Natur    von   uns 
benutzt  werden  können.       Zu  dieser  gehen  wir  nun  über. 

2)    Die  Bestreitung  des  Zwecks  in  der  Natur. 

Im  Bisherigen  mussten  wir  die  Sätze  des  Spinoza  durch- 
weg bestreiten.  Wir  fanden,  dass  seine  Definition  des  Zweck- 
begriffs eine  unzureichende  und  unrichtige  ist,  dass  er  mit  Un- 


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recht  die  Annahme  eines  Zweckes  in  den  menschlichen  Hand- 
lungen verwirft,  dass  endlich  die  Erklärung  menschlicher  Werke 
aus  dem  Zwecke  nicht  wie  Spinoza  behauptet,  unstatthaft,  son- 
dern völlig  anwendbar,  ja  nothwendig  ist. 

Dagegen  gestehen  wir  der  Polemik  des  Spinoza   gegen    die 
Annahme    eines    Zwecks   in   den    natürlichen    Dingen   gern   ein 
I  grosses    Verdienst     zu.       Spinoza    wendet    sich    zunächst    und 
j  vor  Allem   gegen  die    populäre   Betrachtungsweise    der    Dinge, 
]  nach  welcher  ein  Jeder  die  Dinge  nur  in  Bezug  auf  sich  selbst 
j  beurtheilt  und  den  Nutzen,  den  er  von  einem  Dinge   hat,    ohne 
weiteres   als   den  Zweck    desselben   ansieht.     Seine  Polemik  ge- 
gen diese   Anschauungsweise   ist   g(^wiss  berechtigt  und  in  einer 
Zeit,    wo    diese    Betrachtungsweise    die   herrschende   war,    ver- 
dienstlich. 

Gegen  dieselbe  sich  zu  wenden  trieb  den  Spinoza  ebenso- 
wohl wie  seine  wissenschaftliche  Strenge,  sein  sittlicher  Ernst 
und  seine  religiöse  Tendenz  (vergl.  K.  Fischer,  B.  Sps. 
Leben  und  Char.    S.  G  f.) 

Und  in  der  Tliat  ist  die  populäre,  teleologische  Betracht- 
ungsweise der  natürlichen  Dinge  nicht  nur  unwissenschaftlich,  son- 
dern auch  egoistisch  und  einer  tieferen  Religiosität  wider- 
sprechend. 

Wir  belächeln  jetzt  wohl  die  noch  im  vorigen  Jahrhundert 
beliebten  Zweckmässigkeitstheorien,  nach  denen  der  Korkbaum 
um  der  Stöpsel  willen  und  gewisse  Insecten  zur  Beförderung 
der  menschlichen  Reinlichkeit  geschaffen  sein  sollten,  und  halten 
eine  Widerlegung  derselben  nicht  für  nöthig.  Spinoza  aber, 
der  in  einer  viel  früheren  Zeit  lebte,  war  wohl  berechtigt,  aus- 
drücklich'  gegen  solche  Vorstellungen  von  der  Zweckmässigkeit 
der  Dinge  sich  zu  wenden  und  die  Forderung  aufzustellen,  mit 
der  er  selbst  vollen  Ernst  gemacht  hat,  die  Dinge  ohne  die 
Beziehung  auf  den  Menschen  zu  betrachten.  Es  fliesst  diese 
Forderung  unmittelbar  ans  seinem  grossen  Satz :  Eth.  I,  16,  und 
soll  von  uns  am  wenigsten  bestritten  werden. 

Indess  schlicsst  diese  Forderung  durchaus  nicht  von  vornherein 
jedwede  Annahme  eines  Zweckes  in  den  natürlichen  Dingen  aus. 
Um  von  vornherein  den  Standpunkt  unsrer  Kritik  der  Lehre 
des  Spinoza  über  den  Zweck  in  der  Natur  festzustellen,  müssen 
wir  uns  an  diesem  Orte  kurz  darüber  aussprechen ,  in  welchem 
Sinne  wir  die  zweckvolle  Ordnung  des  gesammten  Naturlebens 
behaupten  zu  dürfen  glauben  und  in  wie  weit  wir  die  teleolo- 
gische Naturbetrachtung  zu  vertheidigen  gemeint  sind.  Wir 
thun   diess   mit  Rückbeziehung  auf  die  Erörterung  des  Zweck- 


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begriffs,    die   Kant   in    seiner  Kritik   der  Urtheilskraft  gegeben 
(s.    darüber   die  erwähnte  Abbandhing  v.  Drobiseh).     Zunächst 
müssen  wir  uns  gegen  die  von  ihm   aufgestellte  Unterscheidung 
zwischen    blos  relativen  oder  äussern  und  innern  Naturzwecken 
erklären.     Den  natürlichen  Dingen,  die  als  Mittel  zu  möglichen 
Zwecken  verwendet  werden  (oder  die  der  Mensch  tauglich  fin- 
det   zu  einer    bestimmten  Verwendung!  schreiben  wir  um  dess- 
willen    weder   eine    innere ,    noch    eine  äussere  Zweckmässigkeit 
zu.    Es  ist  irreführend,  schon  da  von  dem  Zwecke  eines  Dinges 
zu   reden ,    wo    zwar    ein    bestimmter  Nutzen    von    dem  zweck- 
setzenden Wesen    vorgefunden ,    nicht    aber  an    ihm  durch  eine 
bestimmende  Thätigkeit  erst  zur  Verwirklichung  gebracht  wird. 
Im  wissenschaftlichen  Sprachgebrauch  zum  wenigstens  sollte  nur  •  ) 
da  von  Zweck  und  Zweckmässigkeit  die  Kedc  sein,  wo  letzteres 
Verhältniss  stattfindet,  im  ersteren  Falle  aber  nur  von  Brauch- 
barkeit oder  Anwendbarkeit,    wie  ja  auch  Kant  sich  in  diesem    j 
Falle  der  Ausdrücke    Nutzbarkeit     und   Zuträglichkeit   bedient.     1 
(S.    231)    in    der   Ausgabe   v.   Kirchmann's.)     Im   Weiteren    be- 
antwortet  nun  Kant  die  Frage,   was  dazu  erfordert  werde,  um 
einzusehen,    dass   ein  Ding    nur  als  Zweck   möglich   sei,    d.  h. 
um   die    Causalität   seines  Ursprungs   in    einer    Ursache,     deren 
Vermögen  zu  wirken   durch  Begriff'e  bestinmit  wird ,    suchen  zu 
müssen.     In    der  Beantwortung   dieser  Frage    hebt  Kant    zuerst 
hervor,    dass    dazu   in   jedem  Falle   erfordert   werde,    dass    die 
Theile    nur  durch    ihre  Beziehung   auf  das  Ganze  möglich  sind. 
(Damit   bewährt  sich,  was  wir  auf  Seite  14   als  Bedingung  der 
Erkennbarkeit  eines  Zweckes  im  Allgemeinen  angegeben  haben). 
Wenn   nun  Kant  im  Weiteren  ausführt,  dass  dieses  Verhältniss 
bei  den  Naturproducten  in  concreto  alle  Zeit  so  stattfinde,  dass 
auch    alle  Theile  von   einander  wechselseitig  Ursache  und  Wir- 
kung  ihrer  Form   sind  und   darin   den  Unterschied  des  zweck- 
vollen Naturproductes  von  dem  zweckvollen  Kunstproduct  findet, 
so   können  wir  damit  völlig   übereinstimmen.     Allerdings  findet 
das    von   uns    oben    als    Bedingung    einer  Zweckannahme    und 
Zweckerkenntniss   geforderte   Verhältniss   in   der  Natur   nur    da      ;  n 
statt,    wo  Organisation   stattfindet.     Und    völlig  richtig   ist   es, 
was  Kant  weiter  sagt:   ,,  Dieser  Begriff"  führt  nun  nothwendig  auf 
die    Idee    der   gesammten    Natur   als    eines    Systems   nach    der 
Regel    der    Zwecke,    Avelcher   Idee    nun   aller  Mechanismus    der 
Natur    .    .    .    untergeordnet   werden    muss  .    .    .  Man    ist  durch 
das   Beispiel,     das    die    Natur  an   ihren    organischen    Producten 
giebt,  berechtigt,  ja  benifen,  von  ihr  und  ihren  Gesetzen,  nichts 
als  was  im  Ganzen  zweckmässig  ist,  zu  erwarten."   (Dass  Kant 


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der  teleologischen  Naturbetrachtung  in  dieser  Ausdehnung  Be- 
rechtigung zuspricht,  wird  von  Drobiseh  in  der  erwähnten  Ab- 
handlung übergangen . ) 

Wenn  Kant  nun  weiter  sagt,  dass  die  Physik,  um  sich 
genau  in  ihren  (iräiizeii  zu  halten,  von  der  Frage  abstrahire,  ob 
die  Naturzwecke  es  absichtlich  sind,  oder  unabsichtlich  sind,  so 
kann  damit  doch  nur  gemeint  sein,  dass  die  Naturwissenschaft, 
obwohl  sie  die  organisirte  Gestaltung  der  Naturdinge  zum  Er- 
kenntnissobject  habe ,  nicht  die  Ableitung  derselben,  aus  dem 
Begriff  Gottes  zur  Aufgabe  sich  stellen  dürfe.  Nicht  aber 
kann  gemeint  sein,  dass  ein  unabsichtlicher  Zweck  möglich  sei, 
denn  dieser  Ausdruck  ist  auch  nach  der  Kant'schen  Definition 
des  Zweckes  eine  contra  dictio  in  adjecto.  In  wie  weit  nun  Kant 
dem  Schluss  von  der  Zweckmässigkeit  der  Natur  auf  einen 
weisen  Schöpfer  derselben  Berechtigung  zugesteht,  darauf  brau- 
chen wir  hier  nicht  einzugehen. 

Auch  unsre  Aufgabe  kann  es  nicht  sein,  auszuführen,  wie 
die  Erkenntniss  der  Zwecke  in  der  Natur  zum  Glauben  an 
Gott  hinzuführen  und  demselben  zur  Stütze  oder  Rechtfertigung 
zu  dienen  geeignet  sei ;  nur  das  haben  wir  nachzuweisen ,  dass 
die  Annahme  von  Zwecken  in  der  Natur  berechtigt  ist.  Unsre 
eigne  Ansicht  darüber  sprechen  wir  im  Anschluss  an  Kant  da- 
hin aus ,  dass  überall  wo  organisirtes  Leben  zu  finden  ist ,  die 
Annahme  eines  Zweckes  geboten  und  die  Angabe  eines  be- 
stimmten Zweckes  möglicli  ist  und  dass  eben  darin  die  Berech- 
tigung liegt,  auch  das  ganze  Naturleben  als  ein  zweckvoll 
organisirtes  Ganze  aufzufassen  und  die  Zwecke,  nach  denen  es 
geordnet  ist,  aufzusuchen.  Diese  teleologische  Naturbetrachtung, 
scheint  uns  nicht  nur  berechtigt,  sondern  auch  geboten,  und  hat 
mit  jener  populären  Betrachtungsweise,  die  jedes  Ding  nur  auf 
den  Nutzen,  den  es  dem  Menschen  bringt,  hin  ansieht,  nichts 
gemein.  Nur  diese  teleologische  Betrachtungsweise,  nach  wel- 
cher also  zunächst  die  Thier-  und  Pflanzenorganismen  als  zweck- 

'  massig  eingerichtet  angesehen  werden ,  haben  wir  gegen  die 
Beweisgründe ,  die  gegen  sie  erhoben  werden ,  zu  vertheidigen. 
Spinoza,  der  die  Annahme  eines  Zweckes  in  den  natürlichen 
Dingen  überhaupt  als  unstatthaft  hat  nachweisen  wollen,  er- 
reicht diess  durch  seine  Polemik  gegen  die   gewöhnliche    Lehre 

*  vom  Zweck  keinweswegs.  Fr  folgert  offenbar  aus  der  Unhalt- 
barkeit  der  populären  Zwecklehre  zu  schnell  die  UnStatthaftigkeit 
irgend  welcher  Zweckannahme  in  den  natürlichen  Dingen.  Diess 
ist  besonders  deutlich  an  der  Stelle,  wo  Spinoza  sagt :  (praef. 
ad'partem  IV,  S.  330  Z.   IS  v.u.)  Ostendimus  in  primae  partis 


:.»">' 


*-    36    -    • 

appendice  naturam  propter  finem  non  agere.  Denn  diesen 
Beweis  hat  Spinoza  im  Anhang  des  ersten  Theiles  nicht  er- 
bracht, vielmehr  nnr  die  populäre  Anscliauiingsweise  widerlegt, 
was  leicht  genug  war.  Wenn  er  dabei  noch  darauf  sich  beruft, 
dass  Gott  oder  die  Natur  mit  derselben  Noth wendigkeit,  mit 
welcher  sie  existire,  handle,  so  liegt  in  der  Herbeiziehung  die- 
ses Satzes  einestheils  eine  petitio  principii,  und  anderntheils  ist 
selbst,  wenn  dieser  Satz  zugegeben  wird,  nicht  jeder  Zweck 
aus  der  Natur  damit  ausgeschlossen.  — 

Indem  nun  Spinoza  sich  hauptsächlich  mit  der  Widerlegung 
der  gewöhnlichen  Auffassung  von  der  Zweckmässigkeit  der  na- 
türlichen -Dinge  beschäftigt,  ist  er  dazu  verleitet  worden,  eine 
strengere  Unterscheidung  zwischen  der  Zwecklehre,  welche  die 
Dinge  in  Bezug  auf  den  Menschen  auffasst,  und  der,  welche  sie 
zunächst  rein  an  sich  betrachtet,  zu  vernachlässigen  *) 

Wir  können  aber  bei  einer  Beurtheilung  seiner  Leugung 
des  Zwecks  in  den  natürlichen  Dingen  einer  solchen  nicht  ent- 
behren und  werden  im  Folgenden  so  vorgehen,  dass  wir  zunächst 
die  von  Spinoza  vorgeführten  Gründe  gegen  die  Annahme  eines 
Zweckes  in  der  Natur  überhaupt  prüfen  und  schrittweisse  ge- 
gen sein  Leugnung  derselben  Kaum  fär  die  Annahme  eines 
Zweckes  in  der  Natur  zu  gewinnen  suchen. 

Wir  werden  dabei  freilich  auf  früher  Gesagtes  öfter  zu- 
rückgreifen müssen. 

Wird  einmal  der  Zweck  innerhalb  des  menschlichen  .Han- 
delns zugegeben,  so  fällt  ein  Hauptgrund  des  Spinoza  gegen  die 
Annahme  eines  Zweckes  in  den  natürlichen  Dingen.  Die  Ueber- 
tragung  des  Zweckbegriffs  auf  die  natürlichen  Dinge  ist  dann 
nicht  von  vornherein  damit  abzuweisen,  dass  die  Annahme  eines 
Zwecks  überhaupt  unzulässig  sei.  Die  Möglichkeit,  dass  in  ei- 
nem natürlichen  Dinge  eine  bestimmte  Vorstellung  zur  Verwirk- 
lichung gekommen  sei,    lässt  sich   nicht  ohne  Weiteres  abweisen. 


•)  Wenn  auch  gesagt  i;v'ird,  dass  Spinoza  noch  nicht  die  Unterscheid- 
ung von  äussern  und  innem  Zwecken,  die  erst  Kant  hervorgehoben  habe, 
gekannt  habe,  so  möchten  wir  ihm  diess  nicht  zum  Vorwurf  machen  ;  denn, 
was  äussere  Zweckmässigkeit  genannt  >vird,  fällt  dem  Sp.  nicht  unter  den 
Begriff  der  Zweckmässigkeit ,  und  er  unterscheidet  gar  wohl  S.  217  Z. 
13  V.  u.  zwischen  der  Annahme,  dass  viele  natürliche  Dinge  zum  Nutzen 
der  Menschen  seien,  (äussere  Zweckmässigkeit)  u.  der  Annahme,  dass  sie 
um  dieses  Zweckes  willen  daseien  (innere  Zweckmässigkeit).  Eben  den 
Schluss  von  der  äussern  auf  die  innere  Zweckmässigkeit  oder  vielmehr 
von  der  Brauchbarkeit  auf  die  nach  einem  Zweck  getroffene  Einricht- 
ung ürlichen  der  natDinge  bestreitet  Spinoza. 


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—    37     - 

Spinozas  weitere  Beweise  aber  gegen  die  Annahme  eines 
Zweckes  sind  nicht  durchschlagend,  wenigstens  nicht  für  den 
der  nicht  ganz  auf  den  Standpunkt  des  Spinoza  sich  stellt.  ' 
bem  Satz,  dass  die  Lehre  vom  Zweck  die  Natur  völligr 
umkehre,  indem  sie,  was  in  Wahrheit  die  Ursache  sei,  als  Wirk- 
ung be  rächte  und  umgekehrt,  beruht  auf  Täuschung.  (Ver- 
gleiche hierzu  Kratz  1.   c.  S  11) 

Wer  z  B.  die  Vermittelung  des  Sehens  als  Zweck  des 
Auges  hinstellt,  nimmt  nicht  an,  dass  das  Sehen  früher  ge- 
wesen sei  als  das  Auge,  sondern  nur,  dass  eine  Vorstellung 
des  Schopfers  von  dieser  Vermittlung  des  Sehens  früher  gewesen 
sei  als  das  Ange,  in  welciiem  diese  Vorstellung  zur  Verwirk- 
lichung gekommen  sei;  ganz  in  der  Weise,  wie  es  bei  den 
menschlichen  Werken  unzweifelhafte  Thatsache  ist,  dass  die 
Zweckvorstellung  eines  Menschen  früher  vorhanden  ist,  als  das 
thatsächliche  dieser  Vorstellung  entsprechende  Verhalten  desie- 
nigen  Dinges  in  welchem  diese  Vorstellung  zur  Verwirklichung 
gekommen  ist  Spinoza  hat  sich  hier  durch  den  gewöhnlichen 
Sprachgebrauch  zu  einer  Verwechslung  des  Zwecks  mit  dem 
zweckentsprechenden  Verhalten  des  Dinges,  welches  ja  oft  auch 
ungenauer  Weise  Zweck  genannt  wird,  verleiten  lassen 

Bei  einer  richtigen  Definition  des  Zweckes  wird  nicht   das 
was  m  Wahrheit  die  Wirkung  ist,  als   Ursache   betrachtet,  son- 
dern nur   die   Vorstellung  dieser  Wirkung.  Zwischen   beiden  ist 
aber  wohl  zu  unterscheiden.   — 

Ebenso  hinfällig  ist  der  Satz,  dass  die    Lehre   vom   Zweck 
dasjenige,  was  in   der   Natur  das    ll.ichste    und    Vollkommenste 
sei,   zum  Unvollkommensten  mache.    Es  sei  nämlicli  nach  Eth    I 
R^';/        .     diejenige  Wirkung  die  vollkommenste,  welche    von 
Gott   unmittelbar    hervorgebracht  werde,    und  jemelir  Mittelur- 
sachen etwas  brauche,  um  hervorgebracht  zu  werden,  desto  un- 
vollkommener  sei  es.     Wenn  nun  die  Dinge,    welche   von  Gott 
unmittelbar  Jiervorgebracht  worden  sind,   um  desswillen  gemacht 
wareji,  damit  Gott  seinen  Zweck  erreiche,  dann   würden    noth- 
wendig  die  letzten,    um     deren    willen    die    früheren    gemacht 
worden  seien,  unter  allen  die  vorzüglichsten  sein  (Eth.  append  ad 
p.  1  S.  21,)  u.  vergleiehe  das  von  uns  auf  S.   16  bemerkte)    — 
Spin(»za  beruft  sich  hier  wieder  aufSätze  seines  eigenen  Systems 
welches  doch  die  LeiTgunr-  des  Zweckes  zur  Voraussetzung  hat' 
u.   macht  sich   also  eines  logischen  Cirkels  schuldig. 

Wer   die    Wahrheit   seines    Systems  n(»ch  dahingestellt  sein 

asst,  wird  mit  eben  soviellJecht,  wie  Spinoza    das   Umgekehrte 

lehrt,    behaupten   können,    das    je    mehr    Mittelursacheu  etwas 


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t. 


braucht,  um  liervorgebracht  zu  werden,  es  desto  vollkommnerist 
(cf.  Kratz  1.  c.  S.  42). 

Indess  ist  die  Argumentation  des  Spinoza  auch  von  seinem 
eignen  Standpunkt  aus  nicht  zulässig.  Kr  identificirt  Vollkom- 
menheit mit  Realität  Eth.,  pars  II,  def.  ii)  ;  nennt  also  ein 
Ding  um  so  vollkommner,  je  mehr  Realität  es  hat,  und  um  so 
unvollkommner,  je  mehr  Begränzung.  Verneinung,  Ohnmacht  ihm 
zukomme  (^pars  IV.  praef  S.  331).  Ist  nun  Spinoza  berechtigt, 
den  Grad  dieser  Realität  der  Dinge  daran  zu  messen*,  oh  sie  unmit- 
telbar von  (iott  hervorgebracht  worden  seien,  oder  weniger 
oder  mehr  Mittelursachen  bedürfen  ?  Nach  seinen  eigenen  Sätzen 
keineswegs.  Allerdings  redet  Spinoza  in  den  von  ihm  angezoge- 
nen Lehrsätzen  Kth.  I,  21 — 2;>  von  solchen  modis,  welche  mit 
Nothwendigk(^it  und  unendlich  existiren  und  unterscheidet  unter 
ihnen  solche,  welche  unmittelbar  von  (iott  hervorgebracht  wor- 
den sind  und  solehe,  welche  durch  Vermittelung  einer  nothwendigen 
und  ewigen  Modification  eines  Attributs  aus  der  absoluten  Natur 
eines  göttlichen  Attributs  f(dgen.  Welche  diess  seien,  sagt  er  zwar 
nicht,  und  die  Beispiele,  die  er  epistola  1*);').  4  anführt  dienen 
kaum  zur  Erläuterung.*) 

*)  Zu  der  Lehre  von  den  unendlichen  ModiHcationen,  über  welche 
Erdmann.  GrundbegriftV'  des  Spinozismus,  (in  Verni.  Aufsätze  L.  1848.) 
S.  141  ff  u.  K.  Fischer  1.  c.  U).  Cap.  I,  2—4  ausführlich  handeln,  ist 
besonders  auch  zu  verglciclu'n,  wasV.,  2.'>,  schol.  u.V.,  40,  schol.  gesagt 
wird.  Spinoza  hezielit  sich  an  letzterer  Stelle  auf  1,  21  zurück  und 
hat.  wie  wir  gewiss  annehmen  dürfen',  die  Sätze  I.,  21 — 23  schon  mit 
Rück.sicht  auf  die  Lehre  von  der  UnsterhlichUeit  der  Seele,  die  er  im 
5.  Theile  geben  wollte,  geschrieben.  Denn  wenn  die  ,,idea  dei  in  cogi- 
tatione"  (I,  21  dem.)  d.  h.  die  Vorstellung  von  (iott  in  dem  Attribut  des 
Denkens  eine  ewige  und  unendliche  Mtxlitication  des  göttlichen  Denkens 
ist,  so  muss  die  Seele  des  Menschen,  solern  sie  an  dieser  idea  Theil  hat 
nothwendig  ewig  sein.  Daher  redet  denn  auchSjünoza  an  den  beiden 
angeführten  Stellen  von  modis  aeternis  tinitis.  Denn  er  sagt  deut- 
lich, dass  diejenige  Vorstellung  in  (iott,  welche  das  Wesen  eines  mensch- 
licheD  Körpers  unter  der  Form  der  Ewigkeit  ausdrückt  und  darum  noth- 
wendig zur  menschlichen  Seele  als  deren  unsterblicher  Theil  gehöre, 
certus  cogitandi  modus  sei,  qui  necessaric»  aeternus  est,  und  ferner  V,  40 
dchol.  sagt  er:  mens  nostra  ([ualenus  intelligit,  aeternus  cogitandi 
modus  est,  qui  alio  aeterno  cogitandi  modo  determinatur  et  hie  iterum 
ab  alio  et  .sie  in  intinitum,  ita  ul  omnes  simul  dei  aeternum  et  intinituro 
intellectum  con.stituunt.  Die  Erkenntniss  Gottes  in  der  menschlichen 
Seele,  oder  der  Theil  der  menschlichen  Seele,  w  elcher  die  Krkenntniss  Gottes 
ist,  ist  also  nicht  ein  wechselnder  Modus,  sondern  ewig,  soforn  er  ein 
Theil  des  intellectus  inHintus  aeternus  al.so  einer  ewijjen    und  unendlichen 


Moditication  des  Denkens  ist.  Vergleiche  hierzu  auch  die  um.sichtigen  Be- 
merkungen bei  Dr.  Volkelt,  Pantlieismus  und  Individualismus  im  System 
Spinoza's,  Leipzig,  bei  A.  Lorenz  1872.     S.  52. 


—    39    — 

Jedenfalls  aber  handelt  es  sich  in  diesen  Sätzen  nicht  um 
die  Einzeldinge,  die  eine  Stufenreihe  der  Vollkommenheit  bil- 
deten, je  nach  dem  sie  mehr  oder  weniger  Mittelursachen  zu  ihrer 
Hervorbringung  bedurft  hätten.  Von  den  Einzeldingen  behauptet 
Spinoza  vielmehr  Eth.  I,  pr.  2^^,  dass  ein  jedes  derselben  durch 
ein  andres  causirt  werde,  und  dieses  wieder  durch  ein  andres 
und  so  fort  ohne  Ende.  Keines  dieser  Einzeldinge  ist  also  un- 
mittelbar von  Gott  hervorgebracht  wcn-den.  Von  allen  aber  be- 
hauptet Spinoza  (pr.  2><.  schol  2.),  dass  sie  von  (iott  abhängen 
und  ohne  ihn  weder  sein  noch  gedacht  werden  können.  Seine 
Unterscheidung  von  mittelbar  und  unmittelbar  hervorgebrachten 
Dingen  findet  also  auf  die  Einzeldinge  gar  kt^ine  Anwendung, 
ja  Spinoza  sagt  selbst,  dass  Gott  nicht  eigentlich  die  entfernte 
Ursache  der  Einzeldinge  genannt  werden  k(inne.  Durch  seine 
eignen  Sätze  hätte  also  Spinoza  sich  abhalten  lassen  sollen,  zu 
sagen ,  dass  ein  Ding  um  so  unvollkommener  sei ,  je  weniger 
es  Mittelursachen  bedürfe,  um  hervorgebracht  zu  werden.  Es 
passt  eine  solche  Unterscheidung  von  vollkommnen  und  unvoll- 
kommenen Dingen  durchaus  nicht  in  seine  ganze  sonstige  An- 
schauung. 

Ist  ein  Ding  um  so  vollkommener,  je  mehr  Realität  es  hat, 
so  wird  vielmehr  auch  das  Zusammengesetztere  vollkommener 
sein,  als  das  durch  wenige  Ursachen  bedingte.  Einer  ähnlichen 
Beweisführung  bedient  sich  Spinoza  auch  selbst  im  zweiten 
Theile  seiner  Ethik    vergl.   bes.   IL  pr.    14,  auch  V,   7). 

Ein  weiterer  Grund  des  Spinoz.'i  gegen  die  Annahme  eines 
Zweckes  in  der  Natur  ist  dvv ,  dass  die  Lehre  vom  Zweck  die 
Vollkommenheit  Gottes  aufhebe.  Denn  wenn  Gott  um  eines 
Zweckes  willen  handle,  so  begehre  er  nothwendig  etwas,  dessen 
er  entbehre  (l.  c.  S.  2U.)). 

Auch  dieses  Argument  ist  von  Spinoza's  eignem  Stand- 
punkt aus  als  unhaltbar  zu  erkennen  ,  sobald  nur  eine  richtige 
Zweckdefinition  angewendet  wird.  ,,G(dt  handelt  um  eines 
Zweckes  willen''  heisst  ja  nach  unsrer  Zweckerklärung  nichts 
anderes  als  ,,Es  giebt  in  Gott  eine  Vorstellung,  welche  in  einem 
bestimmten  Dinge,  das  er  hervorbringt,  zur  Verwirklichung 
kommt.  —  Wird  nun  das  Dasein  solcher  Vorstellungen  in  Gott 
geleugnet  —  wie  es  geschieht,  wenn  ein  Hervorgehen  der  Dinge 
aus  der  absoluten  Natur  (iottes  angenommen  wird  —  so  wird 
Gott  etw^as  beigelegt,  was  eine  Verneinung  invcdvirt.  Das  heisst 
aber  (nach  pars  II,  praef.  S.  3:U) :  es  wird  Gott  eine  Unvoll- 
kommenheit  zugeschrieben.  Es  findet  also  in  Wahrheit  das  dem 
von  Spinoza  behaupteten  entgegengesetzte  Verhältniss  statt.  Giebt 


—    40    — 

es  in  Gott  unendlich  viele  Vorstellungen,  die  durch  seine  Macht 
in  den  Dingen  zur  Verwirklichung  kommen,  so  kann  darin  keine 
Unvollkommenheit  Gottes  gefunden  werden,  sondern  es  besteht 
darin  die  Vollkommenheit  Gottes. 

Ebenso  ist  klar,  dass  der  Eth.  I,  ;]3,  schol  2.  angeführte 
Grand  nicht  stichhaltig  ist.  Denn  bei  einer  richtigen  Definition 
des  Zweckes  ist  der  Zweck  nicht  etwas  ausserhalb  Gottes,  son- 
dern eine  Vorstellung  in  ihm ,  die  zur  Verwirklichung  kommt. 
Insbesondere  wird  derjenige,  der  die  Forderung  stellt,  dass 
alle  Dinge  in  G(»tt  zu  betrachten  seien,  die  xAIöglichkeit  zu- 
geben müssen,  dass  Gott  die  Dinge  nach  Zwecken  geschaffen 
und  geordnet  habe. 

Nun  behauptet  aber  Spinoza  ,    der  Zweck  irgend  eines  na- 
türlichen Dinges  könne  gar  nicht  angegeben  werden,   ohne  dass 
ein  Schluss    von    dem  Thun    des  Menschen  auf  das  Wirken  der 
Natur   gezogen    werde.     Er    leugnet   also,    dass   in  den  Dingen 
selbst    irgend  welche  Nöthigung   liege,    einen    Zweck   derselben 
anzunehmen    und    irgend  welche    Möglickkeit ,    den  Zweck   der- 
selben   aus    ihnen    selbst    zu    erschliessen.      Wir   glauben    diese 
Behauptung  schon  widerlegt  zu  haben  in  dem,  was  wir  bei  der 
Beurtheilung   der    Lehre    des  Spinoza    über   den  Zweck    in    den 
menschlichen  Werken   gesagt    haben.      Wir   haben    da   gezeigt, 
dass  auch  in  dem  Falle,   wo  wir  nicht  wissen,   ob  ein  Ding  ei- 
nen Zweck  habe  oder  nicht,  rein  aus  der  Natnr  dieses  Dinge's  er- 
kannt   werden    könne,    dass    und   weh-hen  Zweck    es  habe.      Es 
gilt  diess  aber  ebenso  von  den  natürlichen  Dingen  wie  von  den 
menschlichen  AVerken.     Findet   sich  in  irgend  einem  Dinge  ein 
bestimmtes  Verhalten,   welclies  durch  mehrere  Eigenschaften  und 
Theile  des  Dinges  bedingt  wird,   so  muss  diese  gemeinsame  Be- 
ziehung der  Theile  zum  Ganzen  auf  eiiK*  Ursache  zurückgeführt 
werden  kcinnen.     Wird  nun  als  solche  Ur-sache  eine  Vorstellung 
Gottes,    welche    in    dem    bestimmten  Verhalten    des  Dinges   zur 
Verwirklicliung  gekommen  sei,   vorausgesetzt,  und  lässt  sich  aus 
diesem  angenommenen  Zweck    das  Verhalten  des  Diuires     sowie 
die  Beziehung  seiner  einzelnen  Theile  zu  diesem  Verhalten   er- 
klären, so  ist  in  diesem  Falle  allerdings  die  Erklärung  aus  dem 
Zweck  zureichend,  ja,   so  lange  keine  andre  Erklärung,   die  das 
Namhche  ebenso  gut  oder  noch  besser  leistet,   angegeben  werden 
kann,   nothwendig. 

Insbesondere  zeigt  sich  deutlich  ,  dass  derjenige,  welcher 
die  kunstvolle  Einrichtung  der  Naturorganismen  aus  dem  Zwecke 
erklärt,  darauf  nicht  durch  die  Unkenntniss  der  Ursachen,  durch 
welche  diese  Kunst  bedingt  ist,  geführt  wird.     Je  vollkommner 


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—    41    - 

ftf  It  "r^K-^f ""*"'''  ^'"''  ^''^^'''  '«*'  «n»  «0  stärker  Ist 
tui  uns  die  Nothigung,  einen  Zweck  des  betreffenden  üin-es 
anzunehmen  Diess  erhellt  aus  dem  von  uns  Bemerkten.  wL 
bei  den  einfaclisten  raenscliliclien  Werkzeugen  der  Zweck  der- 
selben nicht  mit  voller  Sicherheit  aus  deui  Dinge  aiTsich  e  - 
kanut  werden  kann ,  dagegen  in  den  Fällen ,  m>  viele  Mittel 
zu  dem  einen  Zweck  erkennbar  sind,  wie  etwa  bei  e  ner  oiu- 
pl.cii^e.i  Maschine,  der  Zweck  des  Dinges  eben  desshalb  um  so 
deutlicher  aus  der  Betrachtung  des  Dinges  sich  ergiebt,  so  fin! 
dt  Zi^,"^"' ,  .«"'«Itniss  bei  der  Betrachtung  und  Erklärung 

fin,,»      f    ,    '"  ^,"'^"^  f*'*"-     '^^'«'-  =•  ^    <>''«  ^^«y«  betrachtet! 
findet  allerdings,   dass  alle  die  einzelnen  Vorgänge,  durch  weicht 

lassen  An  r^'  T' '  r*'  '''™  ^'""■^''''  ^'«''  ^•"«^'kführen 
^ssen^      Alle   diese  Ursachen   aber,    deren   Znsammenhang  die 

Naturforschung  erkennen  lehrt,   haben  eine  gemeinsame  B^zieh- 

«uI^tI  -r  )  ?""  **''  ^'''"'"'-  ^*'^'«"  gemeinsame  Beziehung 
vP^l  ,h  ?  ?  "*''?  ?''  ""■*"•  •^i"'i'"''t"ns  auf  das  (iesaramt- 
divif(V  ,  ;^»^7«,fo>'le-t  nun  eine  Erklärung.  Je  complicirter 
dieses  Gesammtverhalten  des  Auges,  je  vielfacher  die  Verkettung 

v:nvirkHc,:!';;ä^;:''™t. """  '^"'^^-  ^'^"•"^■'-  "•  <'''"-»'- 

<,    .>^''"''    '^'"'""'•■'   ^"n   'Iß"    Anhängern    der   Zwecklehre   sagt 

li;i,;n  ,;-"  T'"  ''•'  *'""''•  '^•'""  **'"  •l'"'  •*••"•  •'««  mensch- 

lichen Körpers  sehen  ,  und  schliessen  da.-an,. ,  ,lass  sie  die  Ur- 
sachen so  gi-osser  Kunst  nicht  kennen,  dass  dieselbe  nicht  durch 
mechanische,  sondern  durch  g.ittliche  und  nbeniatürliehe  Kräfte 
gebildet  worden  sc,'-,  so  trifft  diess  nicht  die  Annahme  eines 
^weckes  in  der  Natnr  überhaupt,  sondern  nur  diejenige  Natur- 
betraehtnug.   welche    in  einseitiger  Ftetonung  der  Sch^fermacht 

des  w/ftl!  r     u-   ■    '■   '"  ^■""""  ^'"^'"^'  '"'''  *"«  Vermittelung 
nbeiSl      '  ■'"  '""  "'  ''«'-Natur  wirksamen  Kräfte 

Zwischen  beiden  weiss  Spinoza  nicht  zu  unterscheiden.    So 
ricmig  es  ist      dass  diejenige  Naturbetrachtung,   welche   die   in 

NaMin^  "  "  l'T'  '■'•'^«""''«'•"  K»"«t .  wie  überhaupt  alle  • 
^at.ureleg„,.sse  m.d  Naturerscheinungen  aus  einem  unmittelbaren 
Wi  ken  Gotes  ableitet,  aus  der  Unkenntniss  der  Unsachen  stammt, 
0  ungerecht  ist  dieser  Vorwurf,  wenn  er  im  Allgemeinen  gegen 
die  Annahme  eines  Zweckes  in  der  Natur  erhoben  wird.  Denn 
die  vollkommenste  Kenntniss  der  Ursachen  der  Dinge  macht 
de  Annahme  eines  Zweckes  nicht  entbehrlich,  nöthigt  vielmehr 
nur    nm    so   stärker   zu  einer  solchen ;    hebt  nicht  das  Staunen 


-    42 


über  die  in  den  natürlichen  Dingen  erkennbare  Kunst  auf, 
sondern  lässt  diese  Kunst  nur  um  so  bewundeniswerther  er- 
scheinen. 

Ebenso  trifft  der  letzte  Vorwurf,  den  Spinoza  gegen  die 
Lehre  vom  Zweck  erhebt,  dass  sie  nämlich  alles  Forschen  nach 
den  Ursachen  der  Dinge  abschneide  und  ein  Asyl  der  Unwissen- 
heit sei,  nur  jene  populäre  Naturbetiachtuiig,  die  um  die  Ver- 
mittelung  des  göttlichen  Allmachtwirkens  sich  nicht  kümmert, 
nicht  die  Annahme  eines  Zweckes  in  den  natürlichen  Dingen 
überhaupt.  Wird  uäinlich  ein  Zweck  in  den  natürlichen  Dingen 
angenommen,  so  entsteht  naturgemäss  das  Interesse,  die  Mittel, 
welche  zur  Verwirklichung  dieses  Zweckes  dienen  ,  kennen  zu 
lernen.  Denn  zur  völligen  Keuntniss  des  Zweckes  gehört  ja 
auch  die  Kenutn'ss  der  aus  demselben  iiervorgeheiiden  Vorstell- 
ungen der  zur  Verwirklicliuug  desselben  führenden  Mittel.  Diese 
Mittel  aber  werden  erkannt,  sobald  die  Ursachen  des  zweck- 
entsprechenden Verhaltens  an  dem  Dinge  erkannt  werden.  Es 
heissen  ja  eben  diese  Ursachen  Mittel,  sofern  sie  das  Verhalten 
des  Dinges,  welches  als  zweckentsprechend  aufgefasst  wird,  be- 
dingen. Wenn  also  ein  natürliches  Ding,  zu  dessen  Erklärung 
ein  Zweck  angenonimen  wird ,  nach  seinen  Ursachen  erforscht 
wird,  so  wird  dadurch  auch  die  Keuntniss  des  Zwecks  vervoll- 
ständigt oder  berichtigt. 

Ja  weiter  muss  gesagt  werden,  dass  ein  bestimmter  Zweck 
eines  natürlichen  Dinges  nur  dann  mit  Siclierheit  bezeichnet 
werden  kann  ,  wenn  diese  Ursachen  bekannt  t^ind.  Denn  nur 
die  Beziehnng  verschiinlener  Ursachen  auf  ein  bestimmtes  Oe- 
sammtverhalten  des  Dinges  ermöglicht  es  uns,  den  Zweck  des- 
selben mit  Sicherheit  aus  dem  Dinge  selbst  zu  erschliessen,  wie 
wir  ebenfalls  oben  gezeigt  haben.  Die  Annahme  von  Zwecken 
in  der  Natur  treibt  also  vielmehr  dazu,  die  Ursachen  der  Dinge 
zu  erforschen,  um  dadurch  die  Zweckbeziehung  derselben  mit 
Sicherheit  kennen  zu  lernen. 

Wir  glauben  damit  hinreichend  gezeigt  zu  haben,  dass 
Spinozas  Polemik  gegen  die  Annahme  eines  Zweckes  in  der 
Natur  unzulänglich  ist.  Seine  Einwäiule  beruhen  theils  auf 
einer  falschen  Erklärung  des  Zweckbegriffs,  theils  treffen  sie 
nicht  die  Lehre  vom  Zweck  überhaupt,  sondern  die  populäre 
Betrachtung  der  Dinge  nach  ihrer  Beziehung  auf  den  mensch- 
lichen Nutzen  und  die  populäre  Auflassung  des  schöpferischen 
Wirkens  Gottes  als  eines  unvermittelten. 

Darin  liegt  es  begründet,  dass  die  Ausführungen  Spinoza's 
uns  an  manchen  Stellen   etwas  oberflächlich    erscheinen  wollen. 


43    - 


/: 


Er  hat  es  sich  mit  der  Lösung  seiner  Aufgabe  nach  dieser  Be- 
ziehung zu  leicht  gemacht.  Er  beschäftigt  sich  eingehend  mit 
der  Widerlegung  abergläubischer  und  thörichter  Ausartungen  der 
Zwecklehre ,  die  unserer  Zeit  als  kaum  der  Widerlegung  be- 
dürftig erscheinen ,  und  geht  auf  die  Gründe ,  welcire  für  die 
Zwecklehre  sprechen,  gar  nicht  ein.  In  keiner  Weise  hat  er 
insbesondre  nachgewiesen ,  was  er  zur  Aufrechthaltung  seiner 
Leugnung  des  Zweckes  nachweisen  musste ,  dass  die  kunstvolle 
Einrichtung  der  Naturorganismen  ohne  Annahme  eines  Zwecks 
erklärt  werden  könne.  Es  fragt  sich  nun,  ob  ein  solcher  Nach- 
weis überhaupt  möglich  ist.  Es  gebührte  dann  dem  Spinoza 
das  Verdienst,  zuerst  nachdrücklich  die  Forderung  gestellt  zu 
haben,  die  dann  Spätere  erfüllten,  zuerst  das  Priitcip  der  Na- 
turbetraclitung  und  Naturerkläruug  aufgestellt  zu  haben,  von 
dem  aus  dann  Andre  mehr  zu  leisten  vermochten. 

In  der  That  ist  nun  die  ausgesprochene  Tendenz  der  mo- 
dernen Naturforschung,  die  Teleologie  aus  der  Naturforschung 
auszuschliessen  und  alles  was  bisher  als  zweckmässig  aufgefasst 
worden  ist,  rein  aus  der  wirkenden  Ursache  zu  erklären.  Ge- 
länge ^  diess  der  Naturforschung  und  hätte  sie  bisher  auch  nui* 
eine  Spur  des  W^eges  aufgezeigt,  der  zu  einem  solchen  Gelingen 
führen  könnte,  so  würde  allerdings  Spinoza's  Lehre  eine  Be- 
stätigung dadurch  finden.  So  sagt  v.  Kirchmann  1.  c.  S.  43: 
,,Das  grosse  Bedenken  gegen  diese  Auffassung  i die  Leugnung  der 
Zwecke  in  der  Natur  bei  Spinoza),  welches  in  der  überaus 
zweckmässigen  Einrichtung  der  Organismen  z.  B.  des  mensch- 
lichen Auges  liegt,  hat  seit  der  Tlieorie  Darwin's  von  der 
Entstehung  <ler  Arten  und  der  natürlichen  Züchtung  sehr  an 
Kraft  verloren." 

Es  ist  daher  von  nicht  geringem  Interesse  für  die  Beur- 
theilung  Spinoza's,  zu  untersuchen,  ob  die  moderne  Naturwissen- 
schaft den  bei  Spinoza  vermissten  Nachweis  erbracht  habe  und 
zu  erbringen  überliani)t  im  Stande  sei.  Und  so  gestatten  wir 
uns  eine  kurze  Abschweifung,  um  zu  prüfen,  ob  wirklich  unsre 
Bedenken  gegen  di(i  Leugnung  des  Zweckes  bei  Spinoza  durch 
Darwins  Theorie  entkräftet  werden. 


\. 


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44    — 


-    46    - 


E  X  c  II  r  s 

über  die  von   den  Resultaten  der  neueren  Natur- 
wissenscliaft  hergenommenen  Argumente  gegen  den 

Zweck  in  der  Natur. 

E3  kann  nicht  unsre  Aufgabe  sein,  die  Richtigkeit  der 
Darwinschen  Theorie  zu  prüfen,  noch  zu  untersuchen,  ob  und 
in  wie  weit  die  durcli  exacte  Forschung  festgestellten  That- 
sachen  derselben  günstig  sind  oder  nicht.  Wir  haben  nur  zu 
prüfen,  ob,  wenn  die  Richtigkeit  dieser  Theorie  zugegeben  wird, 
der  Zweck  damit  aus  der  Natur  entfernt  ist,  oder  doch  die 
Annahme  eines  Zweckes  dadurch  überflüssig  gemacht  wird.  Wir 
reden  zunächst  von  der  Lehre ,  dass  die  verschiedenen  Thier- 
und  Pflanzengattungen  aus  einer  geringern  Zahl  von  vorhergehenden 
und  diese  wieder  aus  wenigen  Urformen  und  diese  zuletzt  aus 
einer  gemeinsamen  Urmutter  sich  allmählig  entwickelt  haben 
und  zwar  so,  dass  jede  Gattung  gemäss  der  Veränderung  der 
ihr  gegebeneu  Lebensbedingungen  sich  umgestaltet  habe.  Dieser 
Gedanke  ist  von  Vielen  vor  Darwin  ausgesprochen  und  ent- 
wickelt worden;  sagt  doch  schon  Kant,  Kritik  der  Urtheils- 
kraft  S.  3(K)  f.,  naclidem  er  selbst  die  (innidzüge  dieser  Lehre 
kurz  und  scharf  gezeichnet  hat :  Eine  Theorie  von  solcher  Art 
kann  man  ein  gewagtes  Abenteuer  der  Vernunft  nennen  und  es 
mögen  wenige,  selbst  von  den  scharfsinnigsten  Naturforschern 
sein,  denen  es  nicht  bisweilen  durch  den  Kopf  gegangen  wäre. 
Das  Verdienst  des  Darwin  in  Beziehung  auf  diese  Lehre  liegt 
nicht  darin,  dass  er  sie  zuerst  aufgestellt,  sondern  darin,  dass 
er  sie  in  scharfsinniger  und  eingehender  Weise  begründet  und 
Anlass  dazu  gegeben  hat,  dass  im  Interesse  ihrer  weiteren  Be- 
grtiudung  das  ganze  Gebiet  des  Naturlebens  durchforscht  wor- 
den ist. 

W^elche  Consequenzen  ergeben  sich  nun  ,  wenn  die  Lehre 
von  der  Entwickelung  der  Arten  zugegeben  wird,  für  die  Zweck- 
lehre. Gemeinhin  wird  von  den  Anhängern  dieser  Lehre  be- 
hauptet, dass  durch  dieselbe  die  Lehre  vom  Zweck  als  thörichtes 
Voinirtheil  nachgewiesen  sei.  Während  Kant,  nachdem  er  die- 
selbe Lehre  aufgestellt  hat,  nachweist,  wie  wenig  aus  derselben 
gegen  den  Zweck  argimientirt  werden  kann  (S.  :>01— 8(J9),  ist 
es  die  stete  Voraussetzung  der  Anhänger  Darwins,  dass  die 
Annahme  der  natürlichen  Entwickelung  der  Arten  die  Annahme 
der  zweckmässigen  Einrichtung  ihrer  Organisation   ausschliesse^ 


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Belege  dafür  beizubringen,  ist  wohl  nicht  nöthig,  da  ja  diese  Be- 
hauptung so  oft  wiederholt  worden  ist,  als  dass  nicht  bei  einem 
Jeden  die  Bekanntschaft  damit  vorausgesetzt  werden  müsste.  Man 
sagt :  Wenn  die  der  gegenw^ärtigen  Lebensweise  eines  Thieres  ent- 
sprechende Eigenthüralichkeit,  seine  der  Erhaltung  seines  Lebens 
Y  förderliche  Organisation ,  die  uns  als  zweckmässige  Einrichtung 
erscheint,  als  durch  allmählige  natürliche  Entwickelung  hervor- 
gegangen sich  ansehen  lässt,  so  ist  kein  Grund  mehr  vorhanden, 
noch  einen  Zweck  anzunehmen.  Da  nun  in  vielen  Fällen  diese 
natürliche  Entwickelung  nachgewiesen  sei,  so  dürfe  eine  solche 
auch  da,  wo  es  noch  nicht  oder  noch  nicht  völlig  habe  nach- 
gewiesen werden  können,  vorausgesetzt  werden  ;  es  müsse  con- 
sequenter  AVeise  gefolgert  werden,  dass  die  behauptete  Zweck- 
mässigkeit der  Naturorganismen  eine  blos  scheinbare  sei  und 
vielmehr  als  das  Resultat  einer  natürlichen  Entwickelung,  einer 
Verkettung  von  Ursachen  und  Wirkungen  zu  betrachten  sei. 

Es  ist  diess  aber  ein  ganz  irriger  Schluss.  Wenn  wir 
wirklich  die  Entwickelungsfähigkeit  der  Arten  zugeben  —  und 
ich  wüsste  in  der  Tliat  nicht,  was  von  teleologischer  oder  re- 
ligiöser Anschauung  aus  dem  entgegenstände  —  so  wird  damit 
die  behauptete  Zweckmässigkeit  der  Naturorganismen  nicht  auf- 
gegeben. Wer  eine  bestimmte  Erscheinung,  welche  bisher  als 
zweckmässige  Einrichtung  erschienen  war,  auf  die  natürliche 
Entwickelung  zurückgeführt  hat,  hat  damit  noch  kein  Präjudiz 
gewonnen  für  die  Unstatthaftigkeit  jeglicher  Zweckannahme. 
Denn  in  der  That  hat  er  auch  bei  jener  bestimmten  Erscheinug, 
die  er  aus  natürlicher  Entwickelung  erklärt,  den  Zweck  nicht 
weggeschaft't,  sondern  nur  zurückgeschoben*).  Ist  nämlich  eine 
bestimmte  Eigentliümlichkeit  eines  Organisnms  eine  durch  ver- 
änderte Lebensbedingungen  bewirkte  Umgestaltung,  so  setzt 
dies  eine  Entwickelungsfähigkeit  des  Organismus  voraus,  ein  . 
Vermögen  desselben ,  sich  veränderten  Lebensbedingungen  an- 
zupassen.     Diese   Fähigkeit   oder    dieses   Vermögen   aber    lässt 


*)  Anmerkung.  So  sagt  auch  Kant:  Kritik  der  Urtheilskraft, 
S.  301:  Der  Archäolog  der  Natur,  welcher  alle  Arten  auf  eine  ge- 
meinsame Mutter  zurückführt,  „muss  gleichwohl  zu  dem  Ende  dieser  all- 
gemeinen^ Mutter  eine  auf  alle  diese  Geschöpfe  zweckmässig  gestellte 
Organisation  beilogen,  widrigenfalls  die  Zweckform  der  Producte  des 
Thier-  und  Pflanzenreichs  ihrer  Möglichkeit  nach  gar  nicht  zu  denken 
ist.  Alsdann  aber  hat  er  den  Erklärungsgrund  nur  aufgeschoben  und 
kann  sich  nicht  anmassen,  die  Erzeugung  jener  zwei  Reiche  von  der 
Bedingung  der  Endursachen  unabhängig  gemacht  zu  haben. 


-    46    — 

sich  aus  der  natürlichen  Entwickelung  nicht  erklären,  ist  viel- 
mehr    dem    Zwecke   der  Or-anismen ,    ihr    Leben    zu   eihalten 
entsprechend.     Diese  Zweckniüssi-keit  verscliwindet  auch  nicht' 
wenn  jede    frühere  Einrichtung   eines  Organismus  als  aus  einer 
nachstyorliergehenden  durch  natürliche  Entwickelung  entstanden 
angesehen    wird ,   ja   selbst    wenn    mit  Recht    behauptet  werden 
dürfte,    dass    der  Reichthum  alles  organischen  Lebens  aus  einer 
Urzelle  hervorgegangen  sei.     Es  würde  dann  derjenige  Organis- 
mus,   aus  welchem    die   Fülle   aller   lebenden  Wesen   hervorge- 
gangen wäre,    als    in    eminentem  8inne    zweckentsprechend   an- 
gesehen werden  müssen,  indem  diesem  L'rorgani.smus  die  Fähigkeit 
zugeschrieben  werden  müsste,  sich  in  einer  unendlichen  Manig- 
taltigkeit    zu   entwickeln    und    unendlich    vielen    verschiedenen 
Lebensbedingungen  anzupassen.    Es  wird  indess  auf  empirischem 
Wege  die  Glänze  der  Entwickelungsfähigkeit    niemals   gefunden 
werden  können,   es  ist  vielmehr  die  Behauptung  einer  Entstehung 
alier  Arten  aus  einer  einzigen  nur  zu  begründen  durch  Schlüsse 
aus  der  Analogie,  die  doch  immer  ti-üglich  und  unsicher  bleiben. 
Wir  beschränken  uns  darauf,   festzuhalten,    dass    die  Thatsache 
der  Entwickelungsfähigkeit  <ler  Organismen  überhaupt  kein  Ar- 
gument bilden  kann  wider   die  Zwecklehre.     Es   steht  vielmehr 
die  Zweckmässigkeit  eines  Organismus  um  so  höher ,    je  grösser 
seine  Fähigkeit   ist ,   veränderten  Lebensbedingungen  sich  anzu- 
passen und  die  gewonnene  Fähigkeit,  unter  denselben  sein  Leben 
zu    erhalten,     auch    fortzupflanzen.      Ein    ähnlichss    Verhältniss 
hndet  ja   auch    bei    denjenigen    menschlichen  Werken  statt      in 
denen  ein  bestimmter  Zweck  zu  allseitiger  Durchführung  gebracht 
ist,  wie  z.  B.  eine  l  hr,  die  ihren  Gang  selbst  regulirt,  zweck- 
mässiger ist,  als  eine  solche,  die  bei  Veränderung  der  Temperatur 
unregelmässig  oder  gar  nicht  mehr  geht. 

In  engem  Zusammenhang  mit  der  erwähnten  Lehre  von  der 
Entstehung  der  Arten  steht  die  von  Darwin  zuerst  aufgestellte 
Lehre  von  der  natürlichen  Zuchtwahl  und  dem  Kampf  ums 
Dasein.  Diese  Lehre  will  ja  nur  eine  Erläuterung  jener  ersten 
sein  und  zeigen,  wie  eine  spätere  Art  aus  einer  früheren  habe 
entstehen  können.  Wir  haben  nicht  zu  untersuchen,  ob  die 
Entstehung  der  Arten  durch  diese  Lehre  hinreichend  erklärt 
wird ,  was  ja  auch  von  Anhängern  der  Entwickelungstheorie 
verneint  wird.  Wir  fragen  nur,  ob  diese  Lehre  ausreicht,  in 
irgend  welchem  Falle  diejenige  Einrichtung  der  Organismen,  die 
wir  als  zweckmässige  bezeicJinen,  ohne  Annahme  eines  Zweckes 
zu  erklären.  Es  wird  diess  von  Vielen  ihrer  Vertreter  behauptet 
öie   erklaren   solche   Erscheinungen,    welche   dem    Leben   eines 


li! 


^    47    - 

Thieres  förderlich  sind,  daraus,  dass  alle  diejenigen  Exemplare 
einer  Gattung,  deren  zufällige  Eigenthümlichkeiten  der  Er- 
haltung ihres  Lebens  weniger  förderlich  waren,  natürlicher 
Weise  der  Vernichtung  anheim  fielen,  daher  auch  ihre  Eigen- 
thümlichkeiten nicht  fortpflanzen  konnten,  so  dass  also  nur  die 
der  Erhaltung  ihres  Lebens  förderlichen  Eigenthümlichkeiten 
sich  erhielten  und  in  der  Gattung  feststehend  wurden.  Es  wird 
jedoch  dabei  immer  vorausgesetzt,  dass  im  Laufe  der  Ent- 
wickelung einer  Thiergattung  immer  neue  Bildungsformen  auf- 
traten ,  von  denen  die  den  Lebensbedingungen  derselben  ent- 
sprechenden sich  erhielten.  Diese  neuen  Bildungen,  mögen  sie 
anfänglich  noch  so  kleine  Abweichungen  gewesen  sein  ,  ermög- 
lichen erst  die  Entwickelung  einer  Gattung  zu  einer  ihre 
Erhaltung  und  Ausbreitung  begünstigenden  Eigenthümlichkeit. 
Besitzt  also  eine  Gattung  diese  Fähigkeit,  verschiedene  Bildungs- 
yeränderungen  anzunehmen,  so  ist  eben  diese  Fähigkeit  der 
Erhaltung  ihres  Lebens  entsprechend  und  es  wird  uns  diese  der 
Gattung  gegebene  Fälligkeit  als  eine  zweckmässige  erscheinen 
können.  Es  wird  also  auch  hier  der  Zweck  nicht  weggeschafft, 
sondern  nur  zurückgeschoben. 

Wird  nun  angenommen ,  dass  diese  im  Laufe  der  Ent- 
wickelung auftretenden  Bildungsveränderungen  ein  buntes ,  zu- 
fälliges Durcheinander  von  lebensförderlichen  und  lebenöhinder- 
lichen  Erscheinungen  aufweisen  und  dass  nur  dadurch,  dass  die 
Individuen ,  an  denen  die  letzteren  auftreten ,  ausstarben ,  die 
ersteren  sich  dauernd  erhielten,  so  werden  dadurch  diejenigen 
Erscheinungen ,  die  uns  am  zweekinässigsten  erscheinen ,  am 
wenigsten  erklärt.  Wer  auf  diesem.  Wege  z.  B.  die  Entstehung 
des  menschlichen  Auges  erklären  wollte .  würde  zu  den  unge- 
heuerlichsten Aufstellungen  geführt  werden.  Auch  wenn  zu- 
gegeben wird,  dass  immer  die  zweekinässigsten  Bildungsformen 
durch  den  Kampf  um  das  Dasein  die  meiste  Aussicht  auf  Er- 
haltung haben,  wird  der  Zweckbegrift'  zur  Erklärung  der  Natur- 
organismen nicht  entbehrlich  gemacht.  Findet  ja  auch  auf  dem 
Gebiete  der  menschlichen  Kunsterzeugnisse  ein  analoges  Ver- 
hältniss statt.  Es  erhalten  sich  immer  diejenigen  Erfindungen 
und  Kunsterzeugnisse,  welche  dem  Kampf  ums  Dasein  auf  volks- 
wirthschaftlichem  Gebiete,  d.  i.  der  Concurrenz  am  besten 
gewachsen  sind.  Und  dennoch  wird  kein  Mensch  leugnen,  dass 
in  diesen  menschlichen  Kunsterzeugnissen  ein  Zweck  zur  Ver- 
wirklichung kommt,  dass  ohne  schaffende  Thätigkeit  des  mensch- 
lichen Geistes  keine  Kunst  oder  Industrie  denkbar  wäre. 

Es  kann  endlich  gegen  die  Zwecklehre  eingewandt  werden, 


•. 'j 


~    48    - 


49 


dass  ja  in  den  Natnrorganismen  anch  solche  Organe  sich  finden, 
die  als  völlig  zwecklos,  ja  zweckwidrig  erscheinen,  nämlich  die 
sogenannten  rudimentären  Organe.  Es  bedarf  kaum  der  Be- 
merkung ,  dass  auch  durch  diesen  Einwand  der  Zweck  nicht 
entfernt,  sondern  nur  zurückgeschoben  wird.  Ist  die  Annahme 
rudimentärer  Organe  richtig,  so  ist  auch  ihre  Bildung  nicht  ohne 
einen  Zweck  zu  erklären,  nur  dass  sie  diesen  Zweck  gegenwärtig 
nicht  erfüllen ,  sondern  in  einer  früheren  Gattung ,  aus  welcher 
die  gegenwärtige  entstanden  ist,  erfüllt  haben. 

Aus  dem  Gesagten  erhellt,  dass  die  Gründe  gegen  die  An- 
nahme eines  Zweckes  in  der  Natur,  die  von  naturwissenschaft- 
licher Seite  her  erhoben  worden  ,  unzureichend  sind.  Es  ist  ja 
die  Aufgabe  der  Naturforschung,  nach  den  Entstehungsursachen 
der  Naturorganismen  zu  fragen ,  und  die  Entwickelung  der  Le- 
bens- und  liildungsformen  zu  erforschen.  Und  es  wird  auch 
der  Laie  auf  diesem  Gebiete  den  förderlichen  Einfluss  der  er- 
wähnten Theorien  auf  diese  F^orscliung  mit  Interesse  verfolgen 
und  anerkennen,  dass  dadurch  allgemeine  Gesichtspunkte  für  das 
wissenschaftliche  Verständniss  der  Erscheinungen  des  Naturlebens 
gegeben  sind.  Es  steht  aber  die  Erkenntniss  der  natürlichen 
Ursachen  der  teleologischen  Betrachtungsweise  der  Natur  nicht 
entgegen,  indem  vielmehr  der  Zweck  eines  Dinges  um  so  voll- 
kommener erkannt  wird,  je  melir  die  Mittel  zur  Verwirklichung 
desselben  bekannt  sind.  Es  hat  ja  gewiss  diese  Erforschung  der 
natürlichen  Ursachen  ihr  selbstständiges  Kecht,  und  es  mag  die 
Naturforschung  immerhin  es  als  eine  Befreiung  von  ihrer  un- 
würdigen Fesseln  ansehen ,  dass  sie  nicht  mehr  betrieben  wird 
im  ausschliesslichen  Dienste  der  teleologischen  Betrachtungsweise. 
Es  ist  ferner  richtig ,  dass  die  Naturforschung  bei  ihrer  Be- 
trachtung der  natürlichen  Dinge  die  Beziehung  derselben  auf 
den  Nutzen  des  Menschen  zunächst  gar  nicht  zu  berück- 
sichtigen ,  und  über  die  populäre  Naturbetrachtung  zu  einer 
Anschauung  der  Natur  als  eines  Ganzen  sich  zu  erheben 
hat.  Diejenigen  Naturforscher  aber,  welche  die  Bekämpfung 
jeglicher  Zweckannahme  sich  zur  Aufgabe  machen,  verkennen 
dabei  ,  dass  die  Erforschung  der  natürlichen  Ursachen  die  An- 
nahme eines  Zweckes  nicht  ausschliesst ,  sondern  zu  derselben 
nöthigt.  Sie  überschreiten ,  wo  sie  weitere  Gründe  gegen  die 
Zwecklehre  anführen ,  das  CJebiet  ihrer  Wissenschaft  als  einer 
empirischen  und  dürfen  zum  Mindestens  nicht  im  Namen  der 
Wissenschaft  gegen  die  Zwecklehre  auftreten.  Die,  welche  diess 
zu   thun   sich    für   berechtigt  halten ,    verkennen ,    dass  es   eine 


F 


f 


\A 


jVissenschaft  des  Geistes  giebt  neben  der  Naturwissenschaft,  und 
dass  keine  von  beiden  die  andre  ignoriren  darf,  soll  sie  nicht 
in  Einseitigkeit  sich  versteifen. 


Wir  kommen  zurück  auf  Spinoza.  Nach  allem  bisher  Ge- 
sagten ergiebt  sich  ,  dass  seine  Beweisführung  gegen  die  An- 
nahme von  Zwecken  unzureichend  ist ,  dass  t>hne  Anwendung 
des  Zweckbegriffs  weder  eine  zureichende  Erklärung  der 
menschlichen  Werke ,  noch  gewisser  Erscheinungen  in  der 
Natur  gegeben  werden  kann.  An  und  für  sich  folgt  daraus 
noch  nicht  die  Berechtigung  der  teleologischen  Weltanschauung. 
Es  könnte  immer  noch  gesagt  werden ,  dass  der  Zweckbegriff 
auf  einigen  Gebieten  des  natürlichen  Lebens  anzuwenden,  auf 
anderen  auszuschliessen  sei.  Nur  würde  dadurch  jede  einheit- 
liche Weltanschauung  zerstört.  Wer,  wie  Spinoza,  die  Natur 
als  ein  Ganzes  betrachtet  und  fordert,  dass  alle  Dinge  in  Gott 
aufgefasst  und  betrachtet  werden ,  muss  entweder  den  Zweck 
allenthalben  ausschliessen  .  was.  wie  wir  sahen,  unmöglich  ist, 
oder  allenthalben  annehmen.  Es  ist  daher  allerdings  berechtigt, 
was  Spinoza  tadelt,  dass  die  Menschen  immer  nach  dem  Zwecke 
der  Dinge  forschen  S.  217,  Z.  19;,  dass  sie  ferner  Allgemein- 
begriffe annehmen.  Ja,  auch  die  Zweckbeziehung  der  natür- 
lichen Dinge  auf  den  Nutzen  des  Menschen  ist  nicht  unbedingt 
auszuschliessen.  Falsch  ist  nur  die  Betrachtungsweise  der  Dinge, 
nach  welcher  ein  Jeder  die  Dinge  in  Bezug  auf  sich  selbst  be- 
urtheilt.  Berechtigt  aber  ist  die  teleologische  Weltanschauung, 
die  nicht  nur  nach  den  Zwecken  der  Einzeldinge,  sondern  auch 
nach  der  Zweckbeziehung  der  Dinge  zu  einander  fragt  und  zu 
erkennen  sucht ,  welches  der  höehste  Zweck  sei ,  dem  alle  von 
(iott  gesetzten  Zwecke  dienen.  Erst  auf  dem  Grunde  einer 
solchen  Auffassung  ist  die  Forderung  Spinoza  s  ,  alle  Dinge  in 
Gott  zu  betrachten,  recht  erfüllbar.  Denn,  wer  in  den  Dingen 
die  Verwirklichung  von  göttlichen  Zwecken  zu  erkennen  sucht, 
der  geht  den  ewigen  (iottesgedanken  nach .  deren  fortgehende 
Verwirklichung  die  Welt  des  Gegebenen  ist.  Eine  solche  Er- 
kenntniss aber  wird  unmöglich  gemacht,  sobald  der  Begriff  des 
Zweckes  geleugnet  wird.  Die  Forderung,  alle  Dinge  in  Gott 
zu  betrachten,  läuft  dann  darauf  hinaus,  nichts  in  der  Welt 
an  sich ,  sondern  Alles  nur  als  eine  Folge  aus  Gott  zu  be- 
tracliten  ,  von  allen  Besonderheiten  abzusehen  und  nur  auf  den 
gemeinsamen  (4iund  alles  Lebens  zu  achten. 

Ein  Verständniss   der  Welt  des   Gegebenen    in   ihrem  Zu- 


-     oO     — 

sammenhan^  und  ihrer  Bedingtheit  von  Gott  kann  von  einer 
solchen  Auffassung  aus  nicht  erreicht  werden.  Dass  auch  Spi- 
noza es  nicht  vermocht  hat ,  dass  vielmehr  die  Ausschliessung 
des  Zweckes  ihn  durchgängig  gehindert  hat ,  gemäss  seiner 
Grundtendenz  zu  einem  Verständniss  des  natürlichen  und  sitt- 
lichen Lebens  und  dessen  Beziehung  zu  (iott  zu  gelangen, 
haben  wir  im  zweiten  Theile  dieser  Abhandlung  nachzuweisen. 
Es  wird ,  wenn  uns  dieser  Nachweis  gelingt,  die  Bestätigung 
von  dem ,  was  wir  im  ersten  Theile  haben  nachweisen  wollen, 
dass  nämlich  die  Einwände  gegen  die  Zwecklehre  unhaltbar 
sind,  sich  uns  ergeben,  und  die  Lehre  des  Spinoza  im  Ganzen 
uns  dadurch  verständlicher  werden. 


^ 


1 1 


M     - 


II.  Thcil. 

Die  Consequenzen  der  Leugnuny  des  Zwecks 
im  Si/stem  des  Spinoza. 

Dass  Spinoza  innerhalb  seines  in  der  Ethik  niedergelegten 
Systems  nie  einen  (icbraucli  von  dem  Zweckbegriff  macht,  ist 
nach  dem  bisher  Gesagten  selbstverständlich.  Er  selbst  beruft 
sich,  wie  wir  sahen,  für  die  Leugnung  des  Zweckes  auf  einzelne 
Sätze  seines  Systems.  Auch  seine  Beurtheiler  haben  wohl  die 
Polemik  ^e^^M  den  Zweck  l)ei  Spinoza  aus  solchen  Sätzen  er- 
klärt, etwa  aus  seinem  Gottesbegriffe,  der  ein  Handeln  Gottes 
nach  Zwecken  ausschliesst.  Wir  versuchen  hi»'i  den  umgekehr- 
ten Weg  und  wollen  vielmehr  zeigen,  dass  die  Sätze  seines 
Systems  durchgängig  bestimmt  sind  durch  die  Leugnung  des 
Zweckes.  *) 

Die  Berechtigung  dazu  finden  wir  darin,  dass,  wie  oben 
bemerkt,  die  Leugnung  dos  Zwecks  zu  den  formalen  Voraus- 
setzungen gehört,  die  den  Inhalt  sein(U-  Lehre  nothwendig  beein- 
flussen müssen,  dass  sie  wesentlich  die  AVeise  des  Denkens  und 
der  begrifflichen  Entwickelung  Si)inozas  bestimmt,  also  auf  alle 
einzelnen  Lehren  ihren  Einfluss  üben  muss. 

Und  so  finden  wir  denn  auch  die  Consequenzen  der  Leug- 


*)  Auch  T  r  e  n  d  e  1  e  n  b  u  r  g (Logisdie  Untersuchungen,  2  B.  S.  40,  und 
Historische  Beiträge  zur  Philosophie,  2.  Band;  üeber  Spinozas  Grund- 
gedanken und  dessen  Erfolg,  S.  36)  sagt,  dass  die  Aufhebung  des  Zweckes 
für  Sj).  die  ausgedehntesten  Folgen  habe,  die  sich  in  seiner  Lehre  auch 
niemals  verleugnen.  Aber  diese  Aufhebung  des  Zweckes  erscheint  ihm 
erst  als  eine  Folge  seines  Grundgedankens,  den  er  darin  findet,  dass  bei 
Spinoza  Gedanke  und  Kraft  im  Grunde  dieselben  seien  und  sich  nur 
in  dem  auffassenden  Vertsande  unterscheiden.  (Spinozas  Grundgedanke 
S.  .'32  u.  o5).  ISo  weicht  auch  die  Aufgabe,  die  er  in  letzterer  Abhand- 
lung sich  stellt,  von  der  unseren  ab.  Auch  wir  wollen  das  System  des 
Spinoza  nicht  nach  fremden  Gewicht,  sondern  nach  eignem  Masse  mes- 
sen, aber  gehen  dabei  von  derLeugnung  des  Zweckes  aus,  von  welcher 
nach  unsrer  Meinung  auch  jener  Grundgedanke  Spinoza's  beeinflusst  ist, 


_     ->o     _. 

nun^  des  Zwecks  bei  Spinoza  nicht  nnr  in  seiner  (Jotteslelire, 
sondern  auch  in  seiner  Lelire  vom  menschliclien  (leiste  und 
vom  sittlichen  Leben  des  ^Lenschen.  Auf  diesen  drei  Gebieten, 
denen  der  wesentliclie  Inhalt  des  in  dt^Kthik  entwickelten  Systems 
zugewiesen  werden  kann,  wollen  wir  den  Kinfluss  der  Zweck- 
leugnung  bei  Spinoza  nachweisen. 


l.     Der   Einfluss  der  Leuj>nung  des  Zwecks  bei 
Spinoza  auf  seine  (iot  teslehre. 

Gemäss  der  sittlich  religiösen  l'endenz,  von  welcher  das 
Denken  Spinozas  bestimmt  ist,  geht  er  bei  der  Aufstellung  sei- 
nes Systems  von  dem  15egrift'(J(>ttes  aus,  des  absolut  unendlichen 
Wesens,  ohne  den  kein  andrer  Begriff  erfasst  werden  kann,  da 
alle  Dinge  nur  in  (iott  sind  und  durch  ilin  nnfgefasst  werden 
können.  Kr  beschäftigt  sich  daher  eingehend  damit,  des  Da- 
sein Gottes  nachzuweisen,  und  so  wenig  die  von  ihm  gebrach- 
ten Beweise,  welche  alle  auf  den  ontologischen  sich  zurückfüh- 
ren lassen,  genügen  kr»nnen,  so  steht  ilim  doch  die  (iewissheit 
von  der  Existenz  (iottes  so  unerschütterlich  fist,  dass  er  diese 
sogar  in  den  ersten  Worten  seiner  Etliik  (def.  1^  schon  als 
bewiesen  voraussetzt  und  die  Leugming  (iottes  als  etwas  in  sich 
widerspruchvolles  ansieht.  So  sagt  er  denn  auch  (S.  105,  Z.  9  v.  u. 
pr.XI.schol)  dass  wir  über  keinesDingesExistenz  gewisser  sein  können 
als  über  die  Existenz  des  absolut  unendlichen  oder  vollkommenen 
Wesens  d.  i.  (iottes,  und  macht  in  der  Entwickelung  seines 
Systems  von  dem  Gottesbegrift'  den  ausgedehntesten  (iebrauch. 
Auch  die  Ethik  Spinoza's,  die  von  (iott  als  dem  an  sich  Ge- 
wissen, alles  Andere  und  so  auch  das  sittliche  Leben  zu  erken- 
nen strebt,  verdiente  wohl  den  Namen  einer  theologischen  Ethik, 
unter  dem  die  bedeutendste  systematische  Darstellung  der  christ- 
lichen Sittenlehre,  die  von  Kothe,  erschienen  ist. 

Die  Gotteslehre  Spinozas  aber,  so  viel  Gewicht  er  ihr  bei- 
legt, und  so  viel  er  sich  auf  dieselbe  im  Weiteren  zurückbe- 
zieht, ermangelt  durchaus  eines  positiven  Inhaltes.  Spinoza's 
Ansagen  über  (iott  beschränken  sich  wesentlich  auf  die  Ver- 
neinung der  ihm  gewöhnlich  beigelegten  Eigenschaften  und 
Thätigkeiten,  und  seine  scheinbar  positiven  Ansagen  über  ihn 
sind  nur  verhüllte  Negationenen.  Darum  ist  die  (iotteslehre 
Spinozas  so  schwer  zu  fassen,  und  es  ist  seine  eigentliche 
Meinung  darüber,  was  (iott  sei,  kaum   erkennbar.  ; 

Spinoza    nennt    Gott   die   Substanz   und   zwar   die   einzige.   \ 


i 


^ 


ii 


--    53    — 

(Eth.  I,  def.  6,  pr.  14  aber  es  ist  die  Detinition  der  Substanz 
auch  in  ihrem  positiv  gefassten  Theile  dem  Sini|  nacli  eine 
Negation.  Substanz  ist,  was  nicht  an  einem  Andern  ist  und 
nicht  duicli  etwas  Andres  autgetasst  wird.  Insofern  Gott  die 
Substanz  ist,  ist  er  muh  causa  sui,  aber  der  Ausdruck  causa 
sui  ist  nur  eine  i)ositive  Wendung  der  rein  negativen  Bestimm- 
ung, dass  die  Substanz  nicht  \on  etwas  Anderem  causirt  ist. 
Insofern  Gott  Substanz  ist,  folgt  auch  ^nach  Spinoza)  unendlich 
Vieles  aus  der  Nothwentiigkeit  seiner  Nntur,  gerade  so,  wie  aus 
einer  Definition  mehrere Eigenscliaften  folgen,  d.  h.  vom  Ver- 
stände erschlossen  werden.  Nur  in  diesem  Sinn  nennt  Spinoza 
Gott  die  wirkende  Ursache  aller  denkbaren  Dinge.  Aber  dabei  er- 
klärt sich  Spinoza  durchaus  nicht  darüber,  welches  denn  diese 
Natur  (iottes  sei,  aus  der  alle  Dinge  folgen.  Was  er  im  Ein- 
zelnen über  Gott  sagt,  sind  eben  nur  Negationen.  Er  nennt 
Gott  die  freie  Ursache,  Eth.  I.  pr.  17,  cor.  II);  aber  er  de- 
finirt  den  Begrifl'  der  Freiheit  nur  negativ.  Denn  wenn  er 
sagt  (def.  7  :  da-^jeuigcDing  heisst  frei,  welches  aus  der  blosen 
Nothwendigkeit  seiner  Natur  existirt  und  durch  sich  selbst  zum 
Handeln  bestimmt  wird,  so  schlicsst  er  damit  nur  den  äusseren 
Zwang  aus.  So  verneint  er  ferner  von  Gott,  dass  ihm  ein  freier 
Wille,  dass  ihm  der  höchste  Verstand  zukomme  (pr.  17,  schol. 
S.  202),  dass  Gott  in  Rücksicht  auf  das  Gute  handle  (I,  3o)  ; 
verneint  weiter  nicht  nur,  dass  (iott  als  körperlich  gedacht 
werden,  d.  h.  dass  ihm  eine  begränzte  Ausdehnung  beigelegt 
werden  dürfe,  er  wendet  sich  auch  gegen  den  Begriff  der  Schöpf- 
ung, weil  durch  denselben  die  körperliche  oder  ausgedehnte 
Substanz  von  der  göttlichen  Natur  ganz  entfernt  werde 
(pr.  XV  schol.; 

So  scheint  Spinoza  denn  allerdings,  indem  er  den  Gottesbe- 
grifi"  zu  reinigen  bemüht  ist,  vielmehr  denselben  zu  beseitigen. 
Diess  hält  z.  B.  von  Kirchmann  (1.  c  S.  ISO;  für  die  eigent- 
liche Meinung  des  Spinoza  und  geräth  in  Erstaunen  über  die 
Grösse  und  Erhabenheit  dieses  von  ihm  dem  Spinoza  aufgebür- 
deten Gedankens.  In  Wahrheit  hat  Spinoza  den  Gottesbegriff 
als  den  höchsten  und  obersten  anerkannt  und  nicht  im  Entfern- 
testen daran  gedacht,   ihn  zu  beseitigen. 

Dass  Spinoza,  so  nachdrücklich  er  den  Begriff  (jottes  betont, 
durchaus  nichts  Positives  von  ihm  aussagen  kann,  ist  die  unaus- 
bleibliche Folge  davon,  dass  er  den  Zweckbegriff  ais  unanwendbar  an- 
sieht. Denn  wo  der  Zweck  ausgeschlossen  wird,  da  kann  es 
auch  keinen  Willen  geben,  da  kann  auch  keine  den  Dingen  vor- 
hergehende Erkenntniss  —  und  eine  andere  kann  ja  in  (jott  seinem 


—    54    — 

Begriffe  nach  nicht  gegeben  sein  —  angenommen  werden.    (Die 
Beweisführung  S.  2i^3,  Z.    18  v.  u.    beniht    dnreliaus    auf   der 
Vorausetzung,  dass  es  keinen  Zweck  giebt.     Es  tallt  damit  wei- 
ter der   Begrff  der    Freiheit   und    der   Sehr»pfiing.     Die    ganze 
den  Gottesbegriff  aufzulösen  scheinrnde    Gotteslelire  des  Spinoza 
wird  aus  seiner    Leugnung   des   Zweckes  erst  verständlich.     An 
Einer   Stelle    ^Eth.  I,  pr.  :i3,  coroll.  II,  8.   2ir)jsagt  das  auch 
Spinoza  selbst,  indem  er  als  (irund  dafür,   dass  Gott  nicht    unter 
der  Rücksicht  auf  das  (iutc  handle    anführt,  es  werde  dann  ein 
Zweck  angenommen,   nach  welchem  Gottes  Wirken    sich    richte. 
(Nam  hi  ali<|uid  extra  Deum  videntur  ponere,  quod  a  Deo    uon 
dependet,  ad  quod  Dens  tanquam  ad  exemplar  in  operando  atten- 
dit,    vel  ad  quod  tancpiam  ad  certum  scopum  collimat.) 

Eine  weitere  Folge  der  Leugnung  des  Zweckes  bei  Spinoza 
ist  die,  dass  er,  wie  sehr  er  diess  aucli  anstrebt,  doch  den  Dua- 
lismus der  früheren  Weltanschaung,  die  einen  schroffen  Gegen- 
satz zwischen  (Jott  und  Welt  statuirte,  nicht  hat  überwinden  können. 

In  dem  Streben  nach  Ausgleichung  dieses  Gegensatzes  er- 
kennt Spinoza  auch  eine  kcirperliclie  oder  ausgedehnte  Substanz 
an  oder  die  Ausdehnung  als  eines  der  Attribute  Gottes.  Er  be- 
müht sich  daher  zu  zeigen,  dass  die  körperliche  Substanz,  so- 
fern sie  Substanz  sei,  untlieilbar  und  unmessbar  und  unend- 
lich sei  und  folglich  Gott  zukommen  könne,  (pr.  lö,  scliol.  S. 
198).  (Der  Beweis,  den  Spinoza  dafür  giebt,  ist  nicht  ohne 
Mängel  und  kommt  eigentlich  nur  darauf  Iiinaus,  dass  die  kör- 
perliche Materie,  wenn  der  Verstand  von  der  Quantität  und 
Theilbarkeit  derselben,  wie  sie  in  der  bildlichen  Vorstellung  ge- 
geben sei,  abstrahirt,  dieselbe  als  Substanz  und  als  untlieilbar 
und  unendlich  auffassen  kann.  cf.  von  Kirch  mann  1  c 
Seite   2;").)  '     ' 

Damit  ist  allerdings  der  Gegensatz  zwischen  (iott  und  Welt 
aufgehoben,  wie  denn  auch  Spinoza  es  betont,  I,  pr.  IS.  Deus 
est  omnium  rerum  causa  immanens  nee  vero  transiens.  Aber 
es  tritt  an  die  Stelle  des  abgewiesenen  Dualismus  von  (Jott 
und  Welt  sofort  der  Andre  zwischen  Ausdehnung  und  Denken. 
Von  den  unendlich  vielen  Attributen,  die  nach  seiner  Definition 
Gott  zukonunen,  behält  nämlich  Spinoza  in  Wahrheit  nur 
zwei,  die  Ausdehnung  und  das  Denken,  bei.  pars  I  i)r  14 
coroll  II;  pars  II,  pr.   1   n.  2.)  — 

W^ie  er  dazu  kommt,  spricht  er  nicht  ausdrücklich  aus;  er 
scheint  diese  beiden  als  die  einzigen  für  den  menschlichen 
Geist  erkennbaren  zu  betrachten,  wiewohl  er  an  einigen  Stellen  so 
redet,  als  wären    noch   andere  Attribute   angebbar.     (z.   B.  II, 


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—    56    - 

7,  schol.  S.  228;     «sive    subalio  quocunque  concipiamus«,  und 
weiter  unten   «et  idem   de  allis  attributis  intelligo.» 

Zwischen  den  beiden  Attributen  nun  liisst  Spinoza  einen 
schroffen  Gegensatz  bestehen.  Wohl  nimmt  er  nur  Eine  Sub- 
stanz an  und  doch  soll  jedes  der  beiden  Attribute  in  sich  auf- 
gefasst  werden  (1.  pr.  10  ,  beide  sollen  als  wirklich  unterschieden, 
d.  h.  eines  ohne  die  Hülfe  des  Andren  aufgefasst  werden  (I, 
pr.  10,  schol.)  Ferner  soll  Gott  die  Ursache  der  körperlichen 
Einzeldinge  sein  ,  nur  sofern  er  unter  dem  Attribut  der  Aus- 
dehnung betrachtet  wird ,  die  Ursache  der  Einzelvorstellungen, 
nur  sofern  er  unter  dem  Attribut  des  Denkens  betrachtet  wird 
(II,  L.  ö  u.  (>).  Zwischen  diesen  beiden  Causalitätsreihen  soll 
es  durchaus  keinen  Zusammenhang  g(^ben  ,  weder  können  die 
Vorstellungen  verursacht  werden  durch  die  ihnen  entsprechenden 
Dinge,  noch  die  Dinge  durch  die  Vorstellungen  (III,  2.).  Nur 
einen  durchgängigen  Parallelismus  dieser  beiden  Reihen  statuirt 
Spinoza,  indem  er  behauptet,  dass  die  Ordnung  und  Verbindung 
der  Vorstellungen  dieselbe  sei,  wie  die  Ordnung  und  Verbindung 
der  Dinge  (II,  7),  und  dass  demnach  Alles,  was  aus  der  Natur 
Gottes  in  Wirklichkeit  folge ,  in  derselben  Ordnung  und  Ver- 
bindung aus  der  Vorstellung  (Jottes  als  Gedachtes  folge  (II,  71, 
coroll).  Diese  Getrenntheit  der  beiden  Attribute  hält  auch 
Spinoza ,  wie  wir  sehen  werden ,  in  seiner  weiteren  Lehre  fest 
und  statuirt  so  einen  Dualismus  zwischen  Denken  und  Aus- 
dehnung. 

Diesen  Dualismus  vermag  Spinoza  wohl  zu  verhüllen,  aber 
nicht  zu  überwinden.  Denn,  was  er  I,  10,  schol.  sagt,  ist  gänz- 
lich unzureichend,  und  an  den  beiden  andren  Stellen,  an  denen 
er  die  Einheit  der  Substanz  gegenüber  der  Zweiheit  der  Attri- 
bute zu  wahren  sucht  11,  7,  schol,  III,  2,  schol.),  setzt  er  sich 
in  AViderspruch  mit  seinen  eignen  Behauptungen.  Es  ist  in 
der  That  eine  gänzlich  von  der  sonst  in  seiner  Ethik  durch- 
geführten Lehre  verschiedene  Auffassung ,  wenn  Spinoza  II, 
7,  schol.  sagt,  dass  die  denkende  und  die  ausgedehnte  Substanz 
ein  und  dieselbe  Substanz  sei ,  welche  bald  unter  diesem,  bald 
unter  jenem  Attribut  aufgefasst  werde ,  und  dass  so  auch  ein 
Modus  der  Ausdehnung  und  die  Vorstellung  dieses  Modus  die- 
selbe Sache  sei ,  aber  auf  zwei  Weisen  ausgedrückt.  Es  ver- 
steht sich  dann  freilich  die  durchgängig  gleiche  Ordnung  und 
Verbindung  der  Dinge  und  der  Vorstellungen  ganz  von  selbst. 
Aber  es  widerspricht  diese  Auffassung  den  obenerwähnten 
Aussagen    Spinozas    über    die    Attribute    und    besonders    dem 


n 


—    56     - 

Satze  (Eth.  I.  19):  Dens  sive  omnia  Dei  attribiita  sunt  ae- 
terna*). 

Eine  Ueberwindunj^  dieses  Dualismus ,  eine  wirkliche  Ver- 
oiittelunj^  zwischen  dein  körj)erlichen  und  «reisti^en  Leben,  kann 
ohne  Anwendunji^  des  Zweck begrift's  nicht  ;j:efunden  werden. 

Erst  wenn  der  Zweck bej^ritt'  auf  das  Verliältniss  (iottes 
zur  Welt  anj^ewendel  wird ,  erscheint  das  krnperliche  Leben 
als  die  Verwirklichun«^'  des  jröttlidien  Denkens.  80  ist  dann 
ein  Ueber^ang  «gefunden  von  dem  Attribut  des  Denkens  zu  dem 
der  Ausdehnung  und  somit  eine  Vermittelung  des  körperlichen 
und  des  geistigen  Lebens.  Auch  dann  ist  eine  parallele  Ver- 
bindung des  körperlichen  und  des  geistigen  Lebens  anzunehmen, 
nur  dass  dann,  was  im  Vorstelbn  (iottes  das  Frühere  ist,  im 
wirklichen  Sein  das  Spätere  sein  wird  und  umgekehrt.  S.  da- 
rüber das  oben  von  uns  Bemerkte.  Ebenso  ist  auch  die  Ver- 
bindung des  menschlichen  Geistes  mit  dem  Körper  und  die 
Wirkung  des  ersteren  auf  den  letzteren  zu  denken.  Nur  so  ist 
die  gegenseitige  Beeinflussung  des  geistigen  und  des  kr»rpcrlichen 
Lebens,  wie  sie  thatsächlich  stattfinilct.   erklärbar. 

Die  Lehre  des  Spinoza  von  der  völligen  (Jetreiintheit  bei- 
der Gebiete  ist  die  nothwendige  l\»lge  von  seiner  Leugnung  des 
Zweckes.  Diess  ist  noch  erkennbar  aus  seinen  eigenen  Worten, 
nur  dass  er  als  Folge  dieser  Trennung  hinstellt,  was  in  Wahr- 
heit die  Ursache  desselben  ist.  Er  folgert  nämlich  aus  seinem 
Lehrsatz  II,  0,  dass  die  Modi  eines  jeden  Attributes  Gott,  nur 
sofern  er  unter  diesem  Attribut  aufgefasst  wird,  als  Ursache  haben, 
in  dem  coroU  zu  II,  0,  ,, dass  die  körperlichen  Dinge  nicht  darum 
aus  der  göttlichen  Natur  folgen,  weil  Gott  die  Dinge  \orher  er- 
kannt habe."  In  diesen  Worten  leugnet  also  Spinoza,  dass  die 
Vorstellungen  Gottes  in  den  Dingen  ihre  Verwirklichung  finden, 
d.   h.   er  leugnet  den  Zweck  in  Gott.    Da  indess  der  Beweis  von 

1,  lU,  auf  welchem  II,  pr.  ()  ruht,  unzureichend  ist  i;cf.  v. 
Kirchmann,  S.  lU  f.),  so  ist  auch  die  in  diesem  Zusatz  gezogene 
Folgerung  unrichtig. 

•)  Es  ist  daher  der  Streit,  ob  die  Attribute  bei  Soinoza  als  etwas 
wirklich  in  Gott  Seiendes  zu  verstehen  seien  (K.  Fiscner .  Trendelen- 
burg),  das  der  menschliche  Verstand  in  Gott  nur  unterscheide  ,  oder  als 
etwas ,  das  der  menschliche  Verstand  erst  an  die  Substanz  heranbringe 
(Erdmann)  insofern  ein  müssiger,  als  beide  sich  widersprechende  Auf- 
fassungen bei  Spinoza  selbst  sich  finden ;  erste rc  in  seiner  ganzen  Lehre, 
letztere   in  den   beiden   erwähnten  Stellen   (Eth.    II,  7,  schol.    und  111, 

2,  schol).  —  Das  Richtige  scheint  uns  in  dieser  Frage  v.  Kirchraann 
Ketrotfen  zu  haben  (1.  c.  S.  54,  ff.,  cf.  auch  Brasch,  Spinoza's  System, 
Berlin,  1870.     S.  :j8,  f). 


57     - 


Scheint  es  demnach,  als  ob  die  Gotteslehre  des  Spinoza 
ausserordentlich  dürftig  und  unzureichend  sei,  so  dürfen  wir, 
um  dieselbe  recht  zu  würdigen,  doch  nicht  übersehen,  was  Spi- 
noza, vorzüglich  im  5.  Theile  der  Ethik,  über  das  Selbstbewusst- 
sein  Gottes  und  seine  intellectuelle  Selbstliebe  sagt.  Erst  durch 
die  dahin  gehörigen  Sätze  gewinnt  der  (iottesbegritl"  des  Spinoza 
einen  tiefen  und  reichen  Inhalt,  erst  durch  sie  wird  seine  For- 
derung, alle  Dinge  in  Gott  aufzulassen  und  Alles  als  allein 
nach  den  Gesetzen  der  göttlichen  Natur  geschehen  zu  betrach- 
ten,  erftillbar. 

Spinoza  leitet  zunächst  aus  dem  Attribut  des  Denkens, 
welches  er  Gott  beilegt^  den  Satz  ab,  dass  es  in  Gott  noth- 
wendig  eine  Vorstellung  sowohl  seines  Wesens  als  alles  dessen, 
was  aus  seinem  AVesen  nothwendig  folgt,  giebt.       II,  3.) 

Er  leitet  aber  aus  diesem  Satze,  in  welchem  er  ein  Selbstbe- 
wusstsein  Gottes  statuirt,  den  weiteren  Satz  ab,  dass  Gott  sich 
selbst  mit  einer  unendlichen  geistigen  Lieb<'  liebt  (V,  35)  und 
ferner ,  dass  Gott ,  insofern  er  sich  selbst  liebt ,  die  Menschen 
liebt  und  dass  folgli<'h  die  Liebe  (Jottes  zu  den  Menschen  und 
die  intellectuelle  Liebe  der  Seele  zu  Gott  ein  und  dasselbe 
sind.    (V.  ;]{')  Zus.) 

Diese  Sätze  enthalten  allerdings  die  tiefste  und  frucht- 
barste Gotteserkenntniss ,  und  es  zeigt  sich  in  ihnen  deutlich 
die  hohe,   religiöse  Bedeutung  des  si)inozischen    Systems. 

Auch  stehen  die  früheren  Sätze  des  Sjiinoza  zu  ihnen 
nicht  in  unbedingtem  Widerspruch.  Denn  wenn  Spinoza  sagt 
y.  lU:  ,,Wer  Gott  liebt,  kann  nicht  danach  streben,  dass  Gott 
ihn  wieder  liebe",  so  bezieht  sich  diess  nach  V.  17,  Zus.  nur 
auf  die  Liebe,  welche  ein  Leiden,  nicht  ein  Handeln  ist.  Und 
nur  von  dieser  Liebe  sagt  Spinoza :  ,,Gott  liebt  im  eigentlichen 
Sinne  Niemanden  und  hasst  Niemanden,  denn  (Jott  wird  durch 
keinen  Affect  der  Fröhlichkeit  oder  Traurigkeit  erregt." 

Die  Bedeutung  dieser  Sätze  kann  auch  dadurch  nicht  ab- 
geschwächt werden ,  dass  man .  wie  z.  B.  von  Kirchmann  in 
seinen  Erläuterungen  es  nicht  müde  wird,  zu  thun,  darauf  hin- 
weist, dass  der  Gott  Spinoza's  durchaus  verschieden  sei  von  dem 
Gott  der  Religionen  er  ist  todt  und  kalt,  er  ist  keine  Person, 
er  hat  weder  Verstand  ,  noch  Gefühl ,  noch  Willen,  er  ist  nur 
der  Inbegriff  der  zeitlosen  Einzeldinge  zu  einem  (ianzen  ver- 
bunden*) . 


*)  Auch  K.  Fischer  erklärt,  dass  Spinoza  Gott  als  vollkommen  un- 
bestimmtes  und   unpersönliches  Wesen   aufgefasst  habe.     Er  beruft  sich 
dafür  auf  den  viel  citirten  Satz  des  tO.  Briefes:   determinatio  est  ne- 


~    58    - 


—    59 


Denn  eben  in  diesen  Sätzen  (V.  o5  u.  36)  offenbart  sich 
die  eigentlielie  Meinung  Spinozas  ,  es  bricht  sich  in  ihnen  die 
religiöse  Anöchuiiun^^ Spinozas  von  (iott,  die  zufolge  seiner  ma- 
thematischen Methode  und  der  ganzen  Art  seiner  Entwickelung 
und  Beweisführung  nicht  hatte  zum  Ausdruck  kommen  können, 
endlich  durch .  Und  nichts  berechtigt  uns ,  anzunehmen ,  dass 
Spinoza  in  diesen  Sätzen  ein  bloses  Spiel  mit  Worten  treibe, 
während  seine  eigentliche  Tendenz  sei,  den  Gottesbegriff  eben- 
sowohl wie  den   Begriff  der  Liebe  zu  beseitigen. 

Ganz  richtig  ist  es  ,  dass  Spinoza  in  den  Sätzen  V,  ;k')  u. 
3<)  ,, seinen  letzten  und  geheimsten  Gedanken  verräth  "  (v.  Kirch- 
mann, S.  17S).  Aber  dieser  CJedanke  ist  nicht  der  ,, von  Hegel 
wieder  aufgenommene ,  wonach  (iott  erst  in  dem  Menschen 
wirklich  wird',  was  Spinoza  allerdings  V,  40,  schol.  an- 
deutet, wenn  er  sagt:  omnes  incntes  simul  dei  a<'ternum  et 
infinitum  intellectum  constituunt  (cf.  II,  11.  Zusatz  und  dazu 
Trendelenburg,  liist.  Beitr.  1.  c.  S.  GO..  Vielmehr  spricht 
Spinoza  an  der  in  Rede  stehenden  Stelle  die  Einheit  der  Liebe 
Gottes  zu  den  Menschen  und  zu  sieh  selbst  und  der  Liebe  der 
Menschen  zu  ihm  und  die  in  dieser  Liebe  gegebene  Einheit 
Gottes  und  der  Mensehen  aus. 


gatio ,  den  doch  Spinoza  seihst  gar  nicht  auf  das  Wesen  Gottes  ange- 
wendet,  indem  er  aus  ihm/vielmehr  nur  diess  ableitet,  dass  eine  ma- 
thematische Figur  im  Verhältniss  zum  Baume,  der  integra  materia,  eine 
Negation,  nicht  aber  etwas  Positives  sei.  Ein  unmittelbarer  Schluss  von 
diesem  Satze  auf  die  (iotteslehre  S^)inozas  bleibt  immer  etwas  Missliches, 
und  in  keiner  Beziehung  lässt  es  sich  rechtfertigen  ,  wenn  dieser  Satz, 
von  dem  Spinoza  sonst  gar  keinen  Gebrauch  macht,  als  oberstes  Princip 
der  Lehre  des  Spinoza  ausgegeben  wird.  (Auf  den  Ausdruck  ,,deus 
seu  natura",  den  Spinoza  einmal  gebraucht,  legt  man  gleichfalls  ein  zu 
grosses  Gewicht,  wenn  man  ihn  bei  der  Darstellung  der  Lelire  des  Spi- 
noza als  ,, Formel"  gebraucht.  Denn  Spinoza  schliesst  sich,  wo  er  die- 
sen Ausdruck  gebraucht ,  ottenbar  an  den  gewöhnlichen  Sprachgebrauch 
an  (praef.  ad  p.  IV,  S.  Ö.'iO  .,aeternum  illud  et  infinitum  ens,  quod 
deum  seu  naturam  appellamus"),  daher  denn  auch  aus  demselben  für 
die  eigentliche  Lehre  Spinoza's  nicht  gar  viel  zu  entnehmen  ist.) 

Aber  auch,  wo  Spinoza  (ep.  41)  (iott  ein  ens  absolute  indeterminatum 
nennt,  will  er  damit  nicht  beweisen,  dass  von  Gott  überhau})t  nichts  be- 
stimmtes ausgesagt  werden  könne,  sondern  dass  ihm  keinerlei  Beschränkung 
zukomme.  Damit  wird  nur  dasjenige  Selbstbewusstsein  ausgeschlossen, 
das  in  der  Selbstunterscheidung  eines  Wesens  von  andren  ihn  beschrän- 
kenden Wesen  besteht,  nicht  aber  ein  Selbstbewusstsein,  das  in  der  Vor- 
stellung des  Subjectes  von  seinem  ^^'esen  und  dem ,  was  aus  diesem 
Wesen  folgt ,  besteht.  Ein  solches  Selbstbewusstsein  schreibt  aber  Spi- 
noza ausdrücklich  Gott  zu.  Er  kommt  damit  ebensowenig  in  Wider- 
spruch mit  sich  selbst,  wie  darin,  dass  er  Gott  intellectuelle  Selbstliebe 
und  einen  intellectus  intinitus  zuschreibt. 


So  viel  ist  indessen  zuzugeben,  dass  Spinoza  zu  diesen 
Sätzen  nicht  durch  consequente  Anwendung  der  von  ihm  allein 
als  zulässig  erklärten  Theorien  gelangt  ist.  Denn  der  Begriff 
der  intellectuellen  Liebe,  der  in  seinem  persönlichen  Bewusst- 
sein  ihm  gegenwärtig  war ,  ist  von  ihm  nicht  in  Wahrheit  mit 
dem  ihm  zu  Gebote  stehenden  r>egriffsmaterial  abgeleitet  wor- 
den. Auch  der  Begriff  der  Liebe,  wie  überhaupt  alle  sittlichen 
Begriffe  können  ohne  den  Begriff  des  Zweckes  nicht  abgeleitet 
werden.  Den  Nachweis  dafür  müssen  wir  uns  indess  an  dieser 
Stelle  noch  vorbehalten. 

Es  ergiebt  sich  uns  aus  dem  bisher  Gesagten ,  dass  durch 
die  Leugnung  des  Zweckes  die  (iotteslehre  Spinozas  durchgängig 
beeinflusst  und  beeinträchtigt  wird.  Weil  er  den  Zweck  aus- 
schliesst ,  darum  kommt  er  in  seiner  Lehre  von  Gott  über  ne- 
gative Bestimmungen  und  die  Annahme  einer  inhaltsleeren  Sub- 
stanz nicht  hinaus  und  vermag  die  Attribute,  die  er  der  Substanz 
beilegt,  nicht  in  Wahrheit  aus  derselben  abzuleiten.  Und  wo 
er  endlich  seinem  Gottesbegriff  einen  Inhalt  giebt  durch  die 
Annahme  einer  intellectuellen  Selbstliebe  ,  die  eins  sei  mit  der 
Liebe  zu  den  Menschen,  da  thut  er  diess,  ohne  den  Begriff 
der  Liebe  vorher  in  irgendwie  Ix^friedigender  Weise  erklärt 
oder  abgeleitet  zu  haben. 


2.)  Ein  f  Ins  s  der  Lengnung  des  Zwecks 
bei  Spinoza   auf  seine  Lehre  vom  menschlichen 

Ge  iste. 

Der  erwähnte  Dualismus  zwischen  Denken  und  Ausdehnung 
bei  Spinoza,  den  wir  aus  seiner  Leugnung  des  Zweckes  her- 
leiteten ,  tritt  in  seiner  Lehre  vom  menschlichen  (ieiste  erst 
recht  klaffend  zu  Tage. 

Der  Mensch  besteht  aus  Seele  und  Leib  ^11,  13,  coroll.); 
Da  aber  die  Seele  ein  modus  des  Denkens,  der  Leib  ein  modus 
der  Ausdehnung  ist ,  so  giebt  es  kein  Wirken  des  Leibes  auf 
die  Seele  (111,  2.  Eine  Vcn-stellung  in  der  Seele  kann  nur 
von  einer  andren  Vorstellung  verursacht  werden,  nicht  aber  von 
einem  ihr  entspreclienden  Gegenstande  (II,  5,   1),  Ih. 

Wie  ist  dann  zu  erklären,  dass  in  der  Seele  Vorstellungen 
entstehen  von  dem,  was  im  Leibe  vorgeht?     (II,  ax.  IV). 

Zur  Erkläning  dieser  Beziehung  von  Leib  und  Seele  be- 
dient sich  Spinoza  einer  höchst   künstlichen  Gonstruction   (ver- 


^ 


—     60 


Gl     - 


gleiche    die   entsprechende    [V,    1   und   Beweis]    zur  Erklärung 
der  Einwirkung  der  Seele  auf  den  Leib.) 

Er  erklärt  die  menschliche  Seele  für  eine  Vorstellnng,  de- 
ren Gegenstand  ihr  Körper  sei  (II,    13). 

Jede  Vorstellung  eines  wirklich  existirenden  Einzeldings 
hat  nur  Gott  zur  Ursache ,  sofern  sie  durch  eine  Reihe  von 
andren  Vorstellungen  bedingt  ist ,  von  denen  jede  in  derselben 
Art  Gott  zur  Ursache  hat   (II,  1)  . 

Was  nun  im  Object  einer  solchen  Vorstellung  geschieht, 
davon  giebt  es  in  Gott  eine  Vorstellung,  sofern  die  ganze  Keihe 
der  Vorstellungen ,  von  denen  diese  Vorstellunir  bedingt  ist ,  in 
Gott  ihre  Ursache  hat    11,  ;>.  . 

Weil  aber  die  Ordnung  und  Verbindung  der  Dinge  und 
der  Vorstellungen  di<»selbe  ist  ;1I,  7),  so  hat  Gott  von  dem, 
was  im  Object  einer  Vorstellung  geschieht,  eine  Kenntniss,  so- 
fern er  nur  die  Vorstellung  eben  dieses  Objectes  hat  (II,  i>, 
Zusatz  . 

Diess ,  angewendet  auf  die  menschliche  Seele ,  ergiebt  die 
Folgerung,  dass  davon,  was  im  Object  der  menschlichen  Seele, 
d.  h.  im  menschlichen  Kiirper  vorgeht,  Gott  eine  Vorstellung 
hat,  sofern  er  die  Vorstellung  dieses  Körpers  hat,  d.  h.  als 
durch  diese  Vorstellung  afficirt  betrachtet  wird    II,  1:^,   Beweis  . 

Da  die  Seele  aber  nur  ein  Modus  des  Denkens  Gottes  ist, 
so  ist  das  Denken  (Jottes,  .sofern  er  das  Wesen  der  mensch- 
lichen Seele  ausdrückt,  gleich  dem  Denken  des  Menschen ;  und, 
wenn  wir  sagen ,  dass  Gott ,  sofern  er  durch  die  Natur  der 
menschlichen  Seele  erklärt  wird  ,  dieses  oder  jenes  auffasst ,  so 
ist  diess  nichts  andres,  als  wenn  wir  sagen,  dass  die  mensch- 
liche Seele  es  auftasst  11,  11,  CoroU  .  Hat  also  (iott,  sofern 
er  das  Wesen  der  menschlichen  Seele  ausdrückt ,  eine  Vor- 
stellung von  dem ,  was  im  menschlichen  Körper  vorgeht ,  so 
heisst  das  nichts  andres  als:  die  menschliche  Seele  hat  eine 
Voi*stellung  von  dem,  was  im  menschlichen  Körper  vorgelit. 
(U,   12). 

Die  Seele  hat  also  naeh  Spinoza  durchaus  keine  Kenntniss 
ihres  Körpers ,  sondern  nur ,  sofern  sie  als  ein  Modus  des 
Denkens  Gottes  auch  an  dem  Selbstbewusstsein  (lottes  Theil 
hat.  Es  giebt  kein  Wirken  des  menschlichen  Körpers  auf  die 
mensehliche  Seele  .  sondern  beide  entsprechen  sich  nur  zufolge 
der  durchgängig  gleichen  Ordnung  und  Verbindung  der  Vor- 
stellungen und  der  Dinge.  Nur  in  Gott  giebt  es  eine  Kennt- 
niss von  Allem ,  was  aus  seinem  Wesen  mit  Nothwendigkeit 
folgt ;    im    Menschen    nur ,    sofern    seine   Seele   ein    Modus    des 


\ 


Denkens  Gottes  ist,  eine  Kenntniss  dessen,  was  in  seinem  Kör- 
per vorgeht. 

Diese  Theorie  ist  v(mi  Spinoza  mit  bewundernswerther  Con- 
sequenz  durchgeführt  worden.  Kr  leitet  alle  Erkenntniss  des 
Menschen  aus  den  Vorstellungen  der  Atfectionen  seines  Körpers, 
welche  die  Natur  der  fremden  uns  aft'icirenden  Kr>ri>er.  als  der 
Ursache  dieser  Aftectionen,   einschlissen,  ab  (11.  pr.    14 — IG). 

Er  entwickelt  daraus  weiter  seine  Lehre  vom  bildlichen 
Vorstellen  (pr.  17:  vom  menschlichen  (iedächtniss  (pr.  18:  vom 
menschlichen  Selbstbewustsoin  20.  21  n.  2.*»):  von  der  ina- 
däquaten pr.  24 — 31,  und  der  adäcjuaten  Erkenntniss  ab  (32 — 40), 
sewievon  der  Vorzüglichkeit  dieser  adäquaten  Erkenntniss  gegen- 
über der  aus  verworrener,  ))ildlielier  Vorstellung  hervorgehen- 
den (41 — 43^:  endlich  auch  seine  Lehre  von  der  Gottes  erkennt- 
niss des  Menschen.    44 — 47. 

Aber  um  diese  Lehren  zu  beweisen,  geht  er  durchgängig 
auf  die  Vorstellung  zurück,  die  in  Gott  gegeben  sei,  sofern 
er  das  Wesen  der  menschlichen  Seele  ausmache.  Die  ganze 
Erkenntnisslehre  des  Spinoza  beruht  also  auf  dieser  Theorie,  die, 
wie  wir  sahen,  von  der  Annahme  einer  wesentlichen  Geschiedenheit 
des  geistigen  und  ktu-perlichen  licbens  herrührt.  Insofern  ist 
auch  diese  Lehre  des  Spinoza  mitbedingt  durch  seine  Leugnu g 
des  Zweckes  in  Gott.  Giebt  es  keinen  Zweck  in  Gott,  und 
folgt  also  Alles  aus  der  Nothwendigkeit  seiner  Natur,  so  giebt 
es  auch  keine  selbst  nur  relativi^  Selbstständigkeit  des  mensch- 
lichen (ieistes.  Die  Seele  des  Menschen  ist  dann  nur  ein  Theil 
des  Denkens  (lottes.nnd  ihre  Erkenntniss  ein  bald  mehr,  bald 
weniger  vollständiges  Theilnehmen  an  der  giittlichen  Er- 
kenntniss. 

Es  hat  nun  allerdings  die  Erkenntni.sslehre  des  Spinoza, 
auch  abgeselien  von  der  zur  Begründung  derselben  angewen- 
deten Beweisführung,  eine  Bedeutung.  Denn  auch  ohne  die- 
selbe lassen  sich  manche  seiner  Sätze  aus  der  Erfahrung  ab- 
leiten. Indess  auch  auf  denlnhalt  seiner  Erkenntnisslehre  ist  seine 
Leugnung  des  Zweckes  von  Einflnss  gewesen,  und  zwar  nach 
dieser  Seite  hin  besonders  seine  Lengnnng  des  Zwecks  im  mensch- 
lichen Handeln, 

Alles  menschliehe  Wissen  besteht  nach  Spinoza  nur  in 
Vorstellungen,  welche  diee  Erregungen  des  Körpers  begleiten  und 
nothwendig  im  Menschen  entstehen.  Auch  die  Unterscheidung 
der  adäquaten  von  der  confusen  Erkenntniss  führt  nicht  weiter, 
da  erstere  nur  in  einer  nndern  Auffassung  und  Beziehung  der 
von  den    körperlichen   AfTectionen   herrührenden    Vorstellungen, 


\, 


-    Cy2    - 


63 


aber  nicht    in    einer   wirkluhfii     Berichtigung    oder    Erweiter- 
ung derselben  besteht. 

Darüber  hinaus  kann  Spinoza  nicht  kommen,  weil  er  das 
Wissen  nicht  als  das  Ziel  des  menschlichen  Erkenntnissvermögens 
und  Erkenntnissstrebcns  ansehen  kann,  worin  ja  eine  Anerken- 
nung des  Zwc«*kes  läge.  So  bleiben  trotz  mancher  wahren,  und 
für  die  spätere  Kntwickchin«::  der  Erkenntnisslehre  bedeutsam- 
men  Bemerkunjr  die  Ausführungen  des  Spinoza   ungenügend. 

Die  Leugnung  des  Zweckes  hat  aber  nocli  in  andrer  Be- 
ziehung KinHuss  auf  die  Lehre  des  Spinoza  vom  menschlichen 
Geiste  geübt.  Wie  wir  sahen,  leugnet  Spinoza  den  Zweck  auch 
im  menschlichen  Handeln.  Es  findet  dies  seinen  Ausdruück 
auch  innerhalb  des  Systems  Spinozas. 

Dass  der  Mensch  keinen  Zweck  hab<'n  kcinne  d.  h.  da.ss  er 
nicht  die  Fähigkeit  habe,  seinen  Vorstellungen  eine  äussere  Ver- 
wirklichung zu  geben,  ist  mit  ausgesprochen  in  dem  ganz  all- 
gemein ausgedrückten  Lehrsatz  III,  '2  ;  «Weder  kann  der  Kör- 
per die  Seele  zum  Denken,  noch  die  Seele  den  Ivirper  zur  Be- 
wegung oder  Kidie  oder  sonst  etwas  beistimmen».  Auch  dieser 
Lehi*satz  ist  eine  selbstverständliche  Folge  der  von  Spinoza  an- 
genommenen (Jetrenntheit  der  beiden  Attribute  (iottes.  aus  wel- 
cher auch  Spinoza  den  Beweis  dafür  herleitet.  Dass  der  Kör- 
per die  Seele  nicht  zum  Denken  bestimmen  kr>nne  dass  es  also 
keine  Wirkung  des  Krtrjiers  auf  die  Seele  gebe,  ist,  wenn  auch 
von  Spinoza  bis  dahin  nicht  so  deutlich  ausgesprochen,  doch  als 
Voraussetzung  bei  der  Beweisführung  der  meisten  Ijchrsätze  des 
zweiten  Theils  mitenthalten.  Nur  sahen  wir  dabei,  dass  Spinoza, 
indem  er  durchgängig  auf  das  DenkenClottes  zurückgeht,  den- 
noch ein  mittelbares  Wirken  der  körperlichen  Atfectionen  auf 
die  Seele  offm  lässt  und  daraus  die  menschliche  Erkenntniss 
ableitet. 

Das  Wirken  der  Seele  auf  den  Körper  kann  Spinoza  ebenso- 
wenig völlig  auschliessen,  wi«'  das  Wirken  des  Körpers  auf  die 
Seele,  n.  aus  Lehrsatz  V,  1  und  10  sehen  wir.  wie  er  eben- 
falls unter  Berufung  auf  die  diirchgängige  gleich<'Ordnung  und  Ver- 
bindung der  Dinge  und  der  Vorstellungen  allerdings  auch  ein 
Wirken  der  Seele  auf  die  kr>rperlich('n    .Vtfectiouen    zulässt. 

Dennoch  leitet  Spinoza  aus  dem  Satze  III,  -  ohne  Berück- 
sichtigung jener  Sätze  des  r)ten  Theils  Folgerungen  ab.  Er 
wendet  sich  in  der  Erklärung  zu  diesem  Satze  ausdrücklich 
gegen  die  allgemein  festgehaltene  Annahme,  dass  »der  Kr»rper 
auf  den  blossen  Wink  der  Seele  bald  bewegt  werde,  bald  ruhe 
und  sehr  Vieles  handle,  was  von  dem  blosen  Willen   der  Seele 


/ 


) 


und  ihrer  Kraft  des  Denkens  abhänge,«  ja  er  erklärt  es  für 
durchaus  falsch  zu  sagen,  dass  diese  oder  jene  Handlung  des 
Körpers  von  der  Seele  ausgehe,  welche  Herrschaft  über  den 
Körper  habe.  —  BenK'rkenswertli  ist  hierbei,  und  wir  führen 
diess  zur  Bestätigung  des  von  uns  oben  bemerkten  an,  mit 
welcher  Bestimmtheit  sich  Spinozn  dessen  bewusst  ist,  dass 
seine  Leugnung  des  Zwecks  in  der  Natur  und  im  menschlichen 
Handeln  zusammen  stehen  und  fallen.  Denn  er  argumentirt  aus 
der  Leugnung  des  Zwecks  in  der  Natur  gegen  die  Annahme 
eines  solchen  im  (Jehicte  des  mcnschliclifn  Handelns.  Es  zeige 
ja  die  Erfahrung,  dass  nacli  den  hlosen  (iesetzen  der  Natur 
sehr  Vieles  gesche,  wo\on  man  nimm<'r  geglaubt  hätte,  dass  es 
anders  geschehen  könne  als  durch  die  Leitung  der  Seele.  Er 
beruft  sich  dafür  auf  den  Bau  des  menschliclien  Körpers,  der 
au  kunstvoller  Einrichtung  Alles  bei  Weittni  übertreffe,  was 
menschliche  Kunst  gefertigt  habe. 

Selbstverständlich  kann  dieser  (Jrund  nur  für  diejenigen 
Beweiskraft  haben,  die  schon  vorher  überzeugt  sind,  dass  es 
keine  Zweckmässigkeit  in  den  Naturorganismen  giebt.  Ebenso- 
wenig kann  auch  Spinoza  aus  unsrer  Ünkenntniss  der  Uesetze 
des  körperlichen  Lebens  den  Beweis  dafür  ableiten,  dass  das- 
selbe von  der  Seele  beeinflusst  werde,  (cf.  hierzu  auch  von 
Kirchmann.    S.  85.) 

Wenn  Spinoza  aus  dem  Lehrsatz  HI,  2  folgert,  dass  es 
überhaupt  keiiieo  Einfiuss  des  Geistes  auf  die  menschlichen 
Handinngen  gebe,  also  auch  keine  Freiheit  des  Willens,  keine 
Zwecke  u.  s.  w.  .so  ist  diese  Folgerung  allerdings  logisch  rich- 
tig, Aber  da  nacli  V,  1  u.  10  es  doch  eine  Wirkung  der  Seele 
auf  die  körperlichen  Aft'ectionen  giebt,  so  verliert  der  Lehrsatz  HI 
2  seine  Bedeutung,  uiul  die  aus  ihm  gezogenen  Folgerungen 
werden  hinfällig. 

Hier  zeigt  sich  deutlich  der  Einfiuss  der  Leugnung  des 
Zweckes  auf  die  ganze  Gedankenentwickelung  des  Spinoza. 
Hätte  ihm  diess  nicht  von  vornherein  festgestanden,  dass  es 
keinen  Zweck,  und  folglich  auch  keinen  Willen  gebe,  so  würde 
er  auch  die  erwähnten  Folgerungen  aus  III,  2  zu  ziehen  Be- 
denken   getragen  haben. 

Die  Leugnung  des  Zwecks  ist  weiter  von  Einfiuss  auf  seine 
Lehre  von  den  Affecten.  Wie  es  nach  ihm  keine  Freiheit  des 
Willens  giebt.  so  auch    keine  Freiheit    des    Erkennens,    Zustim- 


s 


l 


-      C^4      --- 

mens,  Begelirens ,  Liebcü.-.  <•(«•.  11,  4S,  sphol*^  Vielmehr  folgen 
nach  ihm  alle  Affeete  des  Menschen  in  sich  betrachtet  aus  der- 
ßelben  Xothvvendigkeit  und  Macht  der  Natur,  wie  alles Uebrige. 
Demnach  leitet  denn  auch  Spinoza  alle  Aflecte  mit  consequenter 
F^ernhaltung  des  Zweckbegriffs  allein  aus  der  Natur  des  Men- 
schen ab.  Er  bestinmit  sie  als  körperliche  Erregungen,  und,  so- 
fern sie  sich  auf  die  8eeh^  beziehen,  als  Vor'.tellungen  dieser 
Erregungen.  D^n  Einfluss  der8eele  auf  den  Körper  lä.sst  er  dabei 
noch  vcillig  unberticksichtigt.  Auf  den  Inhalt  seiner  Lehre  von 
denAffecten,  in.soweit  sie  das  sittliche  Leben  des  Menschen  be- 
trifft,  werden   wir  erst  später  einzugehen  haben. 

Aus  dem  bisher  (Jesagten  ergiebt  sich,  wie  die  Lehre  des 
.Spinoza  vom  menschlichen  (leiste  durchgängig  von  seiner  Leug- 
nung des  Zweckes  beinflusst  ist.  Wie  ei*  in  Folge  .seiner  eigen- 
thfimlichen  und,  wie  wir  nachgewiesen,  von  der  Leugnung  des 
Zweckes  mitbestimmten  .Vnnahme  einer  durchgängigen  Geschie- 
denheit der  bei<len  Attribute  Gottes  das  Wesen  der  Seele  nur 
als  Vorstellung  ihres  Körpers  zu  erklären  \  ermag  und  damit 
die  Selbständigkeit  der  menschlichen  Seele  aufhebt,  so  vermag 
er  auch  von  den  Kräften  der  Seele  keine  befriedigende  Erklärung 
zu  geben.  Denn,  indem  er  den  Zweck  auch  im  Bereich  des 
menschlichen  Thuns  leugnet,  so  kann  er  auch  weder  das  Eigen- 
thtimliche  des  menschlichen  Erkenntnissvermögens  noch  des 
menschlichen  Willens  bestimmen. 

Die  Bedeutung  der  Lehre  des  Spinoza  von  der  menschli- 
chen Seele  besteht  wesentlich  in  der  bei  allen  seinen  Aus- 
führungen festgehaltenen  religiösen  Betrachtungsweise.  Denn 
als  einen  Theil  des  gr>ttlichen  intellectus  fasst  er  die  mensch- 
liehe Seele  auf.  in  der  Beziehung  der  V(»rstellungen  auf  Gott 
sieht  er  die  wahre  Erkenntniss.  und.  wo  er  die  menschliche  Frei- 
heit leugnet,  will  er  die  göttliche  Macht  betonen.  Die  Schwäche 
seiner  Lehre  aber  liegt  in  der  Leugnung  des  Zweckes,  durch 
welche  alle  Selbständigkeit  des  Menschen  aufgehoben  und  das 
Verständniss  seines  unterscheidenden  Wesens  ausgeschlossen  wird. 


*)  Die  in  L.48  geleugnete  Freiheit  des  Willens  bezieht  sich  auf  die 
Fähigkeit  des  Menschen,  nach  welcher  er  bejaht  oder  verneint,  was 
wahr  und  was  falsch  sei,  also  auf  die  Fähigkeit,  einer  Erkenntniss  zu- 
zustimmen und  ilirerfjewiss  zu  sein.  Daher  identiticirt  er  (11,49,  coroU.) 
den  Willen  mit  der  Erkenntniss,  sofern  in  den  Vorstellungen  selbst  das 
Kriterium  ihrer  Wahrheit  gegeben  sei.  Von  dieser  Detinition  des  Wil- 
lens aber,  die  von  der  im  Sprachgebrauch  bejfründeten  so  gänzlich  ab- 
weicht, macht  er  keinen  weiteren  Gebrauch  und  giebt  111, 1),  schol.  eine 
davon  abweichende  u.  dem  Sprachgebrauch  näherstehende/ 


G 


5    - 


J 


3.     Einfluss  der  Leugnung  des   Zweckes  bei 

Spinoza  auf  seine  Lehre  vom  sittlichen 

Leben  des  Menschen. 

Um  die  sittliche  Qualität  der  menschlichen  Handlungen  und 
Bestrebungen  zu  beurtheilen,  kann  entweder  geachtet  werden 
auf  den  Zweck  derselben  oder  auf  die  sie  bedin<2:enden  Ursachen. 
Wird  der  Zweck  als  das  die  sittliche  Qualität  der  Handlungen 
und  Bestrebungen  Ausmachende  angesehen,  so  muss  zwischen 
solchen  Zwecken,  auf  welche  die  sittlich  richtigen  Handlungen 
und  Bestrebungen  sich  beziehen,  und  solchen,  auf  welche 
die  sittlich  unrichtigen  sich  beziehen,  unterschieden  werden.  Es 
muss  also  eine  Vorstellung  angenommen  werden,  welche  allen 
den  Zweckvorstellungen,  auf  welclie  sich  die  sittlich  richtigen 
Handlungen  beziehen,  gemeinsam  ist,  und  diese  ist  die  Vor- 
stellung des  sittlich  (Juten;  und  eine  solche,  die  den  Zweck- 
vorstellungen, auf  welche  sich  die  sittlich  unrichtigen  Hand- 
lungen beziehen,  gemeinsam  ist,  und  diese  ist  die  Vorstell- 
ung des  sittlich  Bösen,  wobei  es  dahingestellt  bleibt,  ob  letztere 
einen  positiven  od(U-  nur  negativen  Inhalt  hat.  Die  Begriffe 
des  sittlich  Guten  und  sittlich  r)ösen  entstehen  also  durch  die 
Annahme  eines   Zweckes  bei  d<'n  Handlungen  der   Menschen. 

Da  nun  Spinoza  diese  Annahme  verwirft,  so  tolgt  daraus, 
dass  er  die  Begriffe  des  sittlicli  (Juten  u.  sittlich  Bösen  nicht  aufneh- 
menkann. Und  darin  bestellt  zunächst  der  Einfluss  seiner  Leugnung 
des  Zweckes  auf  seine  lielirc  vom  sittlichen  Leben  des  Menschen, 
dass  ihm  die  Begrifte  des  sittlich  (iuten  und  Bösen  ver- 
schwinden. 

Andeutungsweise  redet  davon  Spinoza  schon  in  dem  mehr- 
erwähnten Anhang  zum  1.  Theil  der  Ethik,  wo  er  unter  an- 
dern ^'praejudiciis«  auch  von  den  Begrißen  des  Guten  und 
Schlechten  redet.  Indess  bleibt  es  an  dieser  Stelle  unbestimmt, 
ob  Spinoza  auch  die  Begrifte  des  sittlich  Guten  und  Bösen  aus- 
schliessen  will.  Deutlich  erhellt  es  aber  aus  Hl,  1>,  cor.,  dass 
Spinoza  den  Begrift*  des  sittlich  (Juten  verwirft. 

Dort  sagt  er,  dass  wir  nichts  erstreben,  wollen,  begehren 
oder  wünschen,  weil  wir  es  für  gut  halten,  sondern  dass  wir 
im  Gegentheil  desshalb  etwas  für  gut  halten,  weil  wir  es  er- 
streben, w^oUen,  begehren,  oder  wünschen ;  und  (nach  III.  oV>,  schol.) 
für  böse,  weil  wir  es  verabscheuen.  Die  Begriffe  gut  und  böse 
sind  also  blos  relative  Begriffe.  Sie  bezeichnen  nichts  Positives 
in  den  Dingen,  sofern  diese  nämlich  an  sich  betrachtet  werden, 


i 


-    66    — 

und  sind  nur  Begi'iffe,  die  wir  dadurch  bilden,  dass  wir  die 
Dinge  mit  einander  vergleichen.  Denn  eine  und  dieselbe  Sache 
kann  zu  einer  und  derselben  Zeit  gut  und  schleclit  oder  auch 
gleichgültig  sein.  Z.  B.  ist  die  Musik  dem  Melancholischen 
gut,  dem  Trauernden  schlecht,  dem  Tauben  aber  weder  gut 
noch  schlecht,  (praef.  ad  pt  IV,  S.  I^'il.)  Daher  beurtheilt  oder 
schätzt  ein  Jeder  nach  seinem  Affecte,  was  gut,  was  schlecht, 
was  besser,  was  schlechter,  und  was  endlich  das  beste  oder 
was  das  schlechteste  sei.  So  liält  der  (Jeizige  eine  Menge 
Geld  für  das  Beste ,  den  Mangel  desselben  aber  für  das 
Schlechteste  u.   s.   w. 

Für  Spinoza  ist  also  der  Begrift*  des  Outen  gleicli  dem  Be- 
griff des  Nützlichen  (uler  Zuträglichen.  Die  Vorstellung  des 
sittlich  Unten,  die  er  ja  auch  in  seiner  (lotteslehre  verwirft, 
giebt  es  für  ihn  nicht,  also  auch  kein  Handeln  um  des  Guten 
willen,  wie  überhaupt  kein  auf  einen  Zweck  gerichtetes 
Handeln. 

Spinoza  betrachtet  als(>  die  Handlungen,  Kmplindungen  und 
Bestrebungen  der  Menschen  nur  nach  ilen  Ursachen,  aus  denen 
sie  hervorgehen.  Wie  ist  aber  dann  eine  Unterscheidung  und 
Beurtheilnng  derselben  nach  ihrer  sittlichen  Qualität,  die  doch 
die  ganze  Tendenz  und  Anlage  seines  Syr>tems  fordert,  möglich? 
In  der  Verschiedenheit  der  Eigenart  der  Mens<hen  scheint  sie 
nicht  gefunden  werden  zu  können,  da  alle  Mensehen  modi  (Jottcs 
sind  und  ihr  Thun  und  Denken  aus  der  Natur  Gottes  folgt. 
Und  in  der  That  schliesst  die  Darstellung  des  Spinoza  zunächst 
eine  solche  Unterscheidung  vrdlig  aus.  Wie;  schon  bemerkt, 
folgen  mu'h  ihm  die  Affecte,  in  sich  betrachtet,  aus  eben  der- 
selben Nothwendigkeit  der  Natur,  wie  nlles  Uebrige.  (IV,  praef. 
S.  271).  Er  hält  es  für  falsch,  dieselben  zu  beweinen,  zu  be- 
lachen, zu  verachten  oder  zu  verabseheuen,  und  will  vielmehr 
die  menschlichen  Handlungen  und  Begehrungen  gerade  so  be- 
trachten, als  ob  von  i^inien.  Ebenen  oderKörpern  die  Rede 
wäre.  So  scheint  er  den  sittlichen  Unterschid  zwischen  Hass 
und  Neid  u.  s.  w.  auf  der  einen.  Liebe  und  Mitleid  auf  der 
andern  Seite,  ganz  zu  verneinen  und  keine  andre  Triebfeder  der 
menschlichen  Handlungen,  als  die  S'dbstsucht  anzuerkennen,  weil 
er  ja  aus  dieser  das  sittlich  Gute,  wie  das  sittlich  Böse,  wie 
endlich  das  an  sich  sittlich  Indifferente  herleitet.  Ehe  wir  nun 
die  Frage  erörtern,  auf  welchem  Wege  Spinoza  dennoch  zur 
Ableitung  sittlicher  Vorschriften  von  seinen  Voraussetzungen 
aus  kommt,  und  welches  sein  Princip  des  Sittlichen  ist,  müssen 
wir  wenigstens  in  soweit  auf  den  Inhalt  seiner   Lehre   von  den 


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Affecten  eingehen,  als  die  uns  gestellte  Aufgabe,  den  Einfluss 
der  Leugnuug  des  Zwecks  auf  die  Lehre  des  Spinoza  nachzu- 
weisen,   erfordert. 

Spinoza  nimmt  o  Grundaffecte  an,  aus  denen  er  alle  üb- 
rigen herleitet,  die  Begierde,  die  Fröhlichkeit  und  die  Trau- 
rigkeit (III,  11,  schol.).  Diese  drei  Grundaffecte  folgen  unmittel- 
bar aus  der  Natur  des  Menschen.  Denn  jedes  Ding  strebt,  so- 
weit es  in  sich  ist,  in  seinem  Sein  zu  beharren  (III,  ())  und 
in  diesem  Streben  besteht  die  Macht  oder  das  Wesen  der  Dinge. 
(Beides,  Maeht  und  Wesen,  sind  ja,  wie  in  Gott  (I,  31), 
so  auch  in  den  Einzeldingen ,  als  dessen  Modificationen , 
identisch.) 

In  diesem  Streben  besteht  also  auch  das  Wesen  des  Men- 
schen (III,  il)  und  sofern  er  sich  dessen  bewusst  ist,  nennt 
Spinoza  dieses  Streben  Begierde.  Nun  wird  aber  der  Körper 
des  Menschen  in  vielfacher  Weise  afficirt  durch  andere  Kör- 
per. Sofern  nun  dadurch  die  Kraft  des  Körpers  vermehrt  oder 
gefördert  wird,  wird  auch  die  Kraft  der  Seele  dadurch  ver- 
mehrt oder  gefördert.  Diesen  Uebergang  der  Seele  zu  grösserer 
Vollkommenheit  bezeichnet  Spinoza  als  den  Affect  der  Fröh- 
lichkeit, und  den  entgegengesetzten  als  den  Affect  der 
Traurigkeit.  Ein  solcher  Affect  des  Menschen  aber  ist  nach 
U,  17  von  einer  bildliehen  Vorstellung  des  äuseren  Körpers, 
der  ihn  vci-ursacht,  begleitet.  Die  Seele  wird  also  danach 
streben,  soviel  sie  kann,  diejenigen  Dinge  sich  bildlich  vorzustel- 
len, welche  sie  mit  dem  Atlect  der  Fröhlichkeit  afficiren. 

Dieses  Streben  der  Seele  sich  etwas  bildlich  vorzustel- 
len, weil  es  die  Kraft  ihres  Körpers  zu  handeln  und  darum 
ihre  eigene  Kraft  zu  denken  befördert  und  vermehrt,  geht  also 
hervor  aus  einem  Affect  der  Fröhlichkeit,  der  von  der  bildlichn 
Vorstellung  der  äussern  Ursache  derselben  begleitet  ist.  Daher 
nennt  Spinoza  diesen  xVffectLiebe.  Liebe  ist  ihm  die  Fröhlich- 
keit, begleitet  von  der  Vorstellung  einer  äusseren  Ursache.  (III 
13,  schol.)  In  genau  dem  entsprechender  Weise  leitet  er  auch 
den  Affect  des  Hasses  ab. 

Hier  bleiben  wir  einen  Augenblick  stehen,  um  die  Rich- 
tigkeit der  Entwickelung  des  Spinoza  zu  prüfen.  Offenbar  ver- 
wechselt Spinoza  in  dieser  Definiton  der  Liebe  das  Wesen 
der  Liebe  mit  einer  möglichen  Ursache  derselben.  Aus  einer 
Fröhlichkeit,  die  begleitet  ist  von  einer  bildlichen  Vorstellung 
der  äussern  Ursache  derselben,  kann  wohl  einem  Streben  her- 
vorgehen, diese  äussere  Ursache   soviel   als    möglich    sich   vor- 

5* 


1*1 


68    - 


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anstellen  und,  was  Spinoza  weiter   daraus   ableitet,    sie   gegen- 
wärtig zu  liaben  und  zu  bewahren  u.   s.   w. 

Aber  erst  dieses  Streben  maclit  die  Liebe  aus,  jene  von 
einer  bildliclien  Vorstellun«r  ibrer  Ursache  begleitete  Fröhlich- 
keit ist  noch  nicht  Liebe,  sondern  kann  nur  eine  Ursache  der- 
selben werden. 

Auch  was  Spinoza  IUI,  äff.  def.  c.  VL  S.  :J11I)  zur  Ver- 
theidigung  seiner  Definition  sagt,  indem  er  zwischen  der  essen- 
tia  und  proprietas  unterscheidet,  beweist  dagegen  nichts.  Nur 
wird  daraus  deutlich,  wie  die  Definition  der  Liebe,  welche 
Spinoza  giebt,  wiederum  becinflusst  ist  durch  seine  Leugnung 
des  Zweckes.  Denn  auch  b<'i  der  Bestimmung  der  proprietas 
der  Liebe  sucht  er  den  Willen,  weil  dieser  nur  durch  den  Zweck 
zu  erklären  ist,  fern  zu  halten  und  gesteht  nur  eine  acquiescen- 
tia,   quae  est  in  amante  (»b  rei  amatae  praesentiam  zu. 

Es  wird  aber  damit  das  Wesen  der  Liebe  nicht  erklärt. 
Liebe  ist  nicht  allein  das  Snchen  des  Eigenen  im  Andern  oder 
das  Streben,  den  Andern  zu  erhalten,  als  Streben,  sich  selbst  zu 
erhalten,  sondern  ist  ebenso  das  Streben  aufzugehen  im  Andern, 
das  Sich-selbst- Aufgeben  um  des  Andern  willen.  Wir  ver- 
suchen niclit  das  Wesen  der  Liebe  an  dieser  Stelle  näher  zu 
erörtern,  behaujjten  auch  nicht,  dass  durch  Annahme  des  Zweckes 
unmitlelbar  das  Verständniss  des  Hegriffs  der  Liebe  gegeben  sei, 
aber  das  sehen  wir  aus  vSpinozas  Entwickelnng.  dass  ohne  den 
Zweck  eine  Bestimmung  des  Wesens  der  Liebt-  unmöglich  ist. 

Wenn  wir  aber  die  Begriffsbestimmung  der  Liebe,  die 
Spinoza  giebt,  für  unzureichend  halten,  S(>  meinen  wir  darum 
nicht,  dass  überall  wo  Spinoza  von  Liebe  redet,  nur  an  jenes 
selbstsüchtige  Suchen  des  eigenen  Nutzens  zu  denken  sei,  wel- 
ches in  der  That,  auch  wo  r'in  Streben  des  Andern  zu  erhalten 
daraus  hervorgeht,  des  Namens  der  Liebe  nicht  werth  ist.  Dass 
Spinoza  gewusst  hat,  was  sell^stlose,  hingebende  Liebe  ist,  be- 
weist sein  Leben,  wie  seine  weitere  Ausführung.  Nur  begriff- 
lich das  Wesen  der  Liebe  zu  erfassen  ist  ihm  unmöglieh  ge- 
wesen, wie  wenig  er  auch  selbst  bei  seinem  vrdligen  Vertrauen 
auf  die  Untrüglichkeit  seiner  Methode  sich  dessen  bewusst  ge- 
worden ist.  Sein  Begriffsapparat  war  zu  dürftig,  seine  formalen 
Voraussetzungen  waren  zu  mangelhaft  dazu. 

Freilich  übt  diess  auch  Eintluss  aus  auf  den  Inhalt  seiner 
Lehre,  nicht  aber  einen  solchen,  dass  er  die  Wirklichkeit  des 
sittlichen  Lebens  und  der  ewigen  Gesetze  desselben  hätte  auf- 
heben  wollen.     Wir   werden   im    Weiteren    darauf  zurückkom- 


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man  müssen  und  nehmen  den  Faden  der  Entwickelnng   an    der 
Stelle,  wo  wir  ihn  fallen  gelassen  haben,   wieder  auf. 

Die  Affecte  der  Fröhlichkeit  und  Traurigkeit,  der  Liebe 
und  des  Hasses  gehen,  wie  wir  sahen,  nach  Spinoza  aus  den 
Affectionen  unseres  Körpers,  die  seine  Macht  zu  handeln  und 
darum  die  Macht  der  Seele  zu  denken  entweder  befördern  oder 
hemmen,  hervor.  Ans  diesen  leitet  Spinoza  alle  übrigen  Affecte 
ab.  Sie  sind  entweder  xVrten  der  Liebe  und  des  Hasses,  wie 
die  Sympathie  und  Antipathie,  Gunst  und  Erbitterung,  oder 
Arten  der  Fröhlichkeit  und  Traurigkeit,  wie  die  Hoffnung  und 
Furcht,  Zuversicht  und  Verzweiflung,  oder  Arten  der  Begierden, 
wie  Wohlwollen  Ehrgeiz  und  Nacheiferung,  oder  Zusammen- 
setzungen verschiedner  Affecte,   wie  die    Eifei sucht. 

Gegen  die  Kichtigkeit  dieser  Ableitung  wird  im  Allge- 
meinen nichts  einzuwenden  sein,  wenn  auch  Spinoza  in  seinen 
Definitionen  öfters  unnötliig  vom  Sprachgebrauch  abweicht  (z.  B. 
def.  17,  S.  l\2\).  Auf  eine  Prüfung  derselben  brauchen  wir  da- 
her auch  nicht  einzugehen  und  erkennen  die  Consequenz  an, 
mit  welcher  Spinoza  alle  .Vffecte,  die  wir  sonst  nur  nach  ihrem 
sittlichen  Werthe  zu  beurtheilen  pflegen,  als  natürliche  Folgen 
der  menschlichen  Natur  betrachtet. 

Sehen  wir  nun  weiter,  in  welcher  Weisse  er  dennoch  eine 
Unterscheidung  derselben  nach  ihrem  sittlichen  Werthe  ermög- 
licht. Diess  geschieht  in  dem  4.  Theile  der  Ethik.  Er  ver- 
spricht in  der  Vorrede  derselben,  die  Ursachen  davon  zu  zeigen, 
dass  der  den  Leidenschaften  unterworfene  Mensch  nicht  seiner 
selbst  Herr,  sondern  dem  Schicksal  unterworfen  sei,  so  dass  er  oftmals 
gezwungen  sei,  obwohl  er  das  Bessere  einsehe,  doch  dem  Schich- 
tern zu  folgen,  und  verspricht  ferner  zu  zeigen,  was  die  Affecte 
ausserdem  Gutes  und  Böses  haben. 

Zunächst  beschäftigt  sich  also  Spinoza  damit,  nachzuwei- 
sen, dass,  obwohl  allen  Menschen  die  Begierde  innewohne,  in  ihrem 
Sein  zu  beharren,  doch  die  Kraft  dazu  beschränkt  sei,  und  von 
der  Macht  äusserer  Ursachen  unendlich  übertroften  werde,  dass 
ferner  die  Begierden,  die  aus  wahrer  Erkenntniss  des  Guten  ent- 
stehen, durch  viele  andere  Begierden,  die  aus  bildlicher  Vor- 
stellung desselben  entstehen,  gehemmt  werden,  dass  also  der 
Meuj^ch,  sofern  er  den  Begierden  unterworfen  ist,  vielfach  nicht 
das,  was  für  ihn  gut  ist.  erstrebe.  Wenn  schon  in  diesen 
Sätzen  zwischen  s(>lchen  Aftecten,  die  aus  wahrer  Erkenntniss 
des  Guten  hervorgehen,  und  sedchen,  durch  welche  diese  gehemmt 
werden,  unterschieden  wird,  so  betrifft  doch  diese  Unterscheid- 
ung   noch   niclit   eigentlich   ihren   sittlichen   Werth;  denn  unter 


«  4 


ii 

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-    7Ö    - 

dem  Guten  ist  ja  immer  nur  das  dem  Einzelnen  Nützliche  ver- 
standen . 

Worin  nun  das  sittlich  Richtige  besteht,  versucht  Spinoza 
erst  von  IV,  18,  schol.  an  zu  zeigen,  indem  er  ausführt,  was  die 
Vernunft  uns  vorschreibe,  und  welclie  Affecte  mit  den  Regeln 
der  Vernunft  übereinstimmen,  welche  aber  ihm  entgegen  sind 
(IV,   18,  schol). 

Er  nennt  selbst  als  das  erste  und  einzige  Princip  der  Tu- 
gend das  Streben  des  Einzelnen,  sich  selbst  zu  erhalten,  weil 
kein  anderes  Princip  früher  als  dieses  gedacht  werden  könne 
und  ohne  dieses  keine  Tugend  gedacht  werden  könne.  {IV,  22 , 
coroll.)  Er  sagt,  dass  Jeder  um  so  tugenhafte  sei,  je  mehr  er 
danach  strebe  und  diess  vermöge,  seinen  Nutzen  zu  suchen  oder 
sein  Sein  zu  erlialteu   (IV,  20.) 

Er  schreibt  dieses  Vermögen  aber  nur  demjenigen  zu,  welcher 
Erkenntniss  habe  (IV,  2))  u.  24),  und  bestimmt  daher  das  Nütz- 
liche näher  als  das,  was  zur  Erkenntniss  beitrage,  (IV,  2<)u.  27.) 
und  das  Streben  sein  Sein  zu  erhalten  als  das  Streben  nach 
Erkenntniss  (IV,  20,  dem.),  demnach  als  das  höchste  Gut  der 
Seele  die  Erkenntniss  Gottes,  und  so  auch  als  die  höchste 
Tugend  dasErkennen  Gottes  (IV,  28.)  Demnach  sei  auch  das 
höchste  Gutder  Tugendhaften  Allen  gemeinsam.  (o(3) 

Ferner  sei  von  den  Einzeklingen  ein  jedes  um  so  nütz- 
licher, je  mehr  es  mit  mit  unserer  Natur  übereinstimme.  (IV 
29 — 31,  bes.ol,  coroll.)  Die  Menschen  aber,  sofern,  sie  tugend- 
haft sind,  können  sich  nicht  entgegen,  sein,  sondern  stimmen  dann 
immer  mit  einander  überein  (I,  35),  daher  strebt  der  Tugend- 
hafte zu  bewirken,  dass  die  andern  Menschen  auch  tugendhaft 
seien  und  wünscht  das  was,  ihm  nützlich  ist.  auch  den  Ueb- 
rigen.  (IV,  37)  Endlich  sei  dasjenige  nützlicli,  was  bewirke, 
dass  die  Menschen  einträchtig  leben.  (IV,  40.) 

Nach  diesen  Grudsätzen  beurtheilt  nun  Spinoza  denWerth 
der  einzelnen  Aflecte  (IV,  41 — 73.)  Aus  diesen  Sätzen  ist 
also  zu    beurtheilen,  welches  Princip    des   Sittlichen  Spinoza  hat. 

Es  zeigt  sich  da  deutlich,  dass,  wenn  Spinoza  sagt,  das 
erste  und  einzige  Princip  der  Tugend  sei  das  Streben  sich  selbst 
zu  erhalten  und  den  eigenen  Nutzen  zu  suchen,  diess  nach 
seinen  eigenen  Aufstellungen  nicht  zureichend  ist.  Denn  die- 
ses Streben  liegt  nach  ihm  ebenso  den  richtigen,  wie  den  sittlich 
falschen  Handlungen  zu  Grunde.  Um  eine  Unterscheidung 
zwischen  beiden  einzuführen,  bedarf  Spinoza  eines  neuen  Prin- 
cips.     Und  diess  ist  ihm  die  Erkenntniss,  wie  er  denn  auch 


/ 


^    71     -- 

deutlich  sagt  (IV,  26,  Bew.) :  «Hie  intelligendi  conatus 
primum  et  unicum  virtutis  fundamentum  est,  und  vorher (IV,  23)  : 
Von  dem  Mensclitn  kann  nur  insofern  schlechtliin  gesagt  werden, 
dass  er  aus  der  Tugend  handle,  sofern  er  erkennt  oder  adäquate 
Vorstellungen  hat. 

Das  Princip  des  Sittlichen  bei  Spinoza  ist  also  nicht 
schlechthin  das  Streben  des  Einzelnen  sich  selbst  zu  erhalten, 
sondern  das  Streben  des  Erkennenden  sich  selbst  zu  erhalten, 
oder  das  Streben  des  Menschen,  sich,  sofern  er  adäquate  Ideen 
hat,  selbst  zu  erhalten.  Vergleiche  hierzu  auch  App.  ad  IV. 
pt.    2  u.  3.) 

Wir  müssen  nun,  um  die  Bedeutung  der  Erkenntniss  als 
sittlichen  Prineipes  bei  Spinoza  recht  zu  verstehen,  auf  seine 
im  zweiten  Theile  der  Ethik  gegebene  Erkenntnisslehre  zu- 
rückgreifen. 

Alle  Erkenntniss  entsteht  nach  Spinoza  aus  den  Affectio- 
nen  des  Körpers,  denen  Vorstellungen  dieser  Affectionen  in 
der  Seele  entspreehen.  (II,  V,),  2)J,  2C}).  Diese  Vorstellungen 
schliessen  nämlich  die  Natur  des  äusseren  Körpers,  der  ihre 
Ursache  ist,  ebensowohl  ein  als  die  Natur  unseres  Körpers.  (II, 
IG)  Sie  sind  darum,  obwohl  sie  aus  der  unendlichen  Macht 
Gottes  zu  denken,  folgen,  also  in  Gott  adäiiuate  Vorstellungen 
sind  doch  im  Mens<'hen  indäquat,  sofern  sie  nicht  ihrer  Totali- 
tät nach  sondern  nur  einem  Theile  nach  auf  den  menschlichen 
Körper  sieh  beziehen,  also  nur  einem  Theile  nach  die  mensch- 
liche Seele  ausmachen  (II,  2;")).  Solche  Vorstellungen  also  ge- 
hören dem  Menschen  nicht  allein  zu,  sondern  müssen  erklärt 
werden  sowohl  aus  der  Natur  des  menschlichen,  als  auch  des 
ihn  von  aussen  afficirenden  Körpers.  Was  aus  ihnen  folgt, 
folgt  also  nicht  allein  aus  der  Natur  der  menschlichen  Seele. 
In  diesen  Vorstellungen  besteht  die  Meinung  oder  Imagination. 
(II,  27,  schol.) 

Verschieden  von  ihr  ist  die  Erkenntniss.  Sie  besteht  aus 
den  adäquaten  Ideen.  Solehe  adäcjuate  Ideen  folgen  aus  der  unend- 
lichen Macht  (iottes,  insofern  sie  ihrer  Totalität  nach  auf  den  mensch- 
lichen Körpersich  beziehen,  und  zu  ihrer  Erklärung  keines  äussern 
Körpers  bedürfen .  Solche  adäquate  Ideen  machen  also  einen  Theil  der 
menschlichen  Seele  aus,  und.  was  aus  ihnen  folgt,  folgt  aus  der  Natur 
der  menschliclien  Seele  allein .  Solche  adäquate  Voi*stellungen  giebt 
es  in  der  menschlichen  Seele  von  dem,  was  dem  menschlichen  Körper 
mit  dem  ihn  afficirenden  Körper  gemeinsam  ist  (II,  38u. 39),  und  da- 


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her  am  sichersten  von  Gott,  der  das  gemeinsame  Wesen  aller  Ein- 
zeldinge ist.   (46  n.  47.^ 

Wir  sehen,  wie  diese  Erkenntnisslehre  des  Spinozivon  der 
wir  ja  oben  bemerlvt  haben,  wie  wenig  sie  das  Wesen  der 
menschlichen  Erkenntniss  erklärt,  doch  völlig  seine  Lehre  vom 
Sittlichen  vorbereitet.  Spinoza  scheint  bei  den  Sätzen  des 
zweiten  Theiles  die  im  4.  Tlieile  daraus  abzuleitenden  Folgen 
schon  klar  sich  vorgestellt  zu   haben. 

Da  die  Erkenntniss  in  den  adiüiuaten  Vorstellungen  besteht, 
so  folgt  klar,  dass  nur,  was  in  der  menschlichen  Seele  aus  der 
Erkenntniss  folgt,  aus  dem  Wesen  der  Seele  an  sich  folgt  d. 
h.,  -wenn  die  Definitionen  Spinozas  III,  1  u.  2 zugegeben  werden, 
dass  die  menschliche  Seele  nur  davon  die  adäquate  Ursache 
ist,  was  aus  ihrer  Erknnntniss  folgt,  dass  sie  nur  dann  handelt, 
wenn  etwas  aus  ihrer  Erk<Mmtniss  folgt.  Besonders  deutlich 
spricht  sich  Spinoza  darüber  aus:   App.   ad  pt.   IV,    1— o. 

Je  ungenügender  seine  Definition  der  Erkenntniss  ist,  um  das 
Erkenntnissvermögen  des  Menschen  und  sein  Streben  nach  Er- 
kentniss  zu  erklären,  desto  geeigneter  ist  sie,  um  die  Erkennt- 
niss als  Princip  des  Sittlichen  aufzustellen.  Denn,  was  Spinoza 
Erkenntniss  nennt,  ist  nur  eine  Art  der  Aumissung  der  Dinge 
und  zwar  diejenige,  welche  das  ihnen  Gemeinsam  und  als  letzten 
Grund  derselben,  das  ihnen  allen  gemeinsame  göttliche  We- 
sen betrachtet.  Was  er  Erkenntniss  nennt,  ist  die  (iesinnung 
und  liichtung  des  (Jeistes,  nach  welcher  der  Einzelne  sich  selbst 
und  alle  Dinge  nicht  als  Einzelwesen,  sondern  als  Wesen  von 
gemeinsamer  Natur  und  in  letzter  Linie  als  in  (lott  ihr  Wesen 
habend  betrachtet,  also  ein  selbstloses  Sich- Eins-  Wissen  und 
Leben  mit  und  im  Allgemeinen  und  Göttlichen. 

Wenn  nun  Spinoza  als  Princip  des    Sittlichen    das    Streben 
des  Menschen,  sich,  sofern  er  diese  Gesinnung  hat,  selbst  zu  er- 
halten,    und  das  für   sich      Nützliche    zu    suchen,    aufstellt,    so 
meint  er  damit  nicht  das,   was  gewöhnlich    unter    Streben    nach 
dem  eigenen  Nutzen  verstanden  wird,  ja  auch  nicht  einmal    das 
Streben  nach  dem,   was  einem  Vernünftigen  als  das    Nützlichste 
für  sich  selbst  erscheint,    sondern    das    Streben    des    Menschen, 
sich  m  dieser  (Besinnung  d.   h.   in  der  Erkenntniss  zu    erhalten 
(cf  IV.2t),  Tract.  theol.  pol,  IV,    10 :  Quummeliorpars  nostri    sit 
lutellectus,   certum  est,  si    nostrum    utile     revera  quaerere    ve- 
limus,   nos  supra  omnia   debere  conari  ut  eum,  (luantum  fiori  po- 
test,    perficiamus   etc.)  und    folglich    sich    in    derselben    zu  be- 
thätigen. 

Spinozas  Princip  des  Sittlichen    ist    nichts   weniger  als   ein 


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f 


.  ^     73    - 

egoistisches,  wie  z.  B.  von  Kirchmaim  \l.  c.  S.  12i),Z.  1^  v.  u.) 
sagt,  (sielre  dagegen  K.  Fischers  Vortrag  über  Spinozas  Leben 
und  Charakter,  S.  7/  ebensowenig  aber  «ein  rein  theoretisches 
und  doch  auf  der  andern  Seite  egoistisches«  iBrasch  1.  c.  S. 
135)  sondern  ein  religiöses:  denn,  was  Spinoza  Erkenntniss  nennt, 
dass  ist  Religion.  Spinoza  gesteht  auch  selbst  eine  solche  Ge- 
sinnung oder  Erkenntniss  den  Fonnmen  des  alten  und  des  neuen 
Testaments  zu  (z.  B.  Eth.  IV,  <^-,  scliol  .  .  libertatem  .  ^  . 
quam  patriarchae  postearecuperaverunt  ducti  spiritu  Christi,  hoc 
est  Dei  idea,  a  qua  sola  pendet,  ut  honio  Über  sit  etc),  wenn 
er  auch  selbst  sich  bewusst  war.  zu  derselben  durch  sein  Den- 
ken gekommen  zu  sein.  Vergleiche  auch  seine  Erklärung  von 
Religion  IV,  o7  scliol.    1-   —   *) 

Es  zeigt  sich  deutlich,  wie  nahe  Spinoza  in  dieser  Aut- 
stellung des  Priiicips  des  Sittlichen  sich  berührt  mit  den  Auf- 
stellungen theologischer  Ethiker.  Wenn  er  als  Princip  des  Sitt- 
lichen das  Streben  des  Einzelnen,  sich,  sofern  er  adäcpiate  Ideen 
hat,  in  seinem  Sein  zu  erhalten,  aufstellt,  so  ist  diess  in  der 
Tliat  materiell  wenig  unterschieilen  von  dem,  was  christliche 
Theologen  als  solches  angeben  die  Selbstbethätigung  des  zur 
sittlichen  Freiheit  gekommenen  Snbjeets.  Mindestens  wird  je- 
der zugeben,  dnss  so  verstanden  —  und  anders  darf  es  im  Sinne 
Spinozas  nicht  verstanden  werden  -  das  Princip,  (luod  scilicet 
unusquisque  tenetur  suum  utile  (luaerere,  non  impietatis  sed 
viritutis    et  pietatis  fundamentum  est  (ef.    IV,    IS^seliol.   S.   344 

Z.  3  V.    u. 

Es  ist  aber  auch  leicht  einzusehen,  warum  Spinoza  das, 
was  er  meinte,  in  keiner  andren  Form  als  in  dieser,  die  bei- 
nahe das  Gegentheil  davon  auszusagen  scheint,  darzustellen  ver- 
mochte. Zunächst  ist  der  Satz  des  Si)inoza  hierbei  zu  berück- 
sichtigen (II,  33):  Nihil  in  ideis  positivum  est,  pr(»pter  quod 
falsae  dicuntur  und  III,  ^^  Falsitas  consistit  in  cognitionis 
privatione.  Spinoza  durfte  die  Selbsterhaltung  und  das  Streben 
nach  dem  eignen  Nutzen  unbedenklich  als  Princip  des  Sitt- 
lichen aufstellen.  Denn  nach  seiner  Meinung  trägt  das  Streben 
nach  dem  eignen  Nutzen  nichts  positiv  Falsches  in  sich,  sondern 
führt  nur  insofern  zu  schlechten  und  unsittlichen  Handlungen, 
als  eine  privatio  cognitionis  damit  verbunden  ist.  Da  Spinoza 
bestrebt   war,     bei    Aufstellung   seines    sittlichen   Principes   von 


*)     In  dieser  Auflassung  berühren  wir  uns  nahe  mit  Dr.  Paul  Schmidt, 
Spinoza  und  Schleiermacher,  Berlin  1868  bei  Reimer,  S.  83—91. 


-    74    - 

Allem  abzusehen,  was  nicht  wesentlich  zu  demselben  gehöre,  und 
das  Moment  der  Erkenntnibs  als  schon  mit  eingeschlossen  in 
dem  des  Strebens  nach  dem  eignen  Nutzen  ansah ,  so  kam  er 
dazu,  dieses  erstere  bei  seiner  Bestimmung  des  sittlichen  Prin- 
cipes  nicht  mit  aufzunehmen. 

Der  Voi*wurf   der  Inconsequenz   darf  ilim    dabei  nicht   ge- 
macht werden,  wie  diess  z.   B.   Kratz,  8.   14,  Anm.   thut. 

Denn  wenn  Spinoza  aucli  alle  Erscheinungen  im  Menschen- 
leben als  nothwendig  aus  Gott  folgend  ansieht,  so  ist  er  darum 
noch  nicht  genöthigt ,  sie  auch  alle  als  gleich  werthvoll  auf- 
zufassen. Zwar  giebt  es  nach  ihm  keine  Vorstellungen,  die 
positiv  falsch  wären,  da  sie  ja  alle  nothwendig  aus  Gott  folgen, 
wohl  aber  giebt  es  inadäquat«'  Ideen ,  die  aus  den  adäquaten 
Ideen  Gottes  folgen.  Sie  sind  in  Gott  adäquat,  im  Menschen 
aber  inadä((uat,  sofern  er  als  Einzelwesen  sich  betrachtet.  Ebenso 
folgen  die  der  Natur  des  Menschen  widerstreitenden  Leiden- 
schaften aus  der  unendlichen  Macht  (Jottes  nur,  sofern  die 
Menschen  sich  und  Andre  als  Einzelwesen  autiassen  ^simpliciter 
res  imaginantur,  wie  Spinoza V,  5  sagt).  Aus  der  Vereinzelung 
also  folgen  nach  ihm  die  Irrthümer  wie  die  Uebertretungen. 
(Vergl.  ep.  I^G,  4.) 

Endlich  machen  wir  auch  an  dieser  Stelle  darauf  aufmerk- 
sam, wie  Spinoza  bei  der  Durchführung  seiner  ethischen  Grund- 
lehren den  Zweckbegrift'  völlig  umgangen  hat.  Er  sagt  aus- 
drücklich (IV,  25)  :  nemo  suum  esse  alterius  rei  causa  conservare 
conatur  und  folgert  daraus  weiter  (IV,  2i),  Bew.  i :  non  conamur 
res  intelligere  alicujus  finis  causa. 

Diess  ist  auch  bei  den  xVusführungen  (IV,  praef.  S.  ^^'1, 
Z.  7  V.  u.)  festzuhalten.  Er  sagt  an  dieser  Stelle:  Nam  quia 
ideam  hominis ,  tanquam  naturae  humanae  exemplar ,  quod  in- 
tueamur,  formare  cupimus,  nobis  ex  usu  erit,  haec  ea- 
dem  vocabula  (sc.  bonum  et  malum),  eo,  quo  dixi  sensu,  retinere. 
Per  bonum  itaque  in  seqq.  intelligam  id ,  quod  certo  scimus 
medium  esse ,  ut  ad  exemplar  humanae  naturae ,  quod  nobis 
proponimus,  magis  magisque  accedamus:  per  malum  autem  id, 
quod  certo  scimns  impedire,  quominus  idem  exemplar  referamus. 
Allerdings  giebt  Spinoza,  wenn  er  von  einer  idea  hominis, 
quam  tanquam  naturae  humanae  exemplar  intuemur,  redet,  zu, 
duss  es  einen  Zweck  giebt.  Indessen  ist  dabei  nicht  ausser 
Acht  zn  lassen,  dass  an  dieser  Stelle  Spinoza  in  freierer  Weise 
seine  Lehre  entwickelt,  und  bestrebt  ist,  dieselbe  dem  allge- 
meinen Verständniss  zugänglicher  zu  machen.  Nur  durch  eine 
im  Sinne  Spinoza's  selbst  ungenaue  Kedeweise  entsteht  bei  ihm 


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—    16    — 

der  Schein  einer  Zulassung  des  Zweckbegriffs.  Dasselbe  gilt 
von  der  Stelle  IV,  App.  4,  wo  überdiess  Spinoza  den  Ausdruck 
finis  ultimus  sofort  durch  summa  cupiditas  erklärt  oder  vielmehr 
corrigirt.      (Diess  gegen  Trendelenburg  l.  c.   S.   ^.Hi). 

Wo  Spinoza  nach  der  ihm  eignen  Methode  seine  Lehre 
entwickelt ,  redet  er  nicht  von  Vorschriften  der  Vernunft,  son- 
dern nur  von  Handlungen ,  die  aus  der  Natur  der  Menschen, 
sofern  er  adäquate  Vorstellungen  hat ,  folgen ;  nicht  von  einem 
Ideal  der  menschlichen  Natur,  dem  wir  nachstreben  sollen,  son- 
dern nur  von  der  Natur  des  Menschen  ,  wie  sie  sich  darstellt 
und     bethätigt ,     wenn      von     den      inadäquaten    Vorstellungen 

abgesehen  wird. 

Die  Leugnung  des  Zwecks  ist  wie  bei  seiner  ganzen  Lehre , 
so  auch  bei  seiner  Lehre  vom  Sittlichen  die  formale  Voraus- 
setzung, welche  seine  ganze  Entwickelung  und  Darstellung  be- 
dingt. '  Zur  Aufstellung  seines  Princips  des  Sittlichen  ward  Spi- 
noza genöthigt ,  eben  weil  ihm  in  Folge  seiner  Leugnung  des 
Zweckes  keine  andre  Möglichkeit  blieb.  Und  gewiss  wird  unter 
dieser  Voraussetzung  auch  kein  andres  Princip  des  Sittlichen 
gefunden  werden  können,  aus  welchem  das  sittliche  Handeln 
des     Menschen    im    Einzelnen     so    zureichend     erklärt    werden 

könnte.  .     ^,       , 

Es  zeigt  sich  ferner  der  Einfluss  der  Leugnung  des  Zweckes 
auch  in  den  Sätzen  des  Spinoza,  in  denen  er  die  einzelnen 
Affecte  nach  ihrem  sittlichen  Werthe  ))eurtheilt. 

Als    Massstab  dieser   Benrthcilung   dient   ihm  niemals    em 
sittliches  Gebot ,  welches  durch  sie  befolgt  oder  verletzt  werde, 
oder  ein  sittliches  (iut,   welches  durch  sie  erreicht  oder  verfehlt 
werde,    oder   ihre    Richtung   auf  einen    zu    billigenden    oder  zu 
verwerfenden  Zweck ,  sondern  stets  ihre  Nützlichkeit  für  den  Men- 
schen oder  ihre  Fähigkeit,  die  Macht  des  Menschen  zu  handeln 
zu  vermehren.      Daher  bezeichnet  Spinoza  die  Affecte  der  Fröh- 
lichkeit  und   Liebe   und    die   daraus   hervorgehenden  Begierden 
als  direkt    gut   und  die  Affecte  der  Traurigkeit  und  des  Hasses 
mit  den  aus  ihnen   hervorgehenden   Begierden   als   direkt   böse. 
Erstere  können  nach  ihm  nur,  s(»fern  sie  sich  auf  Einzelnes   be- 
ziehen,  ein  Uebermass    haben,   und    können    insofern    (indirekt) 
böse  sein,  ebenso  wie  im  Verhältniss  dazu  die  Affecte  der  Trau- 
rigkeit gut   sein    können.     Ferner    nennt   er   alle    die    Affecte 
schlecht,  die  ihrer  Definition  nach  der  Vernunft  widersprechen,  also 
auch  die  Machtdes Menschen  zu  handeln  vermindern.  (IV,   41—63.) 
Gemäss    dieser    Beurtheilung    beschreibt   denn   auch   Spinoza 
das  Handeln  des  freien  d.   h.    von   der   Erkenntniss    oder   Ver- 
nunft geleiteten    Menschen    und    giebt  in    dieser   Form  seine 


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P  Tugendlehre ,    die   er  am  öciiiusse  de8  vierten  Theiles  in  einem 

Anhang  nach  ihren  Hauptsätzen  zusanimenfasst. 

Nach  dem  von  uns  eben  über  die  Auffassung  der  Erkennt- 
niss  bei  Spinoza  Gesagten,  ist  es  begreiflich,  dass  diese  Tugend- 
lehre  nicht  wesentlich   abweichen   kann  von    der   aus   den   Be- 
griffen des  sittlich  Guten  und  Bösen  abgeleiteten.     Und  es  lässt 
sich    auch    leicht    zeigen,     dass    mit    Ausnahme   weniger   Sätze, 
deren  Fassung   aber    nicht  durch  die  consequente  Durchführung 
seines  Princips  bedingt  ist,  eine  durchgängige  Uebereinstimmung 
der   Tugendlehre    des   Spinoza   mit    der   christlichen    stattfindet. 
Selbst  diejenigen  Sätze,  welche  zu  derselben  in  direktem  Wider- 
spruch   zu   stehen   scheinen,    beruhen   entweder   auf   einer   dem 
Spinoza  eigenthümlichen,   von  dem  gewöhnlichen  Sprachgebrauch 
abweichenden   Begriffsbestimmung,  so  dass  der  Widerspruch  ein 
nur    scheinbarer  ist,    oder  werden  von  Spinoza  selbst   in  soweit 
restringirt,    dass  tler  Widerspruch  wenigstens    nur    ein   relativer 
ist.     Ersteres   gilt  z.   B.   von    den  Sätzen  IV,    47,    02,    (w   cf. 
V,  38   vergl.  Ul,    18,    schol.    '2  u.   Affect.    deff.   17;     letzteres 
von    den  Sätzen   IV,    iA)  verglichen  mit    IV,  5G  schol.,  IV,  öo 
n.   r)4   vergl.    mit   IV,    r)4,  schol. ;     IV,    r)S  vergl.  mit  IV,    58 
schol.  u.  V,  27. 

Freilich  ist  aucli  hier  wieder  seine  ganze  Ausdrucksweise 
durch  seine  Leugnung  des  Zwecks  und  die  daraus  sich  ergebenden 
Folgen  bedingt,  so  dass  seine  Beschreibung  des  sittlichen  Lebens 
immer  in  vieler  Beziehung  unbefriedigt  lässt.  ; 

Eine  Folge  der  Leugnung  des  Zweckes  ist  es  auch,  dass 
Spinoza  eine  eigentliche  Fflichtenlehre  nicht  giebt.  Eine  Dar- 
stellung des  sittlichen  Verhaltens  in  den  Lebenskreisen  der 
Familie  des  Staates  und  der  Kirche  und  eine  Entwickelung  der 
sittlichen  Bedeutung  der  Kunst  und  Wissenschaft  suchen  wir 
in  der  Ethik  des  Spinoza  vergebens. 

Was  er  über  die  Ehe  sagt,  beschränkt  sich  auf  die 
wenigen  Zeilen :  App.  ad  pt.  IV,  cap.  20,  S.  o><i\  Dessgleichen 
giebt  er  nur  spärliche  Andeutungen  über  die  Pflichten  des 
socialen   Lebens.     Der   Begriff  des   Staates   als   einer   sittlichen 


•)  Auf  die  Spitze  getrieben  ist  es  indess,  wenn  K.  Fischer,  Gesch 
der  neueren  Ph.  24.  Clap.  II,  4  sagt:  „Vom  Spinozismus  eine  Moral 
als  Vorschrift  des  menschlichen  Handelns  erwarten,  hiesse  Kürbisse  von 
der  Ei.  he  verlangen*'.  „Spinoza  war  kein  Moralist".  Denn  allerdings 
giebt  Spinoza  nicht  nur  eine  Beschreibung  des  sittlichen  Lebens,  sondern 
auch  moralische  Vorschriften  (s.  u).  K.  F. 's  Behauptung  wäre  nur  richtig, 
wenn  die  I  eugnung  des  Zwecks  bei  Spinoza  mit  der  Consequenz  durch- 
geführt wäre,  die  K.  Fischer  selbst  bei  ihm  vermisst.    (24.  Cap.  III,  2) 


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—      U      — 

Gemeinschaft  liegt  ihm    fern  ,    denn   er  leitet  den  Staat  ab  aus 
einem    Vertrage,     den    die    Menschen    tacite    vel   expresse    zur 
gegenseitigen  Hilfleistuiig   eingegangen   seien    (tract.  theol.  pol. 
XVI,    S.  20<)),    und  versteht   unter   Staat    nur    die  Staatsgewalt 
(tract.   pol.   III,    1).      Eltensoweiiig   kennt    er    den    Begriff  einer 
Oemeinschaft  des  religiösen  Lebens  ,    der  Kirche  .    da  naeli  ihm 
vielmehr  der  Staatsgewalt  zukommt,  die  äussere  Religionsübung 
zu    regeln    und    dem  Nutzen    des  Staates    anzupassen,    während 
die    innere   Gottesverehrung   und    die  Fnimmigkeit   selbst   Sache 
eines  jeden  Einzelnen    ist.     (Tr.    th.    pol.   XIX,    S.  202).     So 
kennt   er  auch    nicht   den    Begriff  der  Wissenschaft,    als   einer 
Gemeinschaft    des   Forsclnrns    und    h>kennens;   denn,    wie    sehr 
er  aucli    seihst    der  Forschung    und  Erkenntniss  sein  Leben  ge- 
weiht  hat,    so   fern  lag  es  ihm,  dieses  Forschen  und  Erkennen 
als  ein  besondres  Gebiet  der  menscliliclien  (Jeistesthätigkeit  von 
andren  abzngränzen,    und  das    ihm  Zugehörige  aufzuweisen,  so- 
wie die  innerhalb  desselben  zn   erreichenden  x\ufgaben.     Eben- 
sowenig hat  er  ein  besondres  Gebiet  des  künstlerischen  Handelns 
und  Darstellens   abgesondert.      V?,   findet    sich  bei  ihm  nirgends 
eine  Darstellung   der   besctndren  Pflichten    des  Menschen    inner- 
halb der  Familie,   des  Staates,   der  Kirche,   nc.ch  eine  Ableitung 
des    Begriffs    dieser   (Jemeinscliaftskreise.       Eine    solche    konnte 
Spinoza  nicht  geben,   weil  er  den  Begriff  des  Zwecks  ausschliesst. 
Wie    niimlicli    Spinoza    zufolge    seiner   Leiignnng    des   Zweckes 
auch    die  Begriffe    des   (Juten    und    des    Bösen    nur   als    relative 
gelten  lassen  kann,  so  giebt  es  für  ihn  auch  keine  Objectivität 
der  Begrifft^  des  Bechtes  und  des  Fnrechtes.     Daher  auch  keine 
Rechtsgemeinscliaft ,    sondern    nur    eine   durch   Vertrag   zur  An- 
erkennung  gekommene    Begierungsgewalt,     die    zn    entscheiden 
hat,    was   als  Becht   und  Unrecht  gelten  s(dl  und  was  zu  thun 
und  zu  lassen  sei   ^ tract.  pol.  IV,    1). 

Dessgleichen  giebt  es  filr  ihn  keine  (Gemeinschaft  des 
künstlerischen  Darstellens,  weil  er  nicht  einmal  die  Begriffe 
des  Schönen  und  Ilässlichen  anerkennt  (App.  ad  I  pt.  S.  221, 
besonders  die  charakteristischen  Worte:  Qnae  denique  aures 
movent,  strepitnm.  sonnm  vel  harmoniam  edere  dicuntur,  quo- 
rnm  postremum  Iiomines  adeo  dementavit,  ut  deum  etiam  har- 
monia  delectari  crederentV  Indem  Spinoza  den  Zweck  verwirft, 
kann  er  auch  niclit  annehmen,  dass  es  ein  nach  der  Norm  des 
Rechtes  oder  der  Schönheit  sich  bestimmendes  Handeln  giebt, 
sondern  muss  umgekehrt  die  Begriffe  des  Rechtes  und  der  Schön- 
]  eit  als  solclie  ansehen .  welche  erst  nach  dem  Handeln  der 
verschiedenen    menschlichen  Subjecte  sich   bestimmen,    also  als 


-    7«    - 

rein  relative  Be^-iffe,  deren  Inhalt  je  nach  der  Verschiedenheit 
der  menschlichen  Anschauunj^  ein  ganz  vei-schiedener  sein  kann. 
Aus  demselben  Grunde  hat  er  aucli  über  die  sittlichen  Ge- 
meinschaften der  Familie,  der  Kirche,  der  Wissenschaft  keine 
Lehre  aufgestellt,  üeber  die  Aufgabe  der  Wissenschaft  hat  er 
nur  einmal  ganz  kurz  sich  ausgesprochen  tract.  de  intell. 
emend.  II,  lö  u.  l()i.  Kr  giebt  dort  sogar  eine  Andeutung 
über  die  Eintheilung  der  Wi.ssenschaft  in  ihre  einzelnen  Dis- 
ciplinen.  Aber  bemerkenswerth  ist,  dass  er  an  dieser  Stelle 
die  Anwendung  des  Zweckbegrifts  noch  nicht  ausgeschlossen 
hat,  wie  er  deutlich  sagt  z.  B.  in  den  Worten:  Omnes  scien- 
tlas  ad  unum  linem  (^t  scopum  volo  dirigere.^) 

So  sehen  wir,  dass  Spinoza  durch  seine  Ausschliessung  des 
Zwecks  gehindert  ward,  eine  Darstellung  des  Wesens  der  sitt- 
lichen Gemeinschaften  zu  geben  und  aus  ihnen  die  besondren 
GemeinschaftspHichten  abzuleiten.  Seine  Lehre  vom  sittlichen 
Leben  des  Menschen  bleibt  eben  darum  ungenügend.  Er  giebt 
derselben  zwar  einen  ihren  (irundzügen  nacii  richtigen  Gehalt, 
aber  vermag  bei  seinem  unzureichenden  Begriffsmaterial  es  nicht, 
den  Keichthum  des  sittlichen  Lebens  zu  erfassen  und  zu  einem 
allgemeinverständli<'hen  Ausdruck  zu  bringen. 

Der  Einfluss  seiner  Leugnung  des  Zwecks  zeigt  sich  ferner 
auch  in  den  Ausführungen,  die  Spinoza  im  ').  Theile  seiner 
Ethik  giebt.  Er  verspricht  in  der  Vorrede  zu  derselben,  den 
Weg  anzugeben,  der  zur  Freiheit  führt.  Das  Handeln  des 
freien,  d.  h.  von  der  Erkenntniss  oder  Vernunft  geleiteten 
Menschen  hat  Spinoza  zwar  s(dion  im  4.  Theile  beschrieben. 
Im  5.  versucht  er  nun  zu  zeigen,  dass  die  Erkenntniss  auch 
einen  Einfluss  habe  auf  die  körperlichen  Affectionen,  und  welche 
Macht  die  Erkenntniss  im  Einzelnen  über  die  Atfecte  habe. 
In  Folge  dessen  ist  Spinoza  wohl  veranlasst,  mehrere  schon 
vorher  gegebene  Bestimmungen  weiter  auszuführen.  Unrichtig 
ist  es  aber,  diesen  ;").  Theil  nur  als  Fortsetzung  des  4.  anzu- 
sehen, die  noch  einige  Mittel  angeben  solle,  durch  welche  die 
Macht  der  Vernunft  über  die  Aftecte  gesteigert  werden  könne. 
(So  V.  Kirchmann  1.  c.  S.  U>3  u.  ihm  folgend  Brasch  S.  LVJ). 

Spinoza  giebt  vielmehr  erst  in  diesem  Theile  eine  An- 
weisung zum  sittlichen  Leben,    während    er   bis   dahin  dasselbe 

•)  Ueberhaupt  hat  Spinoza  in  dieser  Abhandlung  wie  auch  in  der 
von  Gott,  dem  Menschen  und  dessen  Glück,  obwohl  diese  die  Grundzüge 
seiner  Lehre  schon  enthalten,  den  Zweckbegritt'noch  niclit  {lusgeschlossen, 
sM  beweist,  dass  er  dazu  erst  durch  die  Anwendung  der  mathematischen 
waethode  geführt  worden  ist. 


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-    79    - 

nur  beschrieben  und  aus  seinen  Ursaclien  abgeleitet  hat.  Da 
Spinoza  nun  ein  Handeln  nach  Zwecken  für  unmöglich  hält, 
kann  er  auch  die  von  ihm  beschriebenen  Tui^enden  nicht  ein- 
fach als  Gebote  und  Vorschriften  aufstellen,  \la  ja  solche  un- 
nütz wären,  weil  der  Mensch  sie  nicht  halten  könnte  (IV,  18, 
schol.  am  Anfang).  Dennoch  aber  statnirt  er  nach  seinem 
Satze  von  der  durchgängig  gleichen  Ordnung  und  Verbindung 
der  Vorstellungen  und  der  Dinge ,  nach  welchem  also  auch  die 
Ordnung  und  Verbindung  der  körperlichen  Affectionen  die  gleiche 
sei,  wie  die  Ordnung  der  Gedanken  und  Vorstellungen  von  den 
Dingen  in  der  Seele  (V,  1,  Bew.),  eine  Macht  der  Seele  über 
die  schlechten  Affecte ,  und  seine  Vorschriften  beziehen  sich 
demgemäss  zunächst  auf  die  richtige  Ordnung  der  Vorstellungen 
in  der  Seele. 

An  diesem  Punkte  aber  scheint  uns  die  Consequenz  des 
Systems  verlassen  zu  sein.  Spinoza  giebt  von  nun  an  die  Be- 
trachtung des  sittlichen  Lebens  als  nothwendig  aus  vorher- 
gehenden Ursachen  folgend  auf.  Er  statnirt  eine  Macht  der 
Seele  über  die  körperlichen  Affectionen,  und  seine  Berufung 
auf  II.  7  ist  nur  eine  Verhüllung,  abe  keine  Vermeidung  der 
Inconsequenz ,  die  darin  liegt  (cf.  v.  Kirclimann  zu  V,  L. 
L  Bew.  l.  c.  S.  1(14).  So  erreicht  Spinoza  das  Ziel,  von  dem 
seine  Pliilosophie  ausgeht,  nämlich  den  Weg  zur  sittlichen 
Freiheit  und  (ilückseligkeit  zu  zeigen,  doch  nur  durch  eine 
Abweichung  von  der  den  Zweck  und  die  menschliche  Freiheit 
ansschliessenden  I^etrachtungsweise ,  die  er  mit  so  grossem 
Scharfsinn  festznlialten  bemüht  ist.  Die  Lehrsätze  V,  3  ff. 
sind  wenn  auch  der  Form  nach  ponirend,  doch  dem  Sinne  nach 
Vorschriften    für  das  sittliche  Leben. 

Als  solcjie  V(aschriften  stellt  Spinoza  auf: 

1)  Bilde  dir  eine  klare  und  bestimmte  Vorstellung  von 
jedem  Affect  fV,  n,  4  cf.  4,  schol:  Huic  igitur  rei  praecipue 
danda  est  opera,  nt  unumqnemqne,  quantum  fieri  potest,  clare 
et  distincte  cogncscamiis  etc.) 

2)  Verb  iiide  mit  der  Vorstellung  der  äusseren  Ursache  ei- 
nes Affectes  die  Vorstellungen  der  diese  wieder  bedingenden 
Ursachen  d.  h.  stelle  dir  die  Ursachen  deines  Affectes  nicht 
einfach  oder  als  frei  vor,  sondern  als  nothwendig.  (V,  2, 
5,  6,   lo.) 

3)  Fasse  in  der  Ursache  eines  Affectes  die  den  Dingen 
gemeinsamen  Eigenschaften  auf,  die  als  immer  gegenwärtig  be- 
trachtet werden  d.  h.  abstrahire  in  dieser  Ursache  von  dem 
Begriffe    der  zeitlichen  Gegenwart  (V,  7,  Bew.) 


-    80    - 

4)  Beziehe  jeden  Aflect  auf  möglichst  viele  bei  demselben 
concurrirende  I Ursachen.   (V,  8,  9,   11,   1.) 

5)  Verknüpfe  und  ordne,  so  lange  dn  von  keinem  natur- 
widrigen Aflect  belierrscht  wirst,  die  Affeete  nach  der  Ord- 
nung des  Verstandes  V,  10.  Diese  Regel  modificirt  sich  für  die, 
welche  noeli  keine  vollkonnnene  Kenntniss  ihrer  Affeete  haben 
dahin,  dass  sie  allgemeine  Lehensregeln  ihrem  (iedächtniss  ein- 
prägen und  dieselben  beständig  auf  die  verscliiedenen  Lebens- 
verhältnisse anwenden.     (V,    10,  schol.) 

Als  höcliste,  alle  and(^m  znsnmmenfassendi^  Vorschrift  aber 
stellt  Sj)inoza  auf: 

())  Ueziehc  alle  Affeete  und  bildliclien  Vorstellungen  auf 
die  Vorstellung  (iottcs  d.  h.  Liebe  (lott  und  zwar  über  alle 
Dinge,  und  befestige  dieh  in  dieser  Liebe,  die  v(»n  aller  Lohn- 
sucht fern  ist,  dnreh  die  Oemeinscliaft  mit  denen  die  durch 
dasselbe  Band  der  Liebe  mit  (iott  verbunden  sind  V.  14 — 16; 
19 — 20).  O.'is  ist  der  Weg  dazu,  die  Aff'eete.  sofern  sie  Leiden- 
schaften sind,   auf  das  geringste  Mass  zu  beschränken. 

Vergleiche  zu  diesem  ganzen   Absclinitt  V,   20,   schol. 

Es  lässt  sich  nach  dem  Oesagten  in  der  That  behaupten, 
was  Voigtländer  1.  e.  S.  IhI  im  Anschluss  an  die  Vorrede  des 
Herausgebers  der  Ethik  behauptet  hat,  dass  die  Sittenlehre  des 
Spinoza  wesentlich  mit  der  cltristlichen  übereinstimmt.  Diese 
Uebereinstimmnng  zeigt  sich  nicht  nur  in  der  Beschreibung  des 
sittlichen  Lebens,  die  Spinoza  giebt  und  die  wohl  zunächst 
Voigtländer  im  Auge  g^diabt  hat,  wenn  er  sagt:  «Das  Höchste, 
was  von  der  Ethik  des  Spinoza  gerühmt  werden  kann,  ist  ihre 
Uebereinstimmung  mit  der  christlichen  Moral« .  Sie  zeigt  sich 
noch  deutlicher  darin ,  dass  auch  nach  Spinoza  der  natürliche 
Mensch,  d.  h.  wcdclier  keine  Erkenntniss  ('ottes  und  keine 
Liebe  zu  ihm  hat .  von  seinen  Begierden  beherrscht  wird ; 
(cf.  Praef.  edit.  S.  i\U') :  Si  jam  ea,  quae  gentium  doctor  de 
carne  et  carnalibus  tradidit  etc.  und  Trendelenburg  1.  c.  S.  70) 
ferner  darin,  dass  seine  Ethik  ebenso  wie  die  christliche  Sitten- 
lehre frei  ist  von  jedem  gesetzlichen  Charakter,  dass  sie  den 
Zusammenhang  der  Sittlichkeit  mit  der  Religion  wahrt,  ja  so- 
gar keine  Sittlichkeit  anerkennt,  als  die  aus  der  Liebe  zu  Gott 
stammende:  dass  ferner  Spinoza's  Vorschriften  wesentlich  auf 
die  Erziehung  zu  einer  frommen  (Jesinnuug  und  zu  einer  selbst- 
losen Hingebung  an  (Jott  zielen,  im  Uebrigen  aber  seine  Sitten- 
lehre eine  Beschreibung  der  Selbstl)ethätigung  des  sittlich  freien 
Menschen,  d.  i.  dessen,  der  die  wahre  Erkenntniss  hat,  ist. 
>'och  enger  auch   an  die    christliche   Ausdrucksweise    schliesst 


--     81     - 

sich  Spinoza  an  in  der  Abhandlung  von  Gott,  dem  Menschen 
und  dessen  Glück,  in  welcher  er  S.  96  ff.  sagt,  dass  die  aus 
der  wahren  Erkenntniss  entstehende  Liebe  zu  Gott  die  Ver- 
einigung mit  ihm  in  der  Liebe  in  Wahrheit  Wiedergeburt 
genannt  werden  kann. 

Im  Weiteren  giebt  nun  Spinoza  seine  Lelire  von  der  Un- 
sterblichkeit der  Seele,  und  zwar  nicht  nur  in  den 
Sätzen  21—28  und  40,  schol.,  wie  Brascli  I.  c.  S.  109)  be- 
hauptet, auch  nicht  im  Anschluss  an  seine  Lehre  von  der  Idee 
der  Idee  (1.  c.  S.  9J  u.  LV.D,  sondern  in  den  Sätzen  21—40, 
wozu  die  beiden  letzten  Sätze  der  P.tliik  als  unmittelbare  Fol- 
gerungen daraus  gehören,  und  im  Anschluss  an  seine  vorher 
(II,  40  schol.  2,  S.  2')i)]  nur  angedeutete^  nun  aber  in  den 
Sätzen  V,  24 — 2S  zur  Ausführung  kommende  Lehre  von  der 
intuitiven   Erkenntniss. 

Nachdem  Spinoza  nämlich  in  den  Sätzen  21 — 23  ausgeführt 
hat,  dass  die  Seele  nicht  mit  dem  Körper  schlechthin  vernichtet 
werden  kann,  sondern  dass  von  ihr  etwas  bleibt,  was  ewig  ist, 
welches  aber  nicht  in  der  Imagination  bestehen  könne,  sondern 
ein  Modus  des  Denkens  sein  müsse,  der  zum  Wesen  der  Seele 
gehört  und  nothwendig  ewig  ist,  kam  es  ihm  darauf  an,  dieses 
«etwas»   näher  zu  bestimmen. 

Spinoza  findet  diess  in  dem  intuitiven  Erkennen ;  denn 
diess  ist  bedingt  von  der  Seele  als  der  wirklichen  Ursache,  in- 
sofern als  die  Seele  selbst  ewig  ist  (V,  81);  und  in  der  in- 
tellectuellen  Liebe  zu  (lOtt,  welehe  notli wendig  aus  der  intuitiven 
Erkenntniss  folgt  (V,  :5.'5  .  )  Die  intuitive  Erkenntniss  also 
und  die  intellectuelle  Liebe  zu  Gott  sind  ewig,  sind  unser 
unsterbliches  Theil ,  während  die  aus  den  Affectionen  unsres 
Körpers  heirührenden  Vorstellungen  und  Affeete  den  Körper 
nicht  überdauern  (V,  21,  34  u.  coroll.). 

Als  ewig  aber  ist  die  intectuelle  Liebe  zu  Gott  auch  ohne 
Anfang  (V,  33,  schol.)  und  eins  mit  der  intellectuellen  Selbst- 
liebe Gottes  (V,  35  u.  36) ;  in  ihr  besteht  daher  das  Heil,  die 
Seligkeit  und  die  Freiheit  des  Menschen  (V,  36,  schol.),  die 
durch  nichts  getrübt  oder  aufgehoben  werden  kann. 

Diese  seine  Lehre  von  der  I^nsterblichkeit  führt  Spinoza 
im  Folgenden  weiter  aus.  Unser  unsterbliches  Theil  ist  um  so 
grösser,    je    mehr  Erkenntniss   und   Freiheit    wir  haben  (V,  38 

*)  Die  Sätze  V,  24— :>0  u.  ;V2  dienen  nur  zur  Ableitung  von  V,  'M 
u.  33  und  gehören  daher  mit  zu  der  Lehre  Spinoza's  von  der  Unsterb- 
lichkeit der  Seele. 

6 


-    82    - 

u.  39) ;  wie  gross  oder  klein  aber  der  unsterbliche  Theil  unsrer 
Seele  auch  sei ,  so  ist  er  vollkommner  als  der  mit  dem  Leibe 
untergehende  '{V,  40,  eorr.),  nud  für  den,  der  zur  wahren 
Tugend  oder  Freiheit  gelangt  ist,  kommt  letzterer  im  Vergleich 
zur  ersterem  kaum  mehr  in  Betracht  V,  3S,  schol.),  während 
freilich  die  Seelen  der  Kinder  erst  durch  fortgeliende  Ent- 
wickelung  dahin  gelangen  können,  dass  der  gnKssere  Theil  ihrer 
Seele  unsterblich  sei  (V,  ot>,  schol.  vergl.  den  ähnlichen  ,  nur 
noch  schärfer  ausgedrückten  Gedanken  bei  der  Unsterblichkeits- 
lehre Rothe's  und  Weisses).  Daher  ist  der  Tod  desto  weniger  ein 
Uebel  und  die  Todesfurclit  um  so  mehr  ausgeschlossen .  je 
grösser  unsre  Tug<'nd  und  Hrkenntiiiss  also  unser  unsterblicher 
Theil  ist.  Endlich  ist  die  Tugend  für  das  Ihichste  zu  halten, 
auch  abgesehen  von  unsrer  Kenntniss  der  Unsterblichkeit  n. 
(V,  41)  und  ist  die  Seligkeit  nicht  der  L(>liii  der  Tngend,  son- 
dern die  Tugend  selbst  (V,  42). 

Da  Spinozas  Lehre  v(m  der  Unsterblichkeit  aus  dem  Be- 
griff der  intuitiven  Firkenntniss  abgeleitet  ist,  so  müssen  wir 
schliesslich  noch  feststellen,  was  unter  derselben  zu  verstehen  ist. 

Aus  II,  4\K  schol.  ist  diess  niclit  mit  völliger  Klarheit  zu 
erkennen.  Es  bb^ibt  unklar,  was  es  heissen  soll,  dass  diese 
dritte  Art  der  Erkenntniss  von  der  adäquaten  Vorstellung  des 
wirklichen  Wesens  einiger  Attribute  (iottes  zur  adä(iuaten 
Erkenntniss  des  Wesens  der  Dingi*  fortschreitet.  Aus  dem 
Beispiele  von  den  Zahlen,  welches  Spinoza  (wohl  nicht  glücklich 
gewählt!)  hinzufügt,  ergiebt  sicli  nur  so  viel,  dass  er  unter 
intuitiver  Erkenntniss  eine  solche  verst«'lit.  welche  unmittelbare 
Gewissheit  in  sich  trägt.  Es  fragt  sicIi  ,  wie  diese  dritte  Art 
der  Erkenntniss  nach  Spinoza  von  der  zweiten  sich  unter- 
scheiden soll ,  da  doch  nuch  letztere  nach  II ,  4r>  innere  Ge- 
wissheit in  sich  tragen  soll  uiul  »'bfiifalls  eine  Erkenntniss  der 
Attribute  Gottes    und    der  Dinge    als  iModificatic>n  derselben  ist. 

Auch  im  T).  Theile  vermischt  Spinoza  beide  Erkenntniss- 
weisen, z.  B.  V,  27  dem.,  wo  er  sagt:  «deum  cognoscere  sive 
res  tertiü  cognitionis  genere  intelligere»  und  V,  3S,  wo  er,  was 
er  erst  von  der  Erkenntniss  der  dritten  Art  gesagt  hat,  dann 
gleicherweise  von  der  Erkenntniss  der  zweiten  und  dritten  Art 
sagt.  Es  zeigt  sich  also,  dass  beide  Erkenntnissarten  nach 
Spinoza  denselben  Inhalt  haben ,  nämlich  wahre  und  adäquate 
Ideen.  Diese  wahre  Erkenntniss,  sofern  sie  durch  die  Thätig- 
keit  des  Verstandes,  der  das  den  Dingen  gemeinsame  auffasst 
und  so  bis  zur  Erkenntniss  der  Attribute  Gottes  fortschreitet, 
entsteht,    nennt    Spinoza    die    Erkenntniss    der    zweiten    Art. 


I  / 


f\ 


-     8-5     - 

Dieselbe  Erkenntniss   aber   ist  nach  Spinoza  auch  ewig .    sofern 
die  Seele,  welch.,  die  Dinge  unter  der  Form  der  Kwigkeit  auf- 
fasst ,    ewig  ist.     Die  Seele   hat   also   eigentlich    niemals  ange- 
fangen   die  Dinge    zu    erkennen    unter   der  Form  der  Ewigkeit 
wie  sie  niemals  angcrangcn  liat  zu  sein. 

Nur  ist  diese  ewige  Erkenntniss  gewölmlich  getrübt  durch 
die  Imagination,  daher  die  Menschen  die  Ewigkeit  mit  der 
Dauer  verwechseln  und  glauben .  dass  auch  die  Imagination 
nach  dem  fod,-  bleiben  werde  (V,  ;;4,  schol.  K  Dass  aber  die 
Imagination  nicht  -wig  ist.  geht  daraus  Jiervor,  dass  wir  keine 
Erinnerung  unsrer  Exist,-n/.  ^or  den.  Korper  haben.  Dennoch 
fühlen  und  erfahren  wir  es,  dass  wir  ewig  .ind.  Diess  ge- 
schielit  aber  nicht  dunb  di..  Erinnerung .  welche  ja  eine  Art 
der  Imagination  ist  (11.  IS,  schol.),  sondern  durch  die  erkennt- 
nissmassige    Auttassung      (V,  1>;J,    sdicd.    mens   non   minus   res 

hlt.t  r  V  ''T  ■"*';  ''P'"'"  '•»'"•ipit  l'"«"  q..as  in  memoria 
habet.)  \on  dieser  Erkenntniss  sagt  Spinoza:  «mentis  oeuli 
quibus  res  videt  observatque  sunt  ip.sae  denionstrutiones»  und 
nennt  sie  unsre  mtuiti\c  Erkenntniss. 

■         Die  beiden  Erkenntnissarten.    die  der  zweiten  und  die  der 
dritten  Art  haben  also  denselben  (Gegenstand.     Aber   der  Wes 
auf  welchem  sie  denselben  erfassen,  ist  ein  verschiedener. 

Die  Erkenntniss  der  zweiten  Art  entfernt  alle  Irrthümer 
der  Imagination  und  gelangt  so  zu  der  adäquaten  Idee,  die  der 
Seec  ewige^  Eigenthum  un.l  Wesen  sind.  Daher  ist  es  unbe- 
denklich, diesen  Weg  zu  gehen,  um  zur  Erkenntniss  zu  ge- 
langen indem  bei  richtigi.n  Schlussfolgeruiigen  der  Irrthum 
ansgeschlossen  ist.  (V,;J1,  schol.;  V,  m,  schol.  S.  44,  wo  die 
Erkenntniss  der  2.  Art  legitima  et  extra  dabitationis  aleam 
posita  genannt  wird.) 

Hoher  aber  steht  die  Erkenntniss  der  dritten  Art  Sie 
tragt  unmittelbare  Gewissh..it  in  sich  un.l  lehrt  die  richtige 
Auffassung  der  Dinge.  Denn  sie  geht  .len  umgekehrten  Weg, 
nitmlieh  von  der  ad.tquaten  V.,rstcllung  einiger  Attribute  fiottes 
zu  der  adäquaten  K..iintniss  des  Wesens  der  Dinge.  Von  ihr 
sagt  Spinoza  (S.  411)  meiiteni  n.wtrain  inagis  aflicit 

Und  was  von  ihr  gilt .  gilt  au.h  v.m  der  intellectuellen 
Liebe,  die  aus  ihr  entsteht.  Si..  ist  ohne  Anfang  und  unsterb- 
lich. Bedeutsam  ist  .s  nun  ,  was  Spinoza  V,  :);},  schol.  sagt  • 
yuamvis  lue  erga  deum  amor  principium  n.,n  habuerit,  hSet 
tamen  onines  amoris  perfectiones ,  periiidc  ac  si  ortus  fuisset 
sicnt  in  coroll.  prop.  praec.  finximus.  Er  giebt  also  damit 
die  Ableitung  der  intellectualen  Liebe,   die  er  V     3-^  gegeben 


i 


-    «4    - 

hat,  auf  und  ist  genöthigt  zuzugeben,  dass  diese  Liebe  nicht 
aus  einer  körperliehen  Aflection  liervorgegangen  ist,  wie  er  diess 
doch  in  seiner  Definition  der  Liebe  schlechtliin  als  dr.s  Wesen 
derselben  bezeichnet.  Nur  dadurch  wird  es  ihm  auch  möglich 
diese  Liebe  Gott  beizulegen.  Jedenl'alls  aber  ist  es  ihm  nicht 
gelungen,  diesen  letzten  liegriff  seiner  Ethik  auf  dem  von  ihm 
bisher  verfolgten  Wege  abzuleiten.  Ebenso  lässt  er  es  uner- 
klärt, mit  welchem  Kechte  er  von  (jott,  dem  doch  kein  Aflect 
der  Fröhlichkeit  zukommen  soll,  (V,  17,  coroll.)  sagen  darf: 
g  and  et  infinita  perfectione.  Diess  zur  weiteren  Kechtfertigung 
des  von  uns  auf  Seite  ÖU  behaupteten,  was  wir  schon  S.  (37  f. 
zu  begründen  versucht  haben. 

Die  intuitive  Erkenntniss ,  so  dürfen  wir  zusammenfassend 
sagen ,  ist  die  das  ewige  Wesen  der  Seele  ausmachende ,  ewig 
seiende  und  völlige  Gewissheit  in  sich  tragende  Erkenntniss 
Gottes  nach  seiner  wesentlichen  Einheit  mit  dem  Menschen, 
welche  lehrt  ,  das  wahre  Wesen  aller  Dinge  aufzufassen ,  die 
Seele  von  Irrthum  und  Leidenschaft  befreit  und  zur  Liebe  zu 
Gott  führt.  Diese  Erkenntniss  kann  zwar  nicht  entstehen,  weil 
sie  ewig  ist,  tritt  aber  hervor  und  wird  des  Menschen  wirkliches 
Eigenthum  durch  die  Erkenntniss  der  '2.  Art.  Daher  denn 
auch  Alles ,  was  von  ihr  gilt ,'  von  der  Erkenntniss  überhaupt 
gesagt  werden  darf,  nicht  insofern  sie  eine  noch  unabgeschlossene 
Thätigkeit  des  W^rstandes,  nicht  sofern  sie  eine  logische  Opera- 
tion ist ,  sondern  sofern  sie  eine  Auflassung  der  Dinge  nach 
ihrem  gemeinsamen  Wesen  und  ihrem  Sein  in  Gott  bedingt. 

Wir  sind  über  diese  Lehre  des  Spinoza  von  der  Unsterb- 
lichkeit der  Seele  und  der  intuitiven  Erkenntniss  ausführlicher 
gewesen ,  als  diess  vielleicht  die  Aufgabe  dieser  Abhandlung 
nöthig  machte.  Es  bestimmte  uns  dazu  eine  mehrfache  Rück- 
sicht. Einmal  scheint  gerade  in  Bezug  auf  diese  Lelire  Spinoza 
vielfach  missverstanden  zu  werden.  Was  z.  B.  v.  Kirchmann 
über  die  Unsterblichkeitslehre  Spinozas  sagt  S.  174)  und 
Brasch  ihm  nachschreibt  ,1.  c.  S.  102),  zeigt  nicht  nur  von  Un- 
kenntniss  dessen ,  was  religiöser  Begrifl"  der  Unsterblichkeit  ge- 
nannt zu  werden  verdient  (cf.  I  Cor.  L"),  50  u.  ^i),  Math.  22, 
30),  sondern  aueh  von  einem  Ausserachtlassen  d<T  ausdrücklichen 
Aussagen  des  Spinoza  V.  iio,  ^>4,  schol.  5S,  schol. 

Ferner  finden  wir  in  der  von  uns  entwickelten  Lehre  des 
Spinoza  über  die  dritte  Art  der  Erkenntniss  eine  Bestätigung 
des  von  uns  oben  S.  71  f.  über  das  Wesen  der  Erkenntniss 
Gesagten. 

Endlich  und  vor   Allem    zeigt   sich   uns   in  diesem  letzten 


'  I] 


-    85    -- 

Abschnitt  am  deutlichsten,  wie  weit  der  Einfluss  der  formalen 
Voraussetzungen  des  Spinoza,  von  denen  die  wichtigste  die  Leug- 
nung des  Zweckes  ist,  sich  erstreckt.  Wo  er  von  den  Fesseln 
dieser  Methode  nur  einigermassen,  wie  diess  im  5.  Theile  der 
Ethik  geschieht,  sich  befreit,  da  treten  seine  tiefsten  und  frucht- 
barsten Gedanken  zu  Tage.  *) 

Wir  haben  nachgewiesen,  wie  die  Leugnung  des  Zwecks 
bei  Spinoza  sowohl  seine  Lehre  von  Gott  beeinflusst  hat,  so 
dass  er  es  nicht  erreicht,  einen  positiven  Inhalt  derselben  zu- 
geben und  über  die  blose  Substanz  sich  zu  erheben ;  wir  haben 
)yeiter  gesehen,  wie  Spinoza  in  Folge  derselben  Voraussetzung 
unfähig  ist,  die  Vermögen  des  menschlichen  Geistes  ausreichend 
zu  erklären  und  endlich,  dass  er,  obwohl  er  eine  dem  Inhalt 
nach  richtige  Sittenlehre  giebt,  doch  die  Begriffe  des  sittlich 
Guten  und  Bösen  und  damit  das  eigentliche  Wesen  des  Sitt- 
lichen nicht  begriölich  abzuleiten  vermocht  hat. 

Die  Sätze  aber,  die  er  aus  der  intuitioen  Erkenntniss  her- 
leitet, seine  Lehre  von  der  wesentlichen  Einheit  Gottes  und 
des  Mensehen,  von  dem  ewigen  und  unsterblichen  Theil  der 
menschlichen  Seele  und  von  der  intellectullen  Liebe  zu  Gott 
hängen  wohl  durch  die  Art  ihrer  Ableitung  und  Beweisführ- 
ung mit  dem  Bisherigen  zusammen,  aber  sind  von  seiner  Lehre 
vom  Zweck  nicht  unmittelbar  beeinflusst.  Aus  ihnen  tritt  uns 
die  sittlich-  religiöse  Tendenz  des  Philosophirens  Spinozas  am 
deutlichsten  entgegen.  In  ihnen  spricht  sich  der  ursprüngliche 
Inhalt  seines  Bewusstseins,  dem  er  durch  sein  System  einen  be- 
grieflichen  Ausdruck  geben  wollte  aus.  In  ihnen  ist  die  Lehre 
mitgetheilt,  in  der  Spinoza  selbst  seine  höchste  Befriedigung 
und  jene  vollendete  Ruhe  und  sittliche  Erhebung  fand,  die  sein 
persönliches  Leben  auszeichneten. 

Diese  Sätze  sind  es  auch  vor  Allem,  in  denen  die  Keime 
zu  späterer  Entwickelung  gegeben  sind.  Ihre  Ausführung  und 
Entfaltung  haben  dieselben  nicht  nur  in  der  pantheistischen 
Philosophie  Hegels  und  Schellings  sondern  auch  in  den    Lehren 


)  Aus  den  dürren  Sätzen  über  Substanz,  Attribute  u.  Modi,  mit 
denen  Spinoza  beginnt,  ergiebt  sich  dnrchaus  noch  nicht  seine  Lehre 
durch  blose  Analysis  undCombination,  wie  Erdraann  in  der  obener- 
wähnten Abhandlung  behauptet,  um  einer  eingehenden  Berücksichtigung 
der  Satze  des  5.  Theil  sich  überheben  zu  dürfen.  Vielmehr  fällt  auf 
Jene  Grundbegriffe  erst  dann  das  reclite  Licht,  wenn  jene  Sätze  des  5. 
Iheils  richtig  aufgefasst  und  in  Beziehung  zu  ersleren  gebracht 
werden.  ° 


.<■ 


\ 


-^    86    - 

philosophischer  Dogmatiker  gefunden,  welche  die  Trinität  speku- 
lativ zu  construiren  versucht  haben*). 

Es   ist   nun   freilicli   unmöglich ,    ohne    in  willkürliche   und 


•)  So  auch  Liebner,  der  trotzdem  diese  Bedeutung  des  Spinoza 
völlig  verkennt.  Er  sa^t  sehr  richtig  in  seiner  Christologie  ö.  72 
Anm. :  ,,Kein  Philosoph  legt  im  System  wissenschaftlich  mehr  aus,  als 
er  in  seiner  unmittelbaren  Welt-  und  Gottesanschauung,  in  dem  factischen 
(ethischen,  lebensgemässen)  Zusammenschluss  seiner  mit  dem  absoluten 
Inhalt  hat."  Aber  er  verkennt  dabei,  dass  dieser  Satz  nicht  dahin  um- 
gedreht werden  darf,  dass  kein  Philosoph  mehr  in  seiner  unmittelbar«^ 
Welt-  und  Gottesanschauung  habe,  als  er  in  seinen  System  wissen- 
schaftlich auslegt.  Bei  Spinoza  findet  vielmehr,  wie  wir  sahen,  eben  die- 
ses Verhältniss  statt,  dass  sein  Begritismaterial  nicht  ausreicht,  die  in 
seinem  unmittelbaren  Bewusstsein  gegebene  Welt-  und  Gottesanschau- 
ung wissenschaftlich  auszulegen.  Es  i.st  diess  aber  nicht  ihm  zur  Last 
zu  legen,  vielmehr  inmierhin  als  ein  Verdienst  anzurechnen,  dass  er  von 
der  scholastischen  Methode,  deren  Unfruchtbarkeit  er  einmal  erkannt- 
eanz  abgesehen  und  erprobt  hat,  wie  weit  mit  der  ihm  als  einzig  zuver- 
lässigerscheinenden, mathematischen  Methode  zu  kommen  sei.  Mag  immer- 
hin zugegeben  werden,  dass  diese  Methode  untauglich  ist,  die  höchsten 
Aufgaben  des  Denkens  zu  lösen,  .so  bleibt  die  Energie,  mit  welcher  Spinoza 
diese  Methode  zur  Anwendung  gebracht  hat,  immer  bewundernswerth 
und  verdienstlich.  Liebner  thut  ihm  entschieden  Unrecht,  wenn  er  den 
Ausspruch  zu  dem  seinigen  macht,  (S.  54^  Spinoza  sei  in  der  neueren 
Wissenschaft  der  immerwährende  Versucner  des  germanischen  Geistes 
gewesen,  insofern  der  germanische  Geist  nicht  auf  das  (orientalische) 
starre,  ruhende,  stubstanzielle  Sein  angelegt  sei,  sondern  auf  Willen, 
Freiheit,  Persönlichkeit,  Personalismus  göttlichen  und  menschlichen  (Jac. 
Böhm,  Leibnitz  und  der  spätere  Schelling).'*  Denn  in  der  Lehre  des 
Spinoza  von  der  initutiven  Erkenntniss  liegt  offenbar  auch  schon  ein 
mystisches  Element,  wie  es  bei  Jac,  Böhm  sich  findet. 

So  ist  auch  die  aus  Erdmann  (1.  c.)  aufgenommene  Darstellung  der 
Lehre  des  Spinoza  eine  einseitige.  Auf  seine  Sätze  von  den  ewigen 
Modificationen,  von  dem  unsterblichen  Theil  der  menschlichen  Seele  u. 
die  daran  sich  anschliessenden  geht  Liebner  nicht  ein,  und  über  den  Satz 
von  der  intellectuellen  Liebe  Gottes  geht  er  mit  vier  Zeilen  einer  Anmerk- 
ung hinweg,  obwohl  doch  seine  eigene  Entwickelung  unmittelbar  an  den 
darin  ausgesprochenen  Gedanken  anknüpft.  Geradezu  unrichtig  ist  es 
wenn  Liebner  sagt,  Spinoza  habe  durch  ausdrückliche  Erklärungen  da- 
für gesorgt,  dass,  was  er  Gott  nenne,  nicht  von  dem  ,, Gott  der  Christen" 
verstanden  werden  könne.  Er  nimmt  diess  von  Erdmann  herüber,  wel- 
cher (1.  c.  S.  122)  sagt  ,,Sie  beuchten  nicht  seine  ausdrückliche  Erklär- 
ung, dass  er  von  Gott  eine  canz  andere  Vorstellung  habe  als  die  Christen. 
Aber  nur  von  den  ,,neotericis  Christianis'* will  sich  Spinoza  scheiden, 
wenn  er  .sagt  (ep.  XXI  1)  ,,dico,  me  de  deo  et  natura  sententiam  fovere 
longe  diversam  ab  ca  quam  neoterici  Christiani  defendere  solent,**  und  be- 
ruft sich  für  seineLehrevon  Gott  als  der  immanenten  Ursache  aller  Dinge 
sofort  auf  das  Zeugniss  des  Apostel  Paulus  (Ap.  Gesch,  17,  28,  1  Cor. 
3,  16;  12  6.     Eph.  1,  23.  — 


-    87    - 

gewagte  Annahmen  sich  zu  verlieren,  die  philosophische  Lebens- 
anschauung des  Spinoza,  soweit  sie  von  seinen  formalen  Voraus- 
setzungen unabhängig  ist  und  rein  aus  seiner  sittlichen  und 
religiösen  Grundtendenz  folgt,  darzustellen.  Denn  beide  Seiten 
seines  Philosophirens  durchdringen  einander  und  stehen  in  fast 
durchgängiger  Wechselwirkung,  und  zufolge  seines  unrichtigen, 
formalen  Princips  ist  auch  das  materiale  Princip  seiner  Philo- 
sophie zu  keiner  ungehemmten  Entwickelung  gekommen.  Die 
Aufgabe,  von  der  Idee  Gottes  ausgehend,  das  gesamrate  Leben 
und  insbesondere  das  sittliche  Leben  zu  begreifen,  <lie  Spinoza 
in  seiner  Ethik  sich  gestellt  hat,  hat  er  schon  darum  nur  un- 
vollkommen lösen  k(innen. 

Ihre  immer  voUkommnere  Lösung  blieb  dem  speculativen 
Denken  seiner  Nachfolger,  soweit  dieselben ,  wie  ei* ,  von  der 
Idee  Gottes,  als  einer  an  sich  gewissen,  ausgegangen  sind, 
tiberlassen.  Die  Ethik  Kothe's,  die  gleich  der  des  Spinoza  zu- 
nächst nicht  eine  Darstellung  der  Sittenlehre,  sondern  ein  Ver- 
such, die  Gesammtheit  des  natürlichen,  wie  des  geistigen  Lebens 
speculativ  zu  begreifen,  sein  will,  nimmt  diese  Aufgabe,  so  viel 
uns  scheint,  am  meisten  im  Sinne  Spinozas  wieder  auf,  da 
auch  sie  von  dem  Begrift'  Gottes  ausgehend  in  der  Darstellung 
des  sittlichen  Lebens  des  Menschen  gipfelt.  Indem  aber  Rothe 
schon  in  den  ersten  Anfängen  seines  Systems,  bei  der  Ent- 
wickelung der  Ciottesidee,  den  Zweckbegriff  einsetzt  und  diesen 
Begriff  im  Folgenden  durchgängig  verwerthet,  erreicht  er  in 
einer  unvergleichlich  vollkommneren  Weise  die  von  Spinoza 
nur  gestellte,  aber  nicht  wirklich  gelöste  Aufgabe.  Es  zeigt 
sich  in  seinem  Werke»  deutlich,  eine  wie  ausgedehnte  und 
fruchtbarere  Anwendung  der  Zweckbegriff  in  <ler  speculativen 
Ethik  zulässt. 

Wir  kommen  zum  Schluss.  Wenn ,  wie  wir  glauben  dai*- 
gethan  zu  haben,  die  Leugnung  des  Zweckes  bei  Spinoza  eine 
unrichtige  ist,  und  alle  die  daraus  sich  ergebenden  Consequenzen 
abzulehnen  sind,  so  hindert  uns  diess  in  der  That  nicht,  die 
eminente  Bedeutung  der  spinozischen  Philosophie  völlig  zu 
würdigen. 

Es  ist  allerdings  die  gesammte  Lehre  des  Spinoza  nach 
Form  und  Inhalt  dadurch  bedingt,  dass  er  keinen  Zweck  weder 
in  Gott  noch  im  Menschen  anerkennt  und  jede  Betrachtung  der 
Dinge  nach  den  in  ihnen  vei*wirklichten  Zwecken  ausschliesst. 
Es  behält  seine  ganze  Lehre  in  Folge  dessen  etwas  Unbe- 
friedigendes für  Jeden,  dem  die  Frage  nach  dem  höchsten  Gut, 
dem  alle  andren  Zwecke  dienen,  die  oberste  und  wichtigste  ist. 


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Aber  eben  die  Erkeiiiitniss ,  dass  die  Unvollkommenheit 
des  spinozischeii  Pliilosophirens  rein  bedingt  ist  durch  seine 
logischen  und  formalen  Voraussetzungen ,  in  denen  er  uns  als 
ein  Kind  seiner  Zeit  ei'scheint,  entfernt  uns  den  Anstoss,  den 
wir  wohl  sonst  an  vielen  seiner  Sätze  nehmen  mtissten. 

Was  uns  Bewunderung  und  Verehrung  für  Spinoza  ab- 
nöthigt,  ist  nicht  sowohl  die  Consequenz  seines  Denkens,  die 
ja  in  manchem  Betracht  eine  unvollkommne  genannt  werden 
muss*),  nicht  seine  Methode  und  Darstellungsweise,  die  immer- 
hin eine  steife  und  ermüdende  bleibt,  sondern  die  Grossartigkeit 
seiner  Gesammtanschauung ,  die  durch  alles  Einzelne  sich  hin- 
durchziehende sittlich-religiöse  Tendenz  und  die  gewissenhafte 
Durchführung  derselben  bis  ins  Einzelnste,  soweit  dieselbe  dem 
Spinoza  nach  seiner  Art  zu  denken,   erreichbar  war. 

Und  diess  erscheint  um  so  glänzender  und  bewunderns- 
werther ,  je  mehr  wir  erkennen ,  dass  alle  uns  anstössig ,  ja 
«empörend»  erscheinenden  Behauptungen  nicht  aus  seiner  Grund- 
tendenz hervorgehen,  sondern  die  nothwendige  Folge  seiner 
Leugnung  des  Zweckes  sind,  zu  der  er  im  Interesse  der  Wahr- 
heit selbst  genöthigt  zu  sein  meinte. 

So  ist  es  in  der  TJiat  für  die  Würdigung  und  das  Ver- 
ständniss  des  Spinoza  von  nicht  geringer  Bedeutung,  wenn  der 
Eintluss  seiner  Leugnung  des  Zweckes  auf  seine  Philosophie 
erkannt  wird.  Es  wird  diess  ebenso  sehr  von  einem  unselb- 
ständigen Annehmen  seiner  Resultate  als  von  einem  ungerechten 
Aburtheilen  über  seine  Philosophie  zurückhalten. 

In   keinem  Falle  wird    dadurch   die   sittliche  Persönlichkeit 

•)  Auch  K.  Fischer,  dessen  Darstellung  der  Philosophie  des  Spinoza 
eine  so  eingehende ,  gerechte  und  verständnissvolle  ist ,  statuirt  dann 
bei  der  Kritik  derselben  innere  Widersprüche  im  System  des  Spinoza, 
durch  welche  dieses  aufgelöst  werde.  Lr  thut  diess  aber  vornehmlich 
mit  der  Tendenz,  nachzuweisen,  wie  die  Philosophie  Spinoza's  über  sich 
hinausweise  und  auf  Leibnitz  hinführe.  Daraus  erklärt  es  sich,  dass 
K.  F. ,  indem  er  einzelne  Sätzen  des  Sp.  ohne  Berücksichtigung  des 
Zusammenhangs,  in  welchem  sie  ihre  natürliche  Restriction  finden,  zu 
scharf  markirt,  zum  Theil  erat  selbst  den  Schein  des  Widerspruchs  her- 
vorgerufen hat ,  und  dass  er  die  einheitliche  Wurzel  der  wirklich  vor- 
handenen Widersprüche  nicht  aufgezeigt  hat. 

Uns  scheint  die  Ursache  aller  Mängel  und  Widersprüche  bei  Spinoza 
in  der  Unvereinbarkeit  seiner  J>eugnung  des  Zwecks  mit  seiner  Grund- 
tendenz zu  liegen.  Er  geht  davon  aus,  das  höchste  Gut  zu  suchen ,  ist 
sich  also  eines  Zweckes  bewusst,  den  er  erreichen  will  (cf.  tract.  de 
intell.  emend  I  u.  II.  :  Hie  est  finis  ad  quem  tendo)  und  gelangt 
schliesslich  dazu,  jeden  Zweck  zu  verneinen,  also  auch  den,  von  welchem 
er  ausgegangen  ist.     Darin  besteht   der  Selbstwiderspruch   bei  Spinoza. 


-     89     -^    . 

des  Spinoza  herabgestellt.  Denn  seine  unbestechliche  und  rück- 
sichtslose Wahrheitsliebe  zeigt  sich  auch  in  seiner  durchgefülirten 
Ausschliessung  des  Zweckes. 

Dem  Verständniss  seiner  Philosophie  aber  kann  es  nur 
forderlich  sein,  wenn  eine  sein  ganzes  System  beeinriussende 
Grundvoraussetzung  in  ihren  Consequenzen  verfolgt  wird  Es 
ist  damit  ein  Massstab  gegeben,  den  bleibenden  (iehalt  seiner 
Pliilosophie  zu  unterscheiden  von  der  zeitlicli  bedingten  Art 
ihrer  Ableitung,  Ausführung  und  Darstellung. 

Die  bleibende  Bedeutung  der  Philosophie  Spinozas  lie^t 
in  ihrer  religiös- sittlichen  Tendenz.  Ist,  wie  K.  Fischer  be- 
tont, Spinozas  Weltstellung  darum  eine  einzige,  weil  er  die 
Geltung  aller  Zwecke  verneint  und  damit  die  (Grundlage  aller 
christlichen  Theologie  und  ebenso  aller  Philosophie  vor  und 
nach  ihm  aufhebt,  so  steht  Spinoza  ebenso  einzig  da  auch 
dann ,  dass  seine  Philosophie  nach  ihrem  Ausgangspunkte  und 
nach  ihrem  Ziele  einen  durchaus  ethischen  Charakter  trä<*-t  wie 
diess  am  deutlichsten  aus  seinen  trart.  d<^  intell.  ein  '  her- 
vorgeht. 

Welcher  Philosoph  nach  ihm  oder  vor  ihm  wäre  zu  nennen 
der  nach  Erkenntniss  strebt  nll.in  um  durch  die  Erkenntniss 
Gottes  das  höchste  (Jut  zu  erlangen  und  mit  der  Liebe  zu  Gott 
erfüllt  zu  werden ,  in  weleher  das  ewige  Heil  der  Menschen 
beseht?  Welcher  Philosoidi  nach  ihm  oder  vor  ihm,  dessen 
Philosophie  unmittelbar  hervorwäclist  aus  dem  Erlösungsbedtirfniss 
aus  dem  Streben,  von  der  Selbstsucht  und  der  Liebe  zu  den 
vergänglichen  Gütern  der  Welt  l(»szukommen  >  cf  K  Fischer 
1.  c.  11.   Cap.  I  u.  U.) 

Um  dieser  ihrer  religiösen  Tendenz    willen    dürfen    wir   der 
Philosophie  des  Spinoza,  wie  sehr  wir  auch  im  Einzelnen  ihren 
Widerspruch  zu    aller     dogmatischen     Auffassung   des    Christen- 
thunis    annerkennen,    einen    in   Wahrheit    christlichen    Charakter 
vindiciren,  und    die    bei    ihm    .sieh    findenden  Aussprüche   über 
die  ewige  Geltung   der  in  Christo  gesch(  henen  Offenbarung  (cf 
K    Irischer,  X,2,o.j  sind  nicht  als  Accomodation  zu  der  christ- 
lichen Ueberzeugung  seiner  Zeitgenossen,  die  in  AViderspruch  zu  sei- 
ner eigenen  Weltanschauung  stände,  aufzufassen ,  sondern  als  der  Aus- 
di-uck  seiner  innersten  Uebezeugung,  der  er  in  seiner  Philosophie  ei- 
nen nur  in  der  verstandesmässigen  Darlegung,  darin  aber  allerdings 
pnncipiell  von    der  christlichen    Lehre    abweichenden    Ausdruck 
gegeben  hat.     Zur  christlichen    Religion  als  solcher  hat   Spinoza 
Keine  teindhche  Stellung  eingenommen,  seinePolemik  gegen  dieluthe- 


A" 


—    90    — 

Tische  Dogmatik  ist  nicht  schärfer  als  die  gegen  die  Lehre   der 
Kabbinen,   (K.  Fischer,  XIII,   (>,  3.  . 

Die  Beschäftigung  mit  Spinoza  muss  dämm  auch  für  den, 
der  in  Christo  allein  die  Wahrheit  erkannt  hat,  fruchtbar  und 
erpuicklich  sein,  sobald  er  nur  versteht,  zwischen  Christen- 
thum  und  christlicher  Dogmatik  zu  unterscheiden. 

Ja  es  wird  auch  der,  welcher  mit  den  formalen  Voraussetz- 
ungen, wie  mit  den  zur  christlichen  Lehre  in  Widerspruch  ste- 
henden Resultaten  Spinozas  in  keiner  Weise  sich  befreunden  kann, 
an  der  allem  seinen  Denken  zu  Grunde  liegenden  Gesinnungsrein- 
heit sich  erfreuen  und  erheben  können. 

Je  mehr  wir  die  Mängel  seiner  Beweisführung  und  die  Un- 
vollkommenheit  seines  begrifflichen  Apparates  erkannt  haben, 
um  so  ungetheilter  werden  wir  ihm  auch  folgen  dürfen  in  dem 
Streben,  alle  Dinge  in  Gott  zu  begreifen  und  auf  ihn,  als  die 
ewige  und  unveränderlirhe  Substanz  aller  Dinge  unverwandt 
unsern  Blick  gerichtet  sein  zu  lassen. 


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